Der Fall Hohmann und andere gewöhnliche Antisemiten

von Markus Lauber

Bemerkenswert an den Fällen Hohmann, Walser oder Möllemann ist nicht so sehr ihr Vorkommen an sich; betrachtet man die Kontinuität rechter Eliten in Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Militär usw. vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, das Dritte Reich bis in die BRD, so hat die Reeducation und der zeitweilige Entzug der Souveränitätsrechte durch die Alliierten zwar zu einer angelernten Erinnerungskultur aus Staatsraison geführt und zu einer intensiven Behandlung der 12 Jahre (und nur der) des deutschen Faschismus in Medien und Unterricht; da aber die Totalitarismustheorie bis weit in liberale Kreise zur quasi-offiziellen Doktrin mutiert ist und die Kabinette und Vorstände in Deutschland fast durchgängig so aussehen, als seien die Nürnberger Rassegesetze noch in Kraft, regt sich unter diesem Firnis das ganz gewöhnliche antisemitische Ressentiment – verstärkt seit die versammelten Eliten in der Paulskirche Walsers „Moralkeule Auschwitz“ bejubelten und Schröder in der FAZ feststellte, ein Dichter dürfe (?) sagen, was ein Kanzler nicht könne.

Die Hohmann-Rede ist kein Ausrutscher und noch in der halbherzigen Entschuldigung ist die Absicht kenntlich. Es tue ihm Leid, irgendjemands ‚Gefühle’ verletzt zu haben. Also im Klartext: er steht zu seiner „antisemitischen Hetze“ (BILD), leider sind die Betroffenen so memmig seine ‚Wahrheiten’ nicht anzuerkennen. Es lohnt sich in der Tat die Rede im Original zu lesen, weil sie den gesamten Kanon eines geschlossen rechtsextremistischen Weltbilds vermittelt, inklusive Ablehnung der französischen Revolution, Empfänger von Entschädigungszahlungen sind allesamt Ausländer die guten ‚deutschen Steuerzahlern’ gegenüberstehen, Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus und eben die Vorstellung DIE Juden seien 1917 ein (Täter)volk gewesen und hätten die Oktoberrevolution gesteuert, so wie der deutsche Staat 1933-45 seine Mordsmaschinerie gesteuert hat.

Ja aber man wird doch noch …
Aber haben die nicht auch …

Wer mal ehrlich die Gespräche und Reaktionen, sagen wir seit Walser und Möllemann, im Zusammenhang mit Friedman und jetzt Hohmann im Bekanntenkreis durchgeht, wird mit Sicherheit bei jedem zweiten oder dritten Gespräch auf ein mehr oder weniger verschämtes „ja, aber“ gestoßen sein – auch die Online-Diskussionsforen von CDU über Tageszeitungen bis hin zu den Boards von Gamern sind voll davon. Begleitet von heftigsten Distanzierungen gegenüber jedem Antisemitismus und „einige meiner besten Freunde…“ tauchen strukturell immer die gleichen Komplexe auf:

  1. Ob denn der Antisemitismus nicht eine gewisse ‚Berechtigung’ hätte, weil nun mal nicht alle Juden nett seien, manche Panzer fahren und andere gegeelte Haare haben. In schlechtester Tradition dieser Judenzählungen (1916 im deutschen Heer etwa) steht denn auch Hohmann ‚Wahrheit’ mit der Schädelvermessung des leninschen Politbüros. Ob diesem selbstreferentiellen Wahnsystem – das sich die Juden im Stil des modernen sog. ‚Rasseantisemitismus’ als geschlossene Ethnie/Volk vorstellt- und das in seiner Fragestellung die antisemitische Struktur schon in sich trägt – durch Aufklärung beizukommen ist bezweifeln nicht wenige Autorinnen und Autoren. Auf die Idee (wie Richard Herziger in der „Zeit“), dass Juden im 19. und 20. Jh. etwa im Zarenreich allen Grund hatten sich bei linken oder revolutionären Bewegungen zu engagieren kommen dann die Allerwenigsten.
  2. Begibt man sich nicht auf dieses Glatteis so bemerken die etwas Gebildeteren, dass es ja schon seltsam sei, warum denn immer wieder bei den Juden so eine Unruhe entstünde. Mit ‚denen’ müsse es ja dann schon was haben – WAS bleibt dann dem wissenden Einverständnis der ‚Nicht-Betroffenen’ überlassen.
  3. Israel und Palästina. Hier versteckt sich der Antisemitismus in exzessivem Antizionismus (Scharon=Hitler, Flüchtlingslager=Auschwitz, Israel=künstlicher Staat, eingewanderte Juden vs. jahrtausendealtes arabisches Siedlungsgebiet usw.), der im Kern das Existenzrecht Israels in Frage stellt, der a la Möllemann sich die Selbstmordanschläge auf Cafes und Discos in Tel Aviv als ‚Widerstand’ halluziniert. Präventiv wird diese Art der ‚Kritik’ zumeist versehen mit dem Gestus des großen Tabubruchs, der ‚einem’ ja eigentlich ‚verboten’ sei – von wem? Von linker Journaille im Bündnis mit der jüdisch –zionistischen Medienmacht; also in etwa so wie Karsli es im Interview mit der „Jungen Freiheit“ sah.

