Probleme der Eurorettung – Eine Antwort auf Alexander Recht und Torsten Weil

von Martin Höpner

In Ausgabe 53 des SoFoR-Info beschäftigen sich Alexander Recht und Torsten Weil mit linken Einwänden gegen die Euro-Rettungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB), verteidigen das Outright-Monetary-TransactionsProgramm (OMT) und nehmen die aktuelle Problemlage zum Ausgangspunkt für Forderungen nach weitergehender Vergemeinschaftung etwa der Steuerpolitik, der Ausgabenpolitik und der Schuldenhaftung. Ich werde mich nachfolgend auf die Rettungsmaßnahmen der EZB konzentrieren und für eine kritischere Einschätzung werben.

In Einigkeit mit Alex und Torsten: Die EZB hat die Euro-Krise nicht verursacht und besitzt auch nicht die Werkzeuge, diese zu beseitigen. Der Verzicht auf die Wechselkurspolitik als Instrument makroökonomischer Anpassung und der Wegfall der verbliebenen Freiheitsgrade nationaler Geldpolitik haben sich als schwere Fehler erwiesen. Der Euro legt den Mitgliedstaaten Anforderungen an Konvergenz auf, die angesichts der Heterogenität des Euroraums von Anfang an unrealistisch waren. Auch durch eine noch so mutige, die Grenzen zur Fiskalpolitik noch deutlicher überschreitende Geldpolitik ließe sich hieran nichts ändern. Wer sich über die Zustände des Euroraums zuvörderst bei der EZB beschwerte, wäre also an der falschen Adresse.

Konditionalität und Verteilungswirkungen

Aber das heißt noch nicht, dass das, was geschieht, gut ist. Zunächst einmal hätte eine umfassende Einschätzung der Rettungsmaßnahmen der EZB die Konditionalitäten der Programme zu berücksichtigen. Die EZB ist ein Drittel der Troika (in der der IWF gewiss nicht die treibende Kraft ist). In den Krisenländern administriert die Troika Rentenkürzungen und Sozialabbau, kürzt im Gesundheitswesen, senkt Mindestlöhne und beschädigt die Tarifautonomie der Sozialpartner. Diese Politik konzentriert die Anpassungslasten asymmetrisch auf die Südländer, obwohl Nord wie Süd das Inflationsziel der EZB gleichermaßen verfehlt haben. Will man den Euro halten – ob dies im Sinne fortschrittlicher Politik ist, ist eine durchaus offene Frage! –, dann führt an der realen, durch interne Anpassungen herbeigeführten Wiederangleichung der Preisniveaus im Norden und im Süden in der Tat kein Weg vorbei. Aber der Norden zeigt keinerlei Bereitschaft, den Süden durch Inflationierung auf seiner Seite von einem Teil des brutalen Deflationierungsdrucks zu befreien. Eine linke Analyse der Eurorettung sollte an der sozialen Katastrophe ansetzen, die die Einseitigkeit dieser Politik im Süden ausgelöst hat.

Zu OMT und dessen Vorläufer, dem Securities-Markets-Programm (SMP). Schon die Ankündigung der EZB, den Anlegern vom Ausfall bedrohte Anleihen im Notfall abzukaufen und die entsprechenden Risiken also in die eigenen Bücher zu nehmen, hat die Finanzmärkte beruhigt und die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen der Südländer gesenkt. Das kann man begrüßen. Gleichwohl ist zu fragen, ob unsere Hauptsorge den Anlegern gelten sollte und ihrem Interesse, zu keiner Beteiligung an den Rettungskosten herangezogen zu werden. Die Vorstellung, dass die Lasten verschwinden, wenn sie in die Bücher der EZB wandern, ist illusionär. Es handelt sich um eine Rettung der Anleger durch Vergemeinschaftung der von ihnen eingegangenen Risiken. Natürlich beruhigt das. Aber die Verteilungswirkungen sind grotesk.

Allgemein ist die Euro-Rettungspolitik zu stark auf den Schutz der Anleger ausgerichtet und zu wenig auf die Bevölkerungen der Südländer, die unter dem Anpassungsdruck leiden. Die Beruhigung der Finanzmarktteilnehmer und die von Alex und Torsten vorgeschlagene Transfer- und Haftungsunion sind in der Tat geeignet, die Refinanzierungskrise einzudämmen. Sie lassen die Ursache der Krise, die kostenseitige Übervorteilung des Südens durch den Norden, aber unberührt. SMP und OMT haben die Wettbewerbskrise des Südens sogar insofern verschärft, als dass der Außenwert des Euros ohne sie gewiss niedriger wäre. Derzeit, gegen Ende September 2014, bewegt er sich trotz der schweren realwirtschaftlichen Probleme des Euroraums sogar weiter oberhalb seines historischen Durchschnitts. So wie die intern verzerrten Wechselkurse die Wettbewerbsposition der Südländer gegenüber den anderen Euro-Teilnehmern schwächen, schwächt der weiterhin zu kräftige Euro die Chancen der Krisenländer auf den Absatzmärkten außerhalb des Euroraums.[1] Der aktuelle Maßnahmenmix läuft auf eine Eindämmung der Schuldenkrise bei gleichzeitigem Fortbestand der Wettbewerbskrise hinaus, und das ist der Kern des Problems. Die große Gefahr besteht in einer verfestigten ökonomischen Spaltung der EU, so wie wir sie aus Italien und Deutschland kennen. Aber letztere sind Nationalstaaten mit einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl ihrer Bevölkerungen. Eine dauerhafte Spaltung in Regionen mit und ohne Wettbewerbskraft und in Geber und Empfänger von Transferleistungen würde die EU hingegen sprengen. Das kann niemand wollen.

EZB und Demokratie

Schließlich einige Worte zum Problem der Legitimität. Die Kritik, die EZB überschreite mit SMP, OMT und den mit ihnen einhergehenden Konditionalitäten ihr Mandat, wird vor allem von neoklassischen Ökonomen und konservativen Staatsrechtlern geäußert, während Linke beide Augen zudrücken. Die Kritiken sind es aber wert, eingehend gehört und geprüft zu werden. Die Unabhängigkeit von Zentralbanken ist und bleibt ein demokratietheoretisches Problem und ist nur zu rechtfertigen, wenn sich die Empfänger der gewährten Unabhängigkeit strikt im Rahmen der ihnen zugedachten Aufgaben bewegen. Analytisch sind SMP und OMT nicht der Geldpolitik, sondern der Fiskalpolitik zuzuschlagen (warum sollte die EZB sonst die Anleihen bestimmter Länder kaufen, anderer nicht?). Wie immer man zu den Verteilungswirkungen dieser Programme steht: Sie bedürfen der Legitimation und gehören daher in die Hände demokratisch legitimierter Organe. Und gewiss ist es nicht Aufgabe der EZB, bestimmten Ländern der Eurozone vorzuschreiben, wie sie ihre Arbeitsmarktpolitiken und Gesundheitssysteme auszugestalten haben.

Sensibilität gegenüber den demokratietheoretischen Problemen der EZB-Rettungspolitik ist auch deshalb geboten, weil sich die expansive Auslegung der den europäischen Organen zugedachten Aufgaben wie ein roter Faden durch die Geschichte der europäischen Integration zieht. Erwähnt seien nur die europäisch angestoßenen Liberalisierungen und Privatisierungen der Sektoren öffentlicher Daseinsvorsorge und die Übergriffe des Europäischen Gerichtshofs auf das mitgliedsstaatliche Arbeitskampfrecht. Dass sich die EZB nunmehr ebenfalls eine Kompetenzkompetenz anmaßt – eine Kompetenz, über die eigenen Kompetenzen zu befinden –, sollte von unserer Seite nicht unkommentiert bleiben. Je mehr Gestaltungskraft sich in den Händen nicht gewählter, technokratischer Organe konzentriert, umso mehr laufen demokratische Gestaltungsspielräume leer – und mit ihnen Erfolgsaussichten aller, die für die Ideale einer sozialen Demokratie streiten.

[1] Allerdings vernachlässige ich an dieser Stelle, dass der Euro-Kurs zum Zeitpunkt des Aufkaufs großer Mengen an Anleihen durch die EZB unter Druck geraten dürfte.

Martin Höpner ist Forschungsgruppenleiter am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Inhaber einer außerplanmäßigen Professur an der Universität zu Köln und Gastmitglied der Partei DIE LINKE.