SoFoR-Info Nr. 70: „Wir sind damit angetreten, dass wir gemeinsam einen Neuaufbruch wollen!“

SoFoR-Interview mit Claudia Walther, Vorsitzende der KölnSPD.

SoFoR: Die KölnSPD war in den letzten Jahren durch interne Streitigkeiten geprägt. Wie gedenkst du diese Streitigkeiten beizulegen oder produktiv zu wenden?

Claudia Walther: Wir sind ja als Doppelspitze der KölnSPD gewählt worden, Florian Schuster und ich.  Wir sind damit angetreten, dass wir die Grabenkämpfe hinter uns lassen und gemeinsam einen Neuaufbruch wollen, damit die SPD politisch wirkt, um das Leben der Menschen in Köln besser zu machen. Das ist unser Anspruch. Von daher haben wir alle eingeladen, daran mitzuwirken. Nach der Wahl zur Doppelspitze haben wir uns an alle Gliederungen der KölnSPD gewandt, an den neu gewählten Vorstand, aber auch an die Fraktion, die Abgeordneten, alle Ortsvereine, Stadtverbände, Arbeitsgemeinschaften und Themenforen, und zwar mit dem Angebot, uns bitte einzuladen und mit uns den Dialog zu führen. Dialogtour nennen wir das. Das heißt ausdrücklich nicht, dass man auf Streit verzichtet. Inhaltlicher Streit um die Sache ist etwas Positives. Streit nur um Personalia oder Formalitäten, das ist nicht unser Ding. Wir möchten den inhaltlichen Streit und dann gemeinsam vorgehen.

SoFoR: Euer Anspruch und Wille, dafür auch gewählt zu werden, sind das eine. Das andere ist: Hast du den Eindruck, dass die Partei das auch will, also diese jahrelange Lähmung durch diese eher nicht-themenbezogenen Streitigkeiten zu überwinden und jetzt tatsächlich produktiv zu arbeiten?

CW: Das ist mein Eindruck. Ich muss dazu sagen, dass die letzten Jahre auch nicht einfach waren für den vorigen Vorstand. Durch Corona war es sehr schwer, eine gute Kommunikation miteinander zu führen. Es gab erst gar keine Treffen, dann natürlich Onlinetreffen per Zoom. Die Möglichkeit, sich einfach mal informell auszutauschen und auch danach noch ein Kölsch trinken zu gehen, gab es nicht. Das trug sicherlich zu einem schlechteren Klima bei. Unser Eindruck war schon vor dem Unterbezirksparteitag bei unseren Vorstellungsrunden in der Partei, dass es eine sehr breite Stimmung für einen neuen Vorstand gibt und die Einstellung: „Wir wollen raus aus diesen Streitereien und Grabenkämpfen!“ Das war ein Appell an uns, und von daher ist es sicher ein Vertrauensvorschuss an uns, dass wir gewählt wurden. Nach dem Unterbezirksparteitag ging es aber so weiter. Wir haben jetzt auch mit den Ortsvereinen, die klar gesagt haben: „Wir haben die anderen beiden Kandidierenden gewählt, nicht euch“, sehr positive Gespräche gehabt und einen Vertrauensvorschuss erhalten nach dem Motto: „Wir geben euch eine Chance – macht was daraus!“

SoFoR: Die SPD ist Regierungspartei, aber ihre Aufgabe ist auch demokratische Willensbildung. Wie kann der SPD der Spagat zwischen Loyalität zur Regierung und eigenständiger Positionierung gelingen?

CW: Ich glaube, seit die SPD besteht, gibt es immer einen Unterschied zwischen Regierung und Partei. Die Partei ist der Ort, wo Willensbildung stattfinden muss. Die Partei muss auch immer über den Tag hinaus denken, kann weiter denken, freier denken, als eine Regierung das machen kann, egal in welcher Konstellation. Das gilt erst recht für eine Große Koalition, aber jetzt auch beispielsweise für die Ampel. Das gilt aber auch für jede Regierungskonstellation, weil es natürlich tatsächlich Sachzwänge gibt, die bei den Diskussionen in der Partei nicht so berücksichtigt werden – nicht so eine Rolle spielen. Beide Rollen sind also in einem dialektischen Verhältnis zueinander zu sehen. In der Partei muss die demokratische Willensbildung, die Positionierung, stattfinden, müssen die groben Linien programmatisch formuliert werden. Die Regierung und auch die Fraktion müssen versuchen, soviel wie möglich davon umzusetzen, so begrenzt dies auch durch Koalitionen oder Sachzwänge sein mag. Gleichzeitig muss die Partei auch in der Bevölkerung für ihre Positionen werben. Schon im Grundgesetz heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Um die Akzeptanz in der Bevölkerung für unsere Positionen muss aktiv geworben werden.

