Die Linke und die Moderne

Zur Einordnung des gegenwärtigen „Moderne-Diskurses“ in der Linken und speziell in der PDS sei zunächst festgestellt, dass weit wichtiger als ein Streit um „Moderne“ und „Modernisierung“ eine treffende Analyse der modernen kapitalistischen Gesellschaft, ein darauf gründendes weiteres Ausarbeiten von Eckpunkten linker Reformalternativen und von nächsten politischen Forderungen und der Kampf um deren Verwirklichung sind. Da aber die genannten Begriffe nicht selten als Kritik herausfordernde Reizworte aufgefasst werden, wird hier der Versuch eines konstruktiven Umgangs mit ihnen, einer Versachlichung der Diskussion und der Überwindung von Fehlinterpretationen unternommen.

Die in den Thesen der ProgrammKommission der PDS (ProgrammKommission 1999), in Gregor Gysis „12 Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus“ (Gysi 1999), in „ReformAlternativen. sozial – ökologisch – zivil“ (Klein u.a. 2000a) und in dem Artikel „Moderne, Modernisierung und die PDS“ (Klein 2000b) vorgenommene knappe Verknüpfung von Grundaussagen, die auf Marx fußen, mit dem Modernediskurs wurde zum Anlass heftiger Attacken gegen die „modernen Sozialisten“. Ihnen wird vorgeworfen, sie seien von Marx zur bürgerlichen Modernetheorie übergewechselt. (Wagner 2000: 394) Unterstellt wird ein Abgehen von demokratisch-sozialistischen Auffassungen und Integration in die gegebenen Machtverhältnisse nach dem Muster der Grünen und der neuen Sozialdemokratie. Das ist unredlich, sachlich nicht begründet und politisch gefährlich, weil den Angegriffenen abgesprochen wird, beide Seiten des Selbstverständnisses der PDS als systemkritische demokratische Opposition und als gestaltende Reformkraft gleichermaßen mit zu tragen. Dies treibt die Linke auseinander.

Der Moderne-Begriff

Auf einer ganz anderen Ebene als der Vorwurf, Kapitalismuskritik mit bürgerlicher Moderneakklamation zu tauschen, liegt ein sachlicher Streit darüber, ob die Verwendung der Begriffe Moderne und Modernisierung Vorteile für das Handeln der Linken in der modernen bürgerlichen Gesellschaft bietet oder nicht.

Beispielsweise lehnt Horst Heininger hat nun auf den vom Autor dieses Beitrages und anderen dargestellten Zusammenhang zwischen der Überwindung der Profitdominanz als ökonomischer Kern linker Reformalternativen und der Herauslösung bewahrenswerter Seiten moderner bürgerlicher Gesellschaften aus dieser Dominanz des Profits vor allem der großen Kapitale verwiesen. Er hält dieses Ziel für zustimmungsfähig und höchst unklar zugleich. Aber könnte es sein, dass ein bisher nirgendwo auf demokratische Weise dauerhaft erreichtes Ziel und ein nirgendwo schon erkundeter Weg dahin gar nicht „klar“ beschrieben werden können?

