Bericht: Kein Ausweg aus der »Zwangsjacke«

Die prominent besetzte Veranstaltung der Rosa Luxemburg-Stiftung zur Eurokrise stimmte pessimistisch

http://www.nrw.rosalux.de/nc/event/48851/wie-europa-retten.html

 

von Alban Werner, Aachen

 

Die Rosa Luxemburg-Stiftung NRW hatte am 19. August in »Die Brücke« in Köln eingeladen (inzwischen ist die Video-Aufzeichung von R Mediabase online verfügbar). Zum Thema  »Wie Europa retten? Der Euro, die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit« waren als prominente Vortragende eingeladen Fritz W. Scharpf, der ehemalige Direktor des Max Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall, der ehemalige UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck, als Moderatorin die taz-Wirtschaftsjournalistin Ulrike Hermann. Entschuldigt hatte sich Rudolf Hickel (Uni Bremen) von der Memorandum-Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik, der sich vor zwei Jahren zu Beginn der Eurokrise einen heftigen Disput mit Heiner Flassbeck (nachlesbar auf den Nachdenkseiten) geliefert hatte.

Gefragt nach den Ursachen und dem Zustand der Eurokrise fasste Heiner Flassbeck sein Argument aus der Studie zusammen, die er zusammen mit Costas Lapavitsas für die Rosa Luxemburg-Stiftung verfasst hatte. Die Bundesrepublik hätte seit Beginn der Europäischen Währungsunion (EWU) ständig das vereinbarte Inflationsziel von 2 % unterboten und dadurch Leistungsbilanzüberschüsse akkumuliert – die Verschuldung der heutigen Krisenländer Südeuropas sei die Konsequenz. Flassbeck zeigte sich pessimistisch: notwendig sei ein radikaler Kurswechsel Deutschlands hin zu einer expansiven Lohnpolitik, doch selbst dann könnte es ein Jahrzehnt dauern, bis die Krisenländer aus der aktuellen Massenarbeitlosigkeit von 25% herausgewachsen sind. Fritz W. Scharpf betonte die Zwangsjacke, die die EWU für die Mitgliedstaaten bedeutet habe, weil mit ihrem Start expansive Fiskalpolitik und Geldpolitik als Instrumente ausgefallen seien. Die Zwangsjacke habe Deutschland letztlich nur den Ausweg über die »innere Abwertung« gelassen, um aus der eigenen Wachstumsschwäche (verantwortlich dafür seien zu hohe Realzinsen gewesen) herauszukommen. Hans-Jürgen Urban erinnerte daran, dass es vor dem Start der EWU auch innerhalb der politischen Linken positive Erwartungen gegeben habe. Man erhoffte sich von links ein Ende des »Modell Tietmeyer«, d.h. der Dominanz der Bundesbank-Geldpolitik in Europa. Die Ursache allein in der Lohnpolitik, vor allem der Tarifpolitik zu suchen sei verkürzt, weil diese eine Frage politischer Kräfteverhältnisse, keine bloße Willensfrage sei, und weil viele Beschäftigte durch Tarifabschlüsse gar nicht mehr erreicht würden.

Gefragt nach den möglichen Folgen einer Abwicklung des Euro wies Fritz W. Scharpf auf das Problem der deutschen Gläubigerposition hin. Es handele sich auch um private (Lebens- oder Alters-)versicherungen, die schlagartig nicht mehr bedient würden, wenn der Euro auseinanderbricht. Deutschland würde weiterhin getroffen durch den Verlust der faktischen Unterbewertung von ca. 20 %, hätte also eine massive Verteuerung seiner Exporte zu verkraften. Eine euro-keynesianische Option, wie sie von vielen Linken vertreten wird, befand Scharpf für unrealistisch. Sein pessimistisches Fazit lautete deshalb, dass die »Rette den Euro um jeden Preis«-Politik von Angela Merkel aus Sicht der deutschen Sparer und Erwerbstätigen faktisch alternativlos sei. Heiner Flassbeck wies kritisch darauf hin, dass

Deutschland jährlich ca. 180 Mrd. Euro, d.h. sämtliche Ersparnisse exportiert. Deutschland forciere eine Politik, bei der niemand sich mehr verschulden und alle nur noch Gläubiger sein wollten, was logisch unmöglich sei. Dieses Problem spiele allerdings im Wahlkampf, wie andere wichtige Aspekte der Eurokrise, überhaupt keine Rolle. Hans-Jürgen Urban vertrat die Einschätzung, dass der Euro erhalten bleiben werde, die Frage sei in welcher Form. Es brauche eine Debatte darüber, wie eine dann notwendige Transfer- oder Sozialunion politisch sinnvoll, d.h. demokratisch zu organisieren sei.

An diesen Aspekt schloss die letzte Runde auf dem Podium an: welche Zukunft könne die Demokratie haben, wenn die sog.  »Troika« in den Krisenländern faktisch die vollständige Wirtschafts- und Sozialpolitik diktiere. Fritz Scharpf kommentierte nüchtern, dass man von Demokratie im Grunde gar nicht mehr sprechen könne. Letztlich brauche es bei so enger wirtschaftlicher Verflechtung einen Bundesstaat, wie es in der Bundesrepublik gebe. Dieser sei allerdings aufgrund fehlender Voraussetzungen, vor allem einem fehlenden »europäischen Volk« nicht denkbar, zumindest nicht als Demokratie. Ähnlich pessimistisch zeigte sich Heiner Flassbeck, der einerseits keine Zugeständnisse machte an die Skepsis seiner Mitdiskutanten im Hinblick auf Wirkungsgrenzen der Lohnpolitik, andererseits mit Hinweis auf das Beispiel deutsche Wiedervereinigung ebenfalls einer Transferunion eine Absage erteilte. Hans-Jürgen Urban zeigte sich weniger optimistisch, sondern versuchte einen Impuls für eine Debatte über konkrete institutionelle Formen zu setzen, die eine demokratische Alternative zur immer autoritärer werdenden EU-Struktur bieten könnten.

Rudolf Hickels Abwesenheit war in der Tat bedauerlich, weil er (wohl mit einigen Schnittpunkten zu Hans-Jürgen Urban) einen deutschen Fürsprecher euro-keynesianischer Positionen hätte abgeben können. Unterm Strich fiel die Diskussion sehr pessimistisch aus, da keiner der Referenten eine Handlungsstrategie skizzieren konnte oder wollte, aus der sich direkte politische Anknüpfungspunkte ergeben hätten. Nicht einmal für den nüchternen Aufruf von Urban zur Strukturdebatte ist Resonanz zu erwarten, solange alle derzeitigen  deutschen Oppositionsparteien mit nur zeitweiser Ausnahme der LINKEN unter  »europapolitischen Tarnkappen« (Jürgen Habermas) einen entsetzlich langweiligen Wahlkampf betreiben. Enttäuschend blieben die meisten Debattenbeiträge aus dem Publikum. Wie leider von allzu vielen linken Veranstaltungen bekannt, bemühte sich ein Großteil der ausschließlich männlichen Fragenden, Wunschkonzerte und Untergangsphantasien über den Kapitalismus abzuspielen. Gibt es ein politisches Subjekt für ein »anderes Europa«?