SoFoR: Die sozial-ökologische Transformation wird die Gesellschaft umwälzen. Wie sollte die SPD vorgehen, wenn es zu Zielkonflikten bei der sozialen und ökologischen Frage kommt – Stichwort: Emissionssenkung und zugleich Arbeitsplatzsicherung in der Automobil- und chemischen Industrie?

CW: Der sozial-ökologische Umbau ist immens wichtig. Vielleicht ist der Klimawandel sogar die größte, sicher aber eine der größten Herausforderungen. Wir sind gleichzeitig die Partei mit dem Markenkern ‘Soziale Gerechtigkeit’. Von daher ist es unsere Aufgabe, beides zusammen zu bringen: Wir müssen sagen, ökologischer Umbau darf nicht auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen, sondern man muss beides mitdenken – es zusammen denken. Das heißt beispielsweise in Köln, dass der gute Vorsatz aktuell beim Masterplan „Stadtgrün“, die Stadt grüner zu machen – was ja richtig ist –, nicht auf Kosten von Schulen, von Arbeitsplätzen, von Wohnungsbau gehen darf. Man muss es zusammen denken. Man kann beispielsweise beim Wohnungsbau mehr Grün auf dem Dach berücksichtigen. Man kann beim Wohnungsbau Photovoltaikanlagen auf dem Dach einbauen. Man kann beim Straßenbau Radwege direkt mit einplanen. Man kann bei der Automobilindustrie stärker auf Elektromobilität und Wasserstoff setzen. Man muss versuchen, auf jeden Fall soziale Gerechtigkeit und ökologische Anliegen zusammen zu bringen. Das kann man dabei nur, indem man die jeweils Betroffenen auch beteiligt.

SoFoR: Die von der SPD mit eingeführte Schuldenbremse und der Verzicht auf eine Vermögensteuer erschweren öffentliche Ausgaben beim sozial-ökologischen Umbau und der Gestaltung der Daseinsvorsorge. Hältst du es für sinnvoll und machbar, die Schuldenbremse abzuschaffen und die Vermögensbesteuerung zu reaktivieren?

CW: Die Mehrheit der Bundespartei – oder der Delegiertenkörper – ist ohnehin für eine Vermögensabgabe oder eine Reichensteuer. Das ist in der Partei eine mehrheitsfähige Position. Die Schuldenbremse hat mit Recht viel Kritik geerntet. Ich selber bin überhaupt keine Freundin der Schuldenbremse, weil sie oft Sparen am falschen Ende bedeutet. Wer auch in Krisenzeiten zukunftsfähige Politik machen will, muss gerade dann viel Geld für echte Investitionen in die Hand nehmen. Besonders hat man das gesehen in der Krise 2008. Es war ein sehr großer Fehler, die Austeritätspolitik so brutal durchzuführen und zum Beispiel Griechenland so kaputt zu sparen. Das hat zu sehr vielen Schäden geführt, zu sehr vielen Abhängigkeiten. Jetzt ärgert man sich über Abhängigkeiten von China, damals hat man die Griechen dazu getrieben, den Hafen von Piräus an China zu verkaufen. Man hat dadurch auch viele Menschen in die Armut getrieben und rechtsextreme Parteien und Gruppen gestärkt. Das sind Schäden, deren Reparatur wesentlich mehr kostet, als wenn man am Anfang mehr Geld für echte Investitionen in die Hand genommen hätte.

SoFoR: Die Agenda 2010 hat die SPD vor Zerreißproben gestellt. Das neue Bürgergeld schränkt zwar das Konzept der Sanktionen ein, schafft es aber nicht ab. Welche Stellung nimmst du zu Sanktionen ein?

CW: Ich finde, das Bürgergeld ist ein sehr großer Fortschritt gegenüber der Hartz-IV-Gesetzgebung. Ich persönlich war keine Freundin von Schröders Agenda-Politik. Es war auch nicht alles falsch, das will ich auch nicht sagen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe an sich war nicht das Problem – das war ein logischer Schritt. Aber das von dir angesprochene Sanktionswesen, das war eher unsozial. Das hat unsoziale Ausmaße angenommen. Das war nicht „Fördern und Fordern“, sondern das war nur noch „Fordern“. Viele Leute wurden für Schicksalsschläge bestraft. Und nicht nur sie selber, sondern auch andere wurden in „Sippenhaft“ genommen. Von daher kann ich es nur begrüßen, wenn jetzt hier gelockert wird. Wir wären ja auch gerne viel weiter gegangen, haben das aber nicht durchsetzen können. Ich hoffe, dass trotzdem weiter in diese Richtung gearbeitet wird. Wir gehen davon aus, dass die meisten Leute wirklich gern arbeiten wollen. Nicht nur des Geldes wegen, sondern weil es ja auch sinnstiftend ist. Und dass sie auch offen sind, selber was dafür zu tun, wenn sie in die Situation kommen, ihre Arbeit zu verlieren. Sie sind bereit, sich weiterzubilden, oder offen für neue Arbeit, wenn sie dazu ermutigt werden. Nicht jeder kann das in so einer Situation. Es gibt ja auch in Folge von Schicksalsschlägen depressive Momente oder andere psychische Erschwerungen. Und gerade in so einer schwierigen Situation darf man nicht auch noch bestraft werden.