Horst Heininger argumentiert: „Solange kapitalistisches Eigentum die vorherrschende – oder besser herrschende – Eigentumsform ist, bleibt ‚Profitdominanz‘ als Zielstellung und regelndes Prinzip wirtschaftlicher Entwicklung erhalten.“ (Heininger 2000: 28) Das soll nicht bestritten werden. Doch hier, wie so oft in der Linken einschließlich der PDS, wird auf zwei Ebenen aneinander vorbei diskutiert. Der eben zitierte Einwand hat die reale, von transnationalen Monopolen bzw. Oligopolen und vor allem durch die Protagonisten des shareholder-value-Kapitalismus geprägte Entwicklung im Auge, die in der Tat auf die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft, auf die Auflösung zwischenmenschlicher Verantwortung und auf ökologische Katastrophen hinausläuft. Dagegen hat die Rede von der möglichen Umkehr der Modernisierungsrichtung ganz anderes im Auge. Sie bestreitet nicht die dem großen Kapital innewohnende zerstörerische Richtung seiner Selbstentwicklung. Sie besteht jedoch darauf, dass diese unheilvolle Selbstläufigkeit nicht unumkehrbar ist. Sie geht davon aus, dass die moderne bürgerliche Gesellschaft zivilgesellschaftliche Bewegungsräume für demokratische, libertäre, antikapitalistische Kräfte bietet, die immer wieder neu erkämpft werden müssen und unter bestimmten Voraussetzungen für die Einleitung einer alternativen Umkehr der gesellschaftlichen Entwicklung ausgeschöpft werden können. Zu unterscheiden ist also zwischen Aussagen über die Selbstbewegung vor allem des international operierenden Kapitals und einer möglichen anderen Entwicklung bei erfolgreichen Kämpfen gegen diese Mächte.

Gerade Horst Heiningers zitierte zutreffende Aussage fordert die Suche nach Wegen zur Überwindung der herrschenden kapitalistischen Eigentumsformen heraus und spricht für die Dringlichkeit entsprechenden Handelns der Linken gemeinsam mit anderen. Ich erwarte die Überwindung der Dominanz der kapitalistischen Eigentumsform als einen vielschichtigen Prozess, der voraussichtlich nicht als zeitlich geraffter Großakt stattfinden wird, sondern als eine Folge verschiedenster einzelner Schritte. Auf der Ebene des Eigentums werden sie darin bestehen, zum einen die Verfügung der Eigentümer über das Kapitaleigentum einzuschränken und nach und nach anderen Kriterien als dem höchstmöglichen Profit zu unterwerfen. Zum anderen muss Pluralität auch der Eigentumsformen gefordert, durchgesetzt und damit ein Gegengewicht zum privaten Kapitaleigentum als Grundlage alternativer Entscheidungen geschaffen werden. Auf solche Weise könnten etwa der Rechtsstaat und die Demokratie zunächst partiell und bei weiter verändertem Kräfteverhältnis stärker den profitorientierten Kapitalinteressen entzogen werden.

Natürlich besteht die Mahnung zu Recht, dass die Eigentums- und Machtstrukturen beim Namen genannt werden müssen, die einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen, um sie zurückdrängen und schließlich überwinden zu können: Zu diesen Strukturen gehören das Kapitalinteresse an der Steigerung der Profite zu Lasten der Lohnabhängigen und anderer, besonders die profitbestimmten Interessen der Rüstungslobby, der Automobilproduzenten, der Konzerne in der Erdöl-, Atom-, Gas-, Kohle- und Energiewirtschaft und der Profiteure des Nord-Süd-Konflikts, das Interesse von Banken und großen Fonds an Finanzanlagen statt an Investitionen in den ökologischen Umbau oder gar in soziale Bereiche, die Bindung etablierter Parteien an die wachstumsfixierten Wirtschaftsmächte, die ideologische Vorherrschaft der Marktdogmatiker und das Desinteresse der Medienmonopole an aufklärerischer Gewinnung von Mehrheiten für eine alternative Entwicklungslogik. Zu diesen die Entwicklung blockierenden Strukturen gehören ebenso die patriarchalen Machtverhältnisse, die Zurücksetzung von Frauen im Erwerbsleben und im öffentlichen politischen Raum, die Abwälzung des überwiegenden Teils unbezahlter Reproduktionsarbeit auf sie, die Verweigerung von unbeschränkter Selbstbestimmung über ihren Körper und statt dessen die andauernde physische und psychische Gewalt gegen Frauen.

Es gehört zu den kompliziertesten Aufgaben der kommenden Zeit herauszuarbeiten, mit welchen gewiss sehr unterschiedlichen Schritten Grenzen überwindbar sind, die etwa durch Bankenmacht, kapitalistisches Bodeneigentum, Atomwirtschaft und Energiekonzerne, durch Patriarchat und Rassismus sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit gesetzt sind (Klein 1999). Und noch schwieriger wird es sein, solche Schritte in den künftigen unvermeidbaren Kämpfen durchzusetzen.

