Interview mit Kurt Uhlenbruch & Hans Lawitzke

Das Interview wurde am 13. August 1996 von Hans Günter Bell und Georg Blum geführt.

Interviewer: Vielen Dank an Euch beide, daß Ihr die Zeit für dieses Interview gefunden habt. Wir möchten zunächst Kurt bitten, sich vorzustellen.

Kurt Uhlenbruch: Ich bin 1946 in Köln geboren und von Beruf Rechtsanwalt. Als ich in den 70er Jahren Vorsitzender der Kölner Jusos war, habe ich also Jura studiert. Das Abitur habe ich 1966 gemacht und bin in dem gleichen Jahr auch in die SPD eingetreten. Danach bin ich bei der Bundeswehr gewesen. 1968 habe ich dann zunächst in Berlin geschnuppert, ob ich da studieren wollte. Das konnte ich mir als Vollwaise aber aus finanziellen Gründen nicht erlauben. Ich bin dann nach Köln-Kalk gezogen.

Zuerst wollte ich in der Studentenpolitik mitmachen und habe mich hier in Köln beim SHB (Sozialdemokratischer Hochschulbund, d.V.) umgesehen. Besonders interessant fand ich aber die Auseinandersetzungen um das und im Studentenparlament nicht, so daß ich mich stattdessen im SPD-Ortsverein Kalk umgetan habe. Ich bin auch ganz schnell Schriftführer dieses Ortsvereins, Delegierter zum Unterbezirksparteitag und Juso-Vorsitzender geworden.

Parallel dazu habe ich mit dem ersten Bevollmächtigten der Kölner IG Metall Kontakt bekommen, von dem ich den Auftrag bekommen habe, die Bildungsarbeit der IG Metall für die Klein- und Mittelbetriebe zu konzipieren und Bildungsveranstaltungen durchzuführen.

Interviewer: War das üblich, daß die IG Metall Jusos mit solchen Aufgaben betraute?

Kurt Uhlenbruch: Es gab damals das Bestreben der Kölner IG Metall, ein Bündnis zwischen Arbeitern und Intellektuellen herzustellen, daher haben sie Studenten in die Bildungsarbeit einbezogen.

1970 habe ich geheiratet. Das hat insofern Bedeutung, als dies mit einem Umzug nach Ehrenfeld verbunden war. Auf einem Treffen der „Falken“ habe ich dort Walter Kluth kennengelernt, und wir beide haben uns vorgenommen, daß wir in Ehrenfeld, mit einer mehrheitlich von rechts beeinflußten Juso-Arbeitsgemeinschaft und einem eindeutig von rechts beeinflußten Ortsverein – der allerdings mit Günter Rombey einen linken Vorsitzenden hatte – versuchen wollten, die Mehrheiten zu ändern. Und das haben wir dann 1973 oder 1974 auch geschafft. Bis zum heutigen Tag hat das Gott sei Dank gehalten.

Nachdem ich zunächst Juso-Vorsitzender in Ehrenfeld geworden bin, wurde ich 1974 Juso-Unterbezirksvorsitzender. Anfang der 80er Jahre bin ich in den SPD Unterbezirksvorstand gekommen und habe 1985 das erste Mal versucht, SPD-Unterbezirksvorsitzender zu werden, und habe ganz knapp verloren. 1987 bin ich wieder angetreten und habe dann ganz knapp gewonnen.

… daß man eine wirklich sehr gründliche Schulungsarbeit betrieben hat.

Interviewer: Was siehst Du rückblickend als besondere Stärken und Schwächen der damaligen Juso Arbeit an?

Kurt Uhlenbruch: Die Stärke der Jusos ist auch darauf zurückzuführen gewesen, daß es seit 1968 eine starke Politisierung im Jugendbereich gegeben hat. Zunächst der studentischen Jugend, aber dann auch eine ganz starke Politisierung der arbeitenden Jugend. Das hat damals auch einen großen Zulauf von jungen Leuten zur SPD und eine Politisierung der jungen Mitglieder in der SPD gebracht. Es war relativ leicht, junge Leute für den linken Flügel der Sozialdemokratie zu gewinnen.

Ich denke, die Stärke lag einmal darin, daß man eine wirklich sehr gründliche Schulungsarbeit betrieben hat; und diese auch betreiben konnte, weil die Leute motiviert waren, hierbei mitzumachen. Und das war natürlich vor allen Dingen Schulung in marxistischem Denken, aber auch zu Grundsätzen der Kommunalpolitik. Wir sind nicht nur auf der Oberfläche an Politik rangegangen, sondern haben versucht, zunächst mal die Interessen, die sich hinter den jeweiligen Positionen sammelten, zu analysieren. Dann haben wir versucht, eine eigene grundsätzliche Position zu entwickeln und Einzelentscheidungen aus solchen Grundsätzen abzuleiten.

Eine weitere Stärke der Jusos war, daß wir versucht haben, mit konkreten Aktionen und mit einer konkreten Ansprache die jeweils Betroffenen zu mobilisieren. Wir haben gesagt: Wenn es z.B. um Mietrechtsfragen geht, dann müßte man auch mit denjenigen, die Mieter sind, reden und möglichst mit ihnen gemeinsam Initiativen gründen. Damit sich etwas ändert, müßte auch ein gesellschaftlicher Prozeß in Gang gesetzt werden, es reicht nicht aus, alles nur auf der parlamentarischen Ebene zu betreiben. Von daher haben sich Jusos immer als Teil einer gesellschaftlichen Bewegung gesehen und haben nie isoliert Politik gemacht. Das war das, was wir unter dem Begriff „Doppelstrategie“ verstanden haben.

Und die dritte Stärke der Jusos war natürlich, daß in dieser Aufbruchstimmung nach 1968 Jusos auch medial ein starkes Echo hatten. Daß sie also auch über das hinaus, was sie an realer Macht ausüben konnten, wahrgenommen worden sind.

Eine Schwäche der Jusos war, daß man versucht hat, Grundsatzfragen zum Gegenstand von Konferenzbeschlüssen zu machen. Also z.B. die Frage, ob der Staat ideeller Gesamtkapitalist ist oder nur als ideeller Gesamtkapitalist wirkt, auf einem Juso-Bundeskongreß mit Mehrheit zu entscheiden. Und diese Versuche, Grundsatzfragen, theoretische Ansätze, Ideologiefragen zur Abstimmung zu stellen, haben dann auch dazu geführt, daß sich Fraktionen gebildet haben: Stamokaps, Antirevisionisten und Reformisten.

Interviewer: Hat diese Fraktionsbildung denn bis nach Köln gewirkt?

Kurt Uhlenbruch: Sie hat sich in Köln ausgewirkt, es hat auch hier diese Fraktionskämpfe gegeben. In meiner Zeit sind sie allerdings nicht so richtig wichtig geworden, weil es immer noch eine große Tendenz gab, sich darauf zu konzentrieren, wo man wirklich politisch was bewegen wollte. Das war damals die Stärke der Kölner Jusos, daß wir uns nie als eine Organisation außerhalb der SPD verstanden haben, sondern immer gesagt haben. Alles, was wir machen, muß auch in die SPD hineingetragen werden. Wir müssen versuchen, unseren Positionen auch Mehrheiten in der SPD zu verschaffen, weil wir nur über diese Partei Veränderungen in der Gesellschaft erreichen können.

Interviewer: Du hast eben erwähnt, daß lernende und arbeitende Jugend sich bei Jusos organisiert hätten. War das tatsächlich so, daß eine ernstzunehmende Anzahl von Arbeitenden oder Auszubildenden bei Jusos aktiv waren oder waren die Jusos schon damals stark akademisch geprägt?

Kurt Uhlenbruch: Es war nicht so, daß man sagen könnte, die Jusos waren eine Widerspiegelung der Gewerkschaftsjugend, aber es sind insbesondere in einem Ortsverein wie Ehrenfeld in starkem Maße junge Arbeiter oder Arbeiterinnen dabei gewesen. Man muß allerdings zutreffenderweise sagen, daß diejenigen, die dann auf der Unterbezirksebene bestimmend waren, natürlich ganz stark aus der akademischen Jugend kamen.

Interviewer: Kommen wir zu den Jusos heute. Hans, Du bist seit 1994 Vorsitzender der Kölner Jusos. Kannst Du bitte zunächst etwas zu Deiner Person sagen.

Hans Lawitzke: Ich bin 1963 in Köln geboren, habe hier aber nicht lange gelebt, sondern bin an die Ostseeküste mit umgezogen worden, als ich vier Jahre alt war. Da oben bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich war bei der Bundeswehr; anschließend habe ich ab 1983 in Karlsruhe Informatik studiert.

Schon zu Schulzeiten bin ich sehr stark in die Friedensbewegung reingekommen und habe mich gegen die Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II engagiert. In Karlsruhe fand ich im SHB (Sozialistischer Hochschulbund, d.V.) eine politische Linie vor, die ich sehr attraktiv fand. Wir haben damals gewerkschaftlich orientierte Interessenvertretungsarbeit gemacht und versucht, die Zusammenarbeit mit dem DGB wiederzubeleben. Das hat leider nur in einigen wenigen inhaltlichen Fragen geklappt.

Der Tod der Friedensbewegung nach der Stationierung der Raketen hat zu einem tiefen Einbruch linker Bewegungen geführt. Die Bundesregierung hat den Protest einfach ausgesessen und die Stationierung durchgezogen. Dadurch hat sich viel Frust breitgemacht, die Bereitschaft, sich mit Herz und Hand für linke Politik einzusetzen, hat seitdem massiv nachgelassen. Und dann natürlich die Entsolidarisierung und Individualisierung durch die weitere Politik der Kohl-Regierung, die starke Amerikanisierung, auch im Medienbereich – all dies hat den ganzen kollektiven Ansatz, Lebenswirklichkeit gemeinsam zu verändern, in den Hintergrund gedrängt. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß sehr starke Nachwuchsprobleme bei linken Organisationen eingetreten sind.

Ich selbst bin 1986 in die SPD eingetreten, obwohl ich in Karlsruhe ausschließlich an der Hochschule aktiv war. Dort war ich vier oder fünf Jahre lang im Fachschaftsvorstand, habe im Senat der Uni gesessen und war ein Jahr lang AStA-Vorsitzender. Ich habe Interessenvertretung mit dem Anspruch gemacht, nicht als Stellvertreter für die Studentinnen und Studenten irgendwo in den Gremien was zu mauscheln, sondern – wie Kurt das vorhin beschrieben hat – den Versuch zu machen, mit den Betroffenen zusammen Lösungen zu entwickeln und diese auch für deren Durchsetzung zu aktivieren.

