Für eine soziale, demokratische und friedensorientierte Erneuerung der SPD – eine Auswertung für die SPD-interne Diskussion
0- Die neoliberale Politik hat ausgedient: Sie ist unproduktiv und menschenwidrig und hat die Welt in eine tiefe wirtschaftliche, soziale und kulturelle Krise gestürzt; der Unmut über diese Politik wächst überall. Nun ist längst fällig, die Unterwerfung unter Markt, Großindustrie und Banken zu beenden und sich an die Rekonstruktion einer solidarischen Gesellschaft zu machen.
In den Wahlergebnissen zur Bundestagswahl zeigt sich, wie weit davon überzeugt werden konnte:
1- Die FDP als Hauptpredigerin der neoliberalen Egoismus-Propaganda und der Marktdienerschaft fliegt aus dem Parlament.
2- Trotz ihrer Bemühungen, bei allen rechten Parteien und sogenannten Protestwählern Stimmen zu sammeln, kommt die AfD nicht über die 5%-Hürde. Allerdings ist diese Partei ernst zu nehmen: Ihr Ergebnis zeigt, dass gegen das Schüren national-chauvinistischer Ressentiments internationale Solidarität dringend ausgeprägt werden muss.
3- Die Linke ist im Bundestag drittstärkste Kraft geworden und hat sich in Ost und West – nach einem Gründungshoch vor vier Jahren – solide konsolidiert, weil das ernsthaft solidarische Eintreten für Frieden, Antifaschismus und soziale Progression und die Beteiligung an den entsprechenden Kämpfen überzeugt.
4- Die Grünen verlieren, weil sie liberal sind und der Liberalismus Teil der Krise ist: Veganismus, Prenzlauer Berg und die vormalige Vorstellung möglichen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Kindern und Erwachsenen sind abwegig und dekadent und haben die späte Entdeckung der sozialen Frage überlagert.
5- Angela Merkel hat keinen Rückhalt verloren, sondern ein Ergebnis von 42 % Prozent der abgegebenen Stimmen für die CDU/CSU ermöglicht. Dieses Ergebnis entspricht einer „Sicherheitswahl“: Die Regierung Merkel steht in Deutschland nicht für soziale Zumutungen, sondern für „Stabilität“. Die Politik von Schwarz-Gelb stand unter dem Druck sozialer und friedensbewegter Bestrebungen in der Bevölkerung. So konnte sich die Regierung nicht leisten, die gleiche brutale anti-soziale Politik in Deutschland voranzubringen, wie sie es im Rest Europas erpresst hat. Unter dem Druck gesellschaftlicher Opposition musste sie z. B. den „Ausstieg aus dem Atomausstieg“ beschließen, von einer expliziten Beteiligung am Krieg in Libyen und Syrien absehen, das Erfordernis einer Mindestrente und eines Mindestlohns integrieren und die Praxisgebühr wieder abschaffen. Der gesamte Wahlkampf der CDU/CSU arbeitete mit der Behauptung der angeblich „besseren“ wirtschaftliche Situation „Deutschlands“, also mit dem nationalistischen Verbrämen der Grenzen zwischen unten und oben, und zielte somit auf die Hinnahme des Status quo durch die Verbreitung von Angst vor Verschlechterung.
An diesen Ergebnis wird deutlich: Die linke Seite bildet noch nicht ausreichend eine Perspektive zur etatistischen Verwaltung von sozialer und kultureller Trostlosigkeit. Sie ist unzureichend der vermeintlichen Alternativlosigkeit von Schuldenbremse, Familie und Kapitalismus entgegengetreten. Gegen Merkels Bescheidenheitsparolen bedarf es der Ermutigung zum Engagement für soziale Progression und internationale Solidarität.
6- Vor dem Hintergrund der im Wahlkampf zu wenig realisierten Alternative für einen prinzipiellen politischen Richtungswechsel hin zu solidarischer Verbesserungen bleibt die stärkste Partei die Partei der „Politikverdrossenen“ (Nichtwähler und ungültige Stimmen), die knapp vor der CDU/CSU liegt.
7 – Die SPD ist als soziale, demokratische und friedensfördernde Partei nicht glaubwürdig. Dafür gibt es gute Gründe.
Rot-Grün war: Die Beteiligung am Krieg in Jugoslawien und Afghanistan, die Senkung der Spitzensteuersätze und der Unternehmenssteuer, die Ausbreitung des Niedriglohnsektors bei gleichzeitiger Drangsalierung der Arbeitslosen (Hartz IV), die Teilprivatisierung der Rentenversicherung (Riesterrente), das Vorantreiben der Ökonomisierung des Gesundheitsystems durch die Umstellung der Vergütung der Krankenhäuser auf eine „Fallpauschale“ und die Einführung der Praxisgebühr. Auch das Mitmachen bei der Merkelpolitik in der Großen Koalition (Erhöhung der Mehrwertsteuer, Rente mit 67, Einführung einer „Schuldenbremse“) und in der Opposition die Unterstützung von Merkels tödlichen Spardiktaten in Europa und des Fiskalpakts bilden die Tiefpunkte unsozialdemokratischer Politik in den letzten 15 Jahren.
Dieser opportunistische Kniefall vor Kapital und Reaktion wurde betrieben, innerhalb der Partei geduldet und hat nicht zu übergehende Spuren hinterlassen. Hier bedarf es eines entschiedenen politischen Richtungswechsels samt Revision der angerichteten Schäden. Eine politische Erneuerung der SPD ist unerlässlich:
– Friedenspolitisch, denn eine neue historische Etappe weltpolitischer Entspannung, der Beendigung von Kriegseinsätzen und der Abrüstung ist erforderlich und wurde in Syrien bereits begonnen;
– Sozialpolitisch, durch ambitionierte Umverteilung von Oben nach Unten, durch die Umkehr der Privatisierungspolitik der letzten 20 Jahre, durch eine Abkehr von der Agenda-Politik, der Schuldenbremse und der Ideologie der Standortgemeinschaft zugunsten einer erweiterten Rekonstruktion von Sozialstaatlichkeit, Demokratie, kultureller Aufgeklärtheit und internationaler Solidarität der 99 Prozent.
Notwendig dafür ist die praktische und ideologische Überwindung des TINA-Prinzips („There is no alternative“), eine entsprechende streitbare Parteientwicklung und der Ausbau innerparteilicher Demokratie.
Für eine soziale, demokratische und friedliche Entwicklung der Gesellschaft kommt es – wie die Geschichte mindestens der 15 letzten Jahre zeigt – nicht vor allem auf Ministerposten und Regierungsbeteiligung an, sondern auf politische Verbesserungsambitionen. Gesellschaftliche Opposition wirkt.
8. Oktober 2013, Köln.
Stefan Brackertz, Agnes Kamerichs, Peter Förster, Felix Massenbach, Senta Pineau
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