(K)eine Mehrheit links von der Mitte

von HANS GÜNTER BELL

Die rot-grüne Bundesregierung ist abgewählt. Damit hat diese Regierung die Quittung für ihre „Reform“-Politik bekommen. Doch auch für Schwarz-Gelb hat es nicht gereicht. Offenbar kann man in Deutschland mit Sozialabbau keine Wahlen gewinnen. Der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit ist auch nach Jahren des neoliberalen Trommelfeuers durch eine Einheitsfront aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien in der Bevölkerung noch tief verankert.

Dabei bleibt die Wahlbevölkerung in zwei Lager gespalten, deren jeweilige Stärke sich gegenüber der letzten Bundestagswahl nicht verändert hat. Die wesentlichen Wählerwanderungen haben nicht zwischen, sondern innerhalb dieser beiden Lager stattgefunden: Die SPD verliert 970.000 Stimmen an die Linkspartei.PDS und 140.000 Stimmen an die Grünen, die CDU 1,11 Mio. Stimmen an die FDP.

Die Wahl hat also zwei klare Gewinner: FDP und Linkspartei.PDS. Mithin die beiden Parteien, deren wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte die Gegensätze markieren. Von daher kommt im Wahlergebnis auch eine Tendenz zur ideologischen Polarisierung zum Ausdruck.

Eine linke Mehrheit?

Das Wahlergebnis zeigt klar, dass es eine Mehrheit links von der Mitte gibt“, so äußerte sich z.B. der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Ob diese Mehrheit „tatsächlich eine linke Mehrheit ist?“ – diese Frage stellte Gregor Gysi wohl zu Recht, und seine darin zum Ausdruck kommende Skepsