„Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen.“
Robert Schumann, 1950
Mit dem Jahreswechsel kommt Schwung in die Debatte um das Wahlprogramm der LINKEN zur Wahl des Europäischen Parlaments. Mittlerweile liegen zwei Programmentwürfe vor, der Leitantrag des Parteivorstands und ein von Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke und weiteren Genoss_innen verfasster Alternativentwurf. Auch wenn wir grundsätzlich den Leitantrag des Parteivorstandes unterstützen und zum Gegenstand unserer inhaltlichen Replik machen, halten wir es für ein Kennzeichen innerparteilicher Demokratie und politischen Pluralismus, dass dem Europaparteitag nunmehr zwei Wahlprogrammentwürfe vorliegen.
Wenn wir uns inhaltlich nur mit dem Leitantrag des Parteivorstandes auseinandersetzen, so hat das seine Ursache darin, dass wir wichtige inhaltliche Grundaussagen des Programmentwurfes von Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke u.a. nicht teilen. Dies betrifft indes nicht die Einschätzung des Alternativentwurfs, dass die primärrechtlichen Vertragsgrundlagen der EU mit ihrem Primat der Wettbewerbsorientierung linker Politik in vielerlei Hinsicht entgegenstehen. Diese Auffassung teilen wir.
Was uns am Alternativentwurf stört, ist zum einen die Analyse der Ursachen der EU-Krise. Als Kernursache werden „Raubzügeder Großbanken“ oder der „Spekulationsbanken“ angeführt. Die Krise der EU lässt sich aber nicht einfach auf Willen und Tat von Großbanken und Spekulanten im Kapitalismus zurückführen, sondern entsprang auch einem Zusammenspiel von systemischen Defekten des Kapitalismus und falscher Politik: Ungleichgewichte der Lohnentwicklung zwischen Überschuss- und Defizitländern, Ungleichgewichte in der Einkommensverteilung, Verschiebungen im Verhältnis zwischen Finanzanlagen und Investitionen in Sachanlagen usw. waren die Folge. Auf die Politik wiederum haben Banken zwar Einfluss zu nehmen versucht, aber Politik ist nicht einfach die Vollzugsanstalt bestimmter Kapitalfraktionen, sondern vielmehr ein umkämpfter Bereich, in dem politische Akteure übrigens zwar auch, aber keineswegs nur auf Druck gesellschaftlicher Gruppen ihre Entscheidungen treffen, sondern auch auf Basis ihrer eigenen Überzeugungen – die freilich aus linker Sicht grundfalsch sein können.
Was uns zum anderen stört, ist das Fehlen ausgearbeiteter Alternativen für die EU. Zu einem Politikwechsel gehört mehr, als Zumutungen in der EU zu benennen und hiergegen Abwehrstrategien zu formulieren. Gerade weil die bisherige EU-Politik in der Krise steckt und mit Akzeptanzproblemen konfrontiert ist, wäre stärker zu formulieren, welche Erfordernisse in der Politik bestehen und was DIE LINKE dafür tun könnte, damit diesen besser genüge getan wird. Dabei wäre es unfair zu behaupten, dass im Entwurf von Dehm und Gehrcke Alternativen gar nicht benannt werden. Denn es wird dort gefordert, dass Außenhandelsüberschüsse abzubauen seien und dass es eine Ausgleichsunion geben möge; kritisiert wird die von Merkel geplante Bankenunion; und eine Vermögensabgabe wird auch gefordert. Was aber nicht geschildert wird, ist, wie im Rahmen der EU Außenhandelsüberschüsse abgebaut werden soll, wie eine Ausgleichsunion aussehen soll, wie eine Bankenunion zu funktionieren hätte, welche Bedeutung und Rolle verschiedene EU-Institutionen haben sollen, schließlich wo es noch Veränderungen geben muss und wo es schon heute Ansätze gibt, bei denen sich eine Fortsetzung lohnt usw.
