von Alexander Ost und Alexander Recht
Für die einen ist Cuba vor allem das sozialistische Gallien der Karibik, das den USA tapfer die Stirn bietet. Für die anderen ist es in erster Linie eine traumhaft schöne Insel mit fantastischem Flair. Es gibt also viele Eindrücke von Cuba. Doch welchen Eindruck hat eigentlich der deutsche Botschafter, der zwar auf Cuba lebt, aber das Land aus der Perspektive eines für die Bundesrepublik arbeitenden Diplomaten sieht?
Gespannt fuhren wir also ins Diplomatenviertel Havannas, um mit Botschafter Wulffen ein Gespräch über die politische, ökonomische und kulturelle Situation auf der Insel zu führen. Amtssitz von Wulffen ist die ehemalige Botschaft der DDR, was schon einen ersten interessanten Aspekt verdeutlicht: Bis 1990 fanden deutsch-cubanische diplomatische Beziehungen vor allem zwischen der DDR und Cuba statt. Seit der deutschen Wiedervereinigung ist es Aufgabe der Bundesrepublik, die Beziehungen zu Cuba fortzusetzen. Dass das angesichts der unterschiedlichen Systeme sicherlich kompliziert ist, war uns klar. Aber dazu waren wir ja da: um Fragen zu stellen und uns zu informieren.
Herr Wulffen wirkte wir ein klassischer Diplomat – sehr korrekt, erfahren, ein wenig spröde, aber nicht unfreundlich. Wie der sich wohl zu Cuba äußern würde? Wulffen betonte, Cuba müsse sich wirtschaftlich öffnen und könne hierbei von China, wo Wulffen früher diplomatisch tätig war, lernen. Mehr Privatunternehmen, mehr Wettbewerb, weniger staatliche Bürokratie – so lautete die von ihm vorgeschlagene Rezeptur. Verhindert würde die Realisierung solcher Vorschläge von konservativen Kräften der Regierung, was sich ändern müsse. Keine großen Überraschungen also in dieser Frage; eher das, was man von einem Botschafter eines kapitalistischen europäischen Landes erwartet.
Doch wir setzten nach und fragten, ob es nicht besser wäre, das sozialistische System als legitime cubanische Entscheidung zu akzeptieren. Hierauf räumte Wulffen ein, dass es ein Gebot der Diplomatie sei, Rücksicht auf nationale Politikkonzepte zu nehmen. Und zu unserer Überraschung gab er zu, dass der Sozialismus geschichtlich betrachtet eine Notwendigkeit zur Befreiung von kolonialer Abhängigkeit zur USA gewesen sei. Allerdings beharrte er darauf, dass sich das System nun in eine andere Richtung hin zu mehr Öffnung entwickeln müsse.
Das hörte sich doch sehr nach sozialdemokratischer Diplomatie an: Wandel durch Annäherung ist das Ziel, indem Kontroversen zunächst toleriert werden und Kooperationen im Kleinen stattfinden. Forderungen werden eher auf kurze Frist hin aufgestellt, und wenn es um weit gehende Forderungen wie die eines Systemwechsels geht, werden sie eher leise formuliert. Das heißt aber nicht, dass die deutsche Diplomatie auf diese Forderungen verzichtet.
Dieser politische Geist wurde in den weiteren Ausführungen Wulffens deutlich. Erfreut zeigte er sich etwa darüber, dass es zu einem wichtigen Kulturabkommen zwischen Cuba und der Bundesrepublik gekommen sei. Zudem lobte er, dass sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit, etwa durch Joint Ventures, zwischen der BRD und Cuba deutlich verbessert habe. Eine weitere Verbesserung in der Zusammenarbeit sei geplant und werde auch vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert. Hierbei problematisierte er, dass AusländerInnen, die nach cubanischem Recht straffällig werden, immer mit cubanischer Strafverfolgung konfrontiert werden, z.B. auch bei Autounfällen. Aus diesem Grund, so Wulffen, würden deutsche Ministerien, NGOs und Unternehmen die Entsendung ihrer Beschäftigten auf die Insel scheuen. Hier gelte es nachzubessern, was rechtlich sehr schwierig sei.
Wulffen ging schließlich auf jene Bereiche ein, die auch von internationalen Beobachtern als gut beurteilt werden: auf das Gesundheits- und Bildungssystem. Er betonte, dass überall auf der Insel – selbst in abgelegenen Dörfern – ein hoher medizinischer und Bildungsstandard staatlich gesichert werde, was er ausdrücklich guthieß. Man müsse jedoch auch die Gefahren beachten, die aus Dollarisierung und dem Entstehen eines Devisensegments erwachsen. Wer dort arbeite, verdiene mehr als Beschäftigte im Bildungs- und Gesundheitssystem, was zu problematischen Abwanderungstendenzen weg von diesen Bereichen hin ins Devisensegment führe. Diese Einwände waren sicherlich zum Teil berechtigt.
An dieser Stelle wurde jedoch auch ein Widerspruch in Wulffens Argumentation deutlich. Auf der einen Seite forderte er Cubas Regierung dazu auf, die ökonomische Öffnung, zu der sich Cuba aus der Not heraus gezwungen sieht, aus freien Stück weiterzubetreiben. Auf der anderen Seite bemängelte er, dass die bislang schon vollzogene Integration in den Weltmarkt über Dollarisierung und Zusammenarbeit mit kapitalistischen Ökonomien zu Ungleichheiten führt. Es müsste daher eigentlich auch Wulffen klar sein, dass Cuba sich aus Vorsicht vor solchen Fehlentwicklungen Zeit mit Reformen lässt. Sein Drängen, dass man von Cuba mehr Tempo erwartet müsse, schien daher ein wenig fragwürdig.
Zugute halten muss man Wulffen aber, dass er die Blockadepolitik der USA gegenüber Cuba kritisierte, weil sie gegen WTO-Regeln verstoße. Über die Begründung mag man streiten, aber das Urteil war erfreulich. Ebenso positiv war Wulffens Kritik daran, dass die EU auf Druck von Spanien die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit der Insel davon abhängig macht, dass Prinzipien bürgerlicher Demokratie eingeführt werden. Und es war angenehm festzustellen, dass er sich auch offen gegenüber Vorschlägen aus unseren eigenen Reihen zeigte. Jedenfalls konnte er dem Argument folgen, dass in Deutschland nicht unbedingt die profitorientierten Unternehmen, sondern auch die gemeinnützigen Genossenschaften Vorbild für Cuba sein können.
Weil Wulffen informativ zu erzählen vermochte, verging die Zeit wie im Flug. Nach Verlassen der Botschaft fanden alle gut, mit einer Person gesprochen zu haben, die Cuba aus einer nicht cubanisch gefärbten Sicht beurteilt, ohne gleich cubafeindlich gesinnt zu sein. Auch waren nicht alle Kritikpunkte Wulffens an der cubanischen Politik von der Hand zu weisen. Klar war jedoch auch, dass die Sicht der deutschen Diplomatie ihrerseits gefärbt ist und einige ihrer Positionen aus Solidaritätsperspektive zum cubanischen System kritisch bewertet werden können.