Herbstkampagne 04

von ASTRID KRAUS und HANS GÜNTER BELL

Die Rückwärtswende

Was derzeit in der BRD unter dem verharmlosenden Label „Umbau des Sozialstaates“ von einer Allianz aus Regierung, Opposition, Arbeitgeberverbänden und Vermögensbesitzern betrieben wird, ist tatsächlich die Perversion des Sozialstaates: Konsequente Umverteilung von unten nach oben, Einführung eines gesetzlichen Arbeitszwangs für Erwerbslose bei gleichzeitiger Lockerung des Kündigungsschutzes, Verlängerung der Arbeitszeit bei gleich bleibender Bezügen und so fort – ein wahrhaft anti-emanzipatorisches Programm, das kompromisslos auf Kapitalverwertungsbedürfnisse orientiert und sich einen Dreck um die Bedürfnisse von Menschen schert. Die in über einem Jahrhundert in harten Auseinandersetzungen erkämpften Errungenschaften des Sozialstaates sollen mit wenigen Federstrichen einfach wieder abgeschafft werden – die wahren Rückwärtsgewandten sitzen in Politik und Wirtschaft.

Verlust der Sicherheit

„Aktivierender Sozialstaat“ heißt: Es gibt keine Sicherheit mehr. Wer keine Arbeit hat, hat kein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft, das gilt in besonderem Maß für MigrantInnen, die durch den Wegfall der Arbeitslosenhilfe verstärkt von Abschiebung bedroht sind. Wer noch Arbeit hat, kann jederzeit betroffen werden. Die berechtigte Bedrohung vor sozialem Absturz wird ausgenutzt, um den noch Erwerbstätigen Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen abzupressen. Die Umsetzung von „Hartz IV“ macht Prekarität zum Normalzustand.

Proteste weiten sich aus

Das wird von vielen Menschen genauso verstanden. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren Empörung und Ablehnung gegenüber einer unsozialen Politik so groß wie heute. Die von Basisgruppen initiierte erfolgreiche Demonstration am 1.11. im vergangenen Jahr war der Auftakt einer Reihe von öffentlichen Protesten gegen den sozialen Kahlschlag. Am 3.4. waren 1 Million Menschen auf der Straße, die dem Aufruf eines Bündnisses von Gewerkschaften über Sozialverbände, Erwerbsloseninitiativen, sozialer Bewegung und kirchlichen Kreisen folgte, ein Bündnis, das es in dieser Breite vorher nicht gegeben hat. In den Montagsdemonstrationen entlädt sich gerade in Ostdeutschland die Wut von Betroffenen unmittelbar und direkt, der Funken ist auch auf den Westen übergesprungen. Ein Durchbruch gegen „Hartz IV“ ist noch zwar noch nicht erzielt worden, die kleineren Zugeständnisse lassen aber die Nervosität der Regierung – trotz der ostentativ zur Schau getragenen Ruhe – recht deutlich werden.

In dieser Phase spontaner Proteste sind Ungleichzeitigkeiten und Vielfältigkeit bis hin zu ungeklärten Widersprüchlichkeiten bei den Aktionen unvermeidlich und dürfen deshalb nicht überinterpretiert werden.

Die Rolle von Attac

Attac hat sich von vorne herein klar gegen die Agenda 2010 und „Hartz IV“ positioniert. Immer schon war aber bei Attac die Überzeugung vorherrschend, dass die ausschließliche Orientierung auf Auseinandersetzungen mit tagespolitischen Themen zu kurz greift. Nach wie vor ist das Ausgangsmotto von Attac „eine andere Welt ist möglich“ aktuell. Wie andere auch, hält Attac einen grundlegenden politischen Richtungswechsel für nötig.

Statt Privatisierung und Zerstörung sozialer Sicherung fordert Attac:

  • Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am gesellschaftlichen Reichtum für alle hier Lebenden – ob sie Arbeit haben oder nicht, d.h. Grundeinkommen und Mindestlöhne, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen;
  • Steuergerechtigkeit und Umverteilung der gigantischen Vermögen und Gewinne;
  • deutliche Arbeitszeitverkürzung;
  • Reform der sozialen Sicherungssysteme auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Solidarität.

Die Veränderung der Ausrichtung Politik in der Bundesrepublik wird nicht ohne Auswirkungen auf europäischer Ebene möglich sein, auch hier gilt es, verbindliche Sozialstandards einzuführen und endlich mit der Harmonisierung der Steuersysteme zur Sicherung einer ausreichenden Finanzierung öffentlicher Daseinsvorsorge Ernst zu machen.

Doch politischer Erfolg hängt immer von den realen Machtverhältnissen ab. Große Teile der Bevölkerung sind immer noch fest davon überzeugt, dass öffentliche Leistungen zurückgefahren werden müssen, damit der Sozialstaat finanzierbar bleibt, Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen Mehrbeschäftigung schaffen und Unternehmen auf Steuerentlastungen mit Mehrinvestitionen reagieren. Die Bekämpfung des neoliberalen Aberglaubens ist ein langfristiges Projekt. Alleine ist Attac hier nicht stark genug, es geht darum, Bündnisse einzugehen um andere Positionen in den Diskurs einzubringen. Auch Protest bleibt, wenn nur vereinzelt und zusammenhanglos auftritt, ohne große Wirkungen.

Deshalb ruft Attac in diesem Herbst mit den kritischen Teile aus Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden, mit Erwerbsloseninitiativen, Betroffenen zu Aktionen auf, die den Akteuren den Freiraum geben, sich in für sie adäquater Form einzubringen. Es geht dabei nicht um Zwangsvereinheitlichung von Forderungen unterschiedlicher organisatorischer Zusammenhänge oder die Allgemeinverbindlichkeitserklärung bestimmter Protestformen, es geht vielmehr darum, dass sichtbar wird, dass unterschiedliche Milieus in gemeinsamen Aktionen nicht nur für die Abschaffung von „Hartz IV“, sondern für einen politischen Richtungswechsel einstehen.

Attac wird sich aktiv an den Protesten in den kommenden Monaten beteiligen – mit eigenen Initiativen und in Bündnissen, mit Aufklärungsarbeit, Straßenaktionen und zivilem Ungehorsam. Attac unterstützt n die Montagsdemonstrationen in Ost und West. Diese Aktionen sind eine mit der Wende begründete Tradition politischen Engagements und eine Bereicherung demokratischer Protestkultur. Sie sind ein guter Auftakt zu einem heißen Herbst in der ganzen Bundesrepublik. Attac wird zu der Demonstration am 2.10. in Berlin aufrufen und sich an der Demonstration am 6.11. in Nürnberg beteiligen. Am Buß- und Bettag (17.11.), den wir uns als Aktionstag wieder aneignen wollen, sind vielfältige Aktionen und Proteste geplant.

Die Planungen des „Bündnis Soziale Bewegung Köln“

Auch in Köln laufen die Vorbereitungen, um einen Beitrag zu diesen bundesweiten Protesten leisten zu können. So plant das „Bündnis Soziale Bewegung Köln“, an dem u.a. Attac und das Sozialistische Forum Rheinland beteiligt sind [vgl. Beitrag: Aktion: „Sozialraub Stopp!“], eine eigene Kampagne mit folgenden Bestandteilen:

  • Infoveranstaltung zu „Hartz IV“ (Anfang Oktober)
  • Infotische in den Fußgängerzonen der Kölner Innenstadt und den Einkaufstraßen der Stadtbezirke (Oktober und November)
  • kreative Aktion am 17. November
  • Infoveranstaltungen zu den wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Alternativen zur rot-grünen Regierungspolitik (Dezember)

Wir hoffen, dass sich in den nächsten Wochen weitere Organisationen dem Bündnis anschließen werden, und die Proteste auch dadurch eine noch breitere Basis erhalten werden. Zudem erwarten wir, dass am 17. November auch andere Organisationen in ihrer je eigenen Art und Weise gegen den Sozialabbau der Bundesregierung protestieren werden. Gerade die Vielfalt der Aktionen kann und soll dem gemeinsamen Anliegen Nachdruck verleihen: Für soziale Gerechtigkeit und einen zukunftsfähigen Sozialstaat.

 

Weitere Infos unter:

http://www.alle-gemeinsam-gegen-sozialen-kahlschlag.de

http://www.verdi.de/nrw/lbz/buendnis_soziale_bewegung