Weder toter Hund noch schlafender Löwe

aus: spw, Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 2/95.

Die Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus

von Jörg Huffschmid

I. Entwicklung und Krise der SMK-Theorie

Die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (SMK) war in den drei Jahrzehnten von 1960 bis 1990 der Kern der Variante von Kapitalismusanalyse, die vor allem von TheoretikerInnen in den und um die traditionellen kommunistischen Parteien und einigen marxistischen SozialdemokratInnen vertreten wurde. Die Tatsache, daß die Diskussion um die Theorie des SMK regelmäßig – von VertreterInnen wie KritikerInnen – mit klaren politischen Zuordnungen verbunden wurde, hat die Rationalität der Analyse und Kritik in den kapitalistischen Ländern zuweilen schwer beeinträchtigt und zu diffamierenden Abgrenzungen auch da geführt, wo die sachlichen Punkte nahe beieinander lagen; andererseits wurden gravierende analytische Differenzen verwischt, wenn sie im gleichen politischen Lager auftauchten.

Die starke politische Aufheizung der Kontroversen über die Theorie des SMK ist allerdings einigermaßen verständlich. Ihre Herausbildung war nämlich eng mit der Sicht der weltgeschichtlichen Entwicklung verbunden, die Ende der 50er Jahre in den kommunistischen Parteien vorherrschte. Danach befand sich der Weltkapitalismus seit der Oktoberrevolution in einer „allgemeinen Krise“. Seit der Niederschlagung des Faschismus, der Entstehung eines sozialistischen Lagers und den antikolonialen Befreiungskämpfen habe diese Krise eine neue (dritte) Etappe erreicht, die durch den verzweifelten aber letztlich vergeblichen Überlebenskampf des Kapitalismus gekennzeichnet sei. 1960 führte die Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau den Begriff SMK in die offizielle Parteiterminologie ein, als sie in ihrer Abschlußerklärung hervorhob: „Das kapitalistische Weltsystem ist von einem tiefen Niedergangs- und Zersetzungsprozess erfaßt. Die Widersprüche des Imperialismus haben das Hinüberwachsen des Monopolkapitalismus in den staatsmonopolistischen Kapitalismus beschleunigt.“ Unter SMK wurde dabei zugleich ein ökonomisches Ausbeutungs- und ein politisches Herrschaftssystem verstanden, das dem Monopolkapital maximale Macht verschaffe und die gesamte Gesellschaft nach monopolkapitalistischen Interessen formiere.

Auf dieser theoretischen Grundlage wurde in der Folge auf die politische Hauptlinie orientiert, alle nicht dem Monopolkapital und den Spitzen des Staatsapparates zuzurechnenden – und insofern von ersterem ausgebeuteten und letzterem unterdrückten – Klassen und Schichten in einem breiten antimonopolistischen Bündnis zusammenzufassen. Der demokratische und antimonopolistische Kampf solle zunächst zu antimonopolistischer Demokratie führen, die ihrerseits Zwischenstufe vor dem Übergang zum Sozialismus sei.

Nachdem die Wirklichkeit diese Sicht der geschichtlichen Entwicklung in aller Härte als Irrtum widerlegt hat, ist es still um die Theorie des SMK geworden. Sie ist zunächst im Gefolge des Zusammenbruchs des osteuropäischen Sozialismus und der Krise der kommunistischen Parteien fortgespült worden, und die Gegner betrachten sie wie den Marxismus überhaupt als toten Hund. Dabei übersehen sie jedoch, daß die theoretische und empirische Diskussion in einer Reihe von Ländern – Frankreich, BRD, Sowjetunion, DDR, ebenso USA, Japan, Südkorea und Mexiko – zu einer meines Erachtens produktiven Differenzierung und Weiterentwicklung der Theorie geführt und diese auf einen Stand gebracht hat, der sich nicht mehr einfach politischen Opportunitätskriterien anpaßte, sondern eigenständige wissenschaftliche Beiträge zur Kapitalismusanalyse hervorgebracht hat.

II. Kernaussagen der SMK-Theorie

Als wesentliche Elemente enthält die Theorie des SMK, wie sie Ende der 80er Jahre stand, drei Gruppen von Aussagen:

l zur ökonomischen Kernstruktur,

l zur politischen Regulierung der Wirtschaft,

l und zum Verhältnis zwischen Kernstruktur und politischer Regulierung im modernen oder „reifen“, eben dem staatsmonopolistischen Kapitalismus.

1. Die ökonomische Kernstruktur ist durch eine systematische Strukturdifferenzierung im Unternehmenssektor gekennzeichnet: in den meisten Sektoren und in der Wirtschaft insgesamt gibt es eine relativ kleine Zahl großer Unternehmen, die in einem widersprüchlichen Verhältnis von Konkurrenz, Kooperation und Verflechtung zueinander stehen, insgesamt aber die Märkte in hohem Maße gestalten können. Diese Strukturdifferenzierung des Gesamtkapitals hat sich bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts – in Reaktion auf Produktivkraftentwicklung und Krisentendenzen – herausgebildet und seitdem eine bemerkenswerte Kontinuität bewahrt: Viele der heute führenden kapitalistischen Unternehmen waren auch vor hundert Jahren schon führende kapitalistische Unternehmen. Diese Monopole (nicht im Sinne der Marktformenlehre, sondern als ökonomisch dominante Unternehmen) verfügen aufgrund ihrer Größe über systematische Rentabilitätsvorteile gegenüber dem „Rest“, d.h. der großen Masse der Unternehmen, die vielfach in abhängiger Zuliefer- oder Abnehmerbeziehung zu den Marktführern stehen. Die systematische Korrelation zwischen Unternehmensgröße und/oder Konzentrationsgrad einer Branche mit der jeweiligen Profitrate ist mittlerweile auch von nichtmarxistischen Untersuchungen weitgehend bestätigt. Die Monopole üben neben Marktmacht auch außerökonomische Macht aus.

2.  Die Regulierung ökonomischer Prozesse ist durch eine stark gewachsene Rolle des Staates und politischer Interventionen in die Wirtschaft gekennzeichnet: Ein großer Teil des Staatsapparates befaßt sich mit ökonomischer Steuerung, staatliche Politik ist zu einem erheblichen Teil wirtschaftliche Politik, die Staatsquote liegt bei einem Vielfachen des Wertes von vor 80 Jahren. Dieser steigende Staatsinterventionismus hängt mit der Entwicklung der Produktivkräfte und gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der damit verbundenen zunehmenden Komplexität und Vergesellschaftung des ökonomischen Prozesses sowie mit der Notwendigkeit zusammen, durch sozialpolitische Maßnahmen das erforderliche Minimum an gesellschaftlichem Zusammenhang, Akzeptanz und Ausgleich zu gewährleisten. Ohne umfangreiche politische Regulierung und Gestaltung kann wirtschaftliche Entwicklung nicht funktionieren. Das gilt auch unter Bedingungen der allgemeinen Deregulierungsrhetorik und von Privatisierungswellen. Denn bei der Deregulierungsdiskussion geht es nicht um das Ob, sondern um die Richtung der Regulierung, und bei der „Entstaatlichungs“diskussion geht es – jedenfalls in Europa – um die Verringerung der Staatsquote von 50% auf 45% oder im Höchstfall 40%, nicht um radikalen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft überhaupt.

3. Das große Gewicht der jeweils führenden Unternehmen für die Wirtschaft eines Landes hat auch Folgen für die Richtung und den Inhalt der politischen Regulierung: Über verschiedene Verflechtungen und Verbindungen zwischen Staat und Unternehmen sowie Einflüsse letzterer auf erstere wird staatliche Politik in hohem Maße durch die Interessen der führenden Unternehmen beeinflußt und gestaltet. Die Einflußnahme erfolgt teils über die traditionellen Formen der Verbandslobby, die im wesentlichen von den Interessen des Großkapitals bestimmt wird; teils ergibt sie sich auch mehr oder weniger „naturwüchsig“ aus der hervorragenden Rolle einzelner Konzerne für ganze Städte, Regionen und Länder. Der kontinuierliche Personalaustausch zwischen Staat und Großunternehmen, zwischen wirtschaftlichen und politischen Eliten führt mehr oder weniger zwanglos – d.h. ohne daß es besonderer „Verschwörungen“ bedarf, die dennoch gelegentlich geschehen – zur besonders intensiven Vertretung von Konzerninteressen in der Politik. Schließlich gibt es ganze Bereiche insbesondere in der Hochtechnlogie-Entwicklung, die durch eine enge Verzahnung staatlicher und privater Funktionsträger, Institutionen und (Forschungs-) Aktivitäten gekennzeichnet sind. In Einzelfällen kann man/frau bei solchen Verflechtungen von staatsmonopolistischen Komplexen sprechen: etwa bei der Rüstung, der Telekommunikation, der Luft- und Raumfahrt.

