Neugründung, Konsolidierung, Anpassung. Die Zeit von 1945 bis 1960
Fritz Bilz
1. Äußere Bedingungen im Jahre 1945
Am 6. März 1945 wurde das linksrheinische Köln von den Amerikanern befreit. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch knapp 20.000 Menschen auf dieser Rheinseite, der Rest der Bevölkerung war geflohen, evakuiert, eingesperrt, tot, noch im Krieg oder in Kriegsgefangenschaft. Über 70 Prozent der Gebäude in Köln waren zerstört, innerhalb der Ringe waren es über 90 Prozent. Im rechtsrheinischen Köln, das erst sechs Wochen später befreit wurde, lebten zu diesem Zeitpunkt noch 30.000 bis 35.000 Einwohner. Bis Dezember 1945 waren schon wieder 450.000 Menschen nach Köln zurückgekehrt.
Dies brachte immense Probleme mit sich. Die zurückkehrenden Menschen mußten ernährt, untergebracht und versorgt werden. Funktionsfähige Strukturen waren nicht mehr vorhanden. Die öffentlichen Verwaltungen waren zerschlagen, Verkehrswege und -mittel zerstört, das Personal – in der überwiegenden Mehrheit ehemalige NS-Parteigenossen – war geflohen oder untergetaucht. Auch die meisten Privatunternehmer waren wegen ihrer politischen Belastung geflohen. In dieses Vakuum stießen ehemalige Gewerkschafter, zumeist Sozialdemokraten, und organisierten das Notwendigste. Diese politisch Unbelasteten waren aus ihren Verstecken, Gefängnissen und der Emigration zurückgekommen und begannen mit der praktischen Aufbauarbeit.
Natürlich dachten die Genossinnen und Genossen auch an die Gründung einer sozialdemokratischen Partei in Köln, aber die Alliierten verboten dies zu diesem Zeitpunkt, genau wie sie bis Ende Juli 1945 auch keine Gewerkschaftsgründungen zuließen.
Die damaligen Genossinnen und Genossen gründeten unmittelbar nach der Befreiung Ortsausschüsse in den einzelnen Vororten, wo sie mit Antifaschisten aus dem kommunistischen und christlichen Lager die Aufbaurbeit leisteten. Sie mußten für Ernährung sorgen, Wohnraum beschaffen, Schutt räumen lassen und die noch verbliebenen Nazis aus ihren Machtpositionen entlassen. Im Rechtsrheinischen waren diese Ortsausschüsse mehrheitlich sozialdemokratisch besetzt und geleitet. Bestimmende Personen waren zu diesem Zeitpunkt die Sozialdemokraten Willi Schirrmacher, Hein Hamacher, Ernst Lück, Theo Fink und Christian Fette. Schirrmacher fuhr mit dem Fahrrad im Rechtsrheinischen umher, um die einzelnen Sozialdemokraten aufzuspüren und diese zur Gründung von Ortsausschüssen zu animieren.
Aber auch in den Betrieben gab es Arbeit. Da es direkt nach der Befreiung keine Betriebsräte gab wurden Belegschaftssprecher benannt oder Betriebsausschüsse gegründet. Diese waren von Belegschaftsversammlungen spontan berufene Antifaschisten. Dabei handelte es sich um zumeist ältere Kollegen, die schon vor 1933 als Betriebs- oder Gewerkschaftsfunktionäre tätig gewesen waren. Die Menschen in den Betrieben hatten Hunger, also kümmerten sich die Betriebsausschüsse darum. Sie organisierten Lebensmittel, machten Kompensationsgeschäfte, brachten die Betriebe und Dienststellen ans Laufen. Zumeist waren auch diese Gewerkschafter Sozialdemokraten, die vor 1933 in der freien Gewerkschaftsbewegung (dem ADGB) Funktionen innegehabt hatten.
2. Die Gründungsphase der Kölner SPD und deren Jugendorganisation
Trotz Verbotes wurden die Vorbereitungen für eine Parteigründung in Köln begonnen. Diese wurde Ende Juni im Büro von Lis Hoffmann in der Komödienstraße auch durchgeführt. Zum Kölner SPD-Vorsitzenden wurde Helmut Braubach, zum Kreissekretär Hein Hamacher bestimmt. Auch auf Bezirksebene – damals noch nach der alten Bezeichnung „Obere Rheinprovinz“ genannt – wurde die SPD gegründet, hier wurde Robert Görlinger zum Vorsitzenden bestimmt.
Ende August war der organisatorische Aufbau der SPD in Köln abgeschlossen, in allen 23 Distrikten (heute als Ortsvereine bezeichnet) hatte sich die SPD konstituiert. Offiziell wurde die Kölner Organisation am 29. September 1945 bei einer Versammlung in der Kölner Universität gegründet.
Erste Überlegungen zur Gründung einer SPD-Jugendorganisation gab es schon im Exil in London, wo sich auch viele Kölner und rheinische Sozialdemokraten aufhielten. Im Sommer 1943 wurde dort die Sozialistische Jugend gegründet, ihr gehörten ca. 25 Jugendliche aus der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), dem Sozialistischen Jugendverband (SJV) und Jugend des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK-Jugend) an.
Auf dieser Idee aufbauend – immerhin waren mehrere Genossinnen und Genossen aus dem Londoner Exil nach Köln zurückgekehrt (u.a. Werner Hansen, Willi Eichler, Susi Miller) – trafen sich ab Sommer 1945 in der Wohnung Josef Houbers junge SPD Mitglieder, Ehemalige der früheren sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Jugendorganisationen und Sympathisanten, um über den Aufbau einer SPD-Jugendorganisation zu diskutieren. Das Problem drängte, da schon im August die KPD in Köln die Deutsche Volksjugend (DVJ) gegründet hatte. Das SPD-Bezirksbüro erkannte im September 1945 die Dringlichkeit der „Jugendfrage“ und teilte in einem Rundschreiben mit:
„Wir können auf eine besondere sozialistische Jugendorganisation nicht verzichten, weil sie als Voraussetzung für die Schulung unseres Nachwuchses erforderlich ist … Auf keinen Fall können unsere Genossen sich an der Organisation der sogenannten Volksjugend beteiligen.“
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wurde auch bei der Jugendorganisation der Kölner SPD die Idee einer Einheit der beiden Arbeiterparteien verworfen.
Ziel der Gründungsabsichten war es, eine Jugendorganisation der SPD zu schaffen, die integraler Bestandtteil der Partei war. Die Auseinandersetzungen zwischen der SPD und einer formal selbständigen SAJ wie vor 1933 waren wohl manchen Sozialdemokraten noch im Gedächtnis. So einigten sich die Genossinnen und Genossen nach mehreren Treffen in Houbers Wohnung, einen Sozialistischen Jugendverband (SJV) zu gründen. In einigen Distrikten wurde dies auch in die Tat umgesetzt. So wurde im November/Dezember in Dellbrück unter Federführung von Robert Wieland auf dem Turner Hof eine solche Jugendgruppe gegründet. Der Anfang Dezember bei der Militärbehörde gestellte offizielle Antrag auf Gründung des SJV in Köln scheiterte aber am Einspruch der Briten. Es blieb somit nichts anderes übrig, als vorerst eine parteiunabhängige Organisation zu gründen. Dies wurde dann die Sozialistische Jugend – Die Falken, die im Frühjahr die Genehmigung der Militärbehörde erhielt. Ein Provisorium, das bis heute besteht. Maßgebend beteiligt an der Gründung der Falken war Heinz Schack. Von Anfang an war klar, daß keine Einheit mit dem kommunistischen Jugendverband DVJ (die spätere Freie Deutsche Jugend (FDJ)) angestrebt wurde, Befürworter wurden aus den Falken und der SPD ausgeschlossen.
Auch auf der Ebene der drei Westzonen gab es Überlegungen der SPD, eine zentrale Jugendorganisation zu gründen. So trafen sich im April 1946 in Frankfurt unter der Leitung des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer Mitglieder früherer SPD- bzw. ihr nahestehender Jugendorganisationen, um eine erste Diskussion über eine zu gründende Jugendorganisation zu führen. Hauptaufgabe dieser zukünftigen Jugendorganisation sollte die Schulung junger SPD-Mitglieder sein. Der erste Nachkriegsparteitag der SPD im Mai in Hannover beschloß deshalb, im Zuge des Wiederaufbaus der Partei eine Jugendorganisation mit dem Namen „Jungsozialisten“ zu gründen. Der SPD-Parteivorstand setzte im Sommer als Juso-Zentralsekretär Hans Hermsdorf – vor 1928 SAJ-Funktionär – ein, und beauftragte ihn mit dem Aufbau der Jusos. Auf einer zentralen SPD-Jugendkonferenz in Nürnberg vom 26.-28. Juli 1946 wurde ein Juso-Zentralausschuß aus je zwei Vertretern der drei Westzonen gewählt und das Juso-Höchstalter auf 35 Jahre festgesetzt. Der Hintergrund dieser Altersgrenze war, daß man jungen Erwachsenen, die aufgrund der NS-Zeit keine sozialistische Jugendorganisation durchlaufen konnten, nachträglich in die SPD-Jugendorganisation einbeziehen wollte.
In Köln entstand nach Vorgabe dieses Rahmens im Sommer 1946 aus den halblegalen SJV-Distriktsgruppierungen die Juso-Organisation. Erster Vorsitzender/Sprecher wurde Wieland. Er war 1913 geboren, 1925 trat er in den Arbeiterturn- und Sportbund Köln 93 Aachentor ein, 1929 war er Gründungsmitglied der SAJ-Gruppe Zollstock und 1932 wurde er Mitglied der SPD. 1946 wurde er in den SPD-Kreisvorstand unter dem neuen Vorsitzenden Christian Fette gewählt. Die erste zentrale Juso-Versammlung fand am 10. August in Deutz in der Mathildenstraße statt. Mit der Kölner SPD-Führung wurde über den „Aufbau eines wahren Sozialismus in Deutschland“ diskutiert. In den Distrikten wurden die ersten Juso-Arbeitsgemeinschaften (AGen) gegründet, am Jahresende waren es zwölf, an deren Veranstaltungen regelmäßig 10 bis 30 Genossinnen und Genossen teilnahmen. Aktive Juso-AGen gab es unter anderem in den Distrikten Köln-Süd, Ehrenfeld, Kalk, Buchforst und Mauenheim.
3. Stabilisierung, überörtlicher Aufbau, Entwicklung zur Bildungsorganisation
Die Kölner Jusos entfalteten eine rege Tätigkeit. Monatlich versuchten sie eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Im November 1946 wurde eine Gedenkfeier zur erinnerung an die November-Revolution 1918 in der Gaststätte „Vita“, Werderstraße, mit dem Referenten Heinz Kühn, der im Dezember 1945 aus dem belgischen Exil zurückgekehrt war, durchgeführt. Im gleichen Monat, am 22. November, wurde die „Sozialistische Studentengruppe Köln“ in der gleichen Gaststätte gegründet, diesmal hielt der SPD-Bezirksvorsitzende – und ehemalige ISKler – Eichler das Referat zu Problemen der Hochschulreform. Auf der Jahresabschlußfeier der Kölner Jusos am 14. Dezember referierte erneut Eichler, diesmal zum Thema Staat, Religion und Kirche. Im neuen Jahr wurde der monatliche Rhythmus beibehalten. Im Januar 1947 luden die Kölner Jusos zu einem Besuch der Ausstellung Haubrich ein. Josef Haubrich, Sozialdemokrat und Kunstsammler, hatte viele Gemälde deutscher Expressionisten gesammelt, Künstler, die bei den Nazis als „entartet“ galten. Später schenkte er diese Sammlung der Stadt Köln. Im Februar folgte eine Juso-Diskussionsveranstaltung zum Thema „Deutschland und die kommende Friedenskonferenz“.
Neben diesen öffentlichen Veranstaltungen galt es auch, die jungen Genossinen und Genossen zu schulen. Darum kümmerte sich Kühn, der inzwischen leitender Redakteur der Rheinischen Zeitung geworden war. Vom Alter her war er, 1912 geboren, noch Juso. Zusammen mit Susi Miller gab er ab November 1946 die Juso-Broschüre Jungsozialistische Informationen heraus. Die Kölner Jusos, aber auch die aus dem Bezirk, trafen sich ab Ende 1946 öfter in der Wohnung von Heinz und Marianne Kühn in der Kirchhofstraße in Buchheim. Nach der Schilderung von Wieland war Heinz Kühn ein guter Theoretiker und liebte die Diskussion. Später gab er auch Schulungsmaterialien für den Juso-Bezirk heraus. So war es auch nur folgerichtig, daß Kühn der Beauftragte des SPD-Bezirksvorstandes für die Juso-Arbeit wurde. Er leitete auch die erste Juso-Bezirkskonferenz „Obere Rheinprovinz“ (später „Bezirk Oberrhein“, und dann ab Ende der 40er Jahre „Bezirk Mittelrhein“) am 10./11. Mai in der Gaststätte „Vita“ in Köln. Auf dieser Konferenz wurden der Juso-Arbeitsausschuß für den Bezirk gewählt, die Berichte der Kreisverbände und AGen entgegengenommen, und Kühn hielt ein Grundsatzreferat über die kommende Arbeit. Der Kölner Juso-Vorsitzende Wieland wurde zum Juso-Bezirkssekretär bestellt; er blieb dies bis April 1948, dann wurde er SPD-Bezirkssekretär.
Sein Nachfolger in Köln wurde 1948 Paul Fuchsius. Der Aufbau der Juso-Organisation im Bezirk und Kreis (erst ab 1968 kam die Bezeichnung Unterbezirk) war abgeschlossen. Auf Bundesebene gab es vom 22. bis 24. Mai die erste damals noch als „Reichskonferenz“ bezeichnete zentrale Konferenz der Jusos in Gelsenkirchen. Dort wurde der Juso-Zentralsekretär Hermsdorf nachträglich in diese Funktion gewählt, damals gab es ca. 480 Juso-AGen. Kölner Delegierte waren u.a. Paul Fuchsius, Fritz Schonauer, Heinz Kühn, Marianne Kühn, Susi Miller, Robert Wieland und Jakob Moneta.
Ein Problem hatten die Kölner Jusos bei ihren Veranstaltungen. Sie hatten kein Versammlungsheim und mußten deshalb ihre Versammlungen in Gaststätten – in der Regel im „Vita“ – durchführen. Aber dort mußte etwas verzehrt werden, und insbesondere junge Menschen hatten kein oder wenig Geld. Wieland schildert die Situation:
„Wir haben beim Hein Hamacher gesessen und überlegt, was wir tun können. Wir haben dann gesagt, wir brauchen ein Juso-Heim. Dort können wir uns dann treffen, so oft wie wir wollen. Außerdem macht uns ein Heim attraktiver für Jugendliche. Der Hamacher hat dann über den Bürgermeister Görlinger in Deutz so ein altes Parkhaus besorgt, das halb zerstört war. Heute steht dort der Tanzbrunnen. Unter meiner Leitung haben dann die Jusos das Haus von Anfang 1947 bis zum Herbst renoviert bzw. wiederaufgebaut. Geholfen haben uns dabei die Lehrlinge von KHD, die haben uns die Stahlfenster gebaut. Das hat der Hamacher organisiert, der ist zum Betriebsrat von KHD gegangen und hat gesagt, daß wir Hilfe brauchen. Der hat das dann angeordnet, die Betriebsleitung hat sich nicht getraut, etwas dagegen zu sagen; die hatten doch alle noch Angst, weil sie noch aus der NS-Zeit belastet waren. Das Holz haben wir von einem Förster aus Dünnwald bekommen, das Glas von der Germania aus Porz. Aus Nippes kriegten wir einen Posten Militärbetten, daraus haben wir uns dann selbst Tische gebaut. Jetzt fehlte uns nur noch der Strom. Dafür hat dann der Betriebsrat vom Felten und Guilleaume gesorgt.“
Am 27. September 1947 wurde das Juso-Heim eingeweiht, Miller hielt die Eröffnungsrede.