Aus dem richtigen Hinweis im Alternativentwurf, dass das Primärrecht der EU linken Alternativansätzen entgegensteht, sollte aber nicht geschlossen werden, dass Alternativen nur angedeutet werden. Vielmehr muss es aus unserer Sicht darum gehen, dass die LINKE ihr Konzept einer sozialen, demokratischen und friedlichen Europäischen Union als Gegenentwurf zu den bestehenden Realitäten entwickelt, der Bezug auf die vorhandenen Institutionen nimmt, und hierbei ein Mindestmaß an Konkretion nicht scheut. Aus diesem Grunde unterstützen wir trotz Kritik an einzelnen Analysen und Forderungen und an der einen oder anderen Stilblüte den Leitantrag des Parteivorstands, da er sich die Mühe macht, am Hier und Jetzt der EU anzuknüpfen und konkretere Alternativen zu entwickeln.
2 Europa ohne Kriege
Das „kurze 20. Jahrhundert“ (Hobsbawm) ist mit der bitteren Erfahrung verknüpft, dass das bloße Bekenntnis zu Internationalismus nicht vor nationalistischer Torheit bewahrt. Trotz einer zuvor stark geglaubten internationalen Arbeiterbewegung stürzten die Länder Europas in zwei verheerende Weltkriege und kam es zum Zivilisationsbruch im Nationalsozialismus. Offenbar braucht es auch institutionelle politische Vereinbarungen und Integrationsschritte auf europäischer Ebene.
Glücklicherweise ist es eine unbestreitbare Tatsache der europäischen Zusammenarbeit und Integration, dass sich Europa seit 1945 über viele Jahrzehnte ohne Kriege entwickeln konnte. Genauso richtig ist es jedoch auch, dass am Beginn der Europäischen Union zunächst eine Montanunion stand, die einzig auf die Sicherung ökonomischer Interessen der europäischen Kohle- und Stahlindustrie gerichtet war. Erst viel später entwickelte sich die Idee einer politischen Union Europas. Noch immer mangelt es der Europäischen Union an vielen demokratischen und sozialen Mindeststandards. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise, das Agieren der europäischen Staaten, der Troika machen dies überdeutlich. Auf der anderen Seite steht aber auch eine enorme Integrations- und Transformationsleistung Europas, die zum beträchtlichen Anwachsen des Lebensstandards den Staaten Süd- und Osteuropas beitrug. Dass Spanien, Portugal und auch Griechenland sich etwa von Militärdiktaturen zu demokratischen Staaten entwickelten, hat eben auch mit der europäischen Integration zu tun.
In Osteuropa war die Europäische Union für viele Menschen Hoffnung auf eine Demokratisierung ihrer Gesellschaften. Mit der Schlussakte von Helsinki verständigten sich die europäischen Staaten auf Mindeststandards demokratischer Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, die für viele Oppositionsgruppen immer wieder Anknüpfungspunkt waren – erinnert sei an Michail Gorbatschows Idee des europäischen Hauses, in der Staaten friedlich nebeneinander bestehen und miteinander kooperieren können. Später waren es etwa der Europäische Sozialfonds oder der Europäische Freiwilligendienst, die positive Impulse setzen konnten und die bei vielen Menschen aus Europa durchaus mehr machten, als eine reine Wirtschaftsgemeinschaft.
Deswegen halten wir es für falsch, die europäische Integration und die Europäische Union vor allem auf ihre Defizite zu reduzieren. DIE LINKE muss aus unserer Sicht die Europäische Union zum Ausgangspunkt ihrer Politik machen und ihre Alternativen für ein demokratisches und soziales Europa konkret formulieren. Uns scheint der Vorschlag, einen Europäischen Verfassungskonvent einzuberufen, ein gangbarer Weg, um die grundlegenden Fehlkonstruktionen, wie sie das Europäische Vertragswerk beinhaltet, zu beseitigen.
Im Folgenden wollen wir uns vor allem mit einem Themengebiet von Wirtschaft und Finanzen befassen. Und hier reicht es nicht, auf die vermeintliche Kollektivmacht von Konzernen, Banken und Eliten zu verweisen und die LINKE als Gegenmacht zu stilisieren. Vielmehr plädieren wir dafür, uns mit der Finanzpolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten intensiv und fachlich fundiert innerhalb unserer Partei auseinanderzusetzen.
3 Die Europäische Währungsunion
„Wer europäische Integration will, muß europäische Angleichungsprozesse einleiten. Dazu würde gehören, die Steuern zu harmonisieren, die Löhne und Preise anzugleichen und auch soziale, ökologische und juristische Standards anzugleichen.“
Gregor Gysi, 1998
Das Hauptziel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) ist die Ergänzung des EuropäischenBinnenmarkts durch eine gemeinsame Währung mit hoher Preisniveaustabilität.Der Plan zur Erreichung dieses Ziels war von Anfang an mit großen Fehlern behaftet. Erstens waren die Konvergenzkriterien willkürlich gesetzt und vom falschen Glauben kreiert, Staatsverschuldung sei per se des Übels. Zweitens wurde anstelle einer auf Integration, Solidarität und die Kapazitäten gleichmäßig auslastenden keynesianischen eine fatale und funktionsuntüchtige Ökonomie implementiert, die Wettbewerb und Preisstabilität vergöttert. Drittens schließlich wurde es versäumt, auf politischer Ebene demokratische institutionelle Regeln zu setzen, die europäische Ausgleichungsprozesse unterstützen und Gefahren vermeiden. Hierauf wurde frühzeitig hingewiesen.
Zurecht sprach etwaWolfgang Filc2005 von der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion als unvollendetem Kooperationsprojekt und wies bereits vor Ausbruch der weltweiten Finanzmarktkrise und seiner dramatischen Auswirkungen auf den Euro-Währungsraum darauf hin, dass es verschiedene Defizite bei der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion gebe.In seiner Rede zur Einführung des Euro am 23.04.1998 betonte Gregor Gysi zurecht, dass eine europäische Integration nicht allein über die Einführung einer einheitlichen Währung zu schaffen ist, sondern dass es dafür auch sich angleichender sozialer Standards, einer tiefgreifenden Demokratisierung Europas und einer abgestimmten Wirtschafts- und Finanzpolitik bedarf, damit die Einführung des Euros nicht nur den Interessen der deutschen exportorientierten Wirtschaft dient. Und Mitte der 90er schon gab es sehr kritische Stimmen, die wie John Smithin die demokratische Legitimierung der europäischen Geldpolitik hinterfragten oder wie Peter Mooslechner die negativen Folgen von Privatisierungs- und Liberalisierungsprozessen skizzierten.
Es soll also niemand von bürgerlicher Seite behaupten, im Nachhinein Kritik zu üben sei nicht statthaft. Kritik an den Defiziten der EU-Konstruktion gab es schon lange vor Ausbruch der Krise. Der Tenor dieser Kritik von links an der Währungsunion richtete sich dabei nie grundsätzlich gegen die europäische Integration als solcher, sondern gegen die Art und Weise, wie diese erfolgte, und dagegen, dass sie Ungleichgewichte und damit enorme Risiken für das Gemeinwesen von Anfang an in Kauf nahmen oder gar bewusst herbeiführten.
4 Die Krise des Europäischen Finanzsystems
Es dauerte keine zehn Jahre bis sich die Befürchtungen realisierten. Spätestens mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers gerieten Kreditinstitute weltweit ins Wanken, der Interbankenmarkt geriet faktisch zum Erliegen, und die Märkte bezweifelten plötzlich die Zahlungsfähigkeit verschiedener europäischer Staaten. Konkret kam es zu einem rasanten Anstieg der Zinsen, die etwa Griechenland bieten musste, um sich auf den Kapitalmärkten zu refinanzieren. In der Folge wurde ein Rettungspaket nach dem anderen geschnürt, den betroffenen Ländern wurden immer neue Sparpakete aufgenötigt, die Industrieproduktion brach ein, immer mehr Menschen waren und sind von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau betroffen.