Dies könnte erreicht werden, wenn eine Demokratisierung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft bestimmenden Einfluss auch auf die Einordnung von kapitalistischen Gewinninteressen in öffentliches Gemeinwohl gewänne. Zivilgesellschaftlicher Druck und ein Wertewandel zugunsten nachhaltiger Entwicklung könnten dazu führen, dass der Staat gestaltend zugunsten sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit in Produktion und öffentliches Leben eingreift – statt zugunsten der Konkurrenzfähigkeit der global players auf den Weltmärkten. Vorstellbar ist dies, wenn eine Politisierung der Gesellschaft erreicht wird, wenn die Initiativen von BürgerInnen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, die heute noch uneinige Linke und ihre Parteien, Kirchen, Intellektuelle, kleine und mittlere Unternehmer, Künstlerinnen und Künstler nach und nach in Vernetzungsprozessen zu einer neuen breiten Allianz zusammenfänden. Einen anderen Weg wird es kaum geben. Der aber könnte die Verfügung über das Kapitaleigentum verändern – in voraussichtlich harten Kämpfen um die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfte- und Machtverhältnisse. Nur unter dieser Bedingung ist ein sozial und ökologisch nachhaltiger, emanzipatorischer Wandel der Gesellschaft überhaupt vorstellbar.

Gegen den erbitterten Widerstand der Monopole in der Atomwirtschaft, der internationalen Erdöl- und Erdgas-Konzerne und der großen Energieerzeuger die für das ökologische Überleben existenzielle solare Energiewende durchzusetzen – dies bedeutete Begrenzung der Verfügungsmacht über Kernbereiche des Kapitaleigentums.Eine Verkehrswende zu einem neuen Typ der Mobilität zu erzwingen – dies wäre Begrenzung der Verfügungsmacht der Automobilkonzerne über das Kapital.Gesundheitsreformen, die auf gleichen Zugang zu hochwertigen medizinischen Leistungen gerichtet sind und das Gesundheitswesen aus den Verwertungszwängen der Pharmaindustrie befreien – dies wäre ebenfalls Einschränkung der Verfügungsmacht über Kapitaleigentum.Gerechte Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, die eine Umverteilung von oben nach unten einleitet, eine die Spekulation begrenzende Devisenumsatzsteuer, eine bedarfsorientierte Grundsicherung, die den Widerstand von Lohnabhängigen gegen prekäre Beschäftigung stärkt, entschieden mehr Mitbestimmung, wirtschaftsdemokratische Veränderungen, Verbot von Waffenexporten und ein neuer Schub der Abrüstung – dies würde das Kapitaleigentum weiter der ausschließlichen Verfügung der Kapitaleigentümer entziehen.

Dies käme noch nicht der Überwindung des Kapitalismus gleich. Wohl aber könnte dies den Prozess der Unterordnung des unternehmerischen Gewinninteresses unter soziale, ökologische und emanzipatorische Maßstäbe des Gemeinwohls einleiten.

Derart real wirksames zivilgesellschaftliches und staatliches Eingreifen in die Verfügung über Kapitaleigentum wäre identisch mit einer Veränderung des Verhältnisses der Klassen, sozialen Gruppen und Akteure zueinander in Bezug auf das Eigentum, wäre also bereits Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Käme wider die gegenwärtig vorherrschende Privatisierung, die Überführung wichtiger Wirtschaftsressourcen in kommunales, Länder-, Bundes- oder EU-Eigentum zustande, ferner die Verteidigung von Genossenschaftseigentum und seine Ausweitung und die Entstehung neuer nichtkapitalistischer Eigentumsformen beispielsweise in Gestalt eines von autonomen, selbstbestimmten Wirtschaftssubjekten getragenen, öffentlich geförderten Beschäftigungssektors zwischen privater und staatlicher Wirtschaft, so wäre dies weiterer einschneidender Wandel der Eigentumsverhältnisse auf dem Weg zur Überwindung der Dominanz des Profits als Maß aller Dinge in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Herrschaft des Kapitals würde zurückgedrängt.

