Sozialökologische Transformation – Transformationskonflikte – politische Strategien

SoFoR-Seminar, 2.-7. Oktober 2022, Villa Palagione (Volterra)

Grundlage der gegenwärtigen Arbeit des Sozialistischen Forums Rheinland bilden die Thesen zur sozialökologischen Transformation, die das SoFoR 2020 publizieren konnte (Supplement zum Heft 6/20 der Zeitschrift Sozialismus). Nachdem wir uns beim Seminar 2021 mit den Ergebnissen der Bundestagswahl auseinandergesetzt hatten, nahmen wir im Herbst 2022 den roten Faden wieder auf: Die Beschäftigung mit den Erfordernissen des sozialökologischen Umbaus der Gesellschaft und den Konflikten, die auf diesem Wege zu überwinden sind.

Dass der von Russland am 23. Februar 2022 begonnene Angriffskrieg auf die Ukraine eine Zäsur darstellt, ist offensichtlich. Der Krieg hat die multiplen Krisen (Nord/Süd, Ernährung, Klimawandel etc.) verschärft, statt der gebotenen globalen Kooperation treibt er die Polarisierung der Welt voran und verschlingt Ressourcen, die an anderer Stelle dringend benötigt würden. Auf der anderen Seite sind die Zwänge zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, der Entwicklung einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft, der Förderung nachhaltiger Entwicklung der Länder des globalen Südens, drastischer klar geworden. Allerdings bleiben hierzu eingeleitete Schritte auf der Ebene der Nationalstaaten, der Europäischen Union, der G-20.Staaten hinter den Erfordernissen zurück. Durch den krisenbedingten Rückgriff auf fossile Energiequellen, werden diese Maßnahmen und Ziele konterkariert. Durch die Fokussierung auf den Krieg wird noch mehr Zeit verloren – die wir gar nicht haben. Der Krieg hat indes nur das Problem verschärft, das durch die Blockaden der FDP und rückwärtsgewandte Lobby ohnehin besteht: Wird die ökologische Wende, insbesondere in den defizitären Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Bauen in ausreichendem Umfang und mit gebotenem Tempo vorangebracht oder nicht?

Immerhin bieten die aktuellen Entwicklungen auch Ansatzpunkte für linke Politik. Dass die Schwarze Null passé ist, liegt auf der Hand; dass umfangreiche staatliche Investitionsprogramme, die auch kreditfinanziert sind, aufgelegt werden müssen, versteht sich; der Bedarf nach einer neuen, staatlich voran getriebenen, gesamtgesellschaftlichen Regulationsweise ist sichtbar geworden. Es ist evident, auch jenseits des Krieges, dass der Kapitalismus in eine neue Phase getreten ist. Der Neoliberalismus wird durch einen neuen Akkumulations- und Regulationstyp abgelöst, seine Charakterzüge sind dennoch nicht gänzlich verschwunden. Dies gilt es weiter zu analysieren.

Die Zuspitzung der Widersprüche hat auch zu einer Stärkung repressiv-reaktionärer Strömungen und Regime international geführt. D.h. auch, dass wir uns intensiver mit allen Versuchen rechtpopulistischer Strömungen, gestützt auf die enormen Verunsicherungen und Zukunftsängste der Menschen, reaktionäre Scheinlösungen anzubieten, auseinandersetzen müssen. (Zurück zum alten autoritär gestalteten Nationalstaat, „Ausländer raus“, Verneinung ökologischer Umorientierung, usw. usf.)

Schließlich: Welche Alternativen können in dieser Situation von links formuliert werden?: Welche Bedeutung haben in einem linken Krisenbewältigungskonzept Überlegungen zu einer Politischen Ökonomie der Zukunftsgesellschaft? Welche Rolle spielen in dieser ganzen Auseinandersetzung Macht- und Eigentumsfragen und wie sind diese in die aktuellen politischen Debatten einzubringen? Ist es nicht unabweisbar, den Protesten, dem Unbehagen, der Hoffnungen auf Besserung eine eindeutige Richtung (Sozialismus als konkrete Utopie?) zu geben?

© Günter Bell

Dietmar Aigner eröffnete das Seminar mit Thesen zu der hier angerissenen aktuellen Lage, zu den widersprüchlichen Tendenzen und Fragestellungen, die uns künftig beschäftigen werden. Damit waren auch die Problemfelder abgesteckt, die wir ausgiebig diskutiert haben.

Uwe Witt, Rosa Luxemburg-Stiftung, Berlin) und Steffen Lehndorff beschäftigten sich mit dem Stand der sozialökologischen Transformation auf den Feldern Energiewende, Umbau der Industrie, neue Mobilität. Mit beiden Inputs wurde unser Wissen über die Transformation, über die Komplexität dieses Prozesses immens vertieft. Zugleich wurde der Blick darauf, dass noch mehr an konkreten Lösungen gearbeitet werden muss, geschärft.

Uwe Witt widmete sich eingehend den Plänen und Beschlüssen der Europäischen Union (Green Deal) und der Bundesregierung (Klimaschutzplan 2050) zur ökologischen Wende. In beiden Fällen ist zu konstatieren, dass jeweils sehr ambitionierte Zielsetzungen inzwischen formuliert werden. Zusätzliche Finanzmittel werden mobilisiert; neue Instrumente zur Kontrolle des Prozesses werden festgelegt, trotzdem bleibt ein großer Raum für kritische Nachfragen und Alternativforderungen. Wie soll die strikte Realisierung der ehrgeizigen Pläne durch die EU-Kommission gewährleistet werden? Wie werden diese Zielvorgaben in den einzelstaatlichen Aktionsplänen umgesetzt? Reichen die zu mobilisierenden Ressourcen aus, um aus Plänen Tatsachen zu machen? Wie soll den retardierenden Elementen, z.B. in Form konservativer, aber mächtiger Interessengruppen, wirksam entgegengetreten werden? Grundlegender stellt sich die Frage, inwieweit die bisherigen Pläne sich (zu) stark auf den bisherigen Wachstumspfaden bewegen, zu sehr auf technische Lösungen fixiert sind und gesellschaftliche Mobilisierungen unterbewertet werden.

Breiten Raum nahm bei Uwe Witt die Auseinandersetzung mit den Plänen der Bundesregierung zur Abwendung der Kriegs- und Krisenfolgen ein. Mit dem Gas- und Strompreisdeckel und den Notwendigkeiten sozialer Abfederung haben wir uns ebenso eingehend befasst, wie mit der umfassenderen Fragestellung, welche neuen Entwicklungspfade eingeschlagen werden müssen, um zugleich die Klimaziel erreichen zu können. Das Stichwort „grüner Wasserstoff“ mag an dieser Stelle genügen, um anzudeuten, dass dies Fragen der stofflichen Seite der Produktion ebenso umfasst, wie Fragen nach den internationalen Produktionsverhältnissen. Unter dem Strich wurde deutlich , dass die sozialökologische Transformation ein zentrales Kampffeld mit ungewissem Ausgang bleibt. Programmatisch haben sich die Bedingungen für den Umbau verbessert, die Umsetzungschancen sind durch Russlands Krieg und die Gegenmaßnahmen der EU zur Stützung der Ukraine wahrlich nicht besser geworden.

Steffen Lehndorff konnte an Witts Eingangsthesen anknüpfen. Lehndorff hatte als Projektkoordinator im Rahmen der RLS an einer Studie mitgearbeitet, die spezieller die Bereiche Chemie, Energiesektor, Verkehr untersuchte, die zu dem Ergebnis kam: Die Transformation ist in vollem Gange, sie ist also auch bei den unmittelbar beteiligten Akteuren wie Unternehmen, Gewerkschaften, Städte und Gemeinden angekommen. Dies hat viel mit dem öffentlichen Druck (Fridays)zu tun, der die Unabweisbarkeit dieser Veränderung vermittelt hat. Entscheidend aber sind die daraus entstandenen Orientierungsmarken, die von der Politik gesetzt wurden.

