Das Kommunalwahlergebnis war für DIE LINKE ernüchternd. Woran es liegt, ist nicht einfach zu beantworten, auch nicht, welche Konsequenz zu ziehen angebracht wäre. So viel ist aber doch klar: Ein Dilemma lässt sich nicht „lösen“, indem schlicht behauptet wird, es gäbe dieses Dilemma gar nicht.
Teile der LINKEN möchten verbindende Klassenpolitik intensivieren, andere möchten linke Gestaltungspolitik in den Vordergrund rücken. Wäre es also nicht richtig, sowohl verbindende Klassenpolitik als auch linke Gestaltungspolitik zu intensivieren und in beiden Sphären den Worten mehr Taten folgen zu lassen?
Freilich wäre es einfacher für DIE LINKE, wenn es so wäre. Denn dann müsste sie sich „nur“ noch mehr anstrengen für das, was sie ohnehin vorgibt zu wollen, nämlich verbindende Klassenpolitik und linke Gestaltungspolitik auf Höhe der Zeit.
Selbstverständlich wäre eine solche Anstrengung groß und eine solche Aufgabe schwer. Aber gewissermaßen wäre sie dennoch insofern einfach, als unterstellt würde, dass das Ringen für ein Mehr an verbindender Klassenpolitik und das für ein Mehr an ausgefeilter linker Gestaltungspolitik Hand in Hand und in dieselbe Richtung gingen.
Die Crux: So einfach ist es offenbar nicht – und das aus folgenden Gründen.
Erstens: Bei nur 24 Stunden pro Tag muss sich DIE LINKE entscheiden, ob sie ihren Schwerpunkt auf ein Mehr an verbindender Klassenpolitik oder ein Mehr an linker Gestaltungspolitik legt. Womöglich ist ein Mehr vom einen sogar nur um den Preis eines Weniger vom anderen möglich.
Zweitens: Kämpfe um verschiedene Terrains wie das sozioökonomische oder das ökologische können zwar in dieselbe Richtung gehen, können aber auch divergieren.
Richtig ist z. B.: Klimagerechtigkeit und sozioökonomische Perspektiven für viele Menschen im Trikont gehen Hand in Hand.
Richtig ist auch: Die Errichtung ökologisch ausgerichteter Branchen schafft neue Jobs und verbessert zugleich das Klima.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Kampf für einen Stopp fossil ausgerichteter Branchen bringt zwar ökologische Vorteile mit sich, gefährdet aber die Job- und Lebensperspektiven der fossil arbeitenden Menschen – zumal die Verantwortlichen für den Strukturwandels nicht nur LINKE sind und Strukturwandel eine schwere Angelegenheit ist.
Zur Wahrheit gehört zudem: Der von Teilen der Ökobewegung geforderte Verzicht auf jedes Wachstum schlechthin würde Jobperspektiven verschlechtern und die Verteilungsposition der Lohnabhängigen erschweren.
Es wäre schon etwas gewonnen, wenn sich DIE LINKE dieses Dilemmas bewusst würde, denn erst dann könnte sie überhaupt damit beginnen, Lösungen hierfür zu suchen und zu finden.
Der Ansatz einer bloß additiven Aneinanderreihung von Kämpfen hemmt DIE LINKE aber daran, Konflikte zwischen ökologischen und sozioökonomischen Perspektiven zu erkennen und produktiv zu bearbeiten.
Drittens: Wenn es nun aber der LINKEN doch gelänge, Konflikte zwischen verschiedenen Terrains zu identifizieren und sich an ihre produktive Bearbeitung zu begeben, würde deutlich werden, dass sie Abwägungen zu treffen, Kompromisse zu schließen und nicht immer angenehme Entscheidungen zu treffen hätte.
Sie müsste neben der Beteiligung an Kämpfen auch zwischen Kämpfen vermitteln, Gestaltungen skizzieren und politische Einflussmöglichkeiten aufzeigen, die sich auch um Regierungsfragen drehen. Das aber ist nicht einfach, da es Rollenkonflikte gibt.
Unter LINKEN Wählern befinden sich z. B. Vertrauensleute der fossil involvierten IG Metall oder der IG BCE; dann Umweltaktive; sodann Lehrerräte und Mitglieder von Schulleitungen; schließlich Eltern in Schulpflegschaften.
Vertrauensleute kämpfen in erster Linie um einen hohen Wert der Arbeitskraft in ihren Branchen; Umweltaktive setzen sich vor allem für die Belange von Natur und Klima ein. Lehrerräten geht es besonders um gute Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte, Schulleitungsmitgliedern um gute schulische Abläufe, Eltern in Schulpflegschaften bemühen sich vorrangig um die Interessen ihrer beschulten Kinder.
Offensichtlich können Konflikte zwischen diesen Gruppen und Bewegungen entstehen, da ihre Interessen teils divergieren. Schon diese Konflikte an sich sind für DIE LINKE eine Herausforderung. Aber nicht nur das.
Hinzu kommt: Jede dieser Gruppen und Bewegungen erwartet nicht von der LINKEN, dass diese ihre Forderungen 1:1 übernimmt, sondern dass sie im Staat als materieller Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in der Lage ist, davon wenigstens die eine oder andere konflikthaft durchzusetzen. Dafür muss DIE LINKE auch die Widersprüche zwischen den Kräften, die sich auf sie beziehen, in den Blick nehmen – die Idee, alle partikularen Interessen additiv zu vertreten, bricht sich an der Realität.
Gehen wir nun gar davon aus, dass die Vertrauensleute, Umweltaktiven, Lehrerräte, Schulleitungsmitglieder und Eltern in der LINKEN aktiv wären. Als Repräsentant*innen der Partei müssten sie anders agieren als als direkte Vertreter*innen ihrer Gruppen und Bewegungen. Das verschärft den Rollenkonflikt.
Viertens: DIE LINKE steht also vor der Herausforderung, ein Konzept zu entwickeln, das nicht nur die richtigen politischen Ziele beinhaltet, sondern auch eine Idee vom Wie der Umsetzung; das Wünschenswertes und Machbares verbindet; das Gestaltung zum Ziel hat, und zwar auf konflikthafte Weise; das nicht nur Forderungen von Gruppen und Bewegungen aufnimmt, sondern auch selber entwickelte Programmatiken enthält, mit denen diese konfrontiert und zum Dialog mit Akzeptanz und Widerspruch eingeladen werden können.
Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 66 / 2020.