Gegen das Aktivierungsprinzip!

von ALEXANDER RECHT

Für Schröder und Müntefering war aktivierende Arbeitsmarktpolitik zentral: Sie sichere die Sozialsysteme, senke die Erwerbslosigkeit und forciere Wachstum. 2010 ist vom Selbstvertrauen der SPD nicht mehr viel übrig: Wirtschaftskrise, steigende Erwerbslosigkeit und die dramatische Wahlniederlage waren der SPD Anlass, weniger laut über aktivierende Arbeitsmarktpolitik zu jubeln. Einige SPD-GenossInnen üben mittlerweile sogar öffentliche Kritik am Agenda-Kurs. Gut so! Ob dessen darf aber nicht verkannt werden, dass Teile der SPD inkl. der Parteispitze auch nach ihrem Dresdner Parteitag an der Richtigkeit aktivierender Arbeitsmarktpolitik festhalten. Erst recht gilt dies für die schwarz-gelbe Bundesregierung und die zunehmend ins Konservative abdriftenden Grünen.

Gemäß der mikroökonomisch argumentierenden aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ist der Arbeitsmarkt entscheidend: Zum einen sei der Lohnabstand der Sozialleistungen zu schmal, daher die Bereitschaft der Lohnabhängigen, ihre Arbeitskraft anzubieten, zu gering. Zum anderen seien Regulierungs- und Lohnniveau zu hoch und das Qualifikationsniveau zu gering, folglich die Bereitschaft der Unternehmen, Arbeitskräfte nachzufragen, zu niedrig. Es komme zu Erwerbslosigkeit. Durch Senkung von Lohnsatz, Beitragssätzen, Sozialleistungen, verstärkte Flexibilisierung, repressionsgesteuerte Aktivierung und mehr Bildung werde dem Missverhältnis abgeholfen. Vermeintlich Geringqualifizierte würden sich schulen und ihre zu hohen Ansprüche senken. Dann stiegen Beschäftigung und das tatsächliche Güterangebot, das die angeblich hohe und bislang teils ungedeckte Güternachfrage nun endlich befriedige.

Diese Auffassung ist jedoch Unsinn. Entscheidend sind die Vermögens- und Gütermärkte, die den Arbeitsmarkt prägen. Bei Ungleichverteilung, Sättigung und Überakkumulation ist die Güternachfrage geringer als das potentielle Güterangebot. Das tatsächliche Güterangebot passt sich der geringen Nachfrage nach unten an: Erwerbslosigkeit steigt – aus Gründen jenseits des Arbeitsmarkts. Erwerbslosigkeit hat also viel mit der Krisenhaftigkeit kapitalistischer Verhältnisse zu tun und betrifft daher auch keineswegs nur Geringqualifizierte, sondern auch Akademiker. Erwerbslose stehen vor dem Problem unzureichender Arbeitsplätze. Das hat mit zu geringen Qualifikationen wenig zu tun. Daher führt für mehr Arbeitsplätze kein Weg an veränderten Makobedingungen vorbei: Umverteilung von oben nach unten, mehr öffentliche Nachfrage bei Sozialleistungen und Investitionen, mehr Beschäftigung im profitunabhängigen öffentlichen Dienst. Hinzukommen muss kollektive Arbeitszeitverkürzung.

Arbeitsmarktpolitik ergibt nur dort Sinn, wo krisenbedingte Erwerbslosigkeit Dequalifikation zur Folge hat. Allerdings darf sie weder aktivierend-repressiv sein noch zu einem Absenken von Löhnen und Sozialleistungen und zu Deregulierung führen. Denn dies würde die unzureichende Gesamtnachfrage verschärfen.