von Karsten Schernick
Da bekommt man auf den ersten 268 Seiten Shell-Jugendstudie das Bild einer kritischen, engagierten und politischen Jugend vermittelt um dann endlich auf Seite 269 in großen Lettern das Zitat „Man merkt beim Tanzen gar nicht, wie schnell die Zeit rumgeht“ zu entdecken. Techno-Clubs und -Parties machen derzeit das ganze Leben der 19jährigen Nicole aus. Das ist aber auch schon alles. Nicole wird nur in einem Kurzportrait gewürdigt. Die Kurzportraits auf den nächsten Seiten zeigen schon wieder einen Umweltaktivisten, eine Kinderrechtlerin, einen Nationalliberalen, eine Betriebsrätin usw. usf.
Die 12. Shell-Jugendstudie will nicht aus der Erwachsenensicht die Jugend beurteilen, sondern läßt Jugendliche selbst zu Wort kommen unter der Fragestellung, wie Jugendliche sich mit der gesellschaftlichen Situation auseinandersetzen und ihre Perspektiven beurteilen und wie sich dies auf politisches Engagement Jugendlicher auswirkt.
Was ist Jugend ?
Die Jugend ist ein Zeitabschnitt im Leben eines Menschen und eine spezifische Lebenslage. Im Mittelpunkt stehen sowohl die Persönlichkeits- und Identitätsbildung, als auch die Vorbereitung auf das ökonomisch unabhängige Erwerbsleben. Entsprechend des Zwecks der Jugendphase sind zwei Bedingungen für deren Qualität ausschlaggebend:
1. die unterschiedlichen Möglichkeiten und Angebote die die Gesellschaft für Jugendliche bereithält, also praktisch die Ausstattung des jugendlichen Alltags. (Wohnverhältnisse, Schule und Ausbildungsplatz, Taschengeld, Freizeitangebote etc.)
2. das, was zeitlich nach der Lebensphase Jugend kommt. Die Frage also, inwiefern die Anstrengungen während der Jugendphase geeignet sind, sich Perspektiven für das spätere Leben zu eröffnen, inwiefern die Jugend in die gesamte Biographie eingebettet ist und sich die Anstrengungen später einmal auszahlen.
Jugend hat also eine räumliche und eine zeitliche Dimension.
Die gesellschaftliche Krise
Eine Sichtweise, die die Jugend als Teil einer Wohlstandsgesellschaft sieht (z.B. im Gegensatz zur Nachkriegsgesellschaft) täuscht darüber hinweg, daß Jugend eine doppelte Abhängigkeit zur Zukunft hat: Sie ist – wie jeder andere Lebensabschnitt auch – abhängig von der gesellschaftlichen Entwicklung und muß zusätzlich den Grundstein für eine persönliche Zukunft, eine erfolgreiche Biographie legen.
Für die Autoren der Studie ist es Tatsache und Voraussetzung, daß die gesellschaftliche Krise die Jugend erreicht hat. Sie fragen nun, wie die Jugend mit der Krise umgeht und evtl. in politisches Handeln umsetzt.
In der öffentlichen Diskussion um die Studie wird diese Tatsache als Ergebnis, als neue Erkenntnis der Studie herausgehoben.
Die Öffentlichkeit nimmt nun anscheinend zur Kenntnis, daß Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel die wichtigsten und häufigsten Probleme von Jugendlichen sind.
Das hätte man sich eigentlich auch schon vorher denken können, nun ist aber auch der wissenschaftliche Beweis erbracht.
Jugendkulturen als Gegenwelt
Die jungen Leute bevorzugen Gruppenstile, die Spaß machen, Zerstreuung und Unterhaltung bieten. Als subkulturelle Visionen und Formen eines ganzheitlichen Ansatzes einer Gegenwelt für eine bessere und jugendgemäßere Gesellschaft verliert Jugendkultur ihre Bedeutung. Es scheint nicht mehr möglich, Gegenentwürfe und subkulturelle Abgrenzungen zu entwickeln. Vielmehr geht es um ein Gegengewicht gegen die schwieriger gewordene Situation im Leistungs- und Anforderungsbereich. Die Inhalte dieser Jugendkulturen sind schnellebig und diffus.
Besonders wichtig ist, sich nach allen Seiten offenzuhalten. Die Entscheidung für eine bestimmte Jugendkultur bedeutet nicht die Ablehnung einer anderen.
Dies drückt sich auch in der Absage an (längerfristige) Verbindlichkeiten aus.
Von dieser Entwicklung sind vor allem die politisch subkulturellen und sozialen Protestbewegungen betroffen, nicht jedoch die kommerzialisierten, lebensstilorientierten Gruppenstile.
Jugend und Politik
Jugendliche scheinen zwischen „der Politik“ und „politischen Themen“ zu unterscheiden. Während die Politik vielen fern und abgehoben vorkommt, haben sie großes Interesse an politischen Themen wie Massenarbeitslosigkeit. Lehrstellenmangel, Sozialabbau etc.
De Politik werfen sie vor, bei den politischen Themen zu versagen, sind aber bereit, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren.
Diese Bereitschaft zu politischen Aktivitäten führt jedoch nicht zu politischem Handeln, erst recht nicht in traditionellen Formen, zu denen ja das parteipolitische Engagement gehört.
Dies hat zwei Gründe:
Jugendliche haben großes Interesse an der Wirksamkeit ihres Handelns. Viele sind deshalb der Auffassung, daß ihr politisches Engagement in kleinen, überschaubaren Schritten, möglichst im persönlichen Umfeld stattfinden sollte und sind der Meinung, daß sie bei sich selbst anfangen sollten.
Politische Parteien und Institutionen werden als große Apparate und damit als unübersichtlich wahrgenommen. Ein Engagement in dieser Form erscheint deshalb als wenig wirksam.
Der zweite Grund ist, daß die Politik nach Meinung der meisten Jugendlichen von den Interessen der Wirtschaft dominiert ist. Politiker und Parteien erscheinen als Erfüllungsgehilfen von Wirtschaft und Industrie.
Der Einfluß auf Politik erscheint also auch deshalb als wenig wirksam, weil die richtigen Adressaten ihrer Ansprüche die Wirtschaftsbosse „da oben“ wären.
Zwischen „denen da oben“ (Wirtschaftsbosse, Reiche, Politiker etc.) und „wir hier unten“ (Familie, Freunde etc.) wird eine deutliche Diskrepanz gesehen.
Fazit
Nicht die Jugendlichen sind unpolitisch, sondern die Politik ist unpolitisch. Die Politik, wie sie nach 15 Jahren Kohl-Regierung sich darstellt, erscheint gegenüber der Macht der Wirtschaft als handlungsunfähig, ja sogar als Erfüllungsgehilfe derer „da oben“.
Engagement soll aber etwas bewirken und Spaß machen und nicht frustrieren. Deshalb kommt Engagement in großen, unüberschaubaren und noch dazu machtlosen Parteien für viele nur dann in Frage, wenn dies ist in einem übersichtlichen Rahmen und „Face to Face“ im persönlichen Umfeld möglich ist (z.B. an der eigenen Schule).
Letztendlich ist aber die Handlungsunfähigkeit und die Verkommenheit zur Sachzwangpolitik verantwortlich dafür, daß parteipolitisches Engagement für Jugendliche unattraktiv erscheint.
Für mich ist das absolut nachvollziehbar.
Quelle: Jugendwerk der deutschen Shell (Hrsg.): Jugend 97, Opladen 1997