1992 habe ich meinen Abschluß gemacht und bin nach Köln gekommen. Über die IG Metall habe ich Kontakt zu den Jusos bekommen und bin dann schnell in den Unterbezirksvorstand gekommen. Dort habe ich das Projekt „Gegen soziale Spaltung – gegen Wohnungsnot und Obdachlosigkeit“ mit Eveline Arnusch gemeinsam geleitet. In diesem Projekt haben wir dann relativ viel mit Basisorganisationen wie „Auf Achse Treberhilfe“, dem Mieterrat der Siedlung Neurath oder der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) zusammengearbeitet. Vor knapp zwei Jahren bin ich dann als Nachfolger von Hans Günter Bell Juso-Unterbezirksvorsitzender geworden.

Brüche in der Identifikation mit der SPD

Interviewer: Ich habe auch an Dich die Frage, was Deiner Einschätzung nach die Stärken und die Schwächen der Jusos sind.

Hans Lawitzke: Ich kann direkt an dem anschließen, was Kurt sagte. Was ich nach wie vor für eine Stärke der Jusos halte, ist, daß die Jusos nicht nur den Anspruch haben, allgemeine Politikkonzepte zu erarbeiten, sondern daß sie es auch tatsächlich schaffen, eine gesellschaftliche Einordnung politischer Fragestellungen vorzunehmen, sich zu Grundsatzfragen Positionen zu erarbeiten und daraus dann in den konkreten Fragen auch Positionen abzuleiten.

Das bricht sich natürlich genau an der Stelle, an der Kurt vorhin sagte, daß es zu seiner Zeit als Juso-Vorsitzender eine starke Politisierung der Gesellschaft gab. Diese Politisierung ist sehr weitgehend kaputtgegangen. Das spiegelt sich natürlich dann auch bei uns wider. Wir schaffen es nicht mehr, zu allen wichtigen Themen etwas zu machen, wir schaffen es auch nicht in dem notwendigen Maße, die Position, die wir uns erarbeitet haben, in die SPD hineinzutragen. Bei vielen Jusos wird die aktive Mitarbeit in der SPD in Frage gestellt. Aufgrund der Individualisierung ist es nicht mehr selbstverständlich, daß sich Jusos als originärer Teil der SPD begreifen. Die Brüche in der Identifikation mit der SPD sind bei einigen sehr deutlich.

Als eine weitere Stärke empfinde ich, daß wir es bei den Jusos sehr viel stärker geschafft haben, Frauen zu integrieren, als es meines Erachtens in der Partei gelungen ist. Wir haben es durch sehr viel härtere Quotenregelungen, Förderungsmaßnahmen und gezielte Personalentwicklung geschafft, die Gleichstellung der Frauen als selbstverständlichen Bestandteil der Organisationsprinzipien zu verankern. Ich muß allerdings auch sagen, daß diese gezielte Frauenförderung unter den derzeitigen gesellschaftlichen Voraussetzungen wieder stark umkämpft ist und aktuell in einigen Basisorganisationen auch real zu kippen droht.

Was Kurt vorhin zur „Doppelstrategie“ sagte, ist nach wie vor auch unser Ansatz. Diese Strategie krankt momentan allerdings sehr stark daran, daß es so gut wie keine soziale Bewegung gibt, jedenfalls nicht von der annähernden Größenordnung wie es die ’68er Studentenbewegung war.

Ein wichtiger Ansatz unserer Arbeit sind die Projekte. Sie ermöglichen es, ein fest abgegrenztes Thema mit der entsprechenden Zielgruppe über einen abgeschlossenen Zeitraum konsequent zu bearbeiten. Das hat auch große Erfolge gebracht. Wir sind in diesen Projekten inhaltlich sehr weit gekommen, haben neue Leute für die Jusos gewinnen können und haben an Ausstrahlung gewonnen. So haben wir in dem Projekt zur Wohnungspolitik und zur Obdachlosigkeit zwei gute und umfangreiche Anträge erarbeitet, die letztlich ihren Weg bis in die Bundestagsfraktion und die Fraktionsarbeitskreise im Rat gefunden haben.

Interviewer: Hans hat die Nachwuchsprobleme bei linken Organisationen und den brüchigen Parteibezug erwähnt. Kurt, teilst Du die Einschätzungen? Wo siehst Du Gründe für diese Probleme?

Kurt Uhlenbruch: Die Gründe hat Hans zum Teil bereits richtig angesprochen. Die liegen darin, daß die Individualisierung in dieser Gesellschaft eine immer stärkere Rolle spielt und daß deswegen die Bedeutung von Organisationen und der Mitgliedschaft in großen Organisationen verkannt wird. Ich halte diese Notwendigkeit nach wie vor für gegeben, weil die große Mehrheit der Menschen in unserem Land die Probleme nicht alleine lösen kann, sondern nur über politische oder gewerkschaftliche Organisationen. Aber das wird eben verkannt. „Jeder kann sich alleine helfen“ – so ist die These, und darin sehe ich eine Gefahr.

