Linker Aufbruch und rechte Reaktion

Anmerkungen zur politischen Entwicklung der Kölner Jusos in den 70er Jahren

Karl Rössel

Ein getroffener Hund bellt: Der Parteiausschluß des Juso-Bundesvorsitzenden Klaus-Uwe Benneter 1977 – ein Vorgriff

„Die Sozialdemokratie ist die staatlich konzessionierte Anstalt zum Verbrauch revolutionärer Energien.“ Mit diesem Motto von Karl Kraus erschien im Mai 1977 in der Zeitschrift Konkret ein Interview mit Klaus-Uwe Benneter, der zwei Monate zuvor auf dem Hamburger Bundeskongreß im März 1977 zum Vorsitzenden der Jusos gewählt worden war. Im Vorspann zu diesem Interview war zu lesen:

„In der SPD formiert sich eine neue Linke. Kleiner als die traditionelle, aber härter, konsequenter und illusionsloser … Auf ihrem Hamburger Kongreß vollzog … die Mehrheit der Jungsozialisten ihre Abkehr vom Mauschlerdasein. Diese Jusos, die Benneter wählten, gaben zu erkennen, daß sie nicht länger die nützlichen Idioten sein wollen, die mit radikalen Worten linke Wähler für eine rechte Politik einfangen, sie damit von jeder Alternative fernhalten und, wenn die Wahlen vorbei sind, jeden Arschtritt in solidarischer Demut hinnehmen. Für sie geht es nicht zuerst um die SPD und dann irgenwie um den Sozialismus, sondern zuerst und vor allem um Sozialismus. Die SPD erscheint ihnen als noch brauchbares Vehikel, sozialistische Positionen bekannt zu machen. Auch innerhalb der Partei, wo allenthalben ein ‚Verlust der Identität als Arbeitnehmerpartei‘ beklagt wird. Und wo diese Klage auf den marxistischen Begriff zu bringen ist: Den der Klasse und des Klassenkampfs.“

Mit Benneter war zum ersten Mal ein Vertreter der sogenannten „Stamokap“-Fraktion zum Bundesvorsitzenden der Jusos gewählt worden, die den Staat als Sachwalter der Interessen von Großkonzernen mit Monopolstellung analysierte und das bundesdeutsche Wirtschaftssystem folglich als „staatsmonopolitischen Kapitalimus“ charakterisierte (daher das Kürzel: „Stamokap“). Entsprechend kritisch sahen die VertreterInnen dieser Theorie die damalige SPD-geführte Bundesregierung, deren Hauptaufgabe letztlich auch darin bestand, günstige Rahmenbedingungen für die Profitinteressen der Großindustrie (der Monopole) zu schaffen. So zutreffend diese Analyse – insbesondere in der Rückschau – auch ist (so stiegen zum Beispiel die Rüstungsexporte unter der SPD/FDP-Regierung damals weitaus stärker als je zuvor), die Parteiführung sah Kritik dieser Art aus den Reihen der Jusos natürlich gar nicht gerne. Und so reagierte der SPD-Parteivorstand nach dem Hamburger Bundeskongreß sofort mit der unverblümten Drohung, den neuen, mehrheitlich der „Stamokap“-Fraktion zugehörigen Juso-Bundesvorstand entweder abzusetzen oder auszuschließen, sollte dieser versuchen, die Politik umzusetzen, die auf dem Kongreß beschlossen und für die Benneter gewählt worden war – auch und nicht zuletzt, deshalb steht dies hier auch am Anfang, von den Delegierten der Kölner Jusos.

Der damalige SPD-Geschäftsführer Egon Bahr sprach als erstes das Verbot aus, die auf dem Hamburger Kongreß beschlossene Mitarbeit der Jusos im „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit“ (einer Bündnisorganisation der Friedensbewegung in den 70er Jahren) in die Praxis umzusetzen. Mit der seit jeher von SPD-Parteivorständen immer wieder neu aufgewärmten Begründung (die z.B. in den 50er Jahren schon gegen die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ und in den 60ern gegen die Ostermarschbewegung vorgebracht worden war), daß in diesem Komitee auch „Kommunisten“ mitarbeiteten, drohte der SPD-Parteivorstand den neugewählten Juso-Funktionären mit dem Ausschluß, sollten sie es wagen, mit diesen zu gemeinsamen Friedensdemonstrationen (und damit gegen die Aufrüstungspolitik der SPD-geführten Bundesregierung) aufzurufen.

Und der in Hamburg neugewählte Juso-Bundesvorstand zeigte sich schon bei diesem ersten Testfall keineswegs so „konsequent“, wie die Konkret vermutet hatte. Er machte vielmehr schon im ersten Monat seiner Amtszeit (im April 1977) einen ersten Rückzieher und beugte sich diesem Partei-Diktat. In dem Konkret-Interview im Mai sagte Benneter dazu:

„Die SPD hat hier wieder einmal gemeint, mit einer rein formalen Abgrenzung gegenüber Kommunisten die Vorwürfe von Seiten der Reaktion aufzufangen. Zweitens hat sie versucht, die Ergebnisse des Hamburger Bundeskongresses, also meine knappe Wahl, rückgängig zu machen, indem man mich entweder ausschließt oder vor den Jungsozialisten unglaubwürdig macht.“

Und auf Nachfragen fügte er hinzu:

„Mit unserer Entscheidung, auf eine Mitarbeit in dem Komitee zu verzichten, haben wir nicht unsere Überzeugung aufgegeben, daß wir die Zusammenarbeit in der Bundesrepublik mit Kommunisten zwar nicht suchen, daß wir sie aber auch nicht vermeiden wollen, wenn es uns politisch sinnvoll erscheint … Falls dies dann zu Konflikten mit der Partei führen sollte, werden wir auch diese Konflikte wieder politisch lösen. Für uns ist die Mitgliedschaft in der Partei kein Dogma, an dem wir nun in jedem Fall festhalten. Wenn die Politik der Ultimaten Schule machen sollte, müssen wir uns freilich fragen, wie lange das noch geht … Wir Jusos konnten uns doch im Wahlkampf 1976 für eine SPD-geführte Regierung nicht deshalb vehement einsetzen, weil wir davon ausgingen, daß diese Regierung irgendetwas in Richtung Sozialismus verwirklichen würde, sondern weil sie die Chance offen halten sollte, für sozialistische Veränderungen mobilisieren zu können. Und dies gerät zunehmend in Gefahr, wenn diese Regierung sich so am Abbau demokratischer Rechte beteiligt … (Die) Unterschiede zu einer Dregger/Strauß-Regierung (werden) immer undeutlicher … Zum anderen meine ich, daß sich die SPD, solange sie sich von den Kommunisten nur formal und nicht dadurch positiv abgrenzt, daß sie selbst eine schlüssige Orientierung auf eine grundlegende Veränderung vorlegt, immer nur den Vorwurf zuzieht: Ein getroffener Hund bellt.“

Der Hund war getroffen. Aber er bellte nicht nur, sondern biß sogleich zu. Der SPD-Parteivorstand nahm diese so harmlose wie zutreffende Kritik an der SPD zum Vorwand, um den neuen Juso-Bundesvorsitzenden schon zwei Monate nach dessen Wahl wieder loszuwerden. Mit der Begründung, das Konkret-Interview sei „parteischädigend“, wurde ein Parteiordnungsverfahren gegen Benneter eingeleitet, das zum Ausschluß des Juso-Bundesvorsitzenden aus der SPD führen sollte. Daß die Parteiführung damit ihr Ziel – die Zurückdrängung der „Stamokap“-Fraktion bei den Jusos und die Etablierung eines neuen, parteikonformeren Juso-Bundesvorstandes – schließlich erreichte, lag nicht zuletzt am Verhalten von Teilen der Jusos und der SPD-Linken selbst. Und dieses offenbarte, daß eine wirklich systemkritische Opposition mit den Jusos selbst damals in der Hochphase der Juso-Linken nicht zu machen war.

Im „Bericht über die Arbeit des Kölner Juso-Vorstandes“ über diese Zeit heißt es dazu:

„Eine geschlossene Solidarisierung der Juso-Organisation mit ihrem gewählten Vorsitzenden trat nicht ein, weil dessen Juso-interne Gegenspieler – die sich kurz nach dem Bundeskongreß schon ein ‚Nebenprogramm‘ und einen ‚Nebenbundesvorstand‘ aufbauen wollten – ihn der Parteirechten händereibend zum Abschuß freigaben. Statt den Ausschlußantrag des Parteivorsitzenden einhellig und eindeutig zu verurteilen, wurde nun in Funktionärskreisen vielfach differenziert: formale Solidarität ja – inhaltliche Solidarität nein. Und diese ‚formale Solidarität‘ sah danach aus: Die Vorsitzenden einiger ’norddeutscher Bezirke‘ stellten etwa per Solidaritätserklärung fest: Benneter habe sich ‚unklug‘ und ‚individuell‘ verhalten und erst dadurch ‚die Reaktion der Partei‘ möglich gemacht. Und schon drei Tage nach dem Ausschlußantrag rückte der Bundesausschuß (das höchste Juso-Gremium zwischen den Bundeskongressen, bestehend aus aus den gewählten Vertretern der verschiedenen Bezirke, d.V.) mehrheitlich von einer einstimmigen (!) Solidaritätserklärung des Bundesvorstandes ab… Daraufhin konnte selbst ‚Die Welt‘ befriedigt feststellen: ‚Jungsozialisten distanzieren sich vorsichtig von Benneter‘. Die von zahlreichen Organisationsgliederungen, vor allem der Basis, verabschiedeten ernstgemeinten Beschlüsse verloren vor diesem Hintergrund an Wirksamkeit. Aktionen, die Protestbewegung zu verbreitern, zogen in vielen Bezirken ihrerseits Parteiordnungsverfahren nach sich (z.B. Suspendierung des gesamten Landesvorstandes Baden-Württemberg, Ultimaten an Hamburger Brief-Unterzeichner, Ausschluß des Bezirksvorsitzenden von Ostwestfalen, Heinrich Lienker). Diese und die flankierenden Maßnahmen auf der Seite der Abrüstungsgegner (Ausschluß von Kade, Jansen und Stuby) konnten angesichts der schon bei Benneter unterlaufenen Solidarität noch problemloser abgewickelt werden.“

Die Kölner Jusos analysierten „die Vorgänge des Jahres 1977“ in ihrem bereits erwähnten Arbeitsbericht als den entscheidendsten „Einschnitt in der Geschichte des Juso-Verbandes seit 1969“. Und sie kommentierten ihn in dem bereits erwähnten Bericht so:

„In dem Augenblick, als sich die reale Politik der Partei am weitesten von den Zielen der Parteilinken, wenn nicht von Parteipositionen selbst, entfernt hat, demonstriert ein wesentlicher Bestandteil dieser Linken seine faktische Ohnmacht. Teile der Jungsozialisten (insbesondere ihrer Funktionärsschicht) erkannten die disziplinarischen Maßnahmen der Parteiführung nicht als das, was sie tatsächlich waren: die notwendige Folge einer Politik, die nur durch Ausnutzen verbreiteter Ressentiments (Antikommunismus) und Demonstration scheinbarer Stärke von ihrer wirklichen Schwäche und ihrem Versagen ablenken kann. Sie muß dies dann tun, wenn dieses Versagen unübersehbar geworden ist und die Gefahr folgenreicher Kritik innerhalb der Partei akut wird…Die seither auf Bundesebene wahrnehmbaren Aktivitäten (der Jusos, d.V.) sind kaum noch der Erwähnung wert: Von einer Realisierung des beschlossenen Aktionsprogramms ist … nichts zu spüren … Statt dessen wurde eine eigene Abrüstungsbewegung initiiert und eine Bürgerrechtsbewegung ohne organisatorischen Unterbau ins Leben gerufen, die umso fragwürdiger ist, da von einer praktischen Mitarbeit in der bundesweiten Berufsverbotsinitiative nichts mehr zu sehen ist.“

Fazit: statt geschlossen, wie vielfach verbal verkündet, die offene Auseinandersetzung mit der weit nach rechts abgedrifteten Sozialdemokratie zu suchen und auszutragen, ließen sich die Jusos nach 1977 von der SPD wieder einmal als williges Hilfsmittel zur Spaltung und Schwächung der außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen mißbrauchen.

Die Benneter-Affäre markiert deshalb nicht nur die wichtigste Zäsur in der Geschichte der Juso-Bundesorganisation während der 70er Jahre, sondern auch in der politischen Entwicklung der Kölner Jusos. Denn, so ist in dem Arbeitsbericht für die Jahre 1976 bis 1978 nachzulesen: „Im Unterbezirk Köln liefen die Prozesse nach dem gleichen Muster ab.“

Seit Ende der 60er Jahre hatten sich die Jusos (auf Bundesebene wie auch in Köln) nur langsam und mit vielen Rückschlägen von einem Verein zur Nachwuchszucht angepaßter Parteifunktionäre zu einer linkssozialistischen, parteikritischen Jugendorganisation gemausert. Mitte der 70er wurde die Debatte der Jusos mit Versatzstücken der marxistischen Theorie geführt (die von den verschiedenen Fraktionen auch schon mal ihren jeweiligen Gruppeninteressen entsprechend angepaßt wurde). Fast alle Jusos kritisierten allerdings – zumindest verbal – das „kapitalistische Wirtschaftssystem“ der Bundesrepublik und forderten „systemüberwindende Reformen“ zu seiner Abschaffung. Dazu gehörten die „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“, eine „globale Rahmenplanung der Wirtschaft“ und die „Erfüllung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung“. Das Endziel lautete „Sozialismus“, wobei die konkreten Vorschläge für dessen Ausgestaltung bei den Jusos nicht weniger diffus und beliebig blieben wie beim großen Rest der bundesdeutschen Linken. (Wie wenig tragkräftig auch die Agitation der Gruppierungen war, die meinten, im sowjetischen, chinesischen oder auch vietnamesischen „Sozialismus“ makellose Modelle für den gesamten Rest der Welt gefunden zu haben, zeigte spätestens die Selbstauflösung all dieser Kaderorganisationen Anfang der 80er Jahre.)

Immerhin war den Jusos in den 70er Jahren zumindest theoretisch klar – so stand es jedenfalls in fast all ihren Papieren – , daß sie ihre sozialistischen Ziele durch Aufklärungsarbeit und den Kampf um linke Mehrheiten innerhalb der sozialdemokratischen Partei allein nicht erreichen würden. Sie plädierten deshalb für die Unterstützung und Initiierung außerparlamentarischer Oppositionsbewegungen. Denn nur so ließe sich der zur Veränderung von Partei wie Gesellschaft notwendige politische Druck entwickeln. Beides zusammen, also das Ringen um linke Inhalte innerhalb der SPD und die Förderung eines entsprechenden Drucks der gesellschaftlichen Basis von außen, nannte sich „Doppelstrategie“. Doch so oft die Jusos in ihren Analysen und Resolutionen damals auch diese „Doppelstrategie“ beschworen, so selten versuchten sie, diese praktisch umzusetzen. Auch dafür stehen die Auseinandersetzungen um den Ausschluß Benneters exemplarisch. Denn damals ließen es sich die Jusos – ohne ernstzunehmende Gegenwehr – wieder einmal verbieten, an der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung gegen die reaktionäre Wirtschaftspolitik und die Beschneidung der demokratischen Rechte durch die SPD-geführte Bundesregierung teilzunehmen. Und die Benneter-Affäre widerlegte damit nur einmal mehr die bei den Jusos von damals immer noch weitverbreitete Illusion, aus den Reihen und möglicherweise sogar mit Teilen der SPD für eine sozialistische Veränderung der bundesdeutschen Gesellschaft eintreten zu können. Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zogen allerdings nur die wenigsten. Die meisten fügten sich weiterhin dem Parteidiktat, wurden dafür mit Pöstchen und Funktionen belohnt und unterscheiden sich heute kaum noch von den rechten Sozialdemokraten, die sie einstmals kritisierten.

Die Radikalisierung der Jusos bis 1977 und ihre anschließende erneute Unterwerfung unter die (rechtssozialdemokratische) Parteiräson vollzog sich im Kölner Unterbezirk fast noch zugespitzter als in der Gesamtorganisation. Denn erst die Linksverschiebung der Kölner Jusos seit 1976 und – in Folge davon – die veränderte Zusammensetzung der Delegation des Bezirks Mittelrhein hatte die Wahl Benneters zum Bundesvorsitzenden im März 1977 möglich gemacht. Benneter konnte sich auf dem Hamburger Konreß schließlich nur mit der denkbar knappen Mehrheit von 149 zu 145 Stimmen gegen den Kandidaten des Reformisten-Flügels, Ottmar Schreiner, durchsetzen. Hätten nicht auch die Kölner Delegierten für Benneter votiert, wäre er nicht gewählt worden. Die Kölner Jusos haben somit den politischen Richtungswechsel auf Bundesebene aktiv mit herbeigeführt. Und sie reagierten zunächst auch konsequenter auf das Parteiordungsverfahren gegen Benneter als andere: In dem bereits erwähnten „Bericht über die Arbeit des Kölner Juso-Vorstandes“ heißt es hierzu:

„Die Kölner Jungsozialisten standen solidarisch zum gewählten Bundesvorsitzenden Klaus-Uwe Benneter. Wenn sich auch später speziell an dieser Frage kontroverse Diskussionen ergaben, so hat der Vorstand doch sofort nach Bekanntwerden des Parteiordnungsverfahrens gegen Benneter diese ‚Repressionsmaßnahme‘ des Parteivorstandes in einem Telegramm verurteilt und Benneter wie dem Bundesvorstand die Solidarität der Kölner Jungsozialisten zugesagt. Spontan wurde darüber hinaus nach der Kernkraft-Podiumsdiskussion (zur Kritik der Atompolitik der SPD-geführten Regierung am Vorabend einer „energiepolitischen Parteitagung“ in Köln, d.V.) von Kölner Genossinnen und Genossen und Mitgliedern anderer Unterbezirke eine Solidaritätserklärung verabschiedet. Auch auf einer Delegiertenkonferenz wurde die Solidarität mit dem Genossen Benneter in einem Antrag ausgedrückt. In einem zufällig zustandegekommenen Interview in der Radiothek (Jugendsendung des WDR, d.V.) hat der Genosse Rössel an der Solidarität der Kölner Jungsozialisten mit Benneter keinen Zweifel gelassen. Benneter trat darüber hinaus vor 1.000 Zuhörern beim Festival des verbotenen Liedes in Köln auf.“

Das „Festival des verbotenen Liedes“ hatte der Arbeitskreis Internationales der Kölner Jusos im. Mai 1977 im Rahmen der Chile-Solidarität organisiert. Benneter war demonstrativ zu dieser Großveranstaltung eingeladen worden, um vor den 1.000 anwesenden Zuschauern im überfüllten Forum der Kölner Volkshochschule zu sprechen. Schließlich gab es damals nicht nur die härtesten Auseinandersetzungen mit der SPD-Führung, sondern auch die größten und erfolgreichsten öffentlichen und außerparlamentarischen Aktivitäten der Kölner Jusos – wobei ersteres sicher nicht zufällig mit zweiterem zusammenfiel.

Der SPD-Bundesvorstand hatte Solidaritätsaktionen dieser Art mit Benneter damals ausdrücklich verboten. Aber obwohl die WDR-Sendung Radiothek Teile der Veranstaltung übertrug und die Fernsehsendung Panorama über Benneters Auftritt in Köln berichtete (nur die Kölner Presse war – wohl mit Hilfe des ortsüblichen Klüngels zwischen SPD-Funktionären und den Chefs der Lokalredaktionen – zum Schweigen gebracht worden), traute sich der Kölner SPD-Vorstand nicht, der Anweisung von oben zu folgen und Parteiordnungsverfahren gegen die Kölner Juso-Funktionäre einzuleiten, die Benneter zu dieser Veranstaltung eingeladen hatten. Wurde dies damals in eitler Selbstüberschätzung von manchen auch auf die Stärke der Jusos innerhalb der Kölner SPD zurückgeführt, so wählte der Kölner SPD-Vorstand tatsächlich nur eine andere Methode zur politischen Zähmung seiner aufmüpfigen Jusos. Die typisch kölsche Linie gegenüber den Jusos hieß: einbinden (und – sofern willig – mit Pöstchen und Funktionen belohnen) statt ausschließen (und sich durch mögliche Solidarisierungseffekte Schwierigkeiten einhandeln). Das zeigte sich auch bei den Parteiordnungsverfahren, die – unter verschiedensten Vorwänden – Mitte der 70er Jahre tatsächlich gegen Kölner Juso-Funktionäre angezettelt, aber letztlich nie zu Ende geführt wurden. Bis Ende der 70er Jahre gelang dem Kölner SPD-Vorstand die politische Zähmung seiner Jugendorganisation auch anders – nicht zuletzt mit Hilfe von Teilen der Kölner Jusos selbst und der sogenannten „Parteilinken“, die, sichtlich erschrocken über die harte Gangart des SPD-Bundesvorstandes und offensichtlich besorgt um ihre eigenen (Partei-) Karrieren, selbst für die erwünschte politische Umorientierung der Jusobasis und die Ablösung der „Stamokap“-Mehrheit in ihrem Unterbezirksvorstand sorgten. Und sie sollten später – wie das in Köln nun mal üblich ist – mit Funktionen in der Partei und Pöstchen in der sozialdemokratisch verfilzten Stadtverwaltung belohnt werden. Aber letztlich krochen sie nur etwas rascher in den staatstragenden Schoß der Sozialdemokratie als die damals zu linken Schreckgespenstern hochstilisierten „Stamokap“-Häuptlinge. So ist Klaus-Uwe Benneter heute (1996) stellvertretender Vorsitzender der Berliner SPD und Detlev Albers, damals einer der Haupttheoretiker der „Stamokap“-Fraktion, Landesvorsitzender der SPD in Bremen. Von einer Linksverschiebung der SPD oder gar einer antimonopolistischen Bündnispolitik, wie sie die beiden Genannten ehemals gefordert hatten, kann allerdings weder in Bremen noch in Berlin die Rede sein. Im Gegenteil: auch dort ist die SPD immer weiter nach rechts gerückt und mit ihr sind dies auch die Linken von damals. Ihre Parteikarrieren sind allerdings Beleg dafür, daß auch eine von der SPD-Führung unbehinderte „Stamokap“-Mehrheit bei den Jusos wohl kaum einen nennenswerten Beitrag zur sozialistischen Umgestaltung der SPD, geschweige denn der bundesdeutschen Gesellschaft zustande gebracht hätte.

Mit Karsten Voigt und Karsten Schulte zum Sozialismus?
Der politische Aufbruch der Jusos nach 1969 – ein kurzer Rückblick

1969 markiert das Jahr, in dem die Jusos (und damit auch die SPD) erneut einen regen Zulauf erhielten und ihren linken Aufbruch in die 70er Jahre begannen. Dabei hatte sich die SPD, die sich damals noch gerne als „Partei des demokratischen Sozialismus“ ausgab, gerade in den Jahren zuvor reichlich diskreditiert. Statt offensiv gegen die reaktionäre CDU-Parole einer autoritär formierten Gesellschaft zu opponieren, hatten sich die Sozialdemokraten 1966 auf eine große Koalition unter Führung des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Kurt Georg Kiesinger (CDU) eingelassen. Und – gegen alle Proteste der außerparlamentarischen Opposition – hatten sie auch mitgeholfen, die Verabschiedung der Notstandsgesetze durchzupeitschen. Willy Brandt verteidigte als Außenminister nicht nur den US-Massenmord in Vietnam, sondern half seinen „amerikanischen Freunden“ dabei auch mit deutschen Kriegskrediten und Waffenlieferungen.