In der Folgezeit gab es wenige öffentliche Veranstaltungen der Kölner Jusos. Die Funktion der Jusos zeigt deutlich ein Rundschreiben des Juso-Zentralsekretärs an alle 22 Parteibezirkssekretäre. Darin werden diese aufgefordert, Juso-AGen zu gründen und bereits bestehende Aktivitäten zu unterstützen und zu koordinieren. Dabei hätten die Jusos die Aufgabe, der Schulungsverein für junge SPD-Mitglieder zu sein.
Auf Bezirksebene wurde eine Jungsozialistische Schriftenreihe herausgebracht, „zur Schulung der Jungsozialistischen Arbeitsgemeinschaften der Sozialdemokratischen Partei des Bezirks Obere Rheinprovinz“. Heft 1 war von Max Adler: Die Aufgabe der Jugend in unserer Zeit, Heft 2 war von Kühn geschrieben: Überwindung des Nationalismus.
Wie schwer es nach der NS-Zeit war, junge Menschen für die SPD zu gewinnen, zeigt eine Mitgliederanalyse von 1948. Danach waren 1,8 % der Kölner SPD-Mitglieder unter 30 Jahren, 18 % unter 40 Jahren alt.
Im Jahre 1949 beschloß der Kölner SPD-Parteitag, die Jusos und die Falken in die neugegründete Sozialistische Bildungsgemeinschaft (SBG) einzubeziehen.
Aus der Zeit von 1945 bis 1950 sind keine Konflikte zwischen Jusos und der Kölner SPD bekannt. Auch zu dem durchaus brisanten Thema des Antikommunismus, der sich auch gegen die Marxisten in der SPD richtete, gab es keinen Dissens. So wurde schon im Zuge der bundesweiten Kommunistenhetze am 3. März 1950 mit 17 gegen drei Stimmen die kommunistische FDJ aus dem Kölner Jugendring ausgeschlossen. Der von der katholischen Jugend gestellte Antrag wurde von den Falken, der Naturfreundejugend und Gewerkschaftsjugend begrüßt, dagegen stimmten die 3 FDJ-Mitglieder. Es enthielten sich die Pfadfinder, Deutsche Jungenschaft und die Sportjugend. Als am 26. Juli 1951 die FDJ durch die Landesinnenminister verboten wurde, wurde das auch bei den Kölner Jusos klaglos hingenommen.
4. Politisierung der Jusos in den 50er Jahren
Die von der Adenauer-Regierung geplante Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und ihre Einbindung in ein westliches Verteidigungsbündnis bewirkte bei den Jusos einen Schub in Richtung Politisierung. Die ersten Veranstaltungen gegen die Wiederaufrüstung wurden jedoch durch die 1946 von dem Sozialdemokraten Max Heinig in Köln wiedergegründete Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) durchgeführt. Diese war eine dem Pazifismus verpflichtete Organisation, die sich auf die sozialistische Pädagogin Anna Siemsen und den religiösen Sozialisten Pfarrer Fritze berief.
Gemeinsam mit anderen Kölner Gruppen organisierte die Kölner DFG im Januar 1950 im Agnessaal eine Kundgebung mit 250 Teilnehmern. Die Ehrenvorsitzende Anna Siemsen referierte zu dem Thema „Nie wieder deutsche Wehrmacht“. Auf dem DFG-Bundestag im September des gleichen Jahres in Köln wurde eine öffentliche Kundgebung in der „Bürgergesellschaft“ mit dem Motto „Völker rettet den Frieden“ durchgeführt; Redner war unter anderen das DGB-Bundesvorstandsmitglied Ludwig Rosenberg. Im Gegensatz zur DFG gründete sich im Frühjahr 1951 in Köln der „Ausschuß für Volksbefragung gegen Remilitarisierung“, der maßgeblich durch die KPD und die FDJ beeinflußt war. Die DFG lehnte eine Beteiligung an dieser Aktion ab. Einzelne Jusos und Naturfreunde beteiligten sich jedoch an Aktionen des Ausschusses. Trotz Verbotes der Volksbefragung durch die Bundesregierung im April 1951 sammelte der Ausschuß in Köln vor den Industriebetrieben weit über 5.000 Unterschriften mit der Forderung nach einem Plebiszit. In Köln entstand eine breite Bewegung gegen die Wiederbewaffnung. Zusammen mit den Falken und der Naturfreundejugend nahmen sich die Jusos des Themas Wiederaufrüstung immer stärker an. Aus den folgenden Aktivitäten schälte sich im Jahre 1953 die Gründung der Gruppe Kölner Wehrdienstverweigerer (GKW) heraus.
Dieser Politisierung folgten Diskussionen und Aktivitäten über die Kolonialisierung Nordafrikas und der Streit um programmatische Veränderungen in der SPD bis zum Godesberger Programm. Zusammen mit den Falken und der Naturfreundejugend wurden diese Themen diskutiert und auch in gemeinsamen Aktivitäten öffentlich gemacht. Die Gründung des Arbeiterjugendkartells (AJK) zählt sicherlich zu den herausragenden Aktivitäten der Kölner Jusos in den 50er Jahren. Einen wichtigen Hintergrund zum Verständnis dieser Aktivitäten stellt der Einfluß der – trotzkistischen – IV. Internationale auf die Kölner Jusos dar.
4.1 Der Einfluß der IV. Internationale
1953 gewannen Trotzkisten, das heißt Mitglieder der deutschen Sektion der IV. Internationale, personell und inhaltlich Einfluß auf die Kölner Jusos und die Falken.
Die IV. Internationale wurde 1938 von Leo Trotzki in Paris gegründet. Nach 1945 wurde – auf der Grundlage des „Buchenwaldmanifestes der Trotzkisten“ vom 20. April 1945 (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Manifest sozialdemokratischer und kommunistischer Gefangener des KZ Buchenwald) – die deutsche Sektion gegründet, der jedoch nur wenige Mitglieder angehörten. Ab 1947 hat eine kleine Gruppe von ca. drei Personen in Köln Fuß gefaßt, der auch der Journalist Jakob Moneta von der Rheinischen Zeitung angehörte.
„Das Ziel des Trotzkismus ist die Errichtung revolutionär-kommunistischer Massenparteien auf den Grundprinzipien des Trotzkismus der IV. Internationale“, so formulierte es Georg Jungclas, seit 1946 hauptamtlicher Sekretär und Mitglied des Exekutivkomitees der IV. Internationale in einem Referat vor der 4.Weltkonferenz dieser Internationale. Zuerst versuchten die wenigen Mitglieder der deutschen Sektion, diese Idee in der SPD, KPD und den Gewerkschaften umzusetzen. Sie konnten aber bis Ende der 40er Jahre nicht eine Spur von Einfluß in diesen Organisationen gewinnen. Die deutsche Sektion gründete deshalb mit finanzieller Unterstützung Jugoslawiens, das kurz zuvor mit Stalin gebrochen hatte, im März 1951 die Unabhängige Arbeiterpartei (UAP). Sie zerbrach schon im August des gleichen Jahres, u.a. auch deshalb, weil Jugoslawien die finanzielle Unterstützung wieder beendet hatte.
