Furcht vor „sozialen Unruhen“?

von HANS GÜNTER BELL

Wie groß müssen die Ängste eigentlich sein, dass eine harmlose Warnung der SPD-Bundespräsidentenkandidatin Gesine Schwan vor sozialen Unruhen als Folge der Wirtschaftkrise so hohe Wellen schlägt? Sie könne sich vorstellen, dass die Wut der Menschen deutlich wachsen könnte, wenn „abfedernde Maßnahmen“ wie das Kurzarbeitergeld auslaufen. „Wenn sich dann kein Hoffnungsschimmer auftut, dass sich die Lage verbessert, dann kann die Stimmung explosiv werden“, sagte Schwan dem Münchner Merkur.

Ängste, die der Vorsitzende der größten Organisation potenzieller Unruhestifter, der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, zu teilen scheint. Wenn die Krise nicht mehr nur „Randbereiche der Gesellschaft, sondern auch die klassischen Kernbereiche der Arbeiter, Angestellten und den Mittelstand“ erfasst, dann befürchte er soziale Unruhe, „ein Gebräu, das wirklich schwierig ist, wenn wir das nicht beherrschen“. Spricht’s – und ruft für den 16. Mai zu einer Kundgebung in Berlin auf.

Demonstrieren: ja; soziale Unruhe: nein – ist das die Logik der deutschen Gewerkschaften?

Wie soll ein grundlegender Politikwechsel den ohne „soziale Unruhen“ durchgesetzt werden? Samstags ruhig und gesittet demonstrieren und montags dann brav wieder am Arbeitsplatz erscheinen, um mit vollem Einsatz den Mehrwert zu produzieren – stellen sich Sommer & Co. so den gewerkschaftlichen Druck vor, der Regierung und Kapital zum Einlenken zwingt?

Ich halte es daher eher mit Oskar Lafontaine, dem Vorsitzenden der LINKEN, der seine Sympathien für Protestaktionen bekundet, die – wie in Frankreich –„selbstherrlichen Wirtschaftsführern Dampf machen“.

Auch in Deutschland mehren sich die Anzeichen dafür, dass Ruhe nicht mehr erste Bürgerpflicht ist: So wollen sich nach einer Emnid-Umfrage vom 23. April 2009 sich 32 % der Befragten persönlich an Demonstrationen und Protesten gegen die Krise beteiligen; und 79 % erklärten sie hätten Verständnis für solche Proteste.

Wie mühsam der Weg noch ist, diese Zustimmung in Umfragen in tatsächliche Bewegung umzuwandeln, zeigten die letzten Großdemonstrationen: Die gewerkschaftliche und politische Linke brachten am 28. März …. nach Berlin und Frankfurt; der DGB mit all seiner Organisationskraft am 16. Mai 100.000 nach Berlin. Ein Anfang zwar, aber bis zu wirklichen sozialen Unruhen ist der Weg noch weit.