Schröder setzt sich durch …
Die gesamte bundesdeutsche Linke hat eine schwere Niederlage erlitten. Denn Gerhard Schröders „Agenda 2010“ wurde auf dem Sonderparteitag der SPD mit einer deutlichen Mehrheit von 80% beschlossen. Die SPD folgt mit diesem Beschluss ein weiteres Mal der falschen Auffassung, wonach niedrige Arbeitskosten, Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung notwendig zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen seien. Dabei wird kein Bereich der sozialen Sicherungssysteme verschont: die Rentenversicherung: teilprivatisiert und gekürzt; die Krankenversicherung: privatisiert und nicht mehr paritätisch finanziert; die Arbeitslosenversicherung: in der Höhe zusammengestrichen, in der Dauer gekürzt, in der Zumutbarkeit verschärft und in der Vermittlung privatisiert. Und Schröders rot-grüne Regierung hat schon angekündigt, dass dies alles erst der Anfang dessen sei, was offiziell Umbau heißt und tatsächlich brutaler Sozialabbau ist.
… und wird keines der Probleme lösen
Von den Vorsätzen der Regierung Schröder, mit der „Agenda 2010“ die Massenarbeitslosigkeit spürbar zu reduzieren, den Sozialstaat den Anforderungen der Zukunft anzupassen und hierbei soziale Gerechtigkeit walten zu lassen, wird kein einziger umgesetzt. Im Gegenteil: Die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen werden verschlechtert: als Rentner, Kranke, Arbeitslose, aber auch als Beschäftigte, denn Sozialabbau verschlechtert die Verhandlungsposition der Beschäftigten gegenüber dem Kapital. Und auch die Arbeitslosigkeit wird durch die „Agenda 2010“ nicht reduziert werden. Eine Stärkung der Exportorientierung der bundesdeutschen Wirtschaft über eine Senkung der Lohn(neben)kosten ist nicht nur kaum möglich, sondern auch schädlich, weil sie mit einer weiteren Schwächung der Binnennachfrage verbunden ist. Ohne eine Stärkung der Binnennachfrage ist jedoch der Ausweg aus der momentanen Krise nicht zu schaffen. Hierzu braucht es u.a. eine Stärkung der sozialen Transferleistungen, keine Kürzung! Es steht daher zu befürchten, dass die Arbeitslosigkeit noch weiter ansteigt.
Wenn Untaugliches sich durchsetzt …
Es stellt sich die Frage, warum es der Regierung Schröder gelingt, unsoziale und die Beschäftigungsproblematik nicht lösende Konzepte in der Gesellschaft durchzusetzen. Sicher: Die etablierten Parteien, die bürgerliche Wissenschaft wie auch die große Mehrzahl der Medienunternehmen werden nicht müde, neoliberale Vorschläge, die nur den wenigen BezieherInnen hoher Kapitaleinkünfte nutzen und den vielen früheren, heutigen und künftigen Lohnabhängigen schaden, als der gesamten Gesellschaft zugute kommende Maßnahmen zu vermitteln. Doch dies allein kann noch nicht erklären, warum es der Linken so schwer fällt, alternative Politik durchzusetzen.
Eine Rolle spielt hier Ideologie im Sinne eines notwendig falschen Bewusstseins der Menschen, das aus den Verhältnissen des Kapitalismus entspringt. Einzelwirtschaftlich betrachtet, stellt der Lohn den Preis für die Inanspruchnahme der Arbeitskraft durch das Kapital dar. Doch anders als bei manchen Waren erfolgt durch die Verbilligung der Ware Arbeitskraft eben nicht eine erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften. Denn die Löhne der Arbeitskräfte stellen gesamtgesellschaftlich auch Kaufkraft dar, die erforderlich ist, um die produzierte Warenmenge abzusetzen. In ihrer individuellen Position im Betrieb nehmen die Menschen diesen kreislauftheoretischen Zusammenhang jedoch nicht direkt wahr, auch wenn er unzweifelhaft besteht. Unternehmensnahe Positionen haben mit dieser individualistischen Fehldeutung nicht nur kein Problem, sondern auch ein Interesse daran. Denn ihr Ziel ist es, Löhne zugunsten der Kapitals zu senken. Die Linke hingegen, die die Position der Lohnabhängigen vertreten muss, steht vor der Schwierigkeit, komplizierte kreislauftheoretische Zusammenhänge zu erläutern.
… ist Aufklärung notwendig!
Aufgabe der Linken ist es also, in der Bevölkerung Bewusstsein zu erwecken für wichtige Einsichten. Den Menschen muss selber klar sein, dass Lohnsenkungen nicht mehr Beschäftigung schaffen, dass Lohnerhöhungen die Verteilungsposition der Mehrheit verbessern, ohne dass hieraus negativen Folgen entstehen, dass Steuererhöhungen erforderlich sind, um dringend notwendige staatliche Aufgaben zu finanzieren und Vollbeschäftigung herzustellen. Und die sozialistische Linke muss auch in Zukunft verdeutlichen, dass menschenwürdiges Leben letztlich auch einer Überwindung der kapitalgesteuerten Ökonomie bedarf.
Widerstand gegen Sozialabbau und Kampf für soziale Reformen
Freilich geht es nicht nur darum, Einsichten zu vermitteln, sondern auch Kämpfe gegen den Ab- und für den Ausbau sozialer Rechte zu führen. Einsicht bei vielen Menschen ist jedoch eine notwendige Voraussetzung, um Kämpfe langfristig erfolgreich zu führen. Dass die Linke hier noch eine lange Wegstrecke vor sich hat, ist kaum zu bestreiten. Der BILD-Slogan „Steuern runter macht munter!“ verfängt eben bei nicht wenigen Menschen, und wenn auch Teile der Arbeitenden dem sehr begrüßenswerten Streik der Ostdeutschen Metaller für Arbeitszeitverkürzung mit Ablehnung begegnen, zeigt dies, dass noch viel zu tun ist.
Die Linke muss in dieser Frage kollektiv vorgehen. Die Auflehnung linker SozialdemokratInnen im Rahmen des Mitgliederbegehrens ist genauso erforderlich wie der Einsatz linkssozialistischer Kräfte außerhalb der SPD, sei es in anderen Parteien, sei es in sozialen Bewegungen. Voraussetzung für fortschrittliches Engagement ist die Einsicht, dass die neoliberale Trias aus Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau unsozial und erfolglos ist, und die Bereitschaft, für linke Alternativen den Konflikt mit den Regierenden zu wagen.
Dabei müssen wir nicht von vorn anfangen: Linke Theorie, die aufklärt über die Fehler des Neoliberalismus und soziale Alternativen vorstellt, gibt es genug. Wir müssen sie an den Mann und an die Frau bringen und die Menschen so einbinden in Protest gegen die momentane Politik und Kampf für soziale Emanzipation.
Hans Lawitzke, Alex Recht