Trotzdem hofften auch manche Linke auf einen politischen Frühling, als bei den Bundestagswahlen im September 1969 die CDU-geführte Regierung abgelöst wurde, und mit Willy Brandt an der Spitze einer sozialliberalen Koalitionsregierung von SPD und FDP erstmals ein Sozialdemokrat zum Bundeskanzler gewählt wurde. Zu dieser Hoffnung mag beigetragen haben, daß die SPD damals im Wahlkampf unter dem Slogan „Mehr Demokratie wagen“ angetreten war, und Willy Brandt in seiner Regierungserklärung im Oktober 1969 sagte: „Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet … Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“

Ohne die außerparlamentarische Opposition der „68er-Bewegung“ wäre der Wechsel zu einer sozialdemokratisch geführten Regierung nicht möglich gewesen. Und auch die politischen Debatten der Jusos wurden davon beeinflußt, nicht zuletzt weil einige, die zuvor dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) angehört hatten, nach 1969 zu den Jusos stießen. Der SDS (ehemals die sozialdemokratische Studentenorganisation und 1961 per Unvereinbarkeitsbeschluß aus der SPD ausgegrenzt) war sich nach dem Polizistenmord an Benno Ohnesorg vom 2. Juni 1967 und dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 seiner gesellschaftlichen Isolation bewußt geworden. Die Debatte um mögliche Auswege aus dieser Situation führte zur Spaltung des Verbandes und schließlich Anfang 1970 zur Selbstauflösung. Aus den verschiedenen SDS-Fraktionen, die sich als Studenten isoliert gefühlt und deshalb bei ihrer Suche nach dem Subjekt der Revolution das Proletariat wiederentdeckt hatten, entstanden damals Aufbauorganisationen für die „kommunistische Partei“, die die politischen Auseinandersetzungen der bundesdeutschen Linken in den 70er Jahren maßgeblich mit prägen sollten. (Sie reichten von der sowjetorientierten DKP über die trotzkistische Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) bis zu den maoistischen K-Gruppen.) Ein Teil des SDS propagierte dagegen den „Marsch durch die Institutionen“ und sah in der SPD eine der wichtigsten, die es auf dem Weg zur Veränderung der Gesellschaft umzukrempeln galt.

In dem 1971 von Norbert Gansel herausgegebenen Buch Überwindet den Kapitalismus oder Was wollen die Jungsozialisten heißt es zum Einfluß der „68er“ auf die politische Entwicklung der Jusos:

„Die Protestbewegung, die indirekt den Anstoß für längst überfällige Reformen gab, mobilisierte und verstärkte auch die linken und sozialistischen Kräfte innerhalb der SPD und trug wesentlich dazu bei, daß die Jungsozialisten seit dem Bundeskongreß in München im Dezember 1969 eine sozialistische Position einnehmen und zum stärksten und offensivsten Teil des linken Flügels der SPD wurden … Der Begriff der systemüberwindenden Reformen in den Beschlüssen der Jungsozialisten … ist ein erster Ansatz der linken SPD, zu einem selbständigen Faktor auch im Bereich der sozialistischen Theorie zu werden, sich von der theoretischen Vorherrschaft der außerparlamentarischen Neuen Linken zu emanzipieren und eine theoretische Konzeption zu entwic keln, die in einem dialektischen Zusammenhang mit der eigenen politischen Praxis steht.“

Auf dem Münchener Bundeskongreß 1969 setzte sich mit Karsten Voigt, der sich selbst damals als „Marxist“ bezeichnete, erstmals wieder ein Linker als Bundesvorsitzender der Jusos durch. (Heute propagiert er als außenpolitischer Sprecher der SPD Auslandseinsätze der Bundeswehr und ist Präsident der Nordatlantischen Versammlung.) Sein Stellverteter wurde Norbert Gansel (heute: rechtssozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter). Ein Jahr später sollte Gansel das erste zarte Aufblühen einer sozialistischen Theoriedebatte bei den Jusos schon so verschrecken, daß er bei der Wahl des Vorsitzenden gegen Voigt antrat, wenn auch erfolglos. Ihm folgten 1972 Wolfgang Roth (heute: Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank) und 1974 Heidemarie Wieczorek-Zeul (die später, bei einer SPD-Mitgliederbefragung gegen den Ex-Jusofunktionäre Rudolf Scharping und Gerhard Schröder, als Parteivorsitzende antreten sollte). 1974 wurde mit Klaus-Uwe Benneter erstmals auch ein Vertreter der „Stamokap“-Position in den Bundesvorstand gewählt, obwohl Johanno Strasser (später: Haus- und Hof-Theoretiker des SPD-Parteivorstands) mit einem polemischen Positionspapier „zur Theorie und Praxis der Stamokap-Gruppe“ zuvor einen ersten, Juso-internen Versuch gestartet hatte, diesen linken Flügel der Jusos zu diskreditierten und auszugrenzen. Die politischen Debatten dieser Zeit sind in ihren Einzelheiten anderswo nachzulesen (z.B.: Jungsozialisten heraus ! 60 Jahre Jungsozialisten in Köln). Hier muß der Hinweis genügen, daß mit den genannten Juso-Funktionären eine sozialistische Umgestaltung der bundesdeutschen Gesellschaft oder auch nur der SPD selbst dann nicht zu machen gewesen wäre, wenn der SPD-Parteivorstand sie hätte ungehindert gewähren lassen.

Auch die Kölner Jusos fungierten – betrachtet man die Karrieren ihrer damaligen Funktionäre – bis in die Mitte der 70er Jahre eher als Durchlauferhitzer für spätere Parteifunktionäre und Verwaltungsangestellte, denn als eine Brutstätte linker, systemkritischer Opposition. Dabei hatte es in Köln immerhin schon vor der 1969 erfolgten „sozialistischen Wende“ der Bundesorganisation linke, parteikritische Positionen gegeben. Im Juli 1969 hatten diese den Kölner SPD-Vorstand sogar zur Auflösung der Kölner Jusos veranlaßt. (Der Grund: Die Jusos hatten beschlossen, im anstehenden Bundestagswahlkampf keine Plakate für Hans-Jürgen Wischnewski zu kleben und eine Karikatur gegen die Teilnahme am Wahlkampf veröffentlicht.) Hatten die Kölner Jusos bis dahin stets auf Vollversammlungen einen Arbeitsausschuß als ihre politische Vertretung gewählt, so änderte der Kölner SPD-Vorstand nach der Auflösung dieses Arbeitsausschusses die Organisationsform, in der Hoffnung, die Jusos damit besser unter Kontrolle halten zu können. Erstmals wurden Juso-Arbeitsgemeinschaften (AGen) auf Ortsvereinsebene gegründet, deren Delegierte dann auf Unterbezirkskonferenzen einen Juso-Vorstand für Köln wählen durften. Die erste Konferenz dieser Art fand am 13. Januar 1970 statt, und dabei wurde Hans-Josef Michels (später: Mitglied des Kölner rates) zum Vorsitzenden gewählt, Rainer Maedge (später: Kölner SPD Vorsitzender) zum Schriftführer. Bis 1971 stieg die Zahl der Juso-AGen von 13 auf 32. (Darunter war auch die Juso-AG Buchforst/Stegerwald, der ich selbst angehörte.) Und sie bestimmten Karsten Schulte (heute: Parteisekretär) zu ihrem Vorsitzenden, der 1974 von Kurt Uhlenbruch (heute: Vorsitzender der Kölner SPD) abgelöst wurde.

Bis dahin fanden die Aktivitäten der Kölner Jusos fast ausschließlich im Saale statt. Es ging ihnen vor allem um den „Aufbau der Organisation“, zum Beispiel durch die Einrichtung von „Kooperationsbereichen“ (Treffen von Juso-AGs in den Kölner Stadtbezirken). Es gab Schulungskurse (z.B. „Einführung in Therorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus“) und „Politische Frühschoppen“. In die Öffentlichkeit traten die Kölner Jusos – von wenigen Ausnahmen abgesehen – allenfalls bei „Jugend-“ oder „Lehrlingsfeten“ im Wahlkampf oder mit Flugblättern zu „Jugendvertreterwahlen“. Da mochte auf Veranstaltungen auch schon mal die „Vergesellschaftung der Banken“ gefordert werden, praktische Folgen für die konkrete Politik hatte dies nicht.

Die meiste Zeit verbrachten auch die Kölner Jusos mit innerparteilichen Rangeleien um Positionen und Posten, wobei einer nach dem anderen (mit dem Älterwerden) von den „Linken“ zu den „Rechten“ überlaufen sollte, weil letztere mehr Pfründe zu vergeben hatten.