Nicht berechtigt scheint mir die Interpretation Horst Heiningers, dass den so genannten Reformern in der PDS „eine Abschaffung der ‚Profitdominanz‘ ohne Abschaffung der Kapitalherrschaft möglich erscheint.“ (Heininger 2000: 31) Von „Profitdominanz“ und ihrer Überwindung ist in meinen Arbeiten und in denen anderer aus zwei Gründen die Rede. Zum einen, analytisch, weil bereits heute die Kapitalverwertung oder das Profitsystem zwar dominiert, aber nicht uneingeschränkt alle Seiten der bürgerlichen Gesellschaft diktiert. Politik, Kultur und Wissenschaft haben ihre eigenen, zuweilen auch gegen den Profit real oder potenziell widerspenstigen Maße, die es zu entfalten gilt. Zum anderen, weil eine wichtige Unterscheidung zu Forderungen nach Beseitigung der Kapitalverwertung oder des Profits von Unternehmern hervorgehoben werden soll. Alternative Reformen, geöffnet für soziale und ökologische Nachhaltigkeit und demokratischen Sozialismus, sollten nach den Erfahrungen des Staatssozialismus nicht auf die Abschaffung unternehmerischer Gewinn- oder Profitinteressen schlechthin zielen, wohl aber auf die Überwindung ihrer Dominanz, auf die Brechung der Herrschaft der großen Konzerne, Banken, Versicherungen und institutionellen Anleger. Deren Profit darf nicht mehr die Wirtschaft und schon gar nicht die Gesellschaft bestimmen.

Auch wenn Nachhaltigkeit heute zur beliebigen Allerweltsformel unter Ausklammerung von ökonomischen und politischen Machtfragen gerät – sie enthält den erdumspannenden Konsens, dass andere Werte als der Profit die Gesellschaft bestimmen sollen. Dies hat die Linke mitzutragen und machtanalytisch sowie machtverändernd zu untersetzen. Die Entwicklung in diese Richtung voranzutreiben – das ist die große Aufgabe der nächsten Jahrzehnte.

Wenig nützlich für die Konzentration darauf ist das Festhalten an einem traditionellen Zwei-Etappen-Konzept nach dem Muster, dass vorerst allenfalls Widerstand und nur begrenzte Schritte zur wohlfahrtsstaatlichen Zähmung des Kapitalismus möglich seien. Das „Eigentliche“ aber, das Ziel, das, worauf es wirklich ankommt, käme danach, nach der Abschaffung der Kapitalherrschaft. Solche Entgegensetzung und Trennung führt zu ungerechtfertigter Umdeutung linker Reformalternativen in den angeblichen Nachvollzug des Weges der Grünen, in ein Aufgeben eigener sozialistischer Identität. Die Grundsatzkommission der PDS hat dagegen den vor uns liegenden Gesamtprozess alternativen Wandels als sozialistisches Transformationsprojekt bezeichnet – im Gegensatz zur Politik der Neuen Mitte, die erklärtermaßen im Rahmen des Kapitalismus verbleiben soll (Giddens 1999: 57). „Politik der PDS, die dazu beiträgt, soziale Interessen zu stärken und die Dominanz der Kapitalinteressen zu schwächen, weist über den Kapitalismus hinaus. Durch sie sind sozialistische Ziele immer präsent, durch sie werden die Verhältnisse für weitergehende Veränderungen geöffnet, wird Politik für und im Alltag visionär, ist die so genannte Kleinarbeit Arbeit an nahen und fernen Zielen zugleich“ – wenn letztere nicht aufgegeben werden. (Grundsatzkommission 2000)