Ende 1951 siedelte Jungclas aus Aschaffenburg über Düsseldorf nach Köln um. Er baute die Kölner Gruppe der deutschen Sektion auf, der Ende der 50er Jahre zehn bis zwölf Mitglieder angehörten.
Nach dem Scheitern einer eigenständigen Partei änderte die IV.Internationale nach langen und kontroversen Diskussionen ihre Strategie. Die 3. Weltkonferenz beschloß Anfang der 50er Jahre die Hinwendung zum „Entrismus“. Damit war gemeint, in Osteuropa in die stalinistischen kommunistischen Parteien und im Westen in die reformistischen Massenparteien einzutreten (in der BRD, Großbritannien und den skandinavischen Ländern in die sozialdemokratischen bzw. sozialistischen und in Frankreich und Spanien in die kommunistischen Parteien), so Jungclas in seinem Referat vor der 4. Weltkonferenz.
„Durch ihre entristische Arbeit hofft sie, zur Herausbildung eines linken Flügels (in der SPD, d.V.) beizutragen, der sich in einer fortgeschrittenen Situation von der Sozialdemokratie abspalten und eine in Teilen der Arbeiterschaft verankerte zentristische Partei bilden werde.“
Zur Umsetzung dieser Strategie wurden in verschiedenen deutschen Städten trotzkistische Kader gebildet so u.a. in Köln, Stuttgart, Mannheim, Frankfurt und Berlin. Bis Ende der 50er Jahre waren dort bundesweit ca. 60 Personen organisiert. Die Kader „haben – im Unterschied zu den Massen – die Einsicht in die Voraussetzungen und die Bedingungen aller dynamischen Prozesse“. Sie müssen „die einzelnen Schritte mit den Massen bewußt unternehmen und den nächsten Schritt bereits vorher erkennen“. Die Kader müssen als „Kristallisationspunkte für linke Strömungen dienen“, so führte Jungclas in seinem Referat aus.
Die im Entrismus angelegte Spaltungsabsicht wird oft überbewertet. Andere Gesichtspunkte standen eher im Vordergrund. Nach dem Scheitern der UAP dohte die Gefahr des Sektierertums. Um überhaupt noch am politischen Geschehen aktiv teilnehmen zu können und es beeinflussen zu können, wurde der Entritt in die Massenparteien propagiert.
In Köln war die entristische Strategie nur dem Kader der Kölner Gruppe bekannt. Ihr gehörten u.a. Georg Jungclas, Leni Perz (später verh. Jungclas), Heinz Beinert, Hans Peiffer, Horst Schöler, Willi Drehsen und ab Ende der 50er Jahre Herbert Fulfs und Helmut Wendler an. Bestimmende Persönlichkeit in Köln war Jungclas (1912-1973). Von ihm gingen viele Impulse aus, er war in den 50er Jahren Lehrmeister mancher Jusos und Falken. An einige Ideen hängten sich die Trotzkisten an, so an die antimilitaristische Bewegung, die in Köln schon seit Ende der 40er Jahre bestand. Andere Anstöße waren die Einrichtung der Filmgilde durch Jusos und Falken, die Algeriensolidarität und das AJK in Köln.
Dabei gab es in der Kölner SPD nicht nur die Trotzkisten, die sich als „linke“ Gruppierung verstanden. Eine Gruppe von Alt-Linken – zumeist Gewerkschafter – fand sich im Marxistischen Arbeitskreis (MAK) zusammen, um sozialistische Zielvorstellungen wachzuhalten und weiter in der SPD-Programmatik zu verteidigen. Diese Gruppe war nicht von trotzkistischem Gedankengut beeinflußt. Ihr gehörten u.a. Leo Amann (Bickendorf), Peter Görres (Nordstadt), Hermann Vogel (Höhenhaus), Hermann Grczezki (Südstadt), Willi Perz (Höhenhaus) und Siegfried Braun an.
4.2 Das Arbeiterjugendkartell
Schon 1949 ist eine intensive Zusammenarbeit von Jusos und Falken dokumentiert, die durch die Kölner SPD – wie bereits erwähnt – in die SBG einbezogen wurden. Diese Kooperation dokumentierte sich auch in der gemeinsamen Führung eines von der Arbeiterwohlfahrt im November 1949 den sozialistischen Jugendorganisationen übergebenen Freizeit- und Schulungsheims am Venloer Wall, das von Falken, Jusos und Sozialistischer Studentengruppe Köln genutzt wurde.
Die Arbeitsteilung zwischen Jusos und Falken sollte nach einem Beschluß des Organisationsausschusses der Bundes-SPD so aussehen, daß Jugendliche bis 20 Jahren bei den Falken und danach bei den Jusos Mitglied werden sollten. In Köln wurde dies nicht so rigoros gehandhabt, hier verblieben die jungen Genossen in der Regel bis zum 25. Lebensjahr bei den Falken und wechselten danach erst zu den Jusos.
Sporadisch gab es schon eine Zusammenarbeit einzelner Jusos mit den Naturfreunden in dem von KPD und FDJ initiierten „Ausschuß für Volksbefragung gegen die Remilitarisierung“ im Frühjahr 1951. Dieser Kampf gegen die Militarisierung stand immer mehr im Zentrum gemeinsamer Aktivitäten von Jusos, Falken und Naturfreundejugend, die dieses Thema nicht nur von den kommunistischen Organisationen besetzt lassen wollten. So gab es im Sommer 1952 die erste offizielle Zusammenarbeit dieser sozialistischen Organisationen, die sich in einer eindrucksvollen Kundgebung gegen den Generalvertrag und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft manifestierte. Willi Eichler, mittlerweile SPD-Bezirksvorsitzender, berichtete im Juli 1952 auf dem Bezirksparteitag, daß die „Zusammenarbeit mit den Falken und Jusos im vergangenen Jahr sehr viel intensiver und jetzt erfreulich ist“.
Offiziell wurde die Zusammenarbeit von Jusos, Falken und Naturfreundejugend im Jahr 1953, als diese drei Organisationen das Arbeiterjugendkartell (AJK) Köln bildeten. Dabei handelte es sich nicht um eine institutionalisierte Zusammenarbeit (wie z.B. im Freien Ortskartell Dünnwald mit Vorstand, Satzung und Wahlen), sondern um eine enge Koordination durch die Spitzenfunktionäre der drei Organisationen, um gemeinsame Aktivitäten unter dem Namen AJK vorzubereiten und durchzuführen. So wurden Flugblätter zu den gemeinsamen Veranstaltungen herausgegeben mit einem Logo, das das antifaschistische Emblem der sozialistischen Organisationen aus der Endphase der Weimarer Zeit als Erkennungszeichen nutzte (drei von rechts oben nach links unten weisende Pfeile). Eine Einbindung der DGB-Jugend Köln schlug fehl, da diese aufgrund des Einheitsgewerkschaftsgedankens auf eine parteipolitische Mitarbeit verzichten mußte.
Die Idee, eine Gruppe Kölner Wehrdienstverweigerer (GKW) zu gründen, wurde im AJK geboren, aber auch die Gründung der Filmgilde, eines Jugendfilmclubs, der anspruchsvolle und politische Filme zeigte, u.a. auch Filme der DDR-Filmgesellschaft DEFA. Auch wurden viele gemeinsame Aktionen gegen die Wiederbewaffnung geplant und durchgeführt.