Diese drei Aussagenkomplexe dürften heute nach wie vor – oder sogar in gesteigertem Maße – zutreffen. Wer sie nicht zur Kenntnis nimmt, verfehlt den ökonomischen Kern des modernen Kapitalismus und seiner politischen Regulierung.

III. Überzogene Erklärungsansprüche an die SMK-Theorie

Wer aber nur diesen Kern sieht, dabei stehen bleibt und alles aus ihm abzuleiten versucht – wie es die Theorie des SMK längere Zeit versucht hat – kann möglicherweise erheblich an realen wirtschaftlichen, sozialen, technischen und politischen Entwicklungen – und auch an neuen sozialen Bewegungen – vorbeigehen, sie nicht erfassen. In diesem Sinne werden der Theorie des SMK – oder jedenfalls ihren gröberen Varianten – zu Recht eine Reihe von Defiziten vorgeworfen, die sie in mancher Hinsicht auch in den 80er Jahren noch realitätsblind und politikunfähig gemacht haben.

Erstens spielen trotz der Dominanz der Großunternehmen oder „Monopole“ viele kleine und mittlere Unternehmen eine technologisch dynamische und beschäftigungspolitisch zentrale Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung – auch wenn ihre Innovationen und Erfindungen am Ende oft von Monopolen aufgekauft und auf breiter Front verwertet werden. Die Geschichte der Innovationen, Erfindungen und Entdeckungen beispielsweise in der Computersoftware oder der Biotechnologie ist nicht in erster Linie eine Geschichte der großen staatlichen, privaten und staatlich-privaten Forschungseinrichtungen; sie ist vielfach die Geschichte individueller Gelehrter, kleiner Klitschen, von zufälligen Konfigurationen und beiläufigen Ergebnissen – während oftmals groß angelegte Forschungsstrategien und Technologiekonzepte in Sackgassen endeten. Insofern lassen sich auch die speziellen Situationen und Interessen dieser Unternehmen und Schichten nicht einfach als antimonopolistisch kennzeichnen, sie unterliegen vielmehr sehr viel komplizierteren und eigenständigeren Formierungsprozessen.

Zweitens wird der beherrschende Einfluß der Monopole auf die staatliche Politik vor allem durch zwei Faktoren relativiert: Zum einen sind die Interessen „des“ Monopolkapitals nicht einheitlich; ihre Unterschiedlichkeit und teilweise gegenseitige Blockade schafft den Raum für relativ selbständiges Handeln des Staates. Zum anderen öffnet die Form der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie auch anderen als monopolistischen, und auch anderen als kapitalorientierten Interessen Artikulations- und Einflußmöglichkeiten: technologische, kulturelle, ökologische, soziale, Jugend- und Altersfragen usw. Die breite Ausdifferenzierung von Interessen und Problemen entzieht sich einer Analyse entlang einem einfachen Monopolschema – und erst recht einer Lösung entlang einem einfachen Antimonopolismus-Schema. Dies macht moderne kapitalistische Systeme so – im Vergleich zum untergegangenen Sozialismus – flexibel in doppeltem Sinne: einerseits aufnahmefähig für neue Probleme, Kräfte und Interessen, die bemerkt und bearbeitet werden; andererseits überlebensfähig als System, das diese Interessen nicht nur be-, sondern dabei zugleich verarbeitet, sich einverleibt und nicht daran zugrundegeht. Hierbei spielen insbesondere die (Massen) Medien eine zentrale Rolle: Ihr Pluralismus sorgt dafür, daß Probleme wahrgenommen, artikuliert und – durchaus kontrovers – diskutiert werden können; zugleich sorgen die ökonomische Struktur der privaten und die politische Struktur der öffentlichen Medien dafür, daß Artikulationen radikaler Systemalternativen marginalisiert werden. Dennoch schafft die begrenzte politische Offenheit des modernen Kapitalismus zumindest die Perspektive und Möglichkeit für Veränderungen, die nicht bloße kosmetische Operationen sind.

Drittens wirft die zunehmende Internationalisierung neue Fragen auf, die den Rahmen der traditionellen SMK-Theorie sprengen: Welche Rolle spielt nationalstaatliche Regulierung noch für große Konzerne, die nicht nur immer mehr Waren exportieren, sondern auch mehr und mehr im Ausland produzieren und das Beschaffungswesen weltweit organisieren? Bedeutet Internationalisierung den Anfang vom endgültigen Ende des SMK – als einer historischen Phase des national orientierten (oder „fordistischen“) Kapitalismus? Tendiert sie dazu, an die Stelle des nationalen einen internationalen staatsmonopolistischen Kapitalismus zu setzen? Oder hat der traditionelle SMK auch unter den Bedingungen zunehmender Internationalisierung noch eine Funktion, sozusagen als Verstärker der jeweiligen nationalen Kapitale in ihrem Kampf auf dem und um den Weltmarkt? Die Diskussion dieser Fragen hat in den 80er Jahren begonnen. Schlüssige Antworten darauf gibt es noch nicht; aber es wird zunehmend klar, daß zumindest solide fundierte Antworten zu einer Schlüsselfrage nicht nur für die Theoriebildung, sondern auch für die politische Artikulation von Alternativen zur herrschenden Entwicklungsrichtung werden.

Die vierte – und m. E. wichtigste – Relativierung der SMK-Theorie ist die Tatsache, daß wesentliche Probleme der modernen kapitalistischen Gesellschaft nicht durch die Existenz oder Strategie der Monopole, oder des SMK, nicht einmal durch das Kapitalverhältnis überhaupt erklärbar sind und ihre zwanghafte Rückführung auf diese oder „Ableitung“ aus diesen Kategorien mehr den Blick für bestimmte Probleme verstellt als ihn öffnet. So ist die zunehmende Zerstörung der Umwelt nicht primär ein Resultat der kapitalistischen Form der industriellen Entwicklung, sondern ein Resultat eines Wachstumsfetischismus, der zwar historisch erstmals im Kapitalismus auftrat und von ihm gefördert und gestaltet wurde, aber keinesfalls auf ihn beschränkt blieb – wie die deprimierenden Erfahrungen mit ökologischen Zerstörungen in sozialistischen Ländern zeigen. Auch die Tatsache, daß es Unterdrückung von Frauen durch Männer nicht nur im Kapitalismus, sondern als gesellschaftliche Erscheinung in vorkapitalistischen und sozialistischen Gesellschaften gab, weist den zumindest in der ersten Hälfte der 80er Jahre immer wieder erhobenen Anspruch der Theorie des SMK zurück, alle relevanten gesellschaftlichen Phänomene und Probleme in letzter Instanz erklären und folglich aus dieser Erklärung auch Wege zu ihrer Lösung ableiten zu können.

Viele dieser Einwände und Relativierungen sind in den 80er Jahren im Rahmen der Theorie des SMK aufgegriffen und intensiv und mit unterschiedlichen Akzenten diskutiert worden. Zwar gab es kein einheitliches Ergebnis dieser Diskussion, aber es lassen sich nach meinem Eindruck doch zwei gemeinsame Tendenzen feststellen: Zum einen wurde die Analyse der ökonomischen Kernstruktur und des ökonomisch-politischen Funktions- und Regulierungsmechanismus getrennt von den früher mit der Theorie des SMK verbundenen geschichtsphilosophischen Thesen von der allgemeinen Krise und dem zwangsläufig nahenden Ende des SMK. Zum anderen wurde klargestellt, daß diese Theorie ein wesentliches und tragendes Element der Analyse des modernen Kapitalismus, nicht aber diese Analyse insgesamt sei. Sie ist kein toter Hund der Kapitalismusanalyse, aber auch kein schlafender Löwe, dessen neuerliches Erwachen alle wesentlichen Dinge klarstellen könnte. In dieser „abgespeckten“ und auf die drei oben zusammengefaßten Hauptaussagen reduzierten Form dürfte sie auch heute noch einen fruchtbaren, ich meine sogar unverzichtbaren Ansatz zur Analyse ökonomischer Kernprozesse und ihrer Regulierung darstellen.