Als Erfolg wurde damals gefeiert, wenn auf SPD-Unterbezirksparteitagen eine KVB-Preiserhöhung keine Mehrheit fand und deshalb erst ein wenig später durchgesetzt werden konnte, oder wenn „linke“ Positionen wie „Stop der Flächensanierung“ und „Vorrang dem öffentlichen Nahverkehr“, weil es „linke Mehrheiten“ gab, von der SPD in ein „kommunalpolitisches Wahlprogramm“ aufgenommen werden mußten. Dabei wußte jeder, daß sich die rechte Mehrheit der sozialdemokratischen Ratsfraktion herzlich wenig darum scherte. Und die wenigen Linken, denen es gelang auf die KandidatInnenlisten für Stadtrat und Landtag zu gelangen, paßten sich – so sie denn gewählt wurden – der rechtssozialdemokratischen Politik mit einer verblüffenden Schnelligkeit an. Wer an Details zu diesen innerparteilichen Schaukämpfen bei den Jusos und innerhalb der Kölner SPD interessiert ist, muß auch diese an anderer Stelle nachlesen (z.B. in Jungsozialisten heraus! 60 Jahre Jungsozialisten in Köln). Hier geht es um eine politische Bewertung, inwieweit die Kölner Jusos ihrem (zum Beispiel in der Juso-Plattform von 1973) selbstformulierten Anspruch, zur Herausbildung einer linken, systemkritischen Oppositionsbewegung beitragen zu wollen, tatsächlich gerecht wurden. Ihre wenigen immanenten Erfolge auf Parteitagen oder in den verschiedensten Parlamenten sind dabei tatsächlich nicht der Rede wert. Ein Beispiel: Damals wurde in allen Juso- und Parteigliederungen monatelang um Formulierungen für das SPD-Langzeitprogramm („Orientierungsrahmen ’85“) gerungen.Darin konnten – zumindest auf Kölner Ebene – letztlich tatsächlich auch ein paar linke Versatzstücke untergebracht werden. Nur konkrete Folgen für die Politik der SPD in Stadt, Land und Bund sollte auch dies zu keinem Zeitpunkt haben. Das außerparlamentarische Standbein der vielbeschworenen Juso-„Doppelstrategie“, das heißt: die Mobilisierung von Opposition außerhalb der Partei, lahmte jedenfalls in Köln genauso wie auf der Juso-Bundesebene. Daß sich die Jusos 1972 auch an Aktionen und einer Demonstration gegen die Fahrpreiserhöhung der Kölner-Verkehrs-Betriebe (KVB) beteiligten, war nur die seltene Ausnahme von der Regel. Das sollte sich – zumindest in Ansätzen – erst nach 1974, unter dem Juso-Vorsitzenden Kurt Uhlenbruch, und insbesondere von 1976 bis 1978 ändern. (In dieser Zeit fühlte sich zunächst der gesamte Kölner Juso-Vorstand, nach dem Benneter-Ausschluß allerdings nur noch seine knappe Mehrheit (7:6) der linken „Stamokap“-Fraktion zugehörig).

Daß die außerparlamentarischen Aktivitäten der Kölner Jusos in den Jahren 1976 bis 1978 ihren Höhepunkt erlebten, liegt sicherlich nicht daran, daß ich damals als ihr Vorsitzender fungierte. Dies entsprach vielmehr der damaligen politischen Entwicklung der Jusos insgesamt, in Köln wie anderswo. In bin 1971 in die SPD eingetreten und arbeitete zunächst in der Juso-AG Buchforst / Stegerwald. Der Ortsverein sollte später zum Linksaußen der Kölner SPD werden. Einige seiner damaligen Sprecher sitzen dennoch heute im Stadtrat und in der Bezirksvertretung. Einer wurde sogar zeitweise Pressesprecher Oskar Lafontaines im Saarland. 1975 wurde ich – auf Vorschlag von Kurt Uhlenbruch – bei einer Nachwahl in den Vorstand der Kölner Jusos gewählt. 1976 übernahm ich – damals immer noch von Uhlenbruch unterstützt – den Vorsitz. 1978, ein Jahr nach dem Benneter-Ausschluß und einer Vielzahl unschöner Fraktionskämpfe innerhalb der Kölner Jusos, verzichtete ich auf eine weitere Kandidatur.

Typische Aktivitäten, die von den Kölner Jusos nach 1975 mitgetragen bzw. selbst initiiert wurden, waren z.B.:

  • Bürgerinitiative und Flugblatt (Auflage: 20.000) gegen die Massenentlassungen bei F&G (1976/77)
  • Flugblatt und Demonstration gegen eine erneute KVB-Preiserhöhung (Juni 1977)
  • Antifaschistische Demonstration gegen eine NPD-Veranstaltung in Porz (März 1977)
  • Mobilisierung für Anti-AKW-Demonstrationen in Brokdorf und Kalkar
  • Flugblatt (Auflage: 20.000) und Aktion gegen die von der SPD-Ratsfraktion geplante Stadtautobahn (April 1977)
  • Aktion gegen die Neutronenbombe und eine Waffenschau in Porz
  • Veranstaltung zur Bild mit Günter Wallraff mit 500 TeilnehmerInnen in Chorweiler (Zwei Wochen später erschienen zu einer Veranstaltung des SPD-Ortsvereins Chorweiler mit Landesminister Johannes Rau am selben Ort gerade 27 Leute, davon fünf Sicherheitsbeamte)
  • Veranstaltung (u.a. mit Franz Josef Degenhardt) gegen Zensur im WDR nach Entlassung eines gewerkschaftlich engagierten Redakteurs (600 Anwesende)
  • Aktionen mit der Kölner Initiative gegen die Berufsverbote
  • Flugblätter und Veranstaltung gegen Massenentlassungen bei VFW-Fokker (100 Anwesende)
  • Konzert mit Wolf Biermann (nach seiner Ausbürgerung aus der DDR) in der Kölner Sporthalle (5.000 ZuschauerInnen)
  • Unterstützung der antifaschistischen Demonstration zur Auflösung der SS-Verbände
  • Pressekonferenz mit Beate und Serge Klarsfeld über das ungestörte Rentnerdasein ehemaliger Nazis und Kriegsverbrecher in Köln (wie Kurt Lischka, des ehemaligen Pariser Gestapo-Chefs)

Von 1977 bis 1979 veranstalteten die Kölner Jusos zudem drei gut besuchte Filmreihen („Kontrast-Kino I-III“) in den Programmkinos Savoy und Lupe, bei denen jeweils etwa 1.500 Zuschauer erreicht wurden. Die erste enthielt politische Spiel- und Dokumentarfilme zu verschiedenen Themen, die zweite stand unter dem Thema „Zur Situation ausländischer Arbeiter und ihrer Heimatländer“, und die dritte war eine „antifaschistische Filmreihe“.

Besonders aktiv war damals schließlich der Arbeitskreis Internationales. (Verantwortlich dafür waren damals Willi Hanspach, Manfred Nünke, Angelika Blickhäuser und Hans Gürth.) Er veranstaltete Seminare zusammen mit französischen, spanischen und italienischen Linkssozialisten und unterhielt regelmäßige Kontakte zu einer Vielzahl von „Emigrantenorganisationen“ (von den Kölner Vertretungen des Partito Socialista Italiana über türkische und kurdische Organisationen bis zu Exil-Chilenen der Unidad Popular) sowie „Befreiungsbewegungen“ (von iranischen Widerstandsgruppen bis zur Frente Polisario aus der Westsahara). Dieser AK Internationales organisierte einige der erfolgreichsten öffentlichen Veranstaltungen der Kölner Jusos in den 70er Jahren. Neben dem bereits erwähnten „Festival des verbotenen Liedes“ (1.000 Besucher) gab es allein im Rahmen der Chile-Solidarität noch eine Veranstaltung „Der Gesang Chiles“ (400 Besucher) und ein Quilapayun-Konzert in der gefüllten Mülheimer Stadthalle. Dort fand – zum Abschluß der Filmwoche zum Thema Ausländer – auch ein „Festival des internationalen Liedes“ statt, das von fast 1.500 Menschen besucht wurde. Es gab eine „Brasilienwoche“ (500 Besucher), ein „Südafrikafest“ und Aktionen aus Anlaß der Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien.