Modernisierung als gestaltender Umgang mit neuen Problemen

Würde neoliberal oder sozialdemokratisch verfolgte Modernisierung jedoch ausschließlich negative Wirkungen haben, wäre die in modifizierter Weise noch immer andauernde neoliberale Hegemonie kaum zu erklären. Diese ist sicher aus den bestimmenden ökonomischen Verhältnissen, aus der Definitions- und Wertebildungsmacht der bürgerlichen Medien, aus den Ängsten von Mehrheiten vor den mit neuen Wegen verbundenen Unwägbarkeiten, aus Befürchtungen, erworbene Besitzstände auf neuen Entwicklungspfaden verlieren zu können, aus der Schwäche von Gegenmächten und vielen anderen Umständen zu erklären.

Doch eine nicht geringe Rolle spielt auch, dass neoliberale und sozialdemokratische Modernisierungspolitik neu entstandene, von vielen Menschen als dringlich empfundene Probleme aufgreift, zur Sprache bringt und in Politik umsetzt – selbst wenn die Art und Weise und die Richtung der Umsetzung Widerstand herausfordert. Das gilt beispielsweise für das Anknüpfen an sogenannte postmaterielle Werte, die für wachsende soziale Gruppen in den neuen sozialen Milieus gut ausgebildeter und verdienender Erwerbsabhängiger, der Angehörigen qualifizierter Wissensberufe, erfolgreicher Selbständiger und leistungsstarker FreiberuflerInnen und besonders in der jüngeren Generation Bedeutung haben – etwa antihierarchisches, antiautoritäres Denken, Weltoffenheit, Multikulturalität, Ansprüche auf individuelle Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und individuell geprägte wandlungsoffene, freiere Lebensstile. Viele Menschen sehen Vorteile in der Flexibilisierung der Arbeitszeit für sich, selbst wenn Flexibilisierung gegenwärtig vorwiegend Unternehmerinteressen dient. Fragen nach einem neuen Verhältnis zwischen individueller, zivilgesellschaftlich-gemeinschaftlicher und staatlicher Verantwortung sind entstanden. Fragen nach der Zukunft der Familie in einer Welt des Wandels und der Individualisierung gewinnen Gewicht für viele Menschen und werden im Modernisierungsdiskurs aufgenommen.

Solchen Seiten der Modernisierungsdebatte sollte sich die PDS als Teil der Linken öffnen – obwohl sie ebenso Ansätze für antisoziale Deregulierungs- und Privatisierungspolitik wie für wünschenswerte Entwicklungen bieten. Davon, ob die PDS in der Lage sein wird, ihre eigenen Vorstellungen mit progressiven Tendenzen des Wertewandels in einem erheblichen Teil der Gesellschaft zusammenzuführen, wird stark abhängen, wie weit es ihr gelingt, sich in ihr bisher fernen sozialen Schichten zu verankern und dort Bündnispartner zu finden.

Mit solcher Öffnung als Teil ihrer Selbsterneuerung kann die PDS zur Entscheidung darüber beitragen, ob die Modernisierungsdebatte noch stärker zum Vehikel des konservativen Neoliberalismus und Dritter Wege der neuen Sozialdemokratie wird, oder ob es gelingt, Modernisierung an Gerechtigkeit als zentralem Maßstab für Zukunftsfähigkeit zu orientieren, als Prozess sozial und ökologisch nachhaltiger, emanzipatorischer und friedenstiftender Entwicklung zu bestimmen und praktisch voranzubringen.