Als das DGB-Ortskartell Köln ab 1955 die 1. Mai-Demonstrationszüge abschaffte – vorher zogen die organisierten Kolleginnen und Kollegen von verschiedenen Sammelpunkten sternförmig zum Kundgebungsplatz Neumarkt – eröffnete sich für das AJK sein wichtigstes Betätigungsfeld. Es veranstaltete jährlich am 1. Mai einen Demonstrationszug vom Ebertplatz zum Kundgebungsort. Den Zug von 1955 organisierten die Falken fast allein, wobei dies in Absprache mit der Kölner IG Metall und den großen Metallbetrieben (z.B. Ford dem ihrem Betriebsratsvorsitzenden Görres) geschah. Ab 1956 bis in die 60er Jahre war das AJK Köln der Veranstalter des jährlichen Zuges. Dabei traten die beteiligten drei Organisationen mit ihren Fahnen und gemeinsamen Transparenten mit zuvor erarbeiteten politischen Forderungen auf. So sind zum 1. Mai 1957 Transparente mit den Slogans „Schluß mit den Atombombenversuchen“, „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“ (siehe Abb. 4), und zum 1. Mai 1958 „Freiheit für das algerische Volk“, aber auch „Kampf dem Atomtod“ und „Nieder mit der Atombombenregierung“ dokumentiert. Diese politischen Transparente führten zu Spannungen mit dem DGB Köln, der die Losungen lieber auf arbeitnehmerspezifische Forderungen reduziert sah. Aus diesem Grunde wurde zwischen dem Kölner DGB und der SPD vereinbart, daß die Jusos (bzw. das AJK) ihre Parolen durch den SPD-Kreissekretär Josef Erfen genehmigen lassen müßten.
Trotz Genehmigung durch die SPD kam es am 1. Mai 1959 wegen des Transparentes „Verhindert die Präsidialdiktatur!“ (Hintergrund war die von Adenauer geäußerte Idee, als Bundespräsident zu kandidieren) zu einem Eklat. Wendler, damals Falkenfunktionär, erinnert sich:
„Nachdem wir gerade einmal 500 Meter gelaufen waren, kamen in Höhe des Hansahochhauses zwei zivile Polizisten des 14. Komissariats (politische Polizei, d.V.) und zwei uniformierte Polizisten und wollten unser Transparent beschlagnahmen. Paul Schulder (damals im Juso-Arbeitsausschuß, d.V.) gab das aber nicht ab. Bei dem Gerangel ging das Transparent kaputt. Paul Schulder hatte auf einmal nur noch die Transparentstange in der Hand. Nur mit Mühe konnten wir ihn daran hindern, mit diesem Knüppel auf die Polizei einzudreschen. Das zerissene Transparent wurde von der Polizei konfisziert.“
Auch 1960 wurden wieder politische Parolen zur 1. Mai-Demonstration getragen, so u.a. „Ächtet die Atomwaffen“ und „Kampf den Feinden der Demokratie“. Anlaß der letzten Forderung war das verstärkte Auftreten neonazistischer Organisationen, das sich z.B. in Schmierereien mit Nazi-Symbolen an der Kölner Synagoge dokumentierte. Ein Highlight, das bundesweit Aufsehen erregte, war die Kranzniederlegung des AJK in Wahn an den Gräbern der im September 1917 wegen „Kriegsverrats“ erschossenen Soldaten der kaiserlichen Marine, dem Oberheizer Max Reichpietsch und dem Heizer Albin Köbis. Neben dem AJK waren an dieser Veranstaltung die Arbeitsgemeinschaft politisch verfolgter Sozialdemokraten und der Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) beteiligt. Geboren worden war diese Idee im Herbst 1958 in der Gaststätte des Gewerkschaftshauses, als mehrere Genossen des AJK beratschlagten, wie der 9. November, der 40. Jahrestag der Novemberrevolution 1918, würdig begangen werden könnte. Ein Kollege, der 1929 im Auftrag des Rotfront-Kämpfer-Bundes einen Gedenkstein für die Erschossenen gemeißelt hatte, brachte die Anwesenden auf die Idee, dort am Platze des Gedenksteins in Wahn einen Kranz niederzulegen. Aber das war jetzt Bundeswehrgelände. Also wurde der Standortkommandant angeschrieben, um die Genehmigung zu erlangen. Der war wohl überfordert und leitete diese Anfrage an das Bundesverteidigungsministerium weiter. Dieses wandte sich an den SPD-Bundesvorstand mit der Bitte um Klärung. Der wiederum versuchte, die Kölner Jusos von dem Vorhaben abzubringen. Insbesondere deshalb, weil die SPD zur Zeit versuchte, ein positives Verhältnis zur Bundeswehr herzustellen. In dieser Situation war die Kölner Initiative nur störend. Aber die Jusos unter der Leitung von Herbert Fulfs sowie die Falken unter dem Bezirkssekretär Heinz Beinert ließen sich nicht abwimmeln. Schließlich wurde durch den Standortkommandanten am 6. November 1958 – drei Tage vor der geplanten Aktion – die Genehmigung unter der Auflage erteilt, „daß … ohne Kapelle mit einer kleinen Abordnung bis zu zehn Teilnehmern, … das Gelände des Fliegerhorstes Wahn betreten (werden dürfe), um auf dem dortigen Kriegerfriedhof einen Kranz niederzulegen“. Der Kommandant muß wohl Angst vor revolutionären Umtrieben gehabt haben, weil er scharfe Munition an die Wache ausgeben ließ. Aber es passierte natürlich nichts. Ca. 120 Demonstranten marschierten bis zum Militärgelände, am Tor wurden elf (nicht nur zehn wie genehmigt) Leute mit einem Kranz eingelassen. Diese Gruppe legte den Kranz nieder mit den Worten: „Wir neigen uns in Ehrfurcht vor Reichpietsch und Köbis und versprechen, ihren Kampf fortzusetzen.“ Diese Aktion ging durch die gesamte deutsche Presse, die Zeit, die Frankfurter Hefte und fast alle überregionalen Zeitungen berichteten. Ein so großes Echo hatte das Kölner AJK lange nicht mehr gehabt.
4.3 Der Kampf gegen Wiederaufrüstung und Atomwaffen
Erste Ansätze einer Friedensbewegung in Köln gab es schon 1946 durch die bereits erwähnte Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Diese relativ kleine Gruppe führte bis Anfang der 50er Jahre verschiedene Aktivitäten durch. Ab 1951 besetzten die KPD und die FDJ thematisch den Kampf gegen die Wiederaufrüstung durch den „Ausschuß für Volksbefragung gegen Remilitarisierung“. Die Jusos, die in beiden Initiativen vereinzelt mitarbeiteten, erkannten als Gesamtorganistaion erst 1952 den Kampf gegen die Wiederaufrüstung als politisches Ziel. Eine große Veranstaltung der Sozialistischen Studentengruppe Köln an der Universität im Februar 1952 dokumentiert dies. Innerhalb der Kölner sozialdemokratischen Jugendorganisationen begann eine Diskussion über eine gemeinsame Strategie gegenüber der Wiederbewaffnung. Auf der einen Seite gab es die Pazifisten, auf der anderen Seite die Antimilitaristen, die zwar eine Bundeswehr ablehnten, aber keine Gegner eines Waffeneinsatzes in bestimmten politischen Umbruchsituationen waren. Am Ende dieser Diskussion entstand die Idee, durch massenhafte Kriegsdienstverweigerung das Entstehen einer Bundeswehr zu verhindern. Aus diesem Grunde wurde am 25. September 1953 die Gruppe Kölner Wehrdienstverweigerer (GKW) durch den Studenten Albert Graf, den Drahtflechter Karl Jonas, den Elektromonteur Horst Keller, den Vertreter Anton Kolzen, den Journalisten Hans Hermann Köper, den Schlosser Heinz Wientgen und den IG-Metall-Jugendsekretär Hans-Jürgen Wischnewski gegründet. Zumindest Keller und Wischnewski waren damals in Juso-Führungsfunktionen, die anderen kamen zumeist aus dem Bereich der Falken. Eine Minderheit war gegen die Gründung, da sie in der GKW die Gefahr einer Entwicklung in Richtung pazifistischer Organisationen sahen.
