Cubas Wahl- und Regierungssystem

von Gisela Emons

Im Rahmen unserer Cuba-Reise wurden auch Fragen der institutionellen Demokratie bzw. des Wahl- und Regierungssystems angesprochen. Bei einem Besuch des Parlaments der Provinz Havanna erhielten wir Informationen durch einen Abgeordneten aus erster Hand.

Im Jahre 1992 erfolgte in der Nationalversammlung eine Änderung der 1976 beschlossenen Verfassung, die unter anderem in verschiedenen Bereichen eine Demokratisierung des politischen Systems mit sich brachte. Das kubanische Territorium wurde in 14 Provinzen und 169 Munizipien gegliedert, mit jeweils eigenen parlamentarischen Strukturen. Die Befugnisse der Munizipalparlamente wurden erweitert und somit dezentralen politischen Entscheidungen ein größeres Gewicht eingeräumt. Noch wichtiger war die Einführung direkter Wahlen für die Provinz- und Nationalversammlung durch das Volk. Das höchste Organ des Staates ist die Nationalversammlung. Sie wird für fünf Jahre gewählt, tritt jedoch nur während zweier kurzer Sitzungsperioden pro Jahr zusammen. Das Parlament wählt aus den eigenen Reihen die Mitglieder des Staatsrates und ernennt den Ministerrat. Vorsitzender beider Regierungsgremien ist nach wie vor Fidel Castro. Die Regierung leitet sich von der Parlamentsmehrheit ab. Cuba weist also ein parlamentarisches Regierungssystem auf, bei dem – wie etwa auch in Deutschland oder Großbritannien – Legislative und Exekutive keineswegs streng voneinander getrennt sind. Ein großer Unterschied besteht bei diesem Vergleich allerdings zwischen dem Mehrparteiensystem z.B. westeuropäischen Typs und dem Einparteiensystem Cubas, wo es nur die kommunistische Partei gibt, deren Rolle qua Verfassung als „führende Kraft in Gesellschaft und Staat“ festgeschrieben wurde. In Cuba hat jedoch nicht die KP das Monopol der Kandidatenaufstellung inne. Jedes Munizipium ist in Wahlkreise aufgeteilt, die zum Zweck der Wahl der Abgeordneten für die Nationalversammlung gebildet werden. Jede/r EinwohnerIn in diesen Wahlkreisen hat das Recht, KandidatInnen vorzuschlagen und selbst vorgeschlagen zu werden, unabhängig von einer Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei. Die Nominierung der KandidatInnen erfolgt allerdings innerhalb eines Auswahlgremiums, das aus der lokalen Volksvertretung und den lokalen Massenorganisationen besteht, d.h. durch die KP stark beeinflusst ist. Nichtsdestotrotz wird nun nicht etwa eine Einheitsliste aufgestellt, sondern es erfolgt die Auswahl von mindestens 2 und höchstens 8 KandidatInnen, die dann bei der Wahl zur Nationalversammlung gegeneinander antreten, denn nur ein/e Abgeordnete/r pro Wahlkreis kann gewählt werden. Jede/r Abgeordnete/r kann jederzeit auch wieder von der Basis des Wahlkreises abberufen werden. Etwa 50 % der Abgeordneten zur Nationalversammlung werden auf diese Weise gewählt, die anderen 50 % werden zum größten Teil von den Massenorganisationen ernannt, die zumeist eng mit der KP verbunden sind. Es gibt aber auch einen kleinen Anteil Abgeordneter, die von Kirchen oder z.B. Künstlerverbänden entsandt werden. Wahlberechtigt sind alle Cubaner über 16 Jahren. Die Wahlen sind frei, geheim und gleich. Sie enthalten trotz der Führungsrolle der KP nicht unwesentliche basisdemokratische Elemente, wie auch das gesellschaftliche Leben durch zahlreiche Nicht-Regierungs-Organisationen bzw. hier praktizierter Eigeninitiative und Basisdemokratie stark geprägt ist. Das politische System muss vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen und aktueller Krisen verstanden werden. Es weist in einigen Bereichen erhebliche Demokratiedefizite auf. Allerdings kann man das cubanische System keinesfalls als Diktatur bezeichnen, denn dies wäre in Anbetracht der lebendigen demokratischen Elemente und Entwicklungen völlig ungerechtfertigt. Unterzieht man beispielsweise einmal andere politische Systeme, wie etwa das der USA, einer genaueren demokratietheoretischen Betrachtung, werden auch hier bedauernswerte Defizite deutlich. Eine Kritik am politischen System Cubas ist vor diesem Hintergrund sicher richtig und notwendig, nicht aber die oft verbreitete Überheblichkeit der vermeintlich so viel besseren westlichen Demokratien.