Modernisierung in linken Reformalternativen

Die Pointe des Nachdenkens über das Verhältnis von demokratischem Sozialismus und Moderne sollte erstens im Herausfinden aller Ansätze und institutionellen Bewegungsräume für alternative Politik in der Realität der gegenwärtigen Gesellschaft und zweitens in einer solchen Umkehrung von Modernisierungsprozessen bestehen, dass sie statt zu exzessiver Konzentration internationaler Kapitalmacht zu deren Bändigung und zu einer neuen Entwicklungslogik führt, die sich im Verlauf öffentlicher Lernprozesse, demokratischer Entscheidungen und andauernder Kämpfe als offen für einen sozialistischen Verlauf erweisen könnte. Es könnte zu einer Stärke der PDS werden, wenn ihre Mitglieder sich wechselseitig davor bewahren, in den Kämpfen für eine bessere Gegenwart entweder die sozialistische Vision aus dem Auge zu verlieren oder im Festhalten an dieser zu vergessen, dass sie aus nichts anderem als aus dem voraussichtlich langen und mühevollen Ringen um die Veränderung des Gegenwärtigen hervorwachsen wird. Emotionale Bindung an sozialistische Ideale und nüchterne Arbeit an der Verbesserung von Politikkonzepten für absehbare Zeiträume verdienen gleichermaßen Respekt und schließen sich nicht aus.

Was könnte eine positive Bestimmung von Modernisierung sein? Anknüpfend an das Verständnis der modernen Gesellschaften als entwicklungsoffener Gesellschaften und an der Aufklärung sollte Modernisierung als ein Prozess der Überwindung aller Blockierungen gegen soziale und ökologische Nachhaltigkeit verstanden werden, als Durchsetzung gesellschaftlicher Verhältnisse, die dem Maßstab der Gerechtigkeit und der Würde des Menschen entsprechen und in denen die freie Entfaltung der Einzelnen zur Bedingung der freien Entwicklung aller wird.

Modernisierung als Weg zu einer gerechten Gesellschaft

Das bedeutete Zugang zu existenzsichernder Erwerbsarbeit für jede und jeden, gerechte Neuverteilung der Arbeit durch Verkürzung und selbstbestimmte Flexibilisierung der Arbeitszeit zu Bedingungen, die menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlich-kulturellen Leben sichern und gerechte Verteilung von Erwerbs- und Hausarbeit auch zwischen den Geschlechtern. Die schrittweise Einführung einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung als staatsbürgerlicher Rechtsanspruch, würde Armut zurückdrängen, Widerstand gegen prekäre Beschäftigung stärken und selbstbestimmte Lebensweisen fördern.

Zu einer gerechten Gesellschaft wird anstelle des gegenwärtig unbeherrschten Wachstums ein alternativer Entwicklungspfad führen. Er sollte zwei große Felder wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung mit zentraler Bedeutung für eine neue Entwicklungslogik, für Beschäftigung, Umwelt und soziale Stabilität zusammenführen: den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft und den Ausbau humanorientierter Dienstleistungen. Dies würde einschneidenden Wandel der Lebensweisen einschließen: Reichtum zwischenmenschlicher Beziehungen und Sicherheiten des Lebens im umfassendsten Sinne – Beschäftigung für alle Arbeit Suchenden, Lebenschancen für die Persönlichkeitsentfaltung aller, Gesundheit, Verdrängung von Gewalt, Freizeit als Freiheitsraum und Kultur – könnten wichtiger als der Zuwachs stofflichen Verbrauchs werden, ohne einem kargen Leben das Wort zu reden. Öffentliche und öffentlich geförderte Beschäftigung wird dafür unabdingbar sein, Regionalentwicklung einer der wichtigen Zugänge zu mehr Beschäftigung, ökologischem Umbau und Demokratieentwicklung von unten.

Ein Hauptstrang zu zukunftsfähiger Modernisierung sind Bildung und Ausbildung – der zweite große Stützpfeiler für Gerechtigkeit neben selbstbestimmter Arbeit: soziale Gleichheit im Zugang zu Bildung und Ausbildung, besondere Förderung Benachteiligter, freier Zugang zu höherer Bildung, solidarische Umlagefinanzierung von Ausbildungsplätzen, lebensbegleitende Weiterbildung, organische Verbindung hochwertiger allgemeiner und berufsspezifischer Ausbildung und Zugang aller zu moderner elektronischer Information und Kommunikation. Zentrales Anliegen moderner Bildung sollte die Entfaltung kritisch denkender, verantwortungsbewusst handelnder Persönlichkeiten mit dem Willen zu demokratischer Gestaltung der Gesellschaft sein. Schulen müssen schnell zu Zentren demokratischer kultureller Gegenangebote für junge Menschen gegen Verbreitung nazistischer Ideologie werden.