Und der andere Punkt ist der, daß ich denke, wir leben in einer anderen Mediengesellschaft als vor 20 Jahren. Politik wird nämlich nicht mehr über Sachauseinandersetzungen vermittelt und über Interessen definiert, sondern ganz stark über Personen vermittelt.

Interviewer: Gilt dies auch für Köln?

Kurt Uhlenbruch: Ja, auch hier in Köln. Wenn man sich die Kölner Tageszeitungen ansieht dann spielt Kommunalpolitik überhaupt keine Rolle mehr. Statt dessen wird im „Cologne intim“ berichtet, wo der Herr Sowieso mit der Frau Sowieso seinen Geburtstag feiert und wer im Maritim übernachtet. Das sind viel interessantere Stories als die Frage, mit denen sich politische Parteien auseinandersetzen. Das spielt eine große Rolle bei den Schwierigkeiten, junge Leuten für Politik anzusprechen.

Interviewer: Welche Rolle würdest Du bei diesen Schwierigkeiten der Politik der SPD zumessen?

Kurt Uhlenbruch: Das ist dann der dritte Punkt. Es ist sicherlich auch von Bedeutung, ob es eine starke gesellschaftliche Auseinandersetzung gibt und ob eine Partei in so eine Auseinandersetzung mit einem sehr eindeutigen Profil reingeht, und ob sie damit auch Interessen deutlich machen kann, die sie wahrnimmt. Dann kann sie diejenigen, die sich hinter diesen Interessen versammeln können, auch motivieren, mitzumachen. Die SPD hat in den letzten Jahren sicherlich mitunter versäumt, in ihrer Außendarstellung deutlich zu machen, wie ihr Profil ist.

Interviewer: Ist das Gejammere in der SPD, „wir haben überhaupt keine Chancen, unsere Anliegen vorzubringen“, nicht mitunter vorgeschoben? Soll es davon ablenken, daß die SPD überhaupt kein Profil mehr hat? Natürlich gab es Änderungen in der Medienlandschaft. Aber die inhaltlichen Probleme sind doch konkret da. Das ist die Wohnungsnot oder der Verlust von Arbeitsplätzen, und das muß man doch rüberbringen können.

Hans Lawitzke: Natürlich ist es richtig, Problemlagen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder unzureichende Wohnungssituation, zu thematisieren. Aber es ist schwierig, solche Themen in den Vordergrund zu stellen. Es wäre gerade deswegen nötig, sich auch Mittel und Wege zu erarbeiten, trotz dieser Mediensituation mit seinen Forderungen durchzukommen. Wir können von Organisationen wie Greenpeace oder Robin Wood eine Menge darüber lernen, wie man mit relativ bescheidenen Mitteln und Personalbeständen in die Medien kommt.

Und ich glaube, daß die SPD noch viel zu zurückhaltend ist. Gerade bei so einer Frage wie der Arbeitslosigkeit läuft die SPD viel zu sehr hinter den Positionen der CDU her, statt das Schlagwort vom „Wirtschaftsstandort Deutschland“ grundsätzlich in Frage zu stellen. Mit Sozialabbau und mit Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen wird ja kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen.

Interviewer: Wo siehst Du Ansatzpunkte für diese Forderungen? Kann das von Kurt in seiner Eigenschaft als Kölner SPD-Vorsitzender angestoßen werden, oder müssen das die Jusos voranbringen?

Hans Lawitzke: Ich hätte natürlich schon den Anspruch, daß jeder linke Sozialdemokrat versuchen soll, im Rahmen seiner Wirkungsmöglichkeiten daran zu arbeiten, aber ich glaube, daß es uns Jusos tendenziell leichter fällt, weil wir genau nicht unter dem Zwang stehen, das konkrete tagespolitische Geschäft zu erledigen, sondern die Freiheit von Macht in gewissem Rahmen auch ein Vorteil ist.

Aber ich glaube, daß wir Jusos zeitweise ein bißchen den Blick für die sogenannten „harten“ Themen verloren hatten und uns aus der wirtschaftspolitischen Diskussion zurückgezogen haben. Das hat natürlich auch zum Ergebnis, daß viele der Menschen, die heute Jusos sind, diese Diskussion gar nicht mehr kennen.

Ist die Schwäche der Jusos natürlich eine Schwäche der Partei.

Interviewer: Kurt, welchen Eindruck hast Du denn von den Jusos? Geben sie auf diese gerade skizzierten Probleme die richtigen Antworten?

Kurt Uhlenbruch: Ich würde gern noch einen Satz zu dem sagen, worüber wir eben gesprochen haben. Ich denke, daß ein Problem ist, daß die Positionen, die in der SPD beschlossen sind, nicht deutlich genug rüberkommen. Wenn Oskar Lafontaine versucht, in die Standortdebatte einzugreifen, und sagt, dies sei eine völlig falsch geführte Debatte, da sie Arbeitnehmereinkommen nur als Kosten betrachtet, man Arbeitnehmereinkommen jedoch auch als Nachfrage sehen müsse, dann wird das immer wieder konterkariert dadurch, daß andere Sozialdemokraten versuchen, auf Vorschläge der Bundesregierung einzugehen und z.B. die Kürzung der Sozialhilfe befürworten. Das ist das große Problem, das wir haben. Das hat auch etwas mit der Mediengesellschaft zu tun. Es sind so viele Medien da, daß mittlerweile jeder an ein Mikrophon rankommen kann.