Darunter zählte auch Willi Drehsen, der bis 1957 Kölner Juso-Vorsitzender war. Auch wenn er gegen die Gründung war, unterstützte Drehsen die GKW, deren erster Vorsitzender Wischnewski war, seit Bestehen solidarisch. Die Mehrheit in der GKW war jedoch bei der Gründung antimilitaristisch eingestellt. Die Gruppe arbeitete eng mit dem AJK zusammen. Sie und auch ihre Nachfolgeorganisation Gruppe der Wehrdienstgegener (GdW) war strikt antikommunistisch eingestellt. So war im Aufnahmeantrag die Versicherung enthalten, daß sich der Bewerber von Kommunisten und ihren Tarnorganisationen distanziert. Eine erste kleine öffentliche Demonstration führte die GKW an einem der ersten Dezembersonntage 1953 auf der Schildergasse und Hohestraße durch. Die Demonstranten hatten sich Pappschilder mit politischen Forderungen umgehängt und verteilten Flugblätter. Zum Jahresende hatte die Gruppe 24 Mitglieder gewonnen. Im Frühjahr 1954 löste Köper – damals Juso-Bezirksvorsitzender – Wischnewski als Vorsitzender der GKW ab. Die Gruppe verstärkte ihre Öffentlichkeitsarbeit. Im Oktober führte sie einen dreistündigen Autokorso (drei PKWs und 15 Motorräder) durch Köln durch; der Vorsitzende Köper nutzte die große Pressepräsenz, um sich in einer Erklärung von „Friedensfreunden kommunistischer Machart“ zu distanzieren. Inzwischen war die Mitgliedschaft auf ca. 100 gewachsen. Da sich die Gruppe auch über Köln hinaus in NRW ausbreitete, änderte sie im Herbst ihren Namen in Gruppe der Wehrdienstverweigerer (GdW). Sie beteiligte sich aktiv bei einem „Kölner Mittwochsgespräch“ im November mit dem Thema „Wollen die Zwanzigjährigen Soldat werden?“, an dem über 1.500 Menschen teilnahmen.
Anfang 1955 hatte die GdW bundesweit schon ca. 1.000 Mitglieder, hauptsächlich jedoch in NRW. In diesem Jahr wurde die Diskussion um einen Wehrbeitrag der BRD immer konkreter, die Debatten im Bundestag bewiesen dies. In einer Großkundgebung von GdW, AJK und mit Beteiligung des DGB Köln im Februar sprachen sich die zahlreichen Teilnehmer gegen jede Beteiligung Westdeutschlands an einem westlichen Militärbündnis aus. Am Vorabend der Pariser Verträge über die Einbindung der Bundeswehr in ein westliches Bündnis veranstalteten das AJK und die Wehrdienstverweigerer gemeinsam mit der SPD am 4. Mai eine mächtige Protestkundgebung im Williamsbau, der sich eine Fackeldemonstration zum Neumarkt anschloß. Dabei kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei der der Juso-Funktionär Graf von den Ordnungshütern verprügelt wurde.
Auch intern versuchten die Jusos, das Thema Bundeswehr zu vertiefen. Auf einer Mitgliederversammlung im Mai referierte Wischnewski vor 43 Teilnehmern über die ablehnende Stellungnahme der Jusos zu den Wehrgesetzen. Damals war er noch ein Gegner der Bundeswehr und der bundesrepublikanischen Beteiligung an einem westlichen Bündnis.
Auf dem ersten Bundeskongreß der GdW am 30. Oktober 1955 in Duisburg wurde als Nachfolger Köpers der Genosse Stuckmann zum Bundesvorsitzenden der Gruppe gewählt, deren Mitgliedschaft 1956 auf über 15.000 angewachsen war.
Auch im nächsten Jahr führten die Jusos zusammen mit den befreundeten Organisationen öffentliche Aktionen zu dem Thema durch. Im Januar und Juni gab es einen Fahrradkorso durch die Innenstadt mit Flugblattverteilung. Anschließend wurde eine öffentliche Protestveranstaltung durchgeführt.
Nachdem im Juli 1956 das Soldatengesetz mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen worden war, konzentrierten sich die Juso-Aktivitäten auf den Kampf gegen Atombombenversuche und die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen.
Die GdW kümmerte sich jetzt immer stärker um die Wehrdienstverweigerer, sie führte Beratungen für die jungen Menschen im DGB-Haus durch und vertrat diese auch juristisch. Aus Sicht vieler Jusos degenerierte diese Organisation immer mehr zu einer rein pazifistischen Vereinigung.
Im Mai 1958 fusionierte die GdW mit Teilen der Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) zum Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK). Mitglied Nr.1 der neuen Organisation war Günter Schlatter, der spätere SPD-Bezirksvorsitzende.
Schon zum Jahreswechsel 1957/58 gab es Protestveranstaltungen – insbesondere im gewerkschaftlichen Bereich – gegen die Pläne der NATO, in Europa Atomwaffendepots zu errichten. Der DGB-Bundesvorstand kämpfte vehement gegen die Pläne der Adenauer-Regierung, auch die Bundeswehr atomar aufzurüsten. Er schloß sich deshalb im März 1958 der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ an. Nun konnte auch die SPD nicht mehr abseits stehen, die zu diesem Zeitpunkt schon ein positives Signal in Richtung Bundeswehr gesetzt hatte, und sprang auf den fahrenden Zug gegen die Atomwaffen auf.
Im April 1958 wurde im vollbesetzten Saal des Kölner Gürzenichs der Landesausschuß und örtliche Ausschuß „Kampf dem Atomtod“ gegründet. In diesem Ausschuß arbeiteten SPD, FDP, DGB und AJK mit, viele Kölner Künstler und Wissenschaftler beteiligten sich. Der Versuch des AJK, in Köln eine Jugendkommission dieses Ausschusses unter Beteiligung der DGB-Jugend zu konstituieren, schlug jedoch fehl.
Die öffentlichen Aktionen dieses Ausschusses in Köln wurden durch das AJK durchgeführt. So wurden zur 1. Mai-Demonstration Transparente gegen Atomwaffen gefertigt.
Eine Aktion, die international Beachtung fand, war die Mahnwache des AJK und des VK auf dem Rudolfplatz im August. Unter einer 5 m hohen Atomraketenattrappe beteiligten sich der Oberbürgermeister Theo Burauen, Mitglieder des Bundestages, Schriftsteller (u.a. Heinrich Böll) und andere Künstler (u.a. Trude Herr). Zur gleichen Zeit gab es eine Mahnwache an der Kalker Kapelle mit dem SPD-Bezirksvorsitzenden Heinz Kühn, auch hier war eine – etwas kleinere – Atombombenattrappe aufgebaut. Weit über 15.000 Unterschriften wurden innerhalb kürzester Zeit gegen die Atomrüstung gesammelt.
Ende 1958 versandete die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ in Köln, so bemerkte es der Juso-Rechenschaftsbericht im März 1959. Einzig die Beratung der Wehrdienstverweigerer blieb Ende der 50er Jahre übrig. Im Oktober 1959 gab es noch einmal einen Autokorso der VK durch Köln, verbunden mit einem Aufruf an den Jahrgang 1922, den Kriegsdienst zu verweigern.
In den 60er Jahren schloß sich die Ostermarschbewegung an.
4.4 Die Algeriensolidarität
Im Zuge der Kolonialpolitik des 19. Jahrhunderts hatte Frankreich die afrikanische Nordküste besetzt. Der Widerstand der dort lebenden Bevölkerung wurde von den Franzosen brutal niedergeschlagen. Im November 1954 begann die kurz vorher gegründete Front de Libération Nationale (FLN) einen erneuten Befreiungskampf, der von 1954 bis 1962 dauerte und zur Befreiung Algeriens führte. Der damalige französische Innenminister und Sozialist Francois Mitterand sagte zu Beginn des Befreiungskrieges: „Algerien ist und bleibt Frankreich.“ Die Rolle, der damaligen sozialistischen Partei Frankreichs, der SFIO, die den blutigen Kolonialkrieg unterstützte, war beschämend.
