Bildungspolitik im europäischen Kontext

Von Karl-Heinz Heinemann,
Bildungsjournalist und Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW

 

Europäische Bildungspolitik – das sind sehr wirksame Veränderungen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite  unnütz vergeudete Arbeitskraft, weil wirkungslose Proklamationen: Der Bologna-Prozess auf der einen Seite, die Bildungspolitik als Teil der Lissabon-Strategie auf der anderen.

Bis 2010 sollte die EU zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ werden. Diesem Ziel wurde die Bildungspolitik mit der Lissabon Strategie unterworfen und damit in den Dienst der Wettbewerbsfähigkeit und des wirtschaftlichen Erfolgs Europas gestellt.

Der Durchschnitt der Schulabbrecher sollte auf höchstens 10 % reduziert werden, die Zahl der Studienabschlüsse in Mathematik und Naturwissenschaften sollten um wenigstens 15 % gesteigert und der Anteil von Frauen erhöht werden, wenigstens 85 % der über 22jährigen sollten die Sekundarstufe abgeschlossen haben, die Zahl der 15jährigen mit Leseschwächen sollte um mindestens 20 % gesenkt werden und mindestens 12,5 % der berufstätigen Bürger/innen sollten lebensbegleitend lernen. All das wurde verfehlt.

Die EU hat keine Kompetenzen, um diese Ziele in den Mitgliedsstaaten durchzusetzen, sie bedient sich der kraftlosen Methode der „offenen Koordinierung“. De facto spielt also die Bildungsplitik eine untergeordnete Rolle, was u.a. darin zum Ausdruck kommt, dass dieser Posten nun mit dem ungarischen kommisar Tibor Navracsics, einem Fidesz-Vertreter besetzt wurde.

Wirksamer war dagegen die Umgestaltung der Hochschulen im so genannten Bologna-Prozess. Die Umstellung auf Bachelor/Master, auf Credit-Point-Systeme und auf „employability“ ist mittlerweile hinlänglich kritisiert worden. Demgegenüber war das Humboldtsche Postulat der „Bildung durch Wissenschaft“ der leichtfertig aufgegebene Vorzug des deutschen Hochschulsystems. Der damit verbundene Freiraum, die Möglichkeit, das Studium als eine Phase zu begreifen, in der man sich mit Dingen um ihrer selbst willen beschäftigt, wurde leichtfertig aufgegeben.

In der Diskussion wurde diese Position als einem elitären, bildungsbürgerlichen Ideal nachhängend kritisiert. Die fehlende Einordnung in den Rahmen des volkswirtschaftlich vertretbaren wurde bemängelt.

Es bleibt die ungelöste Aufgabe, das Bildungssystem auf eine Gesellschaft mit hochwertigen wissenschaftlichen Dienstleistungen, High-tech und wachsenden gesellschaftlichen Entwicklungsproblemen einzustellen, das den Ansprüchen an hohe Allgemeinbildung und Bildung für alle gerecht wird.

 

Zum Nachlesen:

Bilanz der Bologna-Reform

Ulf Banscherus, Annerose Gulbins, Klemens Himpele und Sonja Staack:
Der Bologna-Prozess zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die europäischen Ziele und ihre Umsetzung in Deutschland. Eine Expertise im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung

Stephan Schleim: Fünfzehn Jahre Bologna-Erklärung – eine Polemik
http://www.heise.de/tp/artikel/42/42040/1.html