Die designierte Umweltpolitik der Schröder-SPD

Zunächst vorweg: garantiert wird gar nichts. „Deutschland wird Ideenfabrik“ ist der vierte gute Grund, SPD zu wählen. Ob etwas Ökologisches dabei herum kommt, steht bis auf weiteres auf keiner Garantiekarte. Derweil betreibt Schröder die Negation sozialdemokratischer Umweltpolitik als Wahlkampfstrategie.

Beispiel Tempolimit:

Selbstverständlich gehört ein Tempolimit auf Autobahnen zu einer vernünftigen Verkehrspolitik der SPD – explizit festgehalten im Grundsatzprogramm. Daß sich Schröder dagegen ausspricht, ist billige Profilierung nicht nur auf Kosten des mutmaßlichen grünen Regierungspartners, sondern insbesondere zu Lasten der eigenen Partei.

Beispiel Atomenergie:

Es hat seine Zeit gebraucht, bis Schröders Berater festgestellt haben, daß man den Atomausstieg nicht so leicht abtun kann wie ein Tempolimit. Nun rudern sie zurück. Mittels eines Konzeptes, welches zwar immer noch den Nürnberger Beschluß eines Atomausstiegs 10 Jahre nach Regierungsantritt über Bord wirft, welches aber ein wirkungsvolles Druckmittel auf die Energiekonzerne aufgreift: Die Atomentsorgungsrücklagen. Diese müßten die Konzerne teilweise auflösen, wenn der Bundestag die Wiederaufbereitung von Atommüll im Ausland gesetzlich verböte.

Mit diesem Druckmittel möchte Schröder einen Atomausstieg im Konsens aushandeln, der alte – bereits abgeschriebene – Kernkraftwerke binnen Kürze abschaltet, neuere jedoch noch bis zu 25 Jahren am Netz läßt. Und er möchte kraftwerksnahe Zwischenlager genehmigen, die die gerade für eine rot-grüne Regierung ärgerlichen Castor-Transporte überflüssig macht. Obwohl ein zügiger Atomausstieg natürlich ein sofortiges Angehen der Entsorgungsfrage voraussetzt.
Schröder geht davon aus, daß Erdgas den wegfallenden Atomstrom ersetzen soll. Und zwar alleine. Als ob man nach dem Atomausstieg die Energiefrage für gelöst ansehen könnte. Und als ob es sonderlich klug wäre, zwei Dutzend Gaskraftwerke zu schaffen, zwei Dutzend kleine Bollwerke gegen einen solaren Umbau, die über Jahrzehnte Strom produzieren werden, um ihre Abschreibungskosten zu erwirtschaften. Das ist ihm vorzuwerfen, viel mehr als die zu lange Zeitperspektive für den Ausstieg. Den Atomausstieg vom solaren Umbau zu trennen, ist denkbar unsinnig, will man nicht eine Etappentheorie der Energiepolitik begründen. Die SPD hat der Bundesregierung in der Vergangenheit regelmäßig vorgeworfen, daß sie ihren Verpflichtungen für eine Reduktion der CO2-Emissionen nicht nachkommt. Im Schröder-Programm findet das Thema CO2-Emissionen nicht statt. Würde man also alle steuerlichen und gesetzgeberischen Druckmittel gegen die Stromkonzerne nutzen, um mit dem Atomausstieg einen Solareinstieg zu erwirken, dann könnte man auch über Schröders Zeitperspektive neu diskutieren. Dafür müßte es jedoch ein Wahlprogramm geben, welches über die bedeutungsschwangere Formel, „die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich (zu) beenden“, hinausginge.

Das zentrale Problem schröderscher Umweltpolitik liegt im Ansatz. Das fundamentale Ziel des ökologischen Umbaus ist es nicht, „daß die deutsche Wirtschaft beim Export von Ideen, Dienstleistungen und High-tech-Produkten für Umweltschutz und Energieeinsparungen weltweit den ersten Platz erreicht“ (SPD-Wahlprogramm). Das Grundsatzprogramm führt aus, daß ökologische Probleme die soziale Frage verschärfen. Und die Kohlsche Politik hat gezeigt, daß starke Exporte das strukturelle Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht zu lösen vermögen. An diesen Realitäten kommt auch die SPD nicht vorbei, sie muß eine strukturpolitische Antwort auf die Frage geben, was die Gesellschaft mit der durch fortschreitende Rationalisierung freiwerdenden Arbeitskraft anfangen möchte. Ökologischer Umbau ist eine der zentralen Antworten.

Zu dessen Unterstützung ist auch eine ökologische Steuerreform notwendig – im Sinne der „Crossover“-Thesen(1) etwa. Allerdings keine Rumpfkonzeption wie im Schröder-Wahlprogramm der SPD, dessen primäres Ziel die Senkung der Lohnnebenkosten ist, und das mit der chemischen Industrie eine der besten Wirkungsfelder ausnimmt, ohne sie (wie in Dänemark) zu ökologischen Investitionen zu verpflichten. Das ist ungefähr so wirkungsvoll wie ein Tempolimit nur für Radfahrer.

Am 27. September wird hoffentlich die Mehrheit für eine rot-grüne Bundesregierung zustande kommen. Aber wohl leider für eine Regierung ohne ein Programm, mit der sie die sich ihr stellenden Probleme zu lösen vermag. Keine leichte Aufgabe für die Linke also, die notwenigen Diskurse anzustoßen.(2)

Volker Jacobsen, stellv. Vorsitzender der Kölner Jusos

Anmerkungen:

  1. „Crossover“ ist ein gemeinsames Projekt dreier Zeitschriften: der links-grünen „Andere Zeiten“, der PDS-nahen „Utopie kreativ“ und der spw. Im spw-Heft 102 vom Aug. 1998 werden die überarbeiteten Thesenpapiere eines gemeinsamen Kongresses vom Dez. 1997 dokumentiert.
  2. Zumal auch die spw in ihrem aktuellen Heftschwerpunkt versucht, eine fortschrittliche Innovationsdebatte anzustoßen – ohne ein Wort zum Thema Ökologie zu verlieren.