Die Antwort der Konservativen auf die Krise war das Märchen von der „Staatsschuldenkrise“. Nur die Schulden der öffentlichen Hand seien schuld an der Krise. Ohne sie gebe es keinen Nährboden für Spekulation. Kein Wort von den dramatischen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten innerhalb Europas oder den sinkenden Lohnstückkosten in Deutschland.
5 Banken-, Fiskal- und Ausgleichsunion – die finanzpolitischen Säulen eines neuen Europäischen Finanzsystems
„Es geht also gar nicht anders, als der voreilig geschaffenen Gemeinschaftswährung das Gemeinwesen mit Fiskal- und Sozialpolitik sozusagen nachzuliefern.“
Elmar Altvater, 2012
Innerhalb der politischen Linken ist umstritten, wie die Krise zu bewältigen ist. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass das Krisenmanagement der EU gescheitert ist, weil es die Ursachen der Krise nicht bekämpft, sondern eher verschärft. Aus unserer Sicht bedarf eine wirksame Bekämpfung der Krise folgender Maßnahmen:
1. höhere Lohnstückkostensteigerungen in der BRD im Rahmen einer abgestimmten europäischen Lohnpolitik zur Reduzierung ungleicher Entwicklung und zur Zurückdrängung von Überakkumulation und Unterkonsumtion;
2. eine abgestimmte expansive Ausgabenpolitik (inkl. Transferunion) und öffentliche Umverteilung von oben nach unten in den EU-Ländern und der EU;
3. monetäre Rettungsschirme für Krisenländer, die diesen optimal helfen, ohne repressive Konditionalitäten einzuziehen;
4. eine EU-Ausgleichsunion und Wechselkursvereinbarungen zwischen der EU und anderen Teilen der Weltwirtschaft wie den USA, China und Südostasien;
5. eine strikte Regulierung des Finanzgeschehens inklusive einem Verbot besonders schädlicher Handlungen;
6. eine Finanztransaktionssteuer.
Zur Frage, ob ein Schuldenschnitt hilfreich sei und wie es mit der Zukunft des Euro aussieht, gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen innerhalb der politischen Linken. Wir stehen einem Schuldenschnitt eher kritisch gegenüber. Zu den Gründen für unsere Kritik haben wir uns mehrfach und öffentlich geäußert.
Wir plädieren dafür, dass die LINKE auch in ihrem Wahlprogramm zu den Wahlen für das Europäische Parlament für eine Europäische Banken-, Fiskal- und Ausgleichsunion eintritt. Damit könnten wir konkrete Alternativen zur herrschenden Politik aufzeigen und darstellen und aufzeigen, dass europäische Integration auch anders funktionieren kann. Zu einzelnen Bausteinen werden wir konkrete Änderungsvorschläge zum Programmentwurf vorlegen. Hier wollen wir diese nur grob skizzieren. Es scheint uns aber sinnvoll, dass wir neben unseren ganz grundlegenden Alternativen für ein soziales und demokratisches Europa auch Bausteine entwickeln und in die gesellschaftliche Debatte einbringen, die auch mittelfristig umsetzbar sind und nicht zwingend einen „Neustart Europas“ benötigen.
Was verstehen wir darunter?
5.1 Eine Europäische Bankenunion
Unter einer „Bankenunion“ verstehen wir eine einheitliche Regulierung der Finanzmärkte in der Euro-Zone, eine gemeinsame und harmonisierte Finanzaufsicht und eine gemeinsame Einlagensicherung bilden.
Folgende Mindestanforderungen sollte eine Europäische Bankenunion umfassen:
1. Eine Bankenunion muss alle Kreditinstitute der Eurozone einbeziehen.Wir können uns auch vorstellen, alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in eine solche gemeinsame Aufsicht einzubeziehen, wie es etwa Axel Troost fordert.