Modernisierung als Annäherung an eine gerechte Gesellschaft erfordert Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum von oben nach unten, zugunsten der Infrastruktur selbstbestimmter Lebenswelten und der Umwelt. Und Gerechtigkeit bedingt die Demokratisierung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft ebenso wie eine Kultur der Toleranz und Solidarität. Sie ist ein globaler Anspruch an die Gestaltung der Nord-Süd-Beziehungen und der Weltwirtschaft und an Friedenssicherung mit zivilen Mitteln.

Modernisierung als Weg zu sozialer Sicherheit

Die Rücknahme sozialer Sicherungen als Druck auf das Leistungsverhalten und die Verkürzung des Wertes Soziale Sicherheit auf eine in Wirklichkeit nicht gegebene und nicht ausreichende „Chancengleichheit beim Start“ verstärkt die soziale Ungleichheit und führt zu wachsenden Ängsten als eine der Ursachen irrationaler, rechtspopulistischer und rechtsextremer Entwicklungen. Soziale Sicherheit gewinnt in Zeiten andauernder globaler Brüche noch größere Bedeutung als ein zentrales Element gesellschaftlichen Zusammenhalts und für eine Leistungsmotivation nicht aus Ängsten, sondern aufgrund der Entlastung von existenziellen Sorgen.

Zur sozialen Sicherheit gehören neben einer neuen Art der Vollbeschäftigung und einem umweltgerechten Umbau der Gesellschaft ein solidarisches statt zunehmend kommerziell geprägtes Gesundheitswesen, das gleiches Recht für alle auf bestmögliche präventive, heilende und nachsorgende medizinische Behandlung sichert, ein real gleiches Recht auf Bildung und Ausbildung, das Menschenrecht auf bezahlbares menschenwürdiges Wohnen und solidarische Sicherungen gegen Lebensrisiken statt deren fortschreitende Privatisierung. Statt der Aufkündigung des Solidarprinzips paritätischer Finanzierung der Renten durch Unternehmen und Erwerbsabhängige zulasten privater Vorsorge ist die Verbreiterung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Sozialversicherung durch die Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Beitragsfähigen und auf alle Einkommensarten einer der Zugänge zur Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme.

Modernisierung als Weg zu Selbstbestimmung und Solidarität

In der Geschichte linker Bewegungen stand stets eher der kollektive Akteur und weniger der einzelne Mensch im Vordergrund. Heute muss der entsolidarisierenden Vereinzelung der Menschen im Individualisierungsprozess und dem Missbrauch der Selbstverantwortung als Rechtfertigung für sozialstaatliche Deregulierung gemeinsamer Widerstand entgegengesetzt werden. Die Herausforderung für moderne linke Politik besteht darin, die Solidarität gegen den Mainstream der Entwicklung zu verteidigen und zu verstärken, um gerade darauf gestützt individueller Lebensgestaltung, persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung größere Freiräume zu öffnen und der alltäglichen Lebenswelt gegen die Systemwelt der profitbestimmten Gesellschaft und der machtgeprägten Politik autonome größere Geltung zu verschaffen.

Fazit

Es gibt für die Linke Wichtigeres als Streit um die Moderne. Doch da er nun einmal da ist, könnte aus ihm mancherlei gelernt werden. Was manchem fremd erscheint, sollte gleichwohl nicht ungeprüft beiseite geschoben oder gar als feindlich angesehen werden. Was eindeutigem Urteil zugänglich erscheint, könnte sich als mehrdeutig erweisen, teils Zurückweisung erfordernd, teils produktiver Verarbeitung wert. Was Anlass zu Polarisierung im Streit der Meinungen zu bieten scheint, könnte zu gemeinsamem tieferem Verständnis führen.

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