Das zweite, wo ich Hans Recht gebe, ist, daß wir uns auch überlegen müssen, wie wir unsere Anliegen transportieren können. Dafür gibt aktuell es ein gutes Beispiel: Der Beschluß des SPD-Ortsvereins Köln-Mitte zu der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft von Herrn Ludwig. Die waren sich mit Sicherheit darüber im klaren, daß das in der Praxis nicht umsetzbar ist. Aber auf der anderen Seite war es völlig richtig zu sagen, von dem, was der Ludwig da mit seinen Arbeitnehmern macht, muß sich die SPD deutlich absetzen. Und dann zu sagen, das transportieren wir am besten, indem wir das mit der Ehrenbürgerschaft in Verbindung bringen, halte ich für einen durchaus legitimen Ansatz.

Was die Stärken der Jusos heute angeht, habe ich das Gefühl, es entwickelt sich ein zartes Pflänzchen. Die Jusos beteiligen sich wieder stärker an der innerparteilichen Debatte. Das war nach meinem Eindruck lange Zeit nicht der Fall, kommt jetzt aber wieder. Das ist sehr deutlich geworden an einer sehr guten Debatte, in der ich zwar anderer Meinung als die Jusos war, aber die Debatte war dennoch eine sehr richtige und wichtige: Zur Vereinbarung mit der CDU im Kölner Rat.

Das zweite, was heute objektiv eine Stärke der Jusos ist, ist die Projektarbeit. Also die Konzentration auf Themen, zu versuchen, Menschen, die sich für das Thema interessieren mit in die Diskussion einzubeziehen und Positionen zu entwickeln. Und diese Positionen konkret und gründlich aufzuarbeiten. Ich denke, dies ist ein Ansatz, der junge Leute interessieren könnte. Außerdem lassen sich hier Schulungsarbeit und konkrete politische Arbeit miteinander verbinden.

Ansonsten ist die Schwäche der Jusos natürlich eine Schwäche der Partei. Wir haben zu wenige junge Mitglieder in der SPD, und die Jusos haben zunächst mal ihr Rekrutierungsfeld bei den Jungen, die sich zur SPD bekennen oder bereit sind, in die SPD einzutreten. Und wenn es davon zu wenige gibt, dann gibt es auch zu wenige, die die Jusos ansprechen können. Das ist sicherlich nicht allein das Problem der Jusos, sondern die Schwäche der Jusos ist auch ein Problem der Partei und unserer mangelnden Akzeptanz bei Jugendlichen.

Interviewer: Es gibt derzeit eine Mitgliederwerbekampagne der SPD. Dadurch sind eine ganze Reihe von jungen Leuten der SPD beigetreten. Was nimmst Du wahr? Was sind das für Leute, die sich uns anschließen?

Kurt Uhlenbruch: Also, was ich wahrnehme, ist zunächst mal, daß es mehr junge Leute gibt. Diese Mitgliederkampagne hat ihren Sinn schon allein deshalb gehabt, weil wir eine Vielzahl von jungen Leuten als Neumitglieder in diese Partei bekommen haben. Ich glaube nicht, daß es so ist wie in den 60er oder 70er Jahren, als es in ganz starkem Maße schon politisierte junge Menschen waren, die bereits eine Richtungsentscheidung getroffen haben, sondern ich denke, daß diese neuen Mitglieder ihre Richtungsentscheidungen erst noch treffen werden. Sie sind also noch beeinflußbar. Und es ist natürlich eine Aufgabe der Jusos, sich jetzt auch um diese neuen Mitglieder zu kümmern, mit ihnen zusammenzuarbeiten und zu versuchen, mit ihnen die Basis der Jusos wieder zu stärken.

Wir müssen die ideologische Auseinandersetzung wieder führen.

Interviewer: Ich möchte an dieser Stelle nach dem Verhältnis zwischen den sogenannten „jungen Sozialdemokraten“ und der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD fragen. Wie seht Ihr das hier für Köln? Sind die Jusos noch Teil der Parteilinken oder sind sie nur noch die Parteijugend der SPD?

Hans Lawitzke: Es ist in der Tat ein Problem, daß ein wachsender Teil der Juso-Mitglieder ideologisch weit von inhaltlichen Grundlagen entfernt sind, die bei Jusos jahrzehntelang als selbstverständliche Voraussetzung gegolten haben. Das hat im wesentlichen zwei Ursachen: Weil diese Grundlagen so als Selbstverständlichkeiten gegolten haben, sind sie zu selten als aktuelle Positionen der wirklich vorhandenen Jusos neu erarbeitet worden. Zudem kommen die Leute überwiegend aus bürgerlichen Verhältnissen. Wer dann bei den Jusos nicht sonderlich aktiv ist, behält mehr oder weniger das im Kopf, was er als gesellschaftlich vermittelte Positionen gelernt hat, und das sind in erster Linie bürgerliche Positionen.