2. Die Bankenaufsicht soll nicht bei der EZB, sondern wie in der Bundesrepublik bei einer eigenständigen Aufsichtsbehörde der EU angesiedelt werden. Hierfür bietet sich die bereits existierende European Banking Authority (EBA) an.
3. Die Bankenunion muss so funktionieren, dass zunächst die europäischen Kreditinstitute untereinander für ihre Risiken haften – dies jedoch in einer ausgleichenden Art und Weise. Sollte das Volumen der Bankenunion nicht oder noch nicht zur Deckung ausreichen, wäre es Aufgabe der EZB oder des ESM, zur Rekapitalisierung der Bankenunion beizutragen.
4. Die Bankenunion muss die Ansprüche von Sparerinnen und Sparern sowie von gewerblichen Unternehmen im Rahmen einer wirksamen gesamteuropäischen Einlagensicherung umfassen.
5. Da Zahlungsausfälle von Kreditinstituten zu Störungen der gegenseitigen Kreditversorgung im Interbankenmarkt führen können, muss die Bankenunion die Ansprüche volkswirtschaftlich relevanter Gläubigerkreditinstitute gegenseitig sichern.
6. Aufgabe der Bankenunion ist es, nicht nur künftige Probleme der Haftung zwischen Banken zu regulieren, sondern auch solche der Vergangenheit. Im Ganzen geht es darum, Einlagemöglichkeiten für Sparer und gewerbliche Unternehmen sowie die Kreditversorgung für Haushalte und gewerbliche Unternehmen zu sichern.
7. Die formulierten Ziele der Bankenunion sollten primär darauf ausgerichtet sein, die Fortexistenz von Banken zu sichern. Als letzte Möglichkeit muss die Bankenunion jedoch auch Mechanismen zur geordneten Abwicklung von Kreditinstituten vorsehen, die keine Systemrelevanz besitzen.
8. Im Insolvenzfalle muss sichergestellt sein, dass Laufzeiten, Zins- und Tilgungsregelungen sowie Fälligkeiten von Haushalten und Unternehmen als Kreditnehmern wie vertraglich vereinbart fortbestehen.
Uns ist bewusst, dass insbesondere die Übertragung der Aufsicht auf die Europäische Ebene voraussetzt, dass es auch zu einer konsequenten Demokratisierung der Verwaltung kommen muss. Das schließt Elemente der Fach- und Dienstaufsicht genauso ein, wie die Möglichkeit, sich gegen Rechtsakte Europäischer Ebene im Widerspruchs- und/oder Klageverfahren zu Wehr setzen zu können. Wir haben diese Vorschläge auch in einem konkreten Änderungsantrag zum Wahlprogramm formuliert.
5.2 Eine Europäische Fiskalunion
Aus unserer Sicht bedarf die Europäische Union, einer „Fiskalunion“, die auf der Einführung einer gemeinsamen Haftung von Staatsschulden beruht, um dadurch die Furcht vor Staatsbankrotten zu bannen und die Zinslasten in den Staatshaushalten der hoch verschuldeten Länder zu senken. Dies müsste mit einer viel weitergehenden Abstimmung der an dieser Union beteiligten Länder über Ausgaben, Steuern, Abgaben und Verschuldung einhergehen. Dabei geht es uns nicht darum, dass vor allem die Einhaltung der Haushaltsdisziplin verschärft und einer künftigen Verschuldung Einhalt geboten werden müsste, sondern vor allem darum, die Steuerpolitik in Europa in der Weise zu harmonisieren, dass nicht einzelne Staaten sich durch Steuerdumping ungerechte Wettbewerbsvorteile verschaffen. Hinzu treten kann aus unserer Sicht auch die Einführung von Steuern auf europäischer Ebene, etwa einer europäischen Finanztransaktionssteuer.
Hinzutreten muss nach unserer Auffassung zwingend der Einstieg in eine Vergemeinschaftung der öffentlichen Kreditfinanzierung in Europa. Dabei ist für uns zweitrangig, ob das zunächst durch die Begebung von Eurobonds erfolgt oder auch durch eine Direktfinanzierung von Haushalten von Staaten der Eurozone durch die EZB bzw. eine neu zu gründende Europäische Bank für öffentliche Anleihen.
5.3 Eine Europäische Ausgleichsunion
Leider wird die Idee einer „Ausgleichsunion“ innerhalb der LINKEN zu selten diskutiert. Eine rühmliche Ausnahme ist Axel Troost, der unermüdlich … Ähnlich dem Länderfinanzausgleich in Deutschland sollte ein institutionalisierter Mechanismus mit direkten und offenen Transfers zwischen den Mitgliedsländern geschaffen werden. In der Konsequenz hieße das auch, dass alle Mitglieder gemeinschaftlich für die Schulden (und Defizite) eines anderen Mitglieds haften und deshalb im Notfall – d.h. im Fall der Zahlungsunfähigkeit – gezwungen wären, unbegrenzte Transfers zur Schuldenbedienung zu leisten.
Axel Troost und Lisa Paus haben im Rahmen der Schriftenreihe des Instituts Solidarische Moderne sehr ausführlich dargestellt, wie eine solche Ausgleichsunion konkret ausgestaltet werden könnte. Zu Recht weisen sie darauf hin, dass die Währungsunion um eine Währungsunion 2.0 ergänzt werden muss. Wir würden uns freuen, wenn diese ganz konkreten Vorschläge Aufnahme in das Wahlprogramm finden und werden auch hierzu einen Änderungsantrag formulieren. Dabei geht es:
a) Einen außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt
Dieser Vorschlag beinhaltet die Idee, den jetzigen Stabilitätspakt zu ergänzen um ein Kriterium, das Saldo der Leistungsbilanz. Dieses sollte 3% des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten. Wird diese Grenze überschritten, müssen durch die Europäische Union Maßnahmen ergriffen werden. Diese können etwa in Ausgleichszahlungen bestehen, um die Unterschiede der Leistungsbilanzen in ihrer Wirkung auf die Zahlungsbilanzen zu reduzieren.
b) „Makroökonomisches Scoreboard“ der Europäischen Kommission
Bei diesem Vorschlag geht es darum, ein Datenset zu erheben, das Auskunft zu verschiedenen Indikatoren der Entwicklung Volkswirtschaften gibt, wie etwa das Leistungsbilanzsaldo, die Nettoauslandsposition, der reale effektive Wechselkurs basierend auf Lohnstückkosten, die Lohnstückkosten selbst oder auch der Anteil des Exportmarktes. Diese Indikatoren sollen politischen Entscheidungsträger_innen Orientierung geben, bei der Diskussion von Ungleichgewichten zwischen den Mitgliedsstaaten. Sie sollten dann auch zwingend herangezogen werden, bei der Entscheidung über etwaige Sanktionsmaßnahmen gegen Mitgliedsstaaten, die gegen Stabilitätskriterien verstoßen.
Mit den Anmerkungen wollen wir einen Beitrag zur Debatte um die Position der LINKEN zur europäischen Integration leisten. Wir wollen diese Debatte nicht auf eine Diskussion „Bist du für oder gegen Europa“ reduzieren, sondern sehen die LINKE als eine Partei, die die europäische Integration befürwortet, ihren jetzigen Status aber scharf von links kritisiert und gleichzeitig radikale und realistische Alternativen aufzeigt. Die LINKE braucht die politische Debatte und den inhaltlichen Diskurs. Wir haben vor dieser Diskussion keine Angst, weil wir sicher sind, dass wir gemeinsam gute Antworten finden werden.
Alexander Recht, Sozialistische Linke, Köln
Torsten Löser, forum demokratischer sozialismus, Köln