Alexander Recht: Geld und Kapital im Standardkeynesianismus

Geldbündel

Zentralbank und Geschäftsbanken

Die Banken, mit denen Konsumenten und Unternehmen in Berührung kommen, sind die Geschäftsbanken. Konsumenten und Unternehmen legen Geld bei Geschäftsbanken als Einlage an und erhalten hierfür Zinsen; oder sie leihen sich von Geschäftsbanken Geld und zahlen dafür Zinsen. Die Geschäftsbanken erhalten Geld jedoch nicht nur durch Einlagen von Konsumenten und Unternehmen, sondern auch durch die Zentralbank, in der EU: durch die EZB. Man spricht daher auch von einem zweistufigen Bankensystem.
Das wichtigste Feld, auf dem Zentralbank und Geschäftsbanken aufeinandertreffen, ist das Hauptrefinanzierungsgeschäft. Einmal pro Woche versteigert die EZB zu einem festgelegten Zinssatz, dem sogenannten Leitzinssatz, für eine Laufzeit von einer Woche eine festgelegte Menge Zentralbankgeld an die Geschäftsbanken. Diese geben für ihr gewünschtes Zentralbankgeld Gebote ab und erhalten dann je nach Zuschlag eine Menge geliehenes Zentralbankgeld, die sie nach einer Woche wieder an die EZB zurückzahlen.
Ein weiteres Feld sind die sogenannten Ständigen Fazilitäten. Geschäftsbanken können einerseits überschüssige Gelder, die sie nicht an andere Geschäftsbanken verleihen konnten, zum EZB-Einlagezinssatz anlegen. Andererseits können sich Geschäftsbanken Gelder, die sie nicht von anderen Geschäftsbanken geliehen bekommen haben, zum EZB-Spitzenrefinanzierungszinssatz leihen. Der Geldzinssatz auf dem Interbankenmarkt, auf dem sich Geschäftsbanken gegenseitig Geld leihen, bewegt sich daher innerhalb eines Korridors, der durch die EZB festgelegt wird.
Die obere Grenze ist der Spitzenrefinanzierungszinssatz, denn wenn andere Geschäftsbanken Geldverleih nur zu einem höheren Zinssatz anböten, würde jede Geschäftsbank sich ihre benötigten Geldspitzen lieber direkt bei der EZB leihen. Die untere Grenze ist der Einlagezinssatz, denn wenn andere Geschäftsbanken eingelegte Gelder nur geringer verzinsten, würde jede Geschäftsbank ihre überschüssigen Geldspitzen lieber bei der EZB anlegen. In der Mitte des Korridors bewegt sich der Leitzinssatz, der prägend auf den Geldzinssatz wirkt, den Geschäftsbanken untereinander verlangen.
Leitzinssatz, Spitzenrefinanzierungszinssatz und Spitzeneinlagezinssatz betreffen das Verhältnis unter Geschäftsbanken sowie zwischen Geschäftsbanken und EZB. Sie haben aber auch Einfluss darauf, welchen Geldzinssatz die Geschäftsbanken an Konsumenten und Unternehmen weiterreichen. Denn sinken die o. a. Zinssätze, sinken tendenziell auch die Zinssätze für Konsumenten und Unternehmen. Zudem hat die Höhe der versteigerten Geldmenge an Geschäftsbanken beim Hauptrefinanzierungsgeschäft auch Einfluss auf die gesamte Geldmenge. Steigt die gesamte Geldmenge, sinkt tendenziell der Geldzinssatz.
Ein neueres Feld der EZB ist das quantitative easing. Hierbei kauft die EZB von Geschäftsbanken Wertpapiere auf, und zwar Staatsanleihen oder auch andere Anleihen. Da die EZB in Zentralbankgeld zahlt, steigt durch diese Aufkäufe die umlaufende Geldmenge. Zudem kann die EZB auf diese Weise indirekt Staaten finanzieren. Nicht erlaubt, aber noch besser wäre es, wenn die EZB auch direkt von Staaten emittierte Staatsanleihen aufkaufen und diese somit direkt finanzieren könnte. Keynesianer zielen stärker darauf ab, sowohl die Geldmenge als auch den Zinssatz selber zu beeinflussen, wohingegen Monetaristen eher für eine Beschränkung auf Geldmengensteuerung plädieren.