Eine vergleichbare Anzahl öffentlicher Aktivitäten und Großveranstaltungen der Kölner Jusos zu Schwerpunktthemen der außerparlamentarischen Linken hat es seitdem nicht mehr gegeben. Die weitgehende Reduzierung der Jusos auf innerparteiliche Sandkastenspiele, die seitdem in Köln zu beobachten ist, entspricht dabei allerdings durchaus der Entwicklung der Gesamtorganisation, deren Bedeutung für die bundesdeutsche Linke gegen Null tendiert. Der politische Verfall begann, auch in Köln, mit dem Benneter-Ausschluß. Und auch hier trugen Teile der Jusos maßgeblich selbst zu dieser Entwicklung bei. Ihr Hauptziel bestand darin, die Konflikte mit der SPD einzudämmen, in der man schließlich noch Karriere machen wollte. So forderte ein von dieser (Reformisten-) Gruppe vorgelegter Antrag („Thesen zur Taktik“) zum Beispiel: „Abbau der unpolitischen Kraftmeierei, Abbau von rein formalen Konflikten und Beendigung der Auseinandersetzungen auf Nebenschauplätzen der Politik“. Die VertreterInnen dieser Gruppe, die sich damit offen von Benneter und anderen SPD-DissidentInnen distanzierten, griffen – da sie für ihre Positionen zunächst keine Mehrheiten fanden – schließlich auch auf Jusoebene zu den stadtüblichen Klüngelmethoden, die sie von der SPD-Rechten gelernt hatten. Sie bildeten – zunächst geheim, später offen – eine eigene Fraktion (die „Organisierung von Tendenzen“ nannte sich das). Und deren Ziel bestand darin, die politische Richtung der Kölner Jusos zu verändern (bzw. wieder auf den Stand von 1974 zurückzudrehen). Vor der Neuwahl des Kölner Juso-Vorstands im September 1978 stampften sie – um die nötigen Delegiertenstimmen zusammenzubekommen – neue, arbeitsunfähige Juso-AGs aus dem Boden und erweckten totgeglaubte zu einem kurzfristigen künstlichen Leben. Der Coup war erfolgreich: bei der entscheidenden Abstimmung wurde Andreas Henseler mit 78 Stimmen zum neuen Vorsitzenden des Unterbezirks gewählt (sein Gegenkandidat, der SHB- und „Stamokap“-Vertreter Volker Adam, erreichte nur 61 Stimmen), und auch die „Stamokap“-Mehrheit im Kölner Jusovorstand war gebrochen. Andreas Henseler legte damit den Grundstein für seine zukünftige Parteikarriere und setzt heutzutage als Schuldezernent der Stadt Köln die Sparbeschlüsse der rechten SPD-Ratsfraktion im Bildungsbereich um, die sein damaliger Klüngelbruder bei den Jusos, Michael Allmer, als Stadtrat mit abgesegnet hat.

Letztlich waren die Kölner Jusos Anfang der 80er Jahre mit ihren Inhalten wie Aktivitäten her wieder da angekommen, wo sie Ende der 60er Jahre begonnen hatten: in der großen Mühle des innerparteilichen Gerangels, die schon immer die politischen Ecken und Kanten der sozialdemokratischen Linken abgeschliffen hat, bis sie ins gängige Raster der rechten SPD-Politik paßten. Auf der Bundesebene war inzwischen Gerhard Schröder (heute nach Einschätzung der Konkret „Laufbursche des VW-Vorstandes“) zum Vorsitzenden gewählt worden.

Von der linken Rhetorik zur rechten Karriere: Über die Zwangsläufigkeit politischer Anpassungsprozesse in sozialdemokratischem Umfeld – ein Fazit

Ein Betrieb, der zu neunzig Prozent Ausschuß produziert, wird geschlossen. Die Jusos dagegen gibt es immer noch, wenn auch vor allem, weil jeder Sozialdemokrat unter 35 statistisch dazugerechnet wird. Nimmt man jedoch die linke Rhetorik der Jusos aus den 70er Jahren als politische Meßlatte, so ist das, was dabei herauskam, mehr als ernüchternd. Kaum eine konkrete Juso-Forderung konnte praktisch auch durchgesetzt werden und die meisten der ehemals linken Jusos billigen, rechtfertigen und organisieren heute auf allen Ebenen der SPD rechte Politik.

Dies liegt allerdings nicht daran, daß diese ehemaligen Jusos schon damals allesamt Charakterschweine gewesen wären. Solche gab es zwar auch, die meisten Jusos jedoch, die später Karriere machten, sahen sich in den 70er Jahren tatsächlich als überzeugte „Linke“, „Marxisten“ und „Sozialisten“. Nur waren sie dem ungeheueren Anpassungsdruck, den eine große, staatstragende und in ihrer überwältigenden Mehrheit politisch rechte Organisation wie die SPD auszuüben vermag, offensichtlich nicht gewachsen. Wie dieser Anpassungsdruck konkret funktioniert, sei deshalb zum Schluß an einigen, eher zufällig als systematisch zusammengestellten persönlichen Erfahrungen aus den 70er Jahren verdeutlicht:

Der Marsch durch die Köpfe

Als ich 1971 in die SPD eintrat, war ich kaum 18 Jahre alt. Von Vietnamkriegsbildern bewegt, ließ ich mich (obwohl ich kurz zuvor von den Pferdetruppen des sozialdemokratischen Polizeichefs von Köln bei meiner ersten Demonstrationsteilnahme vor dem Amerikahaus fast überrannt worden wäre) von einigen ehrlichen Altlinken dazu überreden, in die SPD einzutreten. „Mit euch“, so sagten sie, nachdem sie schon zwanzig Jahre lang erfolglos gegen die rechtssozialdemokratische Mauer angelaufen waren, „können wir es endlich schaffen und aus der SPD eine wirklich linke Partei machen“. Wir gründeten die Juso-AG Buchforst/Stegerwald und organisierten – mit Hilfe dieser Alt-Linken – Schulungskurse. Wir lasen Marx, Engels und Lenin, Luxemburg, Brecht und Gramsci, und studierten die Geschichte der Pariser Kommune, der russischen und deutschen Revolutionen, des spanischen Bürgerkrieges und des deutschen Faschismus, kurzum all das, wovon wir in den Schulen nie etwas gehört hatten. Noch heute bin ich den Alt-Linken meines damaligen Ortsvereins dankbar für diese politische Grundausbildung. Nur stand sie zu dem, was in der SPD tatsächlich passierte, in keinerlei Zusammenhang. Dann begannen wir, immer mehr Mitglieder für unsere Juso-AG zu werben, bis wir die Mehrheitsverhältnisse im Ortsverein kippen konnten. Jetzt mußten wir Delegierte nicht nur für die verschiedenen Juso-Gremien stellen, sondern auch auf Parteiebene: für die Stadtbezirkskonferenz, den Unterbezirkparteitag und -ausschuß. Und da wir inzwischen auch im Juso-Unterbezirk aktiv waren, kamen weitere Konferenzen auf der Bezirks-, Landes- und Bundesebene der Jusos hinzu. Irgendwann war ich so beschäftigt, daß ich zwischenzeitlich sogar mein Studium unterbrechen mußte, um all diese Treffen und Funktionen noch wahrnehmen zu können. Jeder „durchgesetzte“ Antrag mit linken Inhalten (etwa gegen den Vietnamkrieg oder die Berufsverbote), und jeder aufgestellte linke Kandidat (vom Ortsverein über den Stadtrat bis zum Bundestag) erschien uns als ein Schritt auf dem Weg zur Umwandlung der Sozialdemokratischen Partei in eine sozialistische Organisation. Natürlich war diese Vorstellung naiv, schließlich opponierten wir alltäglich gegen politische Entscheidungen, die von SPD-Regierungen in Stadt, Land und Bund gefällt worden waren. Aber auch diese vage Hoffnung reichte damals aus, um – eine viel zu lange Zeit – die Illusion zu erhalten, daß der Marsch durch die Institution SPD möglich sein könnte und sich auf diesem Weg tatsächlich irgendwann einmal eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft erreichen ließe. (Faktisch passierte das Gegenteil: die Institution, in diesem Fall die SPD, marschierte durch die Köpfe der Leute und hinterließ rechtssozialdemokratische Inhalte. Das hatten die Alt-Linken zwar schon häufig genug erfahren, aber offensichtlich mußten wir diese Erfahrung trotzdem noch einmal selber machen.)

Auch wenn wir in unserem Ortsverein – sicher häufiger als in den meisten anderen – zu außerparlamentarischen Aktionen und Demonstrationen mobilisierten (die sich zumeist gegen SPD-Politik richteten) verbrachten wir doch den größten Teil unserer Zeit mit innerparteilicher Arbeit und dem Streit um Formulierungen und Kandidaten in Hinterzimmern von Kneipen und in öden Konferenzsälen. Dabei war uns bewußt, daß die Inhalte der gefaßten Beschlüsse von einer Parteiebene zur nächsthöheren immer verwaschener wurden. Aber wir glaubten, dies ließe sich ändern, wenn wir nur mehr MitstreiterInnen fänden. Und da wir uns einmal auf diesen Weg eingelassen hatten, mußten wir uns letztlich mit immer neuen und immer mehr Papieren, Resolutionen und Programmentwürfen beschäftigen. Denn nur wer informiert war, wurde auch ernstgenommen, und die SPD-Rechte verstand es sehr geschickt, ihre innerparteilichen Gegner in solche einzuteilen, die „ernstzunehmen“ waren und in „linke Spinner“. Natürlich wollten die meisten, die schließlich viele Abende der Woche bei entsprechenden Auseinandersetzungen verbrachten, „ernstgenommen“ werden. Doch dies hatte stets zur Folge, auch die Argumente der Gegenseite „erstnehmen“ zu müssen, sprich: die Sachzwänge, die – „wir wollen ja letztlich alle dasselbe“ – die SPD schon seit hundert Jahren davon abhielten, von Sozialismus nicht nur zu reden, sondern sich auch praktisch dafür einzusetzen. Jedenfalls entstand in diesem alltäglichen Prozeß ein ungeheuerer Anpassungsdruck, bei dem viele gar nicht merkten, wie sie – mal schneller, mal langsamer – ihre linken Positionen schrittweise aufgaben und der Sachzwanglogik der Gegenseite opferten. Denn wirklich „ernstgenommen“ wurde von der SPD-Rechten nur, wer als potentieller Überläufer auf ihre Seite angesehen werden konnte.

Am Katzentisch der Macht

Auch die Kölner SPD-Linken (Jusos wie ältere) hatten in den 70er Jahren ihr eigenes „linkes Leitungsgremium“. Darin wurde über Strategien und Taktik gestritten, und es wurden Anträge, Kandidaturen und Parteitage vorbereitet. Die Jusos ließen sich in dieses Gremium einbinden. Die Folgen waren entsprechend: Für die SPD-Rechte waren die Sprecher dieses Gremiums „ernstzunehmende“ Verhandlungspartner, sprich:Ansprechpartner beim allgegenwärtigen Klüngel um Funktionen und Pöstchen. Mit dem Argument, die Linke sei noch (!) nicht stark genug, ließen sich deren Sprecher vor Parteitagen auch regelmäßig auf Verhandlungen mit der SPD-Rechten ein, um „zumindest die erreichten Minderheitspositionen zu sichern“. Seit Anfang der 70er Jahre machten dabei auch die Jusos mit – bis 1973. Damals wurde ein Vorstandsmodell (das „7:7:3-Modell“) ausgehandelt. Danach sollten auf dem anstehenden Parteitag sieben Rechte, sieben Linke und drei sogenannte „Neutrale“ (die sich allesamt bald ebenfalls als Rechte entpuppen sollten) gewählt werden. Doch die Unterbezirksdelegiertenkonferenz der Jusos lehnte – sehr zum Entsetzen vieler Alt-Linker – diese Klüngelei erstmals ab (wenn auch nur mit einer Stimme Mehrheit). Tatsächlich wurde danach ein mehrheitlich linker SPD-Vorstand in Köln gewählt, nicht zuletzt, weil auch einige Jusos kandidiert und damit das ausgehandelte Modell durchbrochen hatten. Allerdings hatte dieser Vorstand mit Erich Henke (früher Marxist, später Chef von Grund und Boden) einen rechten Vorsitzenden. Und Henke verkündete sogleich, die linken Mehrheitsverhältnisse bei nächster Gelegenheit wieder kippen zu wollen, was ihm auch gelang. (Allerdings wäre dies gar nicht nötig gewesen, da auch der mehrheitlich linke Vorstand keine linke Politik betrieb – die Sachzwänge waren nun mal zu stark.)

Den Jusos gelang es auch Mitte der 70er Jahr noch nicht, sich dieser sozialdemokratischen Ausprägung des Kölschen Klüngels zu entziehen.

(Mauschelmethoden dieser Art sind allerdings keineswegs Köln-spezifisch, sondern werden noch heute auf vielen SPD-Ebenen allerorten praktiziert). Die Alt-Linken argumentierten, daß die Juso-Funktionäre ansonsten auch immer mit dem „imperativen Mandat“ argumentierten und verlangten, daß sie auch Mehrheitsentscheidungen des Leitungskreises der Kölner SPD-Linken mit zu tragen hätten. So wurde mit linker Rhetorik rechte Politik hoffähig gemacht. Und wer sich dem widersetzte, wurde ausgegrenzt und isoliert, sprich: auch von den Linken nicht mehr ernstgenommen, womit sich der Anpassungsdruck an die allgemeinen sozialdemokratischen Spielregeln nur weiter fortsetzte. Und letztlich beugten sich auch linke Jusos diesem Druck, auch wenn dieser Klüngel mit basisdemokratischer linker Politik so wenig zu tun hatte wie Henke mit dem Sozialismus. Als Juso-Vorsitzender habe ich mich zwar immer strikt gegen jede Absprache mit den SPD-Rechten gewehrt, ließ mich dann aber doch – wenn auch nur einmal – von der Mehrheit der Kölner SPD-Linken verpflichten, für die Jusos an einer Verhandlungsrunde mit den SPD-Rechten teilzunehmen. Es war ein erhellendes Erlebnis. Das Treffen fand an einem Weiberfastnachtsmorgen im Kölner Rathaus statt. Und da saß ich dann den Vertretern der SPD-Rechten Günter Herterich, Erich Henke und Wilfried Kuckelkorn, der mit einer Flasche Whisky angerückt war, gegenüber. An meiner Seite saßen – als weitere Vertreter der Linken – Konrad Gilges (heute Bundestagsabgeordneter, in der Kommission für den Berlin-Umzug und Kölner DGB-Vorsitzender) und Wilhelm Vollmann (später Stadtrat und Landtagsabgeordneter, bis seine Tätigkeit für die Stasi aufflog – letzteres verwundert umso mehr, als Vollmann damals zu denen gehörte, die den Jusos dringend davon abrieten, mit Kommunisten in den Komitees gegen die Berufsverbote oder für Frieden und Zusammenarbeit zusammenzuarbeiten, da dies nur „unnötigen Ärger mit der Partei“ hätte mit sich bringen können).

In dieser illustren Mauschelrunde legte dann jede Seite ihre potentiellen Delegiertenzahlen für den nächsten Parteitag auf den Tisch, und dann wurde geschachtert: Wir haben die Mehrheit, wir bekommen zehn Vorstandsmitglieder, sagten die Rechten, ihr seid in der Minderheit, ihr bekommt sieben, aber nur, wenn unser Vorstandskandidat auch von den Linken im ersten Wahlgang mitgewählt wird und eine große Mehrheit erhält. (Denn das hinterließ immer einen guten Eindruck von Geschlossenheit in der Kölner Presse.) Tatsächlich wählten dann auch einige Linke einen rechten Parteivorsitzenden, damit ein Linker sein Stellvertreter werden durfte. (Herterich entwickelte für Parteitage damals regelrechte Regiebücher, in denen vom ersten bis zum letzten Punkt der Tagesordnung genau angegeben war, wer für was und welchen Kandidaten zu stimmen hatte.)

Da sich der Vertreter der Rechten (Herterich) und der Linken (Gilges) zudem noch regelmäßig zum Abendessen trafen, war es auch nicht verwunderlich, daß bei diesem institutionalisierten Klüngel irgendwann herauskam, daß beide gemeinsam als Bundestagsabgeordnete für die Kölner SPD aufgestellt und auch gewählt wurden.

Schließlich dachte auch der ehemalige Marxist und Bundesvorsitzende der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken, Gilges, der lange Zeit großen Einfluß bei den Kölner Jusos gehabt hatte, nach langjähriger Parteitätigkeit an seine Alterssicherung. In seinen ursprünglichen Beruf als Fliesenleger wollte er schließlich nicht zurück. Damit Gilges in den Bundestag gewählt wurde, mußten die Linken jedoch ein weiteres Zugeständnis machen: Sie mußten auch den von Herterich auserkorenen neuen Oberstadtdirektor für Köln, Kurt Rossa, mit großer Mehrheit auf einem Parteitag wählen. Denn auch das machte wiederum einen guten Eindruck in der Presse. Damit nicht genug, wurde auch noch ein kleines Schauspiel für die Medien inszeniert. Der Kölner Parteivorstand bildete eine Auswahlkommission, an der auch Linke wie Anke Brunn (heute: NRW-Ministerin) teilnahmen. Und diese Kommission fuhr durch die Lande, um angeblich geeignete KandidatInnen für den Posten des Kölner Oberstadtdirektors zu suchen. (Das jedenfalls wurde in einer Presseerklärung verkündet.) Dabei war jedem der Beteiligten schon vorher klar, daß Herterich sich längst für Rossa entschieden hatte. Aber in der Öffentlichkeit wurde so der Eindruck erweckt, daß sich die SPD wirklich ernsthaft um „den besten Kandidaten für Köln“ bemühte. (Als Vorsitzender der Kölner Jusos durfte ich damals, wenn auch ohne Stimmrecht, an den Sitzungen des Kölner SPD-Vorstandes teilnehmen. Dabei habe ich diese und manch ähnliche Szene erlebt.)

Diese Beispiele stehen hier, weil sie dokumentieren, wie weit auch die Deformierung von Linken durch die schrittweise Gewöhnung an den sozialdemokratischen Klüngelalltag geht. Davor waren und sind auch die Jusos nie gefeit gewesen. Daß einige von ihnen schließlich ähnliche Methoden zur Durchsetzung ihrer Interessen und Meinungen auch bei den Jusos einsetzten, war deshalb eher zwangsläufig als verwunderlich.

Der Lohn der Angst

Auch in Köln drohte die SPD-Rechte Mitte der 70er Jahre immer mal wieder mit dem Knüppel des Parteiausschluß-Verfahrens gegen aufmüpfige Jusos. Dabei tat sich insbesondere der SPD-Rechte Norbert Burger (heute: Oberbürgermeister der Stadt Köln) hervor. Sein damaliger Job in einem Bonner Ministerium ließ ihm offensichtlich als einzigem Mitglied des Kölner SPD-Vorstands genügend Zeit, um haarklein alle Info-Blättchen der 40 Kölner Juso-AGs daraufhin durchzusehen, ob sich nicht irgendwo eine Karikatur aus einer „kommunistischen Zeitung“ fand oder eine Podiumsdiskussion angekündigt wurde, bei der Jusofunktionäre mit „Kommunisten“ an einem Tisch saßen. Weil unsere Ortsvereins-Zeitung für die Stadtteile Buchforst und Stegerwald, die Aktuell, eine Karikatur aus der „kommunistischen“ Deutschen Volkszeitung (DVZ) enthielt und ich in Mülheim an einer Podiumsdiskussion mit DKP-Vertretern und anderen „Kommunisten“ teilnahm, habe ich mir selbst zwei Parteiordnungsverfahren eingehandelt, die Burger mit angezettelt hatte. Ein ehrenwertes drittes wurde gegen mich und andere eröffnet, als die Kölner Jusos – trotz eines Verbots durch den Parteivorstand – zusammen mit dem Kölner Volksblatt und der Bürgerinitiative Südliche Altstadt (BISA) eine Dokumentation unter dem Titel Stollwerck – Das Millionen-Ding und seine Folgen herausgaben. Darin wurde dokumentiert, wie die Stadt (sprich: die SPD-Fraktion) dem Stollwerck-Besitzer Hans Imhoff Millionenbeträge hinterhergeworfen hatte, als dieser seinen Betrieb nach Porz verlegte, obwohl Imhoff die versprochene Gegenleistung (Schaffung von 700 Arbeitsplätzen in der neuen Fabrik) nie erfüllte. (Der Schlußpunkt des Stollwerck-Skandals sollte später – nach kurzzeitiger Besetzung der alten Fabrikhallen – der Abbruch der Stollwerckgebäude in der Kölner Südstadt sein. Um dies zu erreichen schloß die Kölner SPD-Ratsfraktion einen Vertrag mit den Besetzern, um sie zur Räumung zu bewegen, den sie allerdings nie erfüllte.) Von den Mit-Herausgebern der Stollwerck-Dokumentation wurde damals der Rücktritt des damaligen Oberbürgermeisters John van Nes Ziegler gefordert, von den Jusos (einige hatten schon vorher Angst vor dem drohenden Konflikt mit der SPD) nur die Niederlegung seines Mandats im Aufsichtsrat der Skandalfirma.

Gegen die Jusofunktionäre, die an der Pressekonferenz teilgenommen hatten (neben mir war dies damals auch noch Andreas Henseler), wurde ein Parteiordnungsverfahren eröffnet, obwohl wir uns zuvor noch durch Eilbeschlüsse von unseren Ortsvereinen hatten legitimieren lassen und als deren Vertreter aufgetreten. (Auch all dies wirkt aus der Distanz betrachtet wie schlechtes Kasperle-Theater.)

Doch all die genannten Parteiverfahren dienten lediglich der Einschüchterung (die bei manchen auch Wirkung zeigte). Jedenfalls wurde keines von ihnen zum Abschluß gebracht. (In der linken Hochphase der Kölner Jusos wurde tatsächlich kein einziger ihrer Funktionäre ausgeschlossen.)

Und selbst wenn die Jusos damals jedes ihrer Flugblätter und selbst noch ihr internes Juso-Info (das damals regelmäßig in einer Auflage von 2.000 Exemplaren erschien) einer vom SPD-Vorstand eingesetzten Zensurkommission vorlegen mußten, drohte die Kölner SPD-Führung doch letztlich immer nur mit der Peitsche und vertraute ansonsten auf das Zuckerbrot, will sagen: auf Pöstchen und Pfründe. So wurden gleich mehrere ehemalige Jusofunktionäre (z.B. Jürgen Noppel) in städtischen Firmen untergebracht und noch aktive gelegentlich regelrecht eingekauft. So gab es einen, Olaf Merkt, der im Arbeitskreis Kommunalpolitik der Jusos sehr engagiert war. Als Student der Technischen Hochschule Aachen galt er als Fachmann der Jusos für Stadtplanung. Mit einem interessant aufgemachten Dia-Vortrag reiste Merkt damals durch die Juso-AGs, um gegen die Flächensanierung im Severinsviertel zu agitieren. Doch unmittelbar nach seinem Studienabschluß erreichte ihn der Ruf des sozialdemokratisch geführten Stadtplanungsamtes. Er bekam einen gut dotierten Job und reiste nur wenige Monate später mit den selben Dias durch die SPD-Ortsvereine, um die Flächensanierung des Severinsviertels als einzig mögliche städtebauliche Lösung anzupreisen. Ein anderes Beispiel ist Horst Siefen, der Anfang der 70er Jahre als Kölner Juso-Funktionär noch vehement die Abschaffung des Makler-Berufs forderte, um schon wenig später mit Grundstücksspekulationen Geschäfte zu machen.

Mit Speck fängt man Mäuse. Und so wurde auch mir wenige Tage, nachdem ich 1979 mein – durch die Juso-Tätigkeit jahrelang verzögertes – Studium endlich abschließen konnte, ein ähnliches Angebot gemacht. Ungebeten meldete sich damals ein Herr von der Stadtverwaltung bei mir zu Hause, um mir eine „Anstellung mit guten Aufstiegschancen“ anzubieten. Ich lehnte dankend ab und gab wenig später mein SPD-Parteibuch zurück. Ich hatte endlich begriffen, daß Karl Kraus recht hat.