Die IV. Internationale mit ihren länderübergreifenden Verbindungen unterstützte den algerischen Befreiungskampf von Beginn an. Über ihre deutsche Sektion trug sie den politischen Kampf in die Öffentlichkeit. Was vor 1933 den Internationalisten der Arbeiterbewegung der spanische Kampf gegen Franco war, wurde den jüngeren Sozialisten die Algerienbefreiung. Aus dieser Solidarität enstand eine „ur- und frühgeschichtliche Schicht der Protestbewegung.“ (Karl Rössel)
In mehreren Städten – zumeist Universitätsstandorten – entstanden Gruppen zur Algeriensolidarität, zumeist beim SDS, den Naturfreunden, den Falken, der Gewerkschaftsjugend und den Jusos. Diese Frage stand in Köln zum ersten mal auf dem SPD-Kreisparteitag im Februar 1955 zur Diskussion, als sich ein Antrag des Distrikts Marienburg/Raderberg gegen die „verwerflichen Lockaktionen“ der französischen Fremdenlegion aussprach. Der gesamte brutale Kampf gegen die FLN wurde fast ausschließlich durch die Fremdenlegion geführt, deren stärkster Anteil aus Deutschland kam. Die Jusos griffen sehr bald das Thema auf, auch weil die Kölner Gruppe der deutschen Sektion der IV. Internationale dieses Thema in die Organisation trug. In einer Flugblattaktion im Mai vor den Fabriktoren von KHD wehrten sich die Kölner Jusos gegen den Besuch einer französisch/spanischen Gewerkschaftsdelegation, deren Organisationen die Franzosen gegen Algerien unterstützten. Im November des nächsten Jahres gab es eine große Protestdemonstration der Kölner Studenten unter maßgeblicher Beteiligung des SDS u.a. gegen die französische Kolonialpolitik am Suezkanal mit über 5.000 Teilnehmern. Um diese Zeit kam auch der inzwischen zum Juso-Bezirksvorsitzenden gewählte Wischnewski mit diesem Thema in Berührung. In Köln bildete sich Ende 1956 / Anfang 1957 ein „Arbeitskreis der Freunde Algeriens“. Dieser setzte große Hoffnung in die Kandidatur Wischnewskis bei der Bundestagswahl im September 1957, erwartete man doch, daß er sich unter Ausnutzung des Bundestagsmandats noch besser um die Algeriensolidarität kümmern könne. Oft fanden Gespräche von Vertretern der FLN mit der Kölner Linken über Solidaritätsaktionen bzw. konkrete Hilfe in der Wohnung Wischnewskis statt. Diese Hilfe sah ab Ende 1957/Anfang 1958 folgendermaßen aus:
- Hilfestellung zur Beschaffung von Aufenthaltserlaubnissen und Arbeitsplätzen für FLN-Leute
- Schmuggeln von in Frankreich gesuchten Franzosen und Algeriern über die deutsche Grenze
- Unterbringung und Verstecken von gesuchten FLN-Kämpfern
- Stellung von Besprechungsräumen für FLN-Treffen (so im Robert Görlinger-Falkenheim in Dünnwald)
- Abwerben von deutschen Fremdenlegionären, Aufforderung zum Desertieren
- Geldsammlungen für humanitäre aber auch militärische Hilfe
- Ernte- und Fabrikeinsätze in Nordafrika.
In diesem Zusammenhang war es natürlich wichtig, über die SPD auf die politischen Gremien und Parlamente einzuwirken, um den algerischen Freiheitskampf politisch zu unterstützen. So wurde auf dem Kreisparteitag der Kölner SPD im März 1958 in Ehrenfeld ein Antrag zu Algerien einstimmig beschlossen, der dann zum kurz darauf folgenden SPD-Bezirksparteitag weitergeleitet und dort als Resolution gegen den brutalen Kolonialismus der französischen Außenpolitik verabschiedet wurde. Gleiches galt für den Kreisparteitag im März 1959, dessen Antrag sogar den Weg bis zum SPD-Bundesparteitag fand, wo er auch beschlossen wurde.
Aber die Jusos trugen die politische Diskussion auch direkt in die Öffentlichkeit. Ab 1. Mai 1958 gab es im Demonstrationszug des AJK immer Transparente mit Forderungen zur Algeriensolidarität. Aber auch in der Organisation mußten die Informationen vermittelt und Solidarität hergestellt werden, mehrere Mitgliederversammlungen, Wochenendseminare und Bezirkskonferenzen zeigen dies insbesondere von 1958 bis 1960, wie in den jährlichen Rechenschaftsberichten der Juso-Kreis- und Bezirksorganisation vermerkt ist. 1959 und 1960 wurde jeweils eine Nordafrikareise nach Marokko durchgeführt, wo Kölner Jusos mit den Befreiungskämpfern vor Ort in Kontakt kamen und Hilfslieferungen und Geldbeträge übergeben konnten.
Auf der Juso-Bezirkskonferenz im März 1958 lag ein Antrag der Kölner Jusos an die SPD und die Sozialistische Internationale vor, sich für das Verbot der Werbung für die Fremdenlegion einzusetzen und für die Abschaffung der Fremdenlegion. Außerdem wurde der Juso-Zentralausschuß aufgefordert, eine zentrale Hilfsaktion für die Opfer des algerischen Freiheitskampfes durchzuführen; falls dies keine Mehrheit finden sollte, würden die Jusos des Bezirks Mittelrhein zusammen mit der AWO und der SPD selbständig eine solche Aktion organisieren.
Eine wichtige Funktion zur Unterstützung der FLN hatte die ab September 1958 anfangs monatlich erscheinende Zeitung Freies Algerien, die bis April/Mai 1962 23mal erschien und offiziell vom Kölner „Arbeitskreis der Freunde Algeriens“ unter Leitung Wischnewskis herausgegeben wurde. Als ihm die Sache zu heiß wurde, fungierte der Kölner Juso-Vorsitzende Herbert Fulfs als verantwortlicher Herausgeber, zum Schluß war es der Stadtverordnete und Alt-Linke Willi Perz. Die Auflage schwankte zwischen 3.000 und 6.000 Exemplaren, inhaltlich gestaltet wurde die Zeitung hauptsächlich von dem Trotzkisten Georg Jungclas.
Die Jusos, aber auch die Falken und die Naturfreunde in Köln entdeckten über die Algeriensolidarität den Internationalismus, der dann später in Aktionen für Angola, Kuba, Chile und Vietnam überleitete.
4.5 SPD-Programmdiskussion und Jusos
Nach der für die SPD verlorenen Bundestagswahl im Herbst 1953 wurden erste Stimmen laut, das gültige SPD-Grundsatzprogramm, das Heidelberger Programm von 1925, zu verändern, dem Zeitgeist anzupassen. Insbesondere die Analyse der Gesellschaft als Klassengesellschaft und das Streben der SPD, diese durch eine sozialistische zu ersetzen, sollte den Nachkriegsgegebenheiten angepaßt werden. Eine systemkonforme, an die Adenauersche Regierungspolitik angelehnte SPD-Programmatik sollte entwickelt und zügig beschlossen werden. Aus diesem Grund wurde auf dem Berliner SPD-Parteitag 1954 der Beschluß gefaßt, eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms einzurichten. Diese konstituierte sich im März 1955, ihr gehörten 34 Genossinnen und Genossen an. Ein erster Programmentwurf lag dem Stuttgarter Parteitag im Mai 1958 vor. Nach einigen Änderungen wurde dieses Grundsatzprogramm im November 1959 in Godesberg beschlossen.