Geldschöpfung durch EZB und Geschäftsbanken

Geld wird einerseits durch die EZB geschöpft. Sie vergibt an Geschäftsbanken Kredite und schreibt diesen die Kredite als EZB-Geldguthaben gut. Damit schöpft die EZB gleichsam Geld aus dem Nichts. Das Zentralbankgeld der Geschäftsbanken ist neben dem Bargeldumlauf der Nichtbanken der wichtigste Teil der monetären Basis.
Andererseits schöpfen auch die Geschäftsbanken selber Geld. Sie verleihen eine höhere Summe an Konsumenten und Unternehmen, als sie selber an Zentralbank von der EZB geliehen und von Kunden als Einlagen erhalten haben. Dies ist möglich, weil die Geschäftsbanken nur einen Teil ihres Zentralbankgelds für Überweisungen und Barabhebungen vorrätig halten müssen, die sogenannte Liquiditätsreserve. Überschussige Reserven verleihen sie. Somit verleihen die Geschäftsbanken an Konsumenten und Unternehmen eine größere psychologisch wirksame Geldmenge, als sie an Zentralbankgeld zur Verfügung haben. Voraussetzung für die Geldschöpfung der Geschäftsbanken ist, dass Konsumenten und Unternehmen überhaupt Geld als Einlagen zur Verfügung stellen und nicht horten.
Der Umfang der Geldmenge M1 ist damit Ergebnis von vier Größen: erstens von der monetären Basis; zweitens von der Liquiditätsreserve, die die EZB mit festlegt; drittens vom Grad der Hortung der Konsumenten und Unternehmen; viertens von der Bereitschaft von Geschäftsbanken, Konsumenten und Unternehmen, Kreditverträge einzugehen.

Der Geldmarkt

Das Thema Sparen befasst sich mit der Frage, in welcher Höhe Teile des Einkommens gespart werden. Das Thema Geld hingegen dreht sich um die Frage, welche Form diese Ersparnis annimmt. Es gibt hier zwei Alternativen. Entweder wird Geld in Form von Kasse (Portemonnaie) nachgefragt, um über gespartes Einkommen zwar zinslos, aber liquide zu verfügen; oder aber gespartes Einkommen wird lieber verzinslich als Anleihe oder Sparbuch angelegt. Die Geldnachfrage entspricht dem Wunsch nach Kassenhaltung.
Der Wunsch nach Kassenhaltung wird vom Einkommen und vom Geldzinssatz beeinflusst. Zum einen gilt: Je höher das Einkommen der Bevölkerung, desto höher ist die Nachfrage nach Kassenhaltung, um das Einkommen für spätere Käufe zu verwenden. Zum anderen gilt: Je höher der Zinssatz ist, desto geringer ist die Nachfrage nach Kassenhaltung. Denn in diesem Falle ist eine Anlage des Geldes attraktiver als Kassenhaltung.
Die Geldnachfrage trifft auf das Geldangebot der beschriebenen Geldmenge M1. Ganz sauber ist die Abgrenzung nicht, da M1 auch Nachfragekomponenten in sich trägt. Dennoch reicht es für den Einstieg, dass wir verstehen, dass die Geldnachfrage auf eine Geldmenge trifft und der Geldzinssatz zum gegebenen Einkommen hier für einen Ausgleich sorgt.
Ein Beispiel: Ein Teil des Geldangebots werde nicht für Kassenhaltung benötigt. Dann versuchen Menschen, das Geld auf dem Sparbuch anzulegen oder Anleihen zu kaufen. Beim Sparbuch gilt: Da mehr Ersparnisse angeboten als nachgefragt werden, sinkt der Zinssatz. Bei Anleihen gilt: Da der erhöhten Nachfrage nach Anleihen kein erhöhtes Angebot entspricht, steigt der Kurswert und sinkt bei konstanten Zinszahlungen der Effektivzinssatz. Beide Male sinkt der Geldzinssatz, so dass die Nachfrage nach Kassenhaltung steigt.

Der Kapitalmarkt

Der Kapitalmarkt sorgt für den Ausgleich von Einkommensverwendung und -verteilung, so dass die Summe der Nachfrage aus privaten und öffentlichen Investitionen sowie Exportüberschuss den Ersparnissen von Haushalten, Unternehmen und Staat entspricht.
Jedes kapitalistische Unternehmen, das in Sachanlagen zu investieren erwägt, kalkuliert die hierdurch erwartete Rendite. Danach vergleicht es diese mit dem Zinssatz auf Geld. Müsste das Unternehmen einen Kredit zur Fremdfinanzierung der Investition aufnehmen, würde es nur in die Sachanlage investieren, wenn die erwartete Rendite größer als der Kreditzinssatz wäre. Würde es bereits aus Selbstfinanzierung über liquide Mittel verfügen, würde es nur in die Sachanlage investieren, wenn die erwartete Rendite größer als der Zinssatz einer alternativen Finanzanalage wäre. Die Investitionsnachfrage ergibt sich aus dem Zusammenspiel von erwarteter Rendite und Geldzinssatz.
Die Ersparnis der Haushalte als wichtigste Ersparnis folgt Motiven wie Vorsicht, Rücklagen für spätere Käufen, Wunsch nach Zinserträgen usw. Vor allem gilt, dass derjenige Haushalt mehr sparen kann, der ein höheres Einkommen hat. Als nebensächlicher Faktor kommt hinzu, dass steigende Zinssätze bei verfügbarem Einkommen den Wunsch der Haushalte nach Sparen verstärken.
Übertreffen laut Plan die Investitionen die Ersparnisse, ist die Güternachfrage größer als das Güterangebot. Produktion und nominales Einkommen steigen bei gegebenem Geldzinssatz, bis die steigende Ersparnis den geplanten Investitionen entspricht. Unterschreiten hingegen die geplanten Investitionen die geplanten Ersparnisse, ist die Güternachfrage kleiner als das Güterangebot. Produktion und nominales Einkommen sinken bei gegebenem Geldzinssatz, bis die sinkende Ersparnis den geplanten Investitionen entspricht.
Im reifen Kapitalismus sind die privaten Investitionen der Unternehmen tendenziell zu gering. Um diese zu aktivieren, soll Geldpolitik die Geldzinssätze reduzieren. Zudem erleichtern niedrige Geldzinssätze auch staatliche Investitionen durch Staatsverschuldung.

Der Kreislauf von Geld- und Kapitalmarkt

Auf dem Geldmarkt treffen Anbieter und Nachfrager von zinsträchtiger Geldhaltung aufeinander. Durch deren Zusammenspiel ergibt sich bei gegebenem Einkommen ein Zinssatz, der Angebot und Nachfrage der Geldhaltung ins Gleichgewicht bringt.
Auf dem Kapitalmarkt treffen Ersparnisse und Sachinvestitionen aufeinander. Durch deren Zusammenspiel ergibt sich bei gegebenem Zinssatz über multiplikative Effekte ein Einkommen, bei dem Ersparnisse und Sachinvestitionen ins Gleichgewicht kommen.
Hieraus ergibt sich ein Kreislauf. Der Geldzinssatz ist Ergebnis des Geldmarktes, wirkt aber über den Einfluss auf Sparen und Investieren auch auf den Kapitalmarkt. Die Höhe des realen Einkommens ist Ergebnis des Kapitalmarktes, wirkt aber über den Einfluss auf die Geldnachfrage auch auf den Geldmarkt.