Das heißt, daß es einen großen Teil jugendlicher Mitglieder in der Partei gibt, die per Definition Jusos sind, die sich jedoch nicht als junge Sozialisten begreifen und sich damit im Widerspruch dazu befinden, daß die Jusos ein sozialistischer Richtungsverband sind. Ich halte es nach wie vor für richtig und notwendig, solch eine ideologische Ausrichtung zu haben. In dem Zeitraum, den ich überblicken kann, das sind etwa 15 Jahre, ist dieses Selbstverständnis immer umkämpft gewesen. Mittlerweile nimmt dieses Selbstverständnis allerdings deutlich ab. Wenn man sich bundesweit umschaut, sieht man in zunehmend mehr Unterbezirken und Bezirken Tendenzen dahingehend, sich von diesem Selbstverständnis faktisch zu verabschieden. Das sehe ich als Herausforderung an. Aber mehr in dem Sinne, daß man es als Chance begreift. Wir müssen die ideologische Auseinandersetzung wieder führen. Wenn wir schlau genug waren, das sozialistische Selbstverständnis als richtig zu erkennen, warum soll hierzu nicht auch die Mehrheit derer in der Lage sein, die jetzt bei den Jusos sitzen. Ich möchte die Mehrheit der Gesellschaft für den Sozialismus gewinnen, da muß man es schon schaffen, zunächst wenigstens einmal die Mehrheit der eigenen Mitglieder hiervon zu überzeugen.

Dann ist es natürlich so, daß man in der SPD erklärte Marktliberale hat, Menschen mit durchgängig bürgerlich Vorstellungen, auch in sozialen Fragen. Die sind meines Erachtens in der falschen Partei. Das wird man politisch klären müssen.

Kurt Uhlenbruch: Ich kann das nur bestätigen, was Hans sagt. Erstens kann es nur eine Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten geben. Wie die sich inhaltlich positioniert, das ist deren Problem, das müssen die selbst entscheiden. Die politische Position kann man in einer demokratischen Partei nicht verordnen, die müssen ausgetragen und diskutiert werden, und schließlich müssen Mehrheiten hergestellt werden. Darum, daß man Mehrheiten bekommt, muß man kämpfen.

… daß es sinnvoll ist, daß die Jusos eine linke Richtungsorganisation sind.

Interviewer: Kurt, bist Du der Meinung, daß die Jusos richtig daran tun, an ihrem Selbstverständnis, Teil der Parteilinken zu sein, festzuhalten, oder ist der Weg richtig, insofern pluralistisch zu sein, daß alle Meinungen, die es in der SPD gibt, auch bei den Jusos in Vorständen vertreten sein müssen?

Kurt Uhlenbruch: Ich bin der festen Überzeugung, daß es sinnvoll ist, daß die Jusos eine linke Richtungsorganisation sind und sich als Teil der Parteilinken betrachten, und ich hoffe auch, daß das so bleibt. Nur, wie gesagt, das kriegt man nicht geschenkt, oder das kann keiner verordnen, dafür muß man kämpfen.

Interviewer: Das wird natürlich dann erschwert, wenn ein rechter Ortsverein die Juso-Arbeit blockiert und sagt, in unseren Ortsverein kommen Jusos gar nicht erst rein, hier läuft Jugendarbeit nur nach unseren Spielregeln oder gar nicht.

Kurt Uhlenbruch: Es gibt in dieser Partei demokratische Spielregeln. Und die kann man auch durchsetzen. Wenn wir das mit dem vergleichen, was wir in den 70er Jahren hatten, dann waren das damals sehr viel schwierigere Ausgangspositionen für die Jusos als wir sie heute haben. In den 70er Jahren waren das teilweise brutale Auseinandersetzungen, die bis zur Gefährdung des Arbeitsplatzes gingen. Die Auseinandersetzungen sind heute sehr viel fairer als das damals der Fall war, und das Klima in der Partei ist insgesamt sehr viel liberaler geworden. Auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist sehr viel größer als das in den 70er Jahren der Fall war.

Interviewer: Damit sind wir bei den aktuellen Herausforderungen. Wie müßten Jusos eigentlich arbeiten und wie müßte eine Parteilinke insgesamt mit ihren Jusos zusammenarbeiten, um die Herausforderung, vor denen wir stehen, zu bewältigen? Die jungen Leute, die jetzt in die SPD kommen, sind noch keine Sozialisten. Wir wollen sie für uns als Linke gewinnen. Welche Anforderungen wären an Jusos und an die Parteilinke zu stellen, um solch einen Prozeß auch wirklich gewährleisten zu können?

Kurt Uhlenbruch: Ich bin 50 Jahre alt, und wie man mit jungen Menschen zusammenarbeiten kann, das kann ich den Jusos nicht vorgeben, das müssen die selber bestimmen. Sie müssen selber Arbeitsweisen und Methoden entwickeln, die attraktiv sind, die motivierend wirken und die dazu führen, daß man Positionen erarbeitet und in der Lage ist, diese Positionen auch zu vertreten, ihnen auch zu Mehrheiten zu verhelfen. Wie das funktionieren kann und wie diese Arbeit ausgestaltet werden kann, das will ich nicht und kann ich nicht vorgeben. Das ist das eine.