Inwieweit schalteten sich die Kölner bzw. Mittelrhein-Jusos in diese Diskussion ein? Schon im Herbst 1953 gab es einzelne Betrebungen der Jusos in der BRD, programmatische Veränderungen von der SPD zu fordern. Zum Jahreswechsel 1953/54 führte der Juso-Bezirk Mittelrhein ein Seminar zur Kursbestimmung der SPD durch. Die Mehrheit der Teilnehmer war der Meinung, daß die „alten Dogmen des Marxismus“ fallen gelassen werden müßten. Die Minderheit, darunter die Kölner Juso-Teilnehmer, wollten hingegen am Marxismus festhalten.
Zwischenzeitlich gab es massive Bestrebungen der Berliner SPD unter Willy Brandt, Anpassungen der SPD-Programmatik so früh wie möglich durchzuführen, am besten auf einem bald einzuberufenden außerordentlichen Bundesparteitag. Außerdem gab es Bestrebungen, der Bundestagsfraktion der Kontrolle über die Partei zu entziehen.
In der Kölner Juso-Organisation, aber auch in der Kölner SPD-Linken, begann eine Diskussion zu diesen Bestrebungen. Das Ergebnis war das „Manifest der Kölner Jungsozialisten zur Parteidiskussion“ (siehe Abb. 5). Starken Einfluß auf diese Diskussion übte der Trotzkist Jungclas aus, insbesondere die Passage zur DDR zeigt seine Handschrift. Dieses Manifest wurde auf der Jahreshauptversammlung der Kölner Jusos am 26. Februar 1954 verabschiedet, der Konferenz vorgelegt wurde es von Horst Keller, Albert Graf, Hans-Jürgen Wischnewski, Horst Schöler, Hans Hermann Köper und Paul Bresgen. Dieses Manifest nur als trotzkistische Positionsbestimmung in der SPD zu qualifizieren, wäre zu wenig. Es war auch eine Reaktion von Sozialisten in der SPD gegen die Programmveränderer und sollte damit die Abkehr der Partei von marxistischen Grundsätzen verhindern.
Auf der zentralen Mitgliederversammlung der Kölner SPD im „Sartory“ am Vorabend des Kreisparteitages verteilten die Jusos das Manifest als Flugblatt. Der SPD-Bezirksvorsitzende Kühn sprach gegen das Manifest, es würde die SPD zu sehr einengen. Der für diese Veranstaltung als Redner geladene Herbert Wehner, dem sicherlich keine trotzkistischen Tendenzen nachgesagt werden können, ging ans Rednerpult und erklärte, daß er jedes Wort dieses Manifestes unterschreiben könne. Auf dem am nächsten Tag stattfindenden Kreisparteitag wurde dann dieses Juso-Manifest als Position der Kölner SPD angenommen. Auch die Alt-Linken (im MAK) fanden sich in dieser Positionsbestimmung wieder.
Nun beschloß der SPD-Bezirksvorstand, dieses Manifest an alle Kreisorganisationen und Distriktsvorsitzende zu verschicken. Auf dem außerordentlichen Bezirksparteitag im Mai in der Kölner Messe lag der zweite Teil des Kölner Manifestes als Antrag vor. In einer abgeschwächten Form wurde es dann auch beschlossen. Damit forderte der SPD-Bezirk die Bundespartei auf, als unverzichtbaren Programmbestandteil die Forderung nach einer sozialistischen Wirtschaftspolitik und Zielvorstellung beizubehalten.
Im Juni 1955 – im Vorfeld der Diskussion über die Einführung der Bundeswehr und nach der Ratifizierung der Pariser Verträge – beschlossen die Kölner Jusos eine „Erklärung zur politischen Lage und den Aufgaben der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“. Es waren gerade wieder zwei Landtagswahlen (Niedersachsen und Rheinland-Pfalz) verloren gegangen. Schwerpunkt dieser Erklärung war die Forderung nach einer Politik der Neutralität, um so eher der Wiedervereinigung näher zu kommen. Außerdem wurde ein „sozialistisches Programm für die Wiedervereinigung“ gefordert. Die SPD-Parlamentarier wurden an ihre Pflicht erinnert, „sich an die politische Linie der Partei zu halten und in der Öffentlichkeit keine abweichenden Erklärungen abzugeben“. „Nicht die logischen Argumente unserer Debattenredner, sondern nur der demokratische Druck des Volkes kann die Regierung dazu zwingen, von der Remilitarisierung abzulassen.“ Kein Zaudern sondern kompromißlose kämpferische Politik wurde gefordert.
Nach der wiederum verlorenen Bundestagswahl im September 1957 wurden die Stimmen in der SPD lauter, endlich die bisher verschleppte Programmerneuerung in Gang zu setzen. In Köln wurde dies in den Distrikten diskutiert. Viele oft gleichlautende Anträge wurden an den Kreisparteitag im Oktober 1957 gerichtet. Diejenigen, die für eine Beibehaltung sozialistischer Zielvorstellungen eintraten, fanden die Mehrheit. Außerdem wurde eine „Entschließung des Kreisverbandes Köln der SPD zur Parteidiskussion“ verabschiedet, in der festgestellt wurde:
„In diesem Wahlkampf sind wir nicht deshalb unterlegen, weil unsere … sozialistischen Grundsätze und Zielvorstellungen von den Wählern verworfen wurden, sondern weil es uns nicht gelungen ist, die Menschen…für die Grundsätze des demokratischen Sozialismus zu gewinnen.“
In dieser Entschließung wurde außerdem gefordert, eine Satzungsänderung mit der Stärkung des SPD-Parteivorstandes und Parteiausschusses gegenüber den Parlamentariern durchzusetzen. Auf dem SPD-Bezirksparteitag im März 1958 wurde auch eine Resolution beschlossen, in der eine sozialistische Wirtschaftsordnung gefordert wurde.
In einer über einjährigen Diskussion in der SPD wurden die Genossinnen und Genossen durch den Parteivorstand auf Linie gebracht. Die Federführung hierbei hatte der ehemalige Linke Wehner. So konnte trotz vieler gegenteiliger Beschlüsse der Basis – auch aus Köln und dem Bezirk Mittelrhein – das Godesberger Programm im November 1959 mit nur 16 Gegenstimmen verabschiedet werden; der Kölner Wischnewski gehörte nicht zu ihnen.
Aber selbst bei den Kölner Jusos, die immer zu den radikaleren gehörten, fand diese inhaltliche Kursänderung der SPD keinen wahrnehmbaren Widerspruch mehr. Sie hatten diese Programmdiskussion zwar in zwei Wochenendseminaren im Jahr 1959 behandelt. In den Geschäftsberichten des Juso-Kreises Köln 1958, 1959 und 1960 ist von dieser einschneidenden Veränderung in der SPD-Programmatik nichts zu spüren. Dies scheint ein Bruch zu sein in der bisherigen Kölner Juso-Politik der 50er Jahre, die immer von sozialistischen Zielvorstellungen geprägt waren.
Dieser Bruch hängt wohl unter anderem damit zusammen, daß Wischnewski, der 1959 gleichzeitig Juso-Bezirksvorsitzender, Juso-Bundesvorsitzender und SPD-Kreisvorsitzender in Köln war, seinen Einfluß auf die Kölner Jusos dahingehend geltend gemacht hatte, die neue Kursbestimmung der SPD nicht zu gefährden. Er war schon auf dem Weg zur Absicherung seiner Karriere. Eine Opposition zur herrschenden Partei(vorstands)meinung wäre ihm dabei nur hinderlich gewesen. Hier gilt der Satz Kühns: Die Jusos wurden die „anpassungsbereite Nachwuchsorganisation der 50er Jahre“.