IV. Entwicklungsvarianten des SMK

Eine spezifische Linie im Rahmen der Diskussion über den SMK verdient hervorgehoben zu werden, weil sie auch heute, nachdem der erste Schock über den Zusammenbruch sozialistischer Fehlentwicklungen und Illusionen verarbeitet wurde, Ansatzpunkte für eine analytisch produktive Diskussion und politisch weiterführende Orientierung bietet. Es handelt sich um die Diskussion der verschiedenen möglichen Entwicklungsvarianten des SMK, die insbesondere vom Institut für marxistische Studien und Forschungen (IMSF) in Frankfurt vorangetrieben wurde. Sie basierte auf der – für VertreterInnen der kommunistischen Partei immerhin bemerkenswerten – Einschätzung, daß angesichts der Schwäche der Kräfte, die sich auf die Überwindung des Kapitalismus richteten, eine solche Perspektive für konkretes politisches Handeln nicht hilfreich, sondern eher lähmend sei. Unter den gegebenen Bedingungen komme es vielmehr darauf an, die Entwicklungsrichtung des SMK selbst zu beeinflussen. Dies könne bessere Ausgangsbedingungen für das Herangehen an den Sozialismus schaffen.

Seit der Weltwirtschaftskrise Mitte der 70er Jahre zeichnet sich in der Bundesrepublik die Tendenz zur Herausbildung einer aggressiv-autoritären und konfrontativen Variante des SMK ab: Der sozialpartnerschaftliche Konsens wird von Seiten der Unternehmen aufgekündigt, die Bundesregierung sekundiert mit Abbau sozialer Leistungen und gewerkschaftlicher Rechte. Die ökonomische Orientierung richtet sich zunehmend auf den Weltmarkt: Forschungs- und Technologiepolitik wird mehr und mehr in den Dienst der Stärkung internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Weltmarktüberlegenheit gestellt, von der natürlich in erster Linie die großen international operierenden Konzerne profitieren. Die Bindung der Kapitalverwertung an ausreichende Kaufkraft auf dem Binnenmarkt wird erheblich gelockert; steigende Profite sollen nicht von Binnenwachstum abhängen. Eine solche Politik programmiert soziale Polarisierung; stärker autoritäre und disziplinierende Politik soll die damit verbundene politische Polarisierung und tendenzielle Destabilisierung eingrenzen.

Bekanntlich haben sich diese damals frühzeitig gesehenen und analysierten Tendenzen zur weltmarktorientierten Neuformierung des SMK mittlerweile – und beschleunigt durch den Zusammenbruch des Sozialismus – in hohem Maße durchgesetzt. Sie haben bei uns durch die deutsche Einheit insofern einen zusätzlichen Schub erfahren, als Deutschland plötzlich und unerwartet auch politisch Führungsmacht in Europa geworden ist und sich anschickt, sich auch militärisch in Richtung auf imperialistische „Normalität“ zu entwickeln. Das zunächst auf den ökonomischen Bereich beschränkte Expansions- und Aggressionspotential wird hierdurch beträchtlich erweitert.

Da weder die Abschaffung der ökonomischen Kernstruktur ansteht noch die politische Regulierung insgesamt zur Disposition steht, kommt es darauf an, die faktische Politisierung der Wirtschaftsregulierung im heutigen SMK aufzugreifen und in eine andere Richtung zu lenken. Diese andere Entwicklungsrichtung wurde damals reform- und binnenorientierte Entwicklungsvariante des SMK genannt. Dabei geht es darum, die Unterordnung von immer mehr gesellschaftlichen Problemen und Ansprüchen unter die Priorität der Weltmarktkonkurrenz – d.h. der Rückkehr zu einer recht platten Form des SMK – nicht zuzulassen und Wirtschaftspolitik primär direkt an wesentlichen materiellen Interessen der Bevölkerung auszurichten: Beschäftigung, intakte Umwelt, soziale Sicherheit, Versorgung mit öffentlichen Gütern. Das führt noch nicht zur Abschaffung oder Überwindung des SMK, kann ihn aber auf einen anderen als den vorherrschenden Entwicklungspfad zwingen. Auch dies ist allerdings nur möglich auf der Grundlage einer energischen Mobilisierung der Bevölkerung und es zielt auf eine stärkere demokratische Beteiligung an der Regulierung der Wirtschaft. Dafür braucht es materielle Konzeptionen und nicht nur Antikonzeptionen.

V. Beitrag der SMK-Theorie zur Diskussion der Linken

Im Rahmen der Weiterentwicklung und politischen Nutzung der Theorie des SMK ist die konzeptionelle Erarbeitung von realistischen, d.h. reformorientierten Alternativen zur herrschenden Variante der kapitalistischen Entwicklung zu einem Schwerpunkt dieser Diskussion geworden. Diese Hinwendung zu Fragen alternativer Politik hat sie gemeinsam mit anderen Richtungen oppositioneller Theorie und Politik: Die Grünen entwickeln konkrete Szenarios für den Ausstieg aus der Atomenergie, linke SozialdemokratInnen propagieren Reformprojekte für eine soziale Grundsicherung für alle und für ein alternatives Verkehrssystem, alternative WirtschaftswissenschaftlerInnen, RaumplanerInnen, NaturwissenschaftlerInnen, InformatikerInnen und viele Gruppen mehr stecken enorm viel Energie in Beiträge zum wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft und Wirtschafts-, Forschungs- Sozialpolitik usw. Diese Konvergenz der Arbeitsperspektiven für alle, die etwas verändern wollen, schafft objektiv günstige Voraussetzungen für bessere Kommunikation und Kooperation. Frühere Abgrenzungen, oft mehr in terminologischer Hinsicht als in der Sache, sind auch für das eigene Selbstverständnis entbehrlich geworden und stehen einer produktiven Diskussion und Zusammenarbeit nicht mehr im Weg.

Gibt es einen spezifischen Beitrag, den die Theorie des SMK zu der dringend erforderlichen – und bereits in Gang gekommenen – Diskussion und Verständigung der Linken leisten kann, sozusagen als fruchtbares Erbe der theoretischen Arbeit am Ende der 80er Jahre? Sie kann und sollte versuchen, bestimmte zentrale Aussagen einzubringen, die den Test durch die Realität bestanden haben. Sie betreffen die oben skizzierten Kernaussagen über den außerordentlich großen Einfluß, den wenige führende Unternehmen auf die Wirtschaft, die Wirtschaftspolitik und mit Abstufungen auch andere Bereiche staatlicher Regulierung haben. Die Interessen der Automobilindustrie müssen sich zwar nicht zwangsläufig und aufgrund der Logik des SMK durchsetzen. Nur: faktisch tun sie es, ebenso wie die der großen Energiekonzerne und der Chemieriesen.

Forderungen nach Ökologisierung der Wirtschaft und Übergang zu nachhaltiger Produktionsweise gründen sich sicher zu Recht auf Ansätze, die, um es freundlich zu sagen, nicht primär auf dem Boden der SMK-Theorie entwickelt wurden. Die daraus abgeleiteten Forderungen nach grundlegenden Verhaltensänderungen der einzelnen Individuen in der Gesellschaft sind – früher von VertreterInnen der SMK-Theorie im besten Fall belächelt – sicher gerechtfertigt. Aber es gilt auch: Die Beschränkung oder auch nur die hauptsächliche Konzentration auf individuelle Verhaltensänderungen bringt die Gefahr mit sich, daß die ökonomischen Interessen und die politische Durchsetzungsmacht verkannt oder zumindest unterschätzt werden, die – nicht notwendigerweise, aber faktisch – zu dem gegenwärtigen Zustand geführt haben, davon profitieren und sich nach wie vor wirklich relevanten Veränderungen widersetzen. Das Insistieren darauf, diese Realität nicht zu vernachlässigen, sie sorgfältig zu analysieren und in politische Reformstrategien zu berücksichtigen (die sich natürlich nicht im Antimonopolismus erschöpfen dürfen), das ist wahrscheinlich der wichtigste originäre Beitrag, den die Theorie des SMK auf absehbare Zeit zur theoretischen und praktischen Formierung einer linken gesellschaftlichen Bewegung leisten kann.

Das ist deshalb nicht wenig, weil es vor zwei Gefahren bewahren kann: erstens einer Leugnung oder Verkennung von Interessenunterschieden und -gegensätzen und zweitens vor Illusionen hinsichtlich der Härte der politischen Auseinandersetzung um wirkliche Veränderungen. Während diejenigen, die der ersten Gefahr aufsitzen, sich gewöhnlich irgendwann im Lager derer wiederfinden, die die Gemeinsamkeit der Interessen über die Notwendigkeit von Veränderungen stellen, führen geplatzte Illusionen häufig zum Abschied von politischen Ambitionen überhaupt. Beides läßt sich durch gnadenlose Illusionslosigkeit bei der Analyse von Machtstrukturen und Interessenformierungen vermeiden, und dazu kann die Theorie des SMK in besonderer Weise beitragen.