Das andere ist die Seite der Partei. Da sage ich, es muß eine offene Debatte möglich sein, wir müssen wirklich in der Sache streiten und Talente nicht behindern, nur weil man in der Sache unterschiedliche Positionen hat. Das ist der Punkt, von dem ich meine, daß wir ihn in der Kölner SPD auch einigermaßen hinbekommen haben. Auch die Parteilinke muß das aufgreifen, was die Jusos diskutieren, muß den Jusos ein Forum für ihre Diskussionsbeiträge bieten und sich damit ernsthaft auseinandersetzen. Das kann nicht bedeuten, daß man immer alles kritiklos übernimmt, was die Jusos sagen, aber es muß ein Diskussionsprozeß in Gang kommen und wir müssen uns darüber einig sein, daß wir immer wieder versuchen auch die gemeinsamen Interessen herauszuarbeiten. Wir müssen überlegen, wofür machen wir eigentlich Politik in der Sozialdemokratie, was ist die Basis unserer Politik? Wollen wir die Gesellschaft verwalten und versuchen, alles so zu managen, daß diese Gesellschaft ohne große soziale Konflikte funktioniert? Oder haben wir noch die grundlegende Veränderung der Gesellschaft im Kopf, die dazu führt, daß wirklich die Interessen der Mehrheit der Menschen in diesem Land zum Durchbruch kommen, daß die Menschen sich selber verwirklichen können?

Hans Lawitzke: Ich will beim letzten ansetzen. Wir haben vorhin gesagt, daß die Jusos eine linke Richtungsorganisation sind und bleiben sollen. Ich denke, daß sich hieraus ein Spannungsverhältnis zur Partei ergibt, weil die Partei als Ganzes ja gerade nicht das Selbstverständnis hat, sozialistische Richtungsorganisation zu sein, und dies in der Vergangenheit zu viel Streit geführt hat. Dieser Streit hat zum Teil dazu geführt hat, daß man sich mehr neben die Partei gestellt, auf sie draufgedroschen hat, statt wirklich zu versuchen, in ihr, um sie zu kämpfen. Ich denke, daß dies genau die Herausforderung ist: Den Bogen weder in die eine Richtung noch in die andere zu überspannen, also weder der Partei völlig kritiklos in den Arsch zu kriechen, alles mitzumachen, was sie sagt, noch die Kritik zu überziehen. Das ist eine schwierige Gradwanderung.

Das ist das Eine, daran schließt sich dann das Andere an: Mein Verhältnis zur SPD ist nicht unabhängig von inhaltlichen Positionen zu bestimmen. Es wäre durchaus eine Entwicklung vorstellbar, nach der ich mich in dieser Partei gar nicht mehr wiederfinde. Das hoffe ich nicht, das sehe ich momentan auch nicht, aber ich frage was die gemeinsamen Interessen und Ziele sind, für die wir kämpfen. Was macht für uns als Sozialisten den Grundgehalt von Sozialismus aus? Und welches Gesellschaftsbild und welches Menschenbild steht dahinter?

Und da sind wir dann wieder bei der Frage, vor welchen Herausforderungen die Jusos stehen. Da werden wir schon die Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft und das, was unter „nachhaltigen Entwicklungskonzepten“ verstanden wird, aber auch die Frage der Gleichstellung der Rassen und der Geschlechter diskutieren müssen. Sicherlich wird man ideologisch noch vieles wiederkäuen und den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und natürlich auch den geänderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen anpassen müssen. Wir sind momentan einfach nicht in der Situation, in der wir uns darauf vorbereiten, große gesellschaftliche Vorwärtsbewegungen in Gang setzen zu können, wie das vielleicht in den 70er Jahren von dem „Mehr Demokratie wagen“ Willy Brandts erwartet worden ist. Ich denke, man muß sich für die nächsten fünf bis zehn Jahre auf eine Auseinandersetzung gefaßt machen, bei der es eher darum geht, bestehendes zu verteidigen.

Und da spielt dann auch wieder die Auseinandersetzung mit den jungen Menschen eine relevante Rolle. Sie für eine sozialistische Perspektive zu gewinnen, ist auch eine Herausforderung um das Nachwuchsproblem der SPD anzugehen. Dieses Problem kann nicht länger ignoriert werden. Wir müssen einen Schritt nach vorne machen, was die Gewinnung von Menschen für eine fortschrittliche Politik angeht, und ich glaube, daß dieser Kahlschlagskurs, den die Bundesregierung gerade fährt, hierfür auch Chancen bietet. Weil dieser Kurs die SPD dazu zwingt, Profil zu zeigen. Wenn es letztlich wirklich ans Eingemachte geht, dann kann man nicht mehr sagen, das muß man ein wenig abfedern und ein bißchen moderieren, sondern da muß man wirklich einen anderen Kurs einschlagen. Sonst hat man sich zum Juniorpartner der CDU gemacht und ist damit überflüssig geworden.

Interviewer: Gibt es denn diese grundsätzlichen Diskussionen über Sozialismus innerhalb der Partei überhaupt noch? Im Berliner Grundsatzprogramm von 1989 wird den „Grundwerten des Demokratischen Sozialismus“ zwar noch ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich habe jedoch den Eindruck, daß es in der SPD mindestens zwei Parteien gibt. Teile der Linken einschließlich der Jusos auf der einen Seite, für die dieser Sozialismus noch von Bedeutung ist. Auf der anderen Seite eher rechte Sozialdemokraten, die kapitalistische Struktur nicht mehr in Frage stellen. Gibt es eine gemeinsame Grundlage für die Arbeit innerhalb der SPD?