Expansive Geldpolitik und Zinssatz

Expansive Geldpolitik zielt darauf ab, durch geeignete Maßnahmen den Zinssatz von Geldkrediten und Geldanlagen derart zu senken, dass die erwartete Rendite der Investitionen der Unternehmen öfters als bislang über dem Geldzinssatz liegt und dadurch mehr unternehmerische Investitionen in Sachanlagen stattfinden.
Niedrige Geldzinssätze wirken also tendenziell expansiv auf private Investitionsnachfrage, Produktion, Einkommen und Beschäftigung. Das ist gut. Niedrige Zinssätze können jedoch auch dazu genutzt werden, Geld nicht zur Finanzierung von Investitionen zu leihen, sondern es in andere, womöglich nicht sinnvolle Anlagen zu transformieren. So erklärt sich der Boom auf dem Aktien- und dem Immobilienmarkt auch dadurch.
Umstritten ist, ob der expansive Vorteil niedriger Zinsen den Nachteil einer höheren Wahrscheinlichkeit nicht sinnvoller Anlagen überwiegt. Umstritten ist auch, ob das Problem nicht sinnvoller Anlagen durch höhere Zinssätze oder bessere Regulierung zu lösen ist. Keynesianer sind tendenziell eher für Zinssenkungen und Regulierungen, wohingegen Monetaristen eher für höhere Zinsen und wenig Regulierungen plädieren.
Klar ist aber für Keynesianer, dass expansive Geldpolitik nicht reicht. Sie muss zwingend um expansive Fiskalpolitik höherer Staatsausgaben, um sinnvolle Strukturpolitik und um eine Politik progressiver Mischformen beim gesellschaftlichen Eigentum ergänzt werden.

Enteignung der Kleinsparer

Manche Kritiker einer expansiven Geldpolitik monieren, dass es hierdurch zu einer Enteignung von Kleinsparern komme. Dieses Argument hat jedoch zwei Schwächen: eine empirische und zwei theoretische.
Empirisch gesehen ist es keineswegs eine Neuigkeit, dass die realen Zinssätze gering sind. Man erhält die realen Zinssätze, indem man von den nominalen Zinssätzen die Inflation abzieht. In den 80ern und auch in den 90ern waren zwar die nominalen Zinssätze höher als heute, aber auch die Inflation war stärker. Der reale Zugewinn an Vermögen durch Verzinsung war also für Kleinsparer früher auch nicht höher.
Theoretisch gesehen ist es kaum einzusehen, dass, wenn das Bruttoinlandsprodukt als verteilbarer Kuchen und die Einkommen kaum wachsen, die Sparer höhere Zuwachsraten ihres Vermögens genießen sollten. Daher wäre es eher Aufgabe, für höhere Einkommen in niedrigen bis mittleren Schichten sowie für mehr Beschäftigung zu kämpfen.
Höhere Einkommen in niedrigen bis mittleren Schichten sowie mehr Beschäftigung setzen aber ein expansives Umfeld voraus, dass auf niedrige Zinssätze angewiesen ist. Auch das spricht theoretisch gegen das Enteignungsargument.

Progressive Reform der EZB

Die Höhe der Geldmenge wirkt über den Zinssatz entscheidend auf die Höhe von Produktion, Einkommen und Beschäftigung. Überdies hat die Geldmenge auch Einfluss auf die Höhe des Preisniveaus.
Linke Forderung sollte daher zum ersten sein, dass die EZB demokratisch gewählt wird. Zum zweiten sollte die EZB das Richtige tun. Die EZB hat die Verantwortung dafür, allzu hohe Inflation und Deflation zu vermeiden. Doch notwendig ist auch eine Stützung von Produktion, Einkommen und Beschäftigung, worauf Keynesianer drängen, während Monetaristen nur die Vermeidung von Inflation als Hauptziel betrachten.
Umstritten ist die Frage der Unabhängigkeit: Keynesianer betonen, dass Zentralbanken sich mit der Politik wenigstens absprechen oder gar von ihr Weisungen erhalten sollten. Monetaristen hingegen plädieren für eine möglichst von der Politik unabhängige Zentralbankpolitik.