SoFoR: Die SPD versteht sich als Partei links der Mitte. Welches Verhältnis zu den anderen Parteien in Köln schwebt dir vor, vor allem zur LINKEN und zu den Grünen, aber auch zu CDU und FDP?

CW: Also, viele der Aktiven in der Linkspartei kenne ich. Wir sind uns in vielen Punkten einig. In anderen streiten wir uns. Das finde ich auch richtig. Bei den anderen Parteien, den Grünen, der FDP, der CDU, gibt es jeweils auch Schnittmengen zu bestimmten Themen. Und auf der anderen Seite hat jede Partei ihr eigenes Profil. Mir schwebt vor, dass wir zu allen Parteien ein gutes Verhältnis haben – außer zur AfD. Ein gutes Verhältnis, damit meine ich, dass man klar in den Punkten, die einen trennen, sich streitet oder abgrenzt. Aber in anderen Punkten, beispielsweise im Vorgehen gegen Rechts, auch Allianzen schmiedet.

SoFoR: Du bist Mitherausgeberin der links-sozialdemokratischen ‘Zeitschrift für sozialistische Politik und Wissenschaft – spw’. Die Zeitschrift setzt sich für einen „parteiübergreifenden Diskurs radikalreformerischer Kräfte“ ein. Wie wird sich dieses Selbstverständnis in deiner Arbeit als Kölner SPD-Vorsitzender niederschlagen?

CW: Die spw ist eine sehr wichtige Zeitschrift für weiterführende politische Diskussionen, die auch teilweise wissenschaftlich und grundlegend politische Analysen untermauert. Sie gibt wichtige inhaltliche Impulse, auch durch wissenschaftliche Arbeiten. Die spw ist ja weniger eine Zeitschrift, die direkt in aktuelle Politik in Köln oder anderen Städten eingreifen will. So versteht sie sich auch gar nicht. Für mich bietet sie sehr viel Gutes und sehr fundiertes Hintergrundwissen. Aber sie greift auch zu wichtigen Themen Kon­troversen und Diskurse auf, zum Beispiel zur sozial-ökologischen Transformation. Dieses Wissen ist für den eigenen Kompass bei der eigenen Politikgestaltung sehr wichtig. Das werde ich dann versuchen, in die aktuelle Politik zu übersetzen. Und ich weiß ja auch, dass ich dort Mitstreiter und Mitstreiterinnen habe.

SoFoR: Du bist Ende der 1980er Jahre an den „53 Thesen für eine moderne sozialistische Politikkonzeption“ beteiligt gewesen. Der Leitgedanke dieser Arbeit war die soziale Formierung der zukünftigen Klassenlandschaft und das Mitwirken an der Entstehung eines Bündnisses von Arbeit, Wissenschaft und Kultur. Sind diese Gedanken heute noch aktuell?

CW: Oh, die habe ich lange nicht mehr gelesen … Ich glaube, wir sind jetzt in einer solchen Umbruchsituation in der Gesellschaft, dass es sich lohnen würde, sich diese 53 Thesen noch einmal vorzunehmen und sie auf die Jetztzeit umzuschreiben, zu aktualisieren. Das wäre sicher ein gutes Unterfangen. Manche Koordinaten haben sich ja einfach verschoben. Beispielsweise haben wir im letzten Jahr unser Verständnis zum Thema Frieden und Sicherheit in vielen Punkten auf den Prüfstand stellen müssen. Und so ist das auch bei Fragen, die das Verhältnis von internationaler wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung und Postkolonialismus angehen – beispielsweise. Oder bei manchen Dimension der Energiepolitik, wo man einfach die großen Aktualisierungen einarbeiten müsste in die 53 Thesen.

SoFoR: Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg bei deiner neuen Aufgabe.

Das Gespräch führte für das SoFoR Hans Lawitzke.


Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 70 / 2023.