SoFoR-Info Nr. 68: Sozial und ökologisch unter Druck

Von Antonia Kühn, Politikwissenschaftlerin, Regionalleiterin der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt entstand 1996 aus der Fusion der stolzen Bauarbeitergewerkschaft Bau-Steine-Erden und der mit nicht weniger Berufsethos verbundenen Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft.

Heute ist vom traditionsreichen Handwerkerstolz mit 150 Jahre alter Gewerkschaftsgeschichte nur noch in seltenen Momenten etwas zu spüren. Abhängig Beschäftigte in den Branchen der IG BAU stehen sozial und ökologisch unter Druck.

Zum Organisationsbereich gehören Arbeitnehmer*innen zum einen aus der gesamten Wertschöpfungskette rund um den Bau: vom Rohstoff über die Planung und den Bau von Gebäuden und Infrastrukturen, über die Wartung und Reinigung bis zum Abriss, und zum anderen aus den „grünen“ Branchen: vom Forst über Garten-Landschaftsbau, Floristik, Tier- und Freizeiteinrichtungen bis zur Landwirtschaft.

In allen diesen Branchen finden massive ökologische Umbrüche statt. Ressourceneffizienz in der Rohstoffindustrie durch Energieeinsparung bei der Herstellung von Zement, energetische Sanierung von Gebäuden oder den Ausbau von Schieneninfrastruktur und Radwegenetz ist genauso ein Thema für die IG BAU wie der Einsatz umweltfreundlicherer Reinigungsmittel.

Uns beschäftigt die Frage von Dürren und Schädlingsbefall (Stichwort: Borkenkäfer) in der Forstwirtschaft genauso wie Wassermangel und ökologischer Landbau. In all diesen Fragen sind die Beschäftigten in der Branche aber häufig keine Akteure. Die Veränderungen finden statt. Und so findet ein Baggerfahrer eben Arbeit bei einem Gleisbauunternehmen, und eine Gebäudereinigerin bekommt ein neues Reinigungsmittel zugewiesen. Sie leben mit den Veränderungen, gestalten sie aber selten.

Klimaanpassung

Als Gewerkschaft befassen wir uns vorrangig mit Klimaanpassung, Klimafolgen und den Folgen aus ökologisch motivierten politischen Entscheidungen. Welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind für Straßenbauarbeiter erforderlich, wenn die Außentemperaturen im Sommer über die 35 Grad klettern? Was bedeutet es, wenn der Dachdecker hitzebedingt nicht mehr auf das Dach steigen kann? Wie gehen wir um mit sehr kurzfristigen ad-hoc-Einsätzen zur Beseitigung von Katastrophenschäden, wenn die Bauleute wie bei dem letzten Hochwasser akut gebraucht werden? Welche Ersatzarbeitsplätze können wir finden, wenn Kolleg*innen aus dem Kiesabbau am Niederrhein oder aus der Industriereinigung im Rheinischen Revier absehbar ihre Arbeitsplätze verlieren? Wie unterstützen wir die Forstleute, die ihr Leben dem Wald widmen und angesichts des Baumsterbens mit Depression und Burnout kämpfen?

Antworten der IG BAU

Mit diesen Fragen befassen wir uns und suchen nach Lösungen, nach Antworten. So haben wir einen Tarifvertrag für Dachdecker abschließen können, der Saisonkurzarbeitergeld nicht nur im Winter wie sonst in der Branche üblich, sondern auch im Sommer bei übermäßiger Hitze ermöglicht. Mit der Berufsgenossenschaft BG BAU fahren wir aktive Kampagnen gegen den hellen Hautkrebs, eine immer weiter verbreitete Berufskrankheit.

Aber gerade dieses Beispiel zeigt, wie schwierig sich die Realität gestaltet. Immer noch muss der Bauarbeiter nachweisen, dass der Hautkrebs bedingt durch seinen Arbeitsplatz entstand. Wenn er Urlaub auf Mallorca gemacht hat, unterstellt die Berufsgenossenschaft schnell ein unvorsichtiges Verhalten in der Freizeit.

Die IG BAU kämpft für eine Beweisumkehrpflicht, wonach nicht mehr die Arbeitnehmer*innen nachweisen müssen, dass die Erkrankung berufsbedingt entstand, sondern die Berufsgenossenschaft in der Pflicht steht, das Gegenteil zu beweisen.

In der Beratungspraxis der IG BAU und in den Gesprächen, die wir mit den Beschäftigten führen, spielen diese Fragen dann eine Rolle, wenn es eine konkrete persönliche Betroffenheit gibt. Und selten werden die Themen in einen Kontext mit dem Klimawandel oder ökologischen Fragen betrachtet. Im Zentrum stehen eigentlich immer soziale, finanzielle Sorgen. Wie geht der Arbeitgeber im Falle einer Erkrankung mit dem Arbeitnehmer um? Zahlt der Arbeitgeber anständig den geltenden Tariflohn? Werden die Arbeitszeiten eingehalten? Wird das Urlaubsgeld korrekt ausgezahlt?

Konfliktverschärfung

Wir erleben immer härtere Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten. In der Gebäudereinigung herrscht „Hire and Fire“, abhängig von oftmals viel zu kurzen Auftragsvergaben sowohl im privaten Sektor wie auch seitens der öffentlichen Hand. Wer 11,55 Euro in der Stunde verdient, denkt kaum darüber nach, ob das verwendete Reinigungsmittel vielleicht umweltschädlich ist oder ob der Wasserverbrauch auf der Arbeit gesenkt werden kann. Sie nehmen die Vorgaben des Arbeitgebers an und hoffen, halbwegs gesund und stabil im Job zu bleiben.

Die IG BAU ist eine Gewerkschaft, die traditionell sozialpartnerschaftlich aufgestellt ist. In unseren Branchen wurde in der Geschichte äußerst selten gestreikt. Vor dem Hintergrund des sehr instabilen Bauarbeitsmarktes, bei dem es immer schon Wanderungsbewegungen, häufige Arbeitgeberwechsel und Schmutzkonkurrenz gab, haben die Arbeitgeber und die Gewerkschaft ein Sicherungssystem von Sozialkassen eingerichtet. Diese Sozialkassen sorgen mit einer Ausbildungsumlage für eine hohe Zahl an Ausbildungsplätzen, mit der Urlaubskasse für regelmäßige Urlaubsgeldauszahlungen auch bei Firmenwechseln und zudem für eine sichere Zusatzrente.

Da diese Errungenschaften eine hohe Bedeutung für jede*n einzelne*n Baubeschäftigte*n haben, werden sie wertgeschätzt, und man akzeptierte daher auch eine gewisse Partnerschaft mit den Arbeitgebern. Zunehmend stellen aber einzelne Arbeitgeber und sogar Vertreter von Arbeitgeberverbänden diese Sicherungssysteme und das Miteinander in Frage. Kaum noch ein Tarifabschluss im Bauhauptgewerbe, der Königsdisziplin, gelingt ohne Schlichtungsverfahren.

IG BAU in die Offensive!

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in der IG BAU im Rheinland eine Diskussion, die fordert, dass die IG BAU in die Offensive gehen soll. Der Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital ist in der Praxis überdeutlich zu spüren, und so liegt eine adäquate Antwort hierauf auch in einer Gewerkschaft, die deutlich kämpferischer wird und Arbeitskampf nicht mehr als notwendiges Übel, sondern als legitimes Mittel betrachtet.

Selbstverständlich stehen wir vor vielen Herausforderungen. Globalisierung, Klimawandel, Migration und Geschlechterfragen sind nur einige Beispiele. Viele dieser Fragen berühren auch Mitglieder der IG BAU persönlich. Im Kern haben wir es als Gewerkschaft aber ganz wesentlich mit dem Gegensatz von Arbeit und Kapital zu tun. Und dieser Gegensatz drückt auch allen anderen Kämpfen seinen Stempel auf. Die IG BAU muss sich stärker als Bewegung der lohnabhängig Beschäftigten begreifen und weniger als gesellschaftlichen Ordnungsfaktor.

Probleme der Pandemie

Die Pandemie erschwert vielen Mitgliedern der IG BAU zusätzlich das Leben. Beschäftigte aus diesen Branchen werden häufiger krank als solche, die sich zu 100% ins Homeoffice zurückziehen können. Sie wohnen seltener in großen Häusern, oft teilen sich mehrere Kinder ein Zimmer, und das Geld für Technik und gute Internetanbindung fehlt, so dass diese Kinder im Homeschooling abgehängt wurden. Sie haben kein Vermögen, mit dem sie sich zurückziehen können – im Gegenteil, sie machen sich große Sorgen, dass sie am Ende die Kosten dieser Pandemie tragen müssen.

Die IG BAU im Rheinland hat daher auf der Bundesebene der IG BAU und im DGB gefordert, die Finanzierung der Corona-Krise durch die Einführung einer Vermögensabgabe nach dem Vorbild des Lastenausgleichsgesetzes von 1952 zu lösen. Hiermit ist es schon einmal gelungen, die reichen Menschen in diesem Land in einer außergewöhnlichen Situation mit einem besonderen Beitrag zur Verantwortung zu ziehen.

Fragen wir auf einer Baustelle einen Gleisbauarbeiter, der gerade am Ausbau einer neuen Zugstrecke arbeitet, welches Thema ihn berührt, dann wird er mit Sicherheit nicht über den Klimawandel und die Verkehrswende sprechen. Er wird uns sagen, dass er sich Sorgen macht, ob er es schafft, bis zu seinem 67. Geburtstag auf der Arbeit durchzuhalten; dass er sich Sorgen macht über Armut im Alter; und dass er sich Sorgen macht, ob es seinen Kindern wirklich einmal besser gehen wird.


Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 68 / 2022.