Viele Fragen bleiben:

  • In welchem Tempo vollziehen sich diese Prozesse? Wird die Transformation doch noch durch Versuche an alten Geschäftsmodellen zu verdienen, „so lange es geht“, konterkariert?
  • Werden die sozialen Folgen dieses Prozesses hinreichend abgefedert, bzw. kompensiert? Worauf muss in diesem Kontext geachtet werden? Widersprüchlich bleiben nach wie vor Fragen nach den Auswirkungen der Transformation auf die Arbeitsplätze (Beschäftigungsvolumen, Qualifikationsstrukturen). Wie kann durch intensive Weiterbildungsprogramme den negativen Folgen entgegengewirkt werden?
  • Wie können „Rebound-Effekten“ (günstigerer Ökostrom bspw. kann zu mehr Verbrauch führen etc.) verhindert werden. entgegegengewirkt werden?

Als „biggest elephant in the room“ sieht Steffen die Energiewende an. Sein Merksatz dabei: „Der Ausbau der Infrastruktur muss der Nachfrage vorausgehen.“ Und genau daran hapert es. Das nötige Tempo beim Ausbau des Ökostroms, sprich der dabei benötigten Infrastruktur, bleibt weit hinter den Notwendigkeiten zurück.

Steffen Lehndorff lenkte den Blick auf praktische Vorschläge, um den Umstellungsprozess besser, wirkungsvoller gestalten und organisieren zu können. Wahrscheinlich am wichtigsten: Die Einrichtung von Transformationsfonds auf regionaler Ebene, deren Umsetzung von Transformationsräten (die umweltpolitische Initiativen und zivilgesellschaftliche Gruppen repräsentieren sollen) begleitet werden sollten. Hier besteht allerdings noch Präzisierungsbedarf.

Im zweiten Abschnitt des Seminars wollten wir Bereiche, die in den SoFoR-Thesen noch unterbelichtet geblieben waren, genauer ausleuchten. Markus Lauber referierte zum Thema Digitalisierung, Hans Günter Bell zur „Bauwende“.

Markus konnte uns eine kompetente Einführung in die Themenkreise Big Data, künstliche Intelligenz, Probleme der Regulierung des digitalen Fortschritts, das Konkurrenzverhältnis zwischen USA, China, EU, vermitteln. Ein breites Themenfeld haben wir in der Debatte angesprochen. Fragen der Datensicherheit, des Persönlichkeitsschutzes, die auch mit jeweiligen Menschen- und Gesellschaftsbildern (wie wollen wir leben?) verknüpft sind;  Gefahren und Chancen der Digitalisierung; Folgen für die Arbeitsplätze und die Qualifikationsstrukturen im Arbeitsprozess, nach dem Ressourcenverbrauch und last not least Machtfragen. Wir haben dabei festgestellt, dass wir hier nach wie vor am Anfang der Debatte stehen.

Hans Günter Bell nahm sich des Themas „Bauwende“ an, das er unter Einbeziehung der aktuellen Planungen des „Deutzer Hafengeländes“ illustrierte. Auch Hans Günter konnte den roten Faden wieder aufnehmen: Das Thema ist in der Politik angekommen! Über die Bedeutung dieses Themas im Rahmen der Transformation herrscht in der Fachwelt (Architekt*innen, Planer*innen usw. ) eine recht große Übereinstimmung. Auch in den aktuellen Debatten um den Wohnungsnotstand wird, in Verbindung mit den explodierenden Boden-, und Mietpreisen, immer deutlicher, dass es nicht nur um „Bauen, Bauen, Bauen“ geht, sondern auch darum, was, wie, wo gebaut wird. Für die meisten von uns erbrachte der Vortrag neue Erkenntnisse vor allem, wie es sich mit dem ökologischen Fußabdruck in der Bauwirtschaft verhält. Der Gebäudebereich sei für ca. 40% der Treibhausgasemissionen verantwortlich, 50% des Abfallvolumens seien dieser Sparte zuzurechnen, so Hans Günter. Die bisher zu geringe Wahrnehmung dieses Problems in der Öffentlichkeit hat auch damit zu tun, dass es nicht einfach ist, den gesamten „Lebenszyklus“ – Herstellung, Errichtung, Nutzung, Entsorgung – der Gebäude zu erfassen und genau abzuschätzen.

Schwerpunktmäßig beleuchtete Hans Günter die enormen Reduktionspotenziale im Bereich Bauen, die für die Gesamtbilanz der Transformation von großer Tragweite sind. Stichworte dabei:

  • Verbesserung der Energieeffizienz
  • Auswahl von Energieträgern
  • Potenziale der Kreislaufwirtschaft
  • Rohstoffe/Materialien/Produkte so lange wie möglich nutzen
  • Abfallmanagement verbessern. Dabei spielen Fragen der Trennbarkeit der eingesetzten Materialien bei der Demontage und beim Recycling eine große Rolle.

Betont wurde die Notwendigkeit des Bestandschutzes- und der Bestandssanierung – Vorrang vor Neubau! „Jedes Gebäude, das nicht abgerissen werden muss, dient dem Umweltschutz“.

Zielkonflikte wurden angesprochen:

  • Wie können die Kosten des ökologischen Bauens in Grenzen gehalten werden, die ja das Wohnen immens verteuern, und damit zu weiterer sozialer Benachteiligung führen?
  • Wie kann eine gute Mischung aus hochpreisigen Wohnungen (um den nötigen Return on Investment zu erreichen) und Sozialwohnungen aussehen?
  • Welche Möglichkeiten des standardisierten Bauens (Kosteneinsparung!) gibt es, die durch die Kombination von seriellem Bauen und speziellen Modulen zugleich Vielfalt des Stadtbildes sichern können?

Im dritten Teil widmeten wir uns den gesellschaftlichen Konflikten, die unweigerlich mit dem Prozess der Transformation verbunden sind. Anhand von soziologischen Texten wurden Fragen erörtert, mit welchen Milieus, Werthaltungen, Bewusstseinslagen wir es zu tun haben, wund wie eine ökologische Politik Möglichkeiten herausfinden muss, sehr unterschiedliche Gruppen anzusprechen und neue Allianzen zu bilden. Dies wurde durch Erfahrungen und Erkenntnissen aus der gesellschaftlichen Praxis ergänzt. Dabei konnten wir auf Ausführungen von Julia Kaiser, Aktivistin bei Fridays for Future und wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl Klaus Dörre der Univ. Jena zurückgreifen, die u.a. über ihre Erfahrungen eines Brückenschlags zwischen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes (ver.di) und den Fridays for Future vortrug. Sie berichtete zudem  über den Besuch der Jenaer Gruppe in einem von der Belegschaft besetzten Betrieb in der Nähe von Florenz. Das Unternehmen war als Zulieferer in der Automobilbranche tätig und war erst verkauft und dann dicht gemacht worden. Interessant waren für unseren Kontext Konversionsüberlegungen, die zusammen mit Wissenschaftler*innen der Universität in Genua entwickelt werden sollten.

Zum Schluss sprachen wir über das Problem linker Strategiebildung vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Seminars: Wie soll sich eine zukunftsfähige Linke aufstellen? Dabei haben wir auch Erfahrungen der Linken in Frankreich (Bernhard Sander) einbezogen.

Als mögliche Themen für die weitere Arbeit des SoFor wurden u.a. genannt:

Die Staatsfrage. Über welche Instrumente der Planung und Leitung soll der Staat verfügen? Wie können Übergänge zu neuen gesellschaftliche Regulations- und Gestaltungsmechanismen aussehen? Welche Rolle sollen die Transformationsfonds und die Nachhaltigkeitsbeiräte einnehmen? Wieviel Zentralisierung wird gebraucht, wie viel Dezentralisierung?

Die Eigentumsfrage. Die Debatte darüber, was unter Vergesellschaftung, Vergemeinschaftung, Verstaatlichung zu verstehen hat erst begonnen. Dabei geht es eben um unterschiedliche Eigentumsformen, Mischformen, Genossenschaften und Einiges mehr. Das führt zur Grundfrage: In welchem Verhältnis sehen wir zukünftig „Staat, Marktwirtschaft, Zivilgesellschaft“?

Die Wachstumsfrage. Neuere Publikationen (Ulrike Hermann, Andreas Malm etc.) haben die Debatte über Wachstum/Postwachstumsgesellschaft/Degrowth/Ressourceneffizienz befeuert. Das sollten wir als SoFoR aufgreifen.