Modellprojekt des Dritten Weges – 5 Jahre Rot-Grün in NRW

von Daniel Kreutz, MdL-NRW, B’90/Grüne

Die gebotene Kürze erlaubt kein fein ziseliertes Panorama-Gemälde von fünf Jahren rot-grüner Regierungspolitik, sondern zwingt zu pointierter Verallgemeinerung.

In NRW fand der Probelauf des Projekts der Neuen Mitte statt, mit dem Rot-Grün mittlerweile von Berlin aus die Republik und Euroland beglückt. Nicht zufällig war es ein Schwergewicht aus NRW, das Tony Blairs Dritten Weg für Deutschland adaptierte und als Ghostwrighter des Schröder/Blair-Papiers die Richtung wies: Bodo Hombach. Sein „Genosse Gnadenlos“ Wolfgang Clement zog schon die Strippen, als noch die Symbolfigur der „sozialdemokratischen Ära“, Johannes Rau, den Landesvater gab. Nachdem die Kapitulation der Grünen beim höchstrangigsten ihrer Landesthemen (Garzweiler II) die Domestizierung der vormaligen öko-sozialen Linkspartei besiegelt hatte, folgten sie MP Clement auf neoliberalen Kurs. Selbst Möllemann nahm dessen Regierungserklärung mit Wohlgefallen auf. Die Regierungspolitik konzentriert sich auf Dienstleistung für die Wirtschaft, auf Stärkung des Standorts NRW im europäischen Wettbewerb gegen Schwächere.

Bio- und Gentechnik-Offensive statt Technikfolgeabschätzung. Call-Center-Offensive zur Förderung von Outsourcing, Tarifflucht und Sonntagsarbeit. Übernahme der FDP-Linie beim Ladenschluss. Demontage des Bildungsurlaubsrechts der ArbeitnehmerInnen. Arbeitszeitverlängerung für LehrerInnen und Werbung für Arbeitszeitflexibilisierung statt -verkürzung. Konsens statt Konflikt mit dem Kapital – ob „Mittelstand“ oder Großindustrie. Heißluft und Schaumschlägerei im „Ausbildungskonsens“ statt Umlagefinanzierung der Berufsausbildung (Wer nicht ausbildet, muss zahlen!) zur Behebung der Ausbildungskrise. Umbau der Arbeitsmarktpolitik zur Personaldienstleistung für Arbeitgeber. Mit „Fördern und Fordern“ wird dafür geworben, dass Erwerbslose, die Pflichtarbeit verweigern, ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben verwirken. Per NRW-„Bündnis für Arbeit“ Einstieg in die Niedriglohnstrategie.

Der Sozialstaat soll billiger werden: Sparpolitik gegen Kindergärten. Deckung der repressiv-autoritären „Weiterentwicklung“ der kommunalen Sozialhilfepolitik. Kürzung des Blindengelds. Massenhafter Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst des Landes. Umbau öffentlicher Infrastrukturen – auch im Sozial- und Bildungswesen – nach dem Vorbild kapitalistischer Märkte. Schleifung früherer sozialdemokratischer Reform-Errungenschaften in Schule und Hochschule zwecks perspektivloser Mangelverwaltung. (Ein Green-Card-Apercu: Wegen der Sparpolitik des Landes sah sich die Uni Dortmund zur Einstellung des IT-Studiengangs gezwungen.) Die 2. Stufe der „Verwaltungsreform“ ließ der Zerschlagung des früheren „Sozialstaatsministeriums“ (MAGS) nun die Liquidierung der eigenständigen Landessozialbehörden (Versorgungsverwaltung) folgen.

Expansionskurs bei Luft- und Straßenverkehr statt ökologischer Verkehrswende. Energiepolitisches „Weiter so!“ mit allem notwendigen Genehmigungsschritten für Garzweiler II statt Energiewende für Umwelt und Arbeit. Beschränkung von „Öko“-Politik auf Felder, die die Wirtschaft nicht stören, sondern zu gesamtwirtschaftlichem Profitwachstum beitragen. Kein Wunder, dass sich die NRW-Umweltverbände zu scharfer Kritik genötigt sahen.

Nicht nur die Flüchtlingspolitik läuft im Konsens mit Bayern. Die Achse Clement-Stoiber hat bundesweiten Ruf, wenn es darum geht, die Bundesregierung zur maximalen Erfüllung der Begehrlichkeiten von Kapital- und Vermögensbesitzern zu drängen – ob bei 630-Mark-Jobs, bei der so genannten „Ökosteuer“ oder bei Steuerentlastungen für Unternehmen und Unternehmer.

Apropos Steuern: Wenn denn die vielbeschworenen „leeren Kassen“ des Landes sozialen Abbau erzwingen und ordentliche Schulen und Hochschulen nicht mehr möglich machen, müßte eine verantwortliche Landesregierung alle Register ziehen, um den Bund dazu zu bewegen, mittels Sozialpflichtigkeit des Eigentums den gigantischen privat(isiert)en Reichtum von Unternehmen und Vermögenden angemessen heranzuziehen. Doch die Landesregierung kämpft an der Steuerfront für das Gegenteil: stärkere Entlastung statt Belastung der Besitzenden.

Noch vor Schröder haben die regierenden Spitzen der NRW-SPD in atemberaubender Geschlossenheit aufgehört, „sozialdemokratisch“ zu sein. Wo sie sich noch auf Interessen von ArbeitnehmerInnen und „kleinen Leuten“ beziehen, handelt es sich um machtpolitischen Klientelismus und Demagogie. Die Treueschwüre gegenüber den Braun- und Steinkohlekumpels und den Beschäftigten der Großkraftwerke gelten in Wahrheit ihren Arbeitgebern, die den Arbeitsplatzabbau vorantreiben. Gleiches gilt für die großmäuligen beschäftigungspolitischen Versprechungen der diversen „Offensiven“ in der Wirtschaftspolitik: gefördert werden Arbeitgeber. Indem man aus den Gewerkschaften diejenigen hätschelt, die sich zur Beutegemeinschaft mit „ihren“ Arbeitgebern bekennen, während jeder Ansatz konfliktbereiter kollektiver Interessenvertretung als unanständig gilt, fördert man die Übernahme der Gewerkschaften durch „Modernisierer“, die den beinharten Klassenkampf von oben für „Sozialpartnerschaft“ halten. Unter den gesellschaftlichen Kräften im Land, die sich sozialer Gerechtigkeit verpflichtet fühlen, verbreitet die Landesregierung ein Klima von Opportunismus und Resignation. Derweil wandelten sich die NRW-Grünen zur „neuen FDP im Westen“; zunächst durch „Mitregieren um jeden Preis“, jetzt aber auch durch programmatische Neuausrichtung. So dreht sich die „Regierungsfrage“ des 14. Mai nur noch um die Beilagen zum neoliberalen Hauptgericht. Wer immer in welcher Konstellation regiert, die Richtung der Politik führt weiter weg von sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und Emanzipation. Bestrebungen für eine solche Gesellschaftsalternative müssen sich neue Wege bahnen.

Daniel Kreutz: 45 Jahre, gelernter Maschinenschlosser, seit 1990 Abgeordneter des Landtags NRW, wirtschafts- und sozialpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion