Juso-Bundeskongress ´98

Mit Macht umfairteilen !

Diesmal also im Niederrhein. Die ehemalige Zeche Zollverein in Essen war die (zugegeben schöne) Kulisse für den Bundeskongreß der Jusos 1998, der dort vom 27. bis 29. März stattfand.

Das Agieren des Bezirkes Niederrhein jedoch war schon am Freitag abend alles andere als schön, als die maßgebliche inhaltliche Debatte dieses Kongresses stattfand. Vier Anträge zur Beschäftigungspolitik waren in einem dann 40seitigen Konsensantrag der Juso-Linken-Bezirke Mittelrhein, Hannover und Westliches Westfalen sowie Bayern zusammengeflossen.

Bei der auch in der Juso-Linken Mittelrhein umstrittenen Frage der staatlichen Subventionierung von Arbeitszeitverkürzung konnte sich eine Kompromißformel durchsetzen: In der Regel sollen aufgrund der Gewinnsituation der Unternehmen keine Subventionen gewährt werden, nur bei gefährdeten Branchen können befristet Subventionen gezahlt werden, um Arbeitszeitverkürzung zu ermöglichen. Dieser von unserem Bezirk formulierte Kompromiß fand breite Zustimmung in der Juso-Linken, nur der Bezirk Rheinland-Hessen Nassau (RHN) hielt an der „reinen Lehre“ Frank Wilhelmys1 fest, so daß die Auseinandersetzung auf dem Kongreß ausgetragen wurde und sich der Niederrhein nicht entblödete, sich allen inhaltlichen Differenzen zum Trotz den GenossInnen aus RHN anzuschließen, um den Versuch zu unternehmen, der Juso-Linken eine Niederlage zu bereiten. Glücklicherweise ging die Rechnung nicht auf.

Mehrere DiskussionsrednerInnen unseres Bezirkes machten klar, daß Arbeitszeitverkürzung nicht das Allheilmittel sei und viele andere richtige Dinge wie ein Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP), ein öffentlicher Beschäftigungssektor, die Koordinierung europäischer Beschäftigungspolitik, eine Steuerreform und damit Umverteilung in dem Antrag stehen, die erst im Paket eine Chance auf Vollbeschäftigung bieten.

Der Samstag wurde von Oskar Lafontaine und den Fernsehkameras geprägt. Mit einer inhaltlich durchaus guten, wenn auch nicht mitreißenden Rede nutzte Lafontaine den Bundeskongreß, um eigene Akzente zu setzen. Nach seinem Bekenntnis zur „Programmpartei“ und dem Beschwören eines inhaltlichen Wahlkampfes mit sozialdemokratischem Profil war ihm der Beifall des Bundeskongresses sicher. Die Jusos machten jedoch klar, daß er diese Positionen durchaus hätte stärker beim Erstellen des Regierungsprogramms berücksichtigen können. Die Chancen auf eine Konkretisierung durch zukunftsfähige Positionen wie ein ZIP, Arbeitszeitverkürzung oder Umverteilung auf der „Krönungsmesse“ für Gerhard Schröder in Leipzig stehen schlecht, und den Entwurf hatte die BILD eher als der Parteivorstand. Da war es richtig, von „Verarschung“ (Andrea Nahles) zu sprechen. Lafontaine auf Bundeskongressen ist immer wieder schön – wenn er deutliche Worte gegen den Neoliberalismus findet- und schlimm – wenn man seine Politik an den meisten der anderen Tage im Jahr sieht.

Die Diskussion um die „Kampagnenplattform“ für die zukünftige Arbeit der Jusos war schwach. Es lagen zwei ungenügende Papiere vor aus Reihen der Juso-Linken und aus Hessen-Süd. Wenn auch viel Richtiges in dem letztlich gefaßten Beschluß steht, viel Überflüssiges ist immer noch dabei. Der Anspruch, „die Welt zu erklären“ (Benny Mikfeld), wurde wiederum nur unzureichend eingelöst. Für den Wahlkampf wurde allerdings ein tragbares Konzept gefunden. Die „Jugendlinke“ wurde stillschweigend begraben, die Bündnisse mit den Gewerkschaften – dank unserer Intervention – wieder stärker in den Vordergrund gerückt und konkrete Felder der Auseinandersetzung mit einer rot-grünen Regierung formuliert, daher ist die Plattform als Arbeitsgrundlage gut brauchbar.

Der Rest des Kongresses verlief langweilig. Die Bildungsdebatte wie die über Medien lief an den Delegierten vorbei. Es ist sehr ärgerlich, daß der Cuba-Antrag unseres Bezirkes wegen zahlreicher Verzögerung im Kongreßablauf nicht behandelt wurde. Es hätte den Jusos gut zu Gesicht gestanden, sich bei allen Problemen und Aufregungen ob des zu erwartenden Wahlsieges über den Tellerrand Deutschlands und die engen Grenzen von Europa zu schauen. Der internationale Gedanke kam bei diesem Kongreß zu kurz – hoffentlich kein Omen für die Zukunft der Jusos.

Christoph Vietzke

(1) vergl.: Frank Wilhelmy, Staatsflankierung von Arbeitszeitverkürzung. Neue Strategien arbeitszeitorientierter Beschäftigungspolitik; in: spw, Ausgabe 4/97, S. 42 ff.