„Nichts besser, aber einiges anders!“

Zur Auswertung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierung

Am 27. Februar trafen sich einige GenossInnen auf Einladung des Forums spw-Rheinland, um nach einem fachkundigen Referat von Daniel Kreutz (ehem. grüner MdL-NRW, jetzt Referent beim Sozialverband Deutschland – LV NRW) über eine Bilanz der rot-grünen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu diskutieren. Im Folgenden eine geraffte Zusammenfassung von Daniels Referat und einige Stichworte zur Diskussion.

Vorbemerkung

Im Gegensatz zu Frankreich, war der Regierungswechsel zu Rot-Grün nicht Ausdruck eines gemeinsamen Reformprojektes. Dennoch knüpften sich – vergleichsweise gedämpfte – Erwartungen vor allem an Oskar Lafontaine. Auch die Ankündigung Schröders, die Massenarbeitslosigkeit signifikant zu senken, weckte Hoffnungen. In der Tat gab es zu Beginn auch einige Rücknahmen der schlimmsten Maßnahmen:

  • Reduzierung der Zuzahlung bei der Gesundheitsversorgung
  • Zahnersatz für junge Menschen
  • Schlechtwettergeld
  • Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
  • Rücknahme der Blümschen Rentensenkung

Aber nach dem Bruch zwischen den „Traditionalisten“ um Lafontaine und den „Erneuerern“ unter Schröder setzte sich endgültig das Konzept der „Neuen Mitte“ durch.

Arbeitsmarktpolitik

Die Arbeitsmarktpolitik fand im Rahmen der angebotsorientierten Wirtschaftspolitk statt und war vom „runter mit den Lohnnebenkosten“-Dogma und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes geprägt. Bereits unter Kohl jahrelang praktiziert, hat dieses Konzept statt Arbeitslosigkeit abzubauen nur die Umverteilung nach oben beschleunigt. Trotzdem wurde es wieder aufgelegt:

  • Mit der Faulenzerdebatte werden die Opfer zu Tätern gemacht und wurde Akzeptanz für die „aktivierende Sozialhilfe“ geschaffen. Dieses Konzept verspricht Reintegration der Arbeitslosen, was aber höchstens über „bad jobs“ geht. Durch diese Abdrängung von Arbeitslosen in schlechte Arbeitsgelegenheiten und die verschärften Zumutbarkeitsregeln stellt diese Form des „Fördern und fordern“ vielmehr eine Anspruchsvernichtung dar, ohne echte Perspektiven zu bieten.
  • Eine zunehmende Konzentration auf die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit soll Erfolge vorspiegeln. Dieses „creming the poor“ bedeutet darüber hinaus eine Abkehr von den voll Bedürftigen und schwer Vermittelbaren.
  • Im Kombi-Lohn-Modell, das auf Ideen der CDU zurückgeht, sieht die Regierung nun den großen Wurf, auch wenn nach optimistischen Modellrechnungen höchsten 30.000 Jobs dabei herauskommen und eine Umfrage unter Unternehmen in NRW gerade 187 gemeldete Stellen ergab.

Diese Maßnahmen generieren einen Tariffahrstuhl, da sie von unten Sog auf die Tarife ausüben.

Die geplante Integration von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wird zu weiteren Absenkungen der Leistungen und verschärften Zumutbarkeitsregeln führen. Das dadurch erhöhte Abschreckungspotential der Arbeitslosigkeit wird den Druck auf die Beschäftigten erhöhen und zu noch willfährigeren Belegschaften führen.

Auch die heftig diskutierte Integration der 630-Mark-Jobs in die Sozialversicherung stellt keine wirkliche Re-Regulierung dar, da sich unterm Strich nicht viel verändert hat: Die Sozialbeiträge sind durch den Verzicht auf die Pauschalsteuer gegenfinanziert und es entsteht kein Rentenanspruch.

Außerdem sind befristete Arbeitsverträge immer noch erlaubt.

Sozialhilfe (nur Hilfe zum Lebensunterhalt)

Die Politik der Bundesregierung zeichnet sich hier vor allem durch Unterlassung aus. Das Bedarfsdeckungsprinzip wurde nicht wieder eingeführt, vielmehr wird an der Netto-Renten-Bindung festgehalten. Die Armen werden durch den Ausbau armutspolizeilicher Rechte intensiver beschnüffelt. Gleichzeitig baut der Bund die Möglichkeit zu Pauschalierungsexperimenten in den Kommunen aus, die nicht freiwillig sind und durchschnittlich eine Leistungssenkung bedeuten.

Das ehemals linke Projekt der bedarfsorientierten Grundsicherung wird uminterpretiert und als Zugangserleichterung in die Sozialhilfe realisiert. Konsequenterweise stellt die Bundesregierung Sozialhilfeempfänger als Nicht-Arme dar. Auch der Reichtums- und Armutsbericht der Bundesregierung beschreibt die Sozialhilfe als Grundsicherung und Sozialhilfebezug ans Indikator für bekämpfte Armut.

Pflege

Trotz der sehr hohen Gesetzesdichte sind die substanziellen Probleme der Pflegeversicherung nicht angegangen worden.

  • Nach wie vor fehlt die paritätische Finanzierung.
  • Die Pflegepauschalen decken nicht die realen Kosten, sind eher eine Grundversorgung.
  • Es fehlt eine Gesamtplanung der Pflegeinfrastruktur. Ausgerechnet in diesem Feld wird die sonst immer so heftig geführte Debatte um demographische Entwicklungen ausgeblendet, mit der Folge, dass Pflegekapazitäten abgebaut werden, obwohl aktuell und perspektivisch der Bedarf wächst.
  • Die vollständige Vermarktlichung führt zu „Heimunterbringung statt ambulanter Hilfe“, im Gegensatz zum erklärten Ziel.

Das ist nur unter dem Dogma der Beitragsbegrenzung zu verstehen, dem alles untergeordnet wird. Daher beschäftigt man sich mit Symbolik wie Qualitätssicherungsgesetz und Heimstättengesetz.

Gesundheit

Nach den anfänglichen Rücknahmen der härtesten Grausamkeiten ist insgesamt nichts Neues unternommen worden. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die ’92er Reform weitergeführt wurde:

  • Fall-Pauschalen für Krankenhäuser;
  • Budgetierung für Ärzte;
  • Versuche zur Kostendämpfung durch Regulierung (z.B. Positivliste) sind gänzlich gescheitert, einzig die aut-idem Regelung kam zum Erfolg.

Auffällig ist, dass ausgerechnet der Bereich, in dem nach allen Studien am einfachsten und meisten zu holen wäre („Wirtschaftlichkeitsreserven“), der Pharmabereich, völlig unangetastet blieb.

Die Zukunftskonzepte der Regierung und der Opposition gleichen sich in der Grundorientierung:

  • Beitragsentlastung;
  • „mehr Eigenverantwortung“;
  • mehr Markt.

Darüber hinaus ist auffällig, dass einige Neoliberalen die Forderung der Linken nach Einbeziehung aller Einkommen aufgreifen, wobei sie dies nur auf die Arbeitseinkommen, nicht die Kapitaleinkünfte beziehen.

Daniels Fazit

Das Prinzip des Umbaus des Sozialstaates zum Wettbewerbstaat ist nicht gebrochen. Wo das endet ist offen. Ob es Sinn macht einen Kompromissversuch als Stoppunkt dagegen zu setzten ist unklar, da dies auch leicht zur Steilvorlage zur Radikalisierung des Umbaus werden kann. Gerade die Grünen betätigen sich als Motor dieser Entwicklung. Schröders Spruch, „nicht alles anders, aber vieles besser“ zu machen, ist im Sinne dieses Umbaus richtig!

Das frühere Lager einer sozial-reformerischen Linken ist aufgelöst. Von Rot-Grün einen „Lagerwahlkampf“ gegen Stoiber zu führen, wäre völlig substanzlos. Gleichzeitig ist der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit virulenter denn lange, wenn auch die Interessen der Arbeiterklasse keine zivil- oder parteipolitische Form mehr haben. Sie hat kein Sprachrohr ihrer kollektiven Interessen mehr. Die PDS, Hoffnung einiger Linker, ist nicht aufbaufähig und profitiert entsprechend von dieser Situation nicht. Die Tatsche, dass sie in Berlin zum Zwecke der Regierungsfähigkeit Konzepte wie die „Aktivierende Sozialhilfe“ mitträgt, lässt befürchten, dass sie die Anpassung an die neue Mitte noch schneller als die Grünen realisiert.

Diskussion

Die Anwesenden gehen davon, dass eine CDU-geführte Bundesregierung eine sicherlich noch schlechtere Politik machen würde. Einig war man sich angesichts der offenkundigen, bruchlosen Fortführung der neo-liberalen Politik durch die rot-grüne Regierung aber darüber, dass es sicher keine Strategie für die Mitglieder des Forum spw-Rheinland sein kann, für die SPD in den Wahlkampf zu ziehen. Auch werden keinerlei Ansatzpunkte innerhalb der SPD gesehen, die einer Strategie Chancen ließe, die auf ein „Umkämpfen“ der SPD abzielt.

Darüber hinaus gab es aber keine Verständigung darüber, was wir denn tun sollten. Die einen plädierten für einen vollständigen Rückzug aus der praktischen Politik in einer Art Überwinterungsstrategie, während andere die Aufrechterhaltung der politischen Praxis, zum Beispiel durch Aktivitäten bei ATTAC u.ä., favorisierten. Überraschenderweise (zumindest für mich) wurde nicht der Übertritt in die PDS thematisiert.

Somit machte der Abend mehr als deutlich, dass die begonnene Debatte um unsere zukünftige Politik mehr als wünschenswert und definitiv noch nicht abgeschlossen ist.

Hans Lawitzke