Aufklärung und Historisierung des deutschen Faschismus von Links

Was also tun. Man kann es versuchen mit Aufklärung und Bildung. Man muß deutlich machen, WAS antisemitische Wahnstrukturen sind, man darf sich nicht mit angelerntem Bescheidwissen begnügen. Dazu gehört dann zunehmend auch den deutschen Faschismus von links zu historisieren und insbesondere in seinen Entstehungs- und Wirkungszusammenhang als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft ab 1800 zu stellen. Ein Exzess an personalisierter Erinnerung aus 12 Jahren (worunter sich ganz unverfänglich auch die deutschen Opfer mengen, bis alles nur noch tragisches Schicksal war) verhindert, sich mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, der Kontinuität von reaktionären Eliten und dem Klassencharakter der Regimes vom Kaiserreich über Weimar bis Berlin-Bonn-Berlin zu befassen.

Antisemitismus von links zu bekämpfen heißt, bei ihm neben seinen Wahnkomponenten im Haß auf die Zirkula-tionssphäre und die Personalisierung anonyme Marktmächte in Gestalt ‚des Juden’ auch seinen Funktionscharakter für deutsche Eliten und nationale Machtpolitik herauszuarbeiten:

  • Im Inneren konnten sowohl Ressentiments geschürt werden gegen einen Teil der Unterschicht, mit den ‚üblichen‘ rassistischen Stereotypen, als auch gegen einen Teil vermeintlich verschworener (liberaler) Eliten gegen die man die ‚kleinen Leute‘ aufhetzen konnte, ohne an den tatsächlichen Verhältnissen zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Oben und Unten etwas zu verändern.
  • Im Äußeren ermöglichte der Antisemitismus eine ideologische Rechtfertigung, sich sowohl gegen den ‚jüdisch-plutokratischen‘ Westen, als auch gegen den ‚jüdisch-bolschewistischen‘ Osten zu wenden.

Die Bekämpfung des antisemitischen Wahns ist für die Linke im Sinne Adornos eine ethisch-moralische wie eine zentrale strategische Aufgabe, eben gerade damit antikapitalistische Impulse nicht in antisemitischen oder verschwörungstheoretischen Haß und Schwachsinn abgleiten.

 

Hinweis: Die Literaturliste mit bis auf die Bücher sofort im Internet verfügbaren Artikeln soll der eigenen Bildung und ‚Munitionierung‘ mit Argumenten dienen und sei hiermit dringend empfohlen.

Literaturliste

Die Rede Hohmanns im Original:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/15981/1.html

Der Gotteskrieger. Die „Rüge“ des CDU-Vorstands gegen den Abgeordneten Martin Hohmann ist eine Farce, dessen „Entschuldigung“ wertlos. Seine Rede enthüllt ein geschlossenes geschichtsrevisionistisches Weltbild (2003), von Richard Herzinger
http://www.zeit.de/politik/herzinger_0345_hohmann

Das Kalkül des Schuldumkehrers. Hohmann redete nicht im Affekt, sondern griff absichtsvoll auf antijüdische Geschichtsmythen zurück (2003), von Richard Herzinger
http://www.zeit.de/2003/45/anti

Ganz gewöhnliche Antisemiten. Martin Hohmann, Reinhard Günzel und ihre Vorgänger (2003), von Heinrich August Winkler
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,274326,00.html

MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag: „Gerechtigkeit für Deutschland“ (2003), von Andrea Livnat
http://hagalil.com/archiv/2003/10/hohmann.htm

Tollheit mit Methode (2000), Marcel Reich-Ranicki über den Historiker Ernst Nolte
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,97131,00.html

Wilhelm II.: „Das Beste waere Gas!“ (1994), von John C. G. Röhl
http://www.lauber.de/wilhelm2.zip

Allgemeine Artikel

Deutschland als Avantgarde. Historische Genese und aktuelle Renaissance des deutschen Sonderwegs (1998), von Jürgen Elsässer
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_98/08/16a.htm

Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch (1978), von Moishe Postone
http://www.nadir.org/nadir/aktuell/2002/01/19/8195.html

Der ehrbare Antisemitismus (1969), von Jean Améry
http://www.uni-koeln.de/studenten/al/info/67/0701.html

Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus (1998), von Thomas Haury
http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr136s.htm

Manhattan Transfer. Wie der Kampf gegen den US-Imperialismus die Linke überlebt hat von (2001), von Günther Jacob
http://www.trend.partisan.net/trd1101/t051101.html

„Ich bin kein Antisemit, aber …“ Der 9. November, Israel und das deutsche Gedenken (2002), von Esther Shapira
http://www.jusos.org/modules.php?name=News&file=print&sid=159

Gegen Krieg und deutschen Frieden (2003), von Thomas Ebermann
http://groups.google.de/groups?selm=b5kojg$2a9d7v$1 [at] ID-3309 [dot] news [dot] dfncis [dot] de&output=gplain

Wie sie lernten, die Bombe zu lieben Linke, Krieg und Antisemitismus, erster Teil (2002), von Jürgen Elsässer
http://www.juergen-elsaesser.de/de/artikel/home/jW021207.html

Mit Auschwitz lügen Linke, Krieg und Antisemitismus, zweiter Teil (2002), von Jürgen Elsässer
http://www.juergen-elsaesser.de/de/artikel/home/jW021209.html