Beginnt die neoliberale Hegemonie zu bröckeln?

von HANS LAWITZKE

„Ein neues Programm muss her!“ – sagte sich die SPD 10 Jahre nach dem Mauerfall. Gravierende Veränderungen – objektive (zum Beispiel Wegfall des Systemgegensatzes)  und vermeintliche (zum Beispiel „demografisches Problem“) – seien Grund genug, die programmatische Basis neu zu bestimmen.

In der schwierigen Situation, einerseits Regierungskraft  zu sein und einen grundlegenden Wandel der Republik zu treiben, und gleichzeitig die eigene Klientel nicht offensiv vergraulen zu wollen, ist dieses Unterfangen bis heute nicht deutlich voran gekommen.

Erst unter dem Druck des Parteiprojektes links der SPD und der begonnen Programmdebatte bei der Union beschloss Anfang des Jahres die SPD Führung, den Ankündigungen endlich Taten folgen zu lassen.

Der Vorsitzende hat seine Leitsätze zur Programmdebatte vorgelegt, die sich zwar sehr nett lesen, aber im Wesentlichen vom oben beschrieben Spagat geprägt bleiben. Entsprechend windelweich und unkonkret sind sie und stellen eine Abkehr vom Berliner Programm dar und betreiben die Aufweichung der Programmatik der Partei.

In Köln …

wurde zu Beginn des Jahres beschlossen, diese Debatte mit Arbeitsgruppen zur inhaltlichen Erarbeitung unserer Positionen zu begleiten und diese dann in diesem Herbst auf einem Parteitag zu beschließen. Ursprünglich hätte zu diesem Zeitpunkt schon Positionen und Entwürfe der Bundesebene vorliegen sollen. Da aber der Zeitpunkt der abschließenden Beschlussfassung auf Bundesebene um ein Jahr auf Ende 2007 verlegt wurde, hatte der Unterbezirksparteitag in Köln am 28. Oktober nun ungeplant den Charakter einer Auftaktveranstaltung zum Beschluss der Kölner Position für die Bundesebene. Eine Entwicklung, die sowohl der Arbeit als auch den Inhalten der Beschlüsse gut getan hat.

Wesentliche Eckpunkte

Die Partei hatte sich vorgenommen nicht zu allen Themen zu arbeiten, sondern zu den Themenfeldern Grundwerte, Rolle des Staates, Arbeit, Sozialstaat sowie Bildung Arbeitsgruppen zu errichten und Positionspapiere zu erarbeiten.

Diese lagen bereits Mitte September vor und enthielten zum Teil kontroverse, alternative Formulierungen. Auf dem Parteitag konnten in fast allen Fragen die – aus meiner Sicht – fortschrittlichsten Varianten eine Mehrheit finden.

Da eine ausführliche Würdigung hier deutlich den Rahmen sprengen würde, hier nur ein paar wesentliche Eckpunkte:

Grundwerte:
Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität

Freiheit ist nicht nur die Erlaubnis, etwas zu tun, sondern auch die Befähigung dazu.

Rolle des Staates

Wir wollen eine Stärkung des Staates als Instrument zur Durchsetzung der Grundwerte. Er muss besser ausgestattet werden (Wiedereinführung Vermögenssteuer angemessene Mehrbelastung der Gewinne und Umsätze). Grundlage des gesellschaftlichen Wohlstandes ist die Arbeit. Der Staat muss dem den Konflikt mit den Interessen des Kapital aufnehmen.

Arbeit

(Erwerbs-)Arbeit ist zentral für die Gesellschaft und die Individuen, wir halten daher am Ziel der Vollbeschäftigung fest. Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung ohne bestimmtes Ziel ( der Antrag die 30 Stunden-Woche als Orientierung wie im Berliner Programm zu erhalten, fand keine Mehrheit), Verbot von Zeit- und Leiharbeit, Ausbildungspflicht. Forderungen nach gesunden, unfallfreien und altersgerechten Arbeitsplätzen. Abbau von Repression gegen Arbeitslose.

Schaffung von Mindestlöhnen durch Allgemeingültigkeitserklärung von Tarifverträgen ( die Position, gesetzliche Mindestlöhne einzuführen, wurde nur knapp abgelehnt; der Vorschlag Kombilöhne zuzulassen bekam nur eine Hand voll Stimmen).

Ausbau der Mitbestimmungsrechte in den Unternehmen, des Kündigungsschutzes, sowie die Schaffung Europäischen Arbeitskampf- und Tarifrechtes.

Sozialstaat

  • Ausbau der Leistungen „quer Beet“ (Gesundheit, Rente, öffentliche Angebote,…)
  • Finanzierung durch Wiederherstellung der Parität, stärkerer Belastung der Unternehmen sowie Einbeziehung  aller Einkommen.
  • Ausdrückliche Ablehnung der Erweiterung der Individuellen Vorsorge.
  • „Solidarische Alterssicherung für alle“ (allerdings unter Beibehaltung der Beitragsbemessungsgrenze).
  • Bürgerversicherung im Gesundheitswesen.

„Zudem gilt, dass weder Arbeit, Bildung und Kultur, noch Ernährung, Wasser- oder Energieversorgung, Wohnen und Gesundheit sowie das staatliche Gewaltmonopol dem Profitprinzip unterworfen werden dürfen. Deswegen sollen Unternehmen und Einrichtungen der Daseinsfürsorge in öffentlicher Hand sein. Eine Privatisierung muss gesetzlich ausgeschlossen werden.“

Bildung

  • Ausbau des Angebotes zur Förderung von Kindern, insbesondere auch Angebote für Kleinstkinder ab der Geburt.
  • Besondere Angebote für Sozial Schwache.
  • Einheitliches Schulsystem bis zur 10. Klasse, mit Ganztagesangebot.
  • Kostenfreie Bildung für alle – keine Studiengebühren.

Diese Eckpunkte – so oberflächlich sie sein mögen – machen eins deutlich:

Die Kölner SPD will in ihrer großen Mehrheit keine Fortsetzung der Regierungspolitik. Sie steht für eine sozialere Variante der Gesellschaftsentwicklung.

Selbst der Versuch, die SPD als „die Partei der Sozialen Marktwirtschaft“ definieren zu wollen, ist abgewiesen worden. Statt dessen beschloss der Parteitag: “Die Perspektive eines demokratischen Sozialismus hat für die Sozialdemokratie unverändert Gültigkeit.“

Auf wenn man dies – mit einiger Berechtigung – als Symbolismus abtun kann, bleibt doch die Wahrnehmung, dass immer mehr Genossinnen und Genossen in Widerspruch geraten. In den Widerspruch zwischen dem, was wir an gesellschaftlicher Entwicklung sehen, und dem was sie wollen.

Ob dieser Widerspruch, der offensichtlich Zweifel am neoliberalen Mainstream erzeugt, sich mit den anderen Ansprüchen an die Politik der SPD nun auch praktisch in anderer Politik nieder schlägt, wird auch davon abhängen, ob es den Linken in und außerhalb der SPD gelingt, diese Impulse aufzugreifen und in konkreten politischen Initiativen weiter zu führen.