Kurt Uhlenbruch: Ich glaube, daß die Partei nie so offen für Diskussionen und gemeinsame Beschlußfassungen war wie derzeit. Diese Trennung in zwei Flügel, die sich unversöhnlich gegenübergestanden haben, ist heute nicht mehr so starr. Die Grenzen sind sehr viel fließender und die Auseinandersetzung ist viel offener geworden. Das ist natürlich auch eine Chance, die man nutzen muß. Es kommt darauf an, wer wirklich überzeugender ist.

Hans Lawitzke: Ich würde die Diskussion von einer anderen Seite aufziehen. Ich denke, daß mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten die Ära der vermeintlichen Gewißheiten ein Ende genommen hat. Von daher würde ich die Einschätzung in dem Sinne teilen, daß es grundsätzlich eine Offenheit dafür gibt, neu darüber nachzudenken, was geht und was nicht. Ich hätte bloß aktuell Schwierigkeiten damit, das so positiv zu bewerten. Weil mein Eindruck der ist, daß vor allen Dingen die Leute, die in öffentlichen Ämtern sitzen, derzeit dazu tendieren, diese Ungewißheit dazu zu nutzen, das bestehende Modell zu verteidigen. Meines Erachtens stellt es sich momentan so dar, daß die Sozialdemokraten die Konservativen in dieser Gesellschaft sind und CDU und FDP als die gesellschaftlichen Reformer auftreten. Daß die die Gesellschaft in eine Richtung umbauen, die den meisten Sozialdemokraten nicht paßt, darüber gibt es, glaube ich, einen Konsens. Aber worüber es sicherlich noch keinen Konsens in der SPD gibt ist, was denn die Alternative zu diesen „konservativen Reformen“ ist.

Und da ist das große Problem: über die relativ abstrakte Kapitalismuskritik hinaus gibt es noch kein konkretes Modell des demokratischen Sozialismus. Die Entwicklung eines solchen konkreten Modells denen zu überlassen, die schon immer eher pragmatische Politik gemacht haben, finde ich zu kurz gegriffen. Wir junge Sozialistinnen und Sozialisten werden von unserer Verantwortung nicht entbunden. Wir haben erst einzelne Ideen, einzelne Konzepte, verstreute Ansätze, wie sie von den Gewerkschaften oder von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik formuliert werden. Einen gesellschaftlichen Gegenentwurf gibt es im Moment nicht und ich denke, daß es für Sozialisten eine Herausforderung ist, hieran zu arbeiten.

Interviewer: Kurt, Du hattest eben gesagt, die Schwäche der Jusos ist die Schwäche der Partei. Wir haben jetzt eine Situation, in der sich die gesellschaftlichen Konflikte wieder zuspitzen. Der Sozialabbau, der betrieben wird, bietet möglicherweise eine Chance für die SPD, wieder Profil zu zeigen, sich in diesen Konflikten deutlich an die Seite der lohnabhängig Beschäftigten zu stellen und hierdurch auch wieder junge Linke an sich zu binden. Was ist denn von der Kölner SPD zu erwarten? Wo können sich Jusos beteiligen, damit die SPD wieder an Ausstrahlungkraft gewinnt?

Kurt Uhlenbruch: Ich denke in der Tat, daß der Sozialabbau, so wie er jetzt beabsichtigt ist, zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung führt, und daß wir verpflichtet sind, diese Auseinandersetzung aufzugreifen. Das ist zum einen bundesweit mit der großen Demonstration im Juni in Bonn geschehen. Das darf damit aber nicht enden und wird wohl auch damit nicht enden. Die SPD wird sich bei den Protesten mit deutlichen Positionen einzubringen haben. Innerparteilich werden wir darauf achten müssen, daß die deutlichen Gegenpositionen nicht verwässert werden, etwa dadurch, daß im Bundesrat irgendwelche Kompromisse zustande kommen.

Und der zweite Punkt ist dann der, wie die Kölner SPD sich bei diesen Aktionen einbringen kann. Wir haben im Frühjahr in Kalk eine relativ gute Veranstaltung zu den Fragen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau durchgeführt. Diesen Diskussionsprozeß müssen wir fortsetzen. Wir wollen das im Zusammenhang mit der Vorbereitung des jugendpolitischen Bundesparteitages im November zu dem Thema „Bündnis der Ausbildung“ tun. Außerdem müssen wir mit weiteren öffentlichen Veranstaltungen, die wir gemeinsam mit den Gewerkschaften durchführen sollten, dazu beitragen, eine gesellschaftliche Stimmung gegen den Sozialabbau zu schaffen.

Interviewer: Das „Jugendpolitische Memorandum“ der SPD fordert zwar eine solidarische Finanzierung der Ausbildung, legt sich aber noch nicht auf eine Regelung fest, sondern referiert drei Vorschläge. Auf dem Parteitag ist also eine kontroverse Diskussion darüber zu erwarten, ob sich das Kammermodell oder die Umlagefinanzierung nach dem Modell des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchsetzt. Diese Frage ist für uns Jusos sehr wichtig und wir hoffen auf die Unterstützung der Parteilinken.

Kurt Uhlenbruch: Das ist auf dem Landesparteitag der SPD gelungen. Da waren es ja auch die Jusos, die diese Forderung eingebracht haben und die eine Mehrheit haben herstellen können. Gemeinsam mit der Parteilinken. Ich bin eigentlich guter Hoffnung, daß dies auch auf dem Bundesparteitag gelingen wird.

Interviewer: Wir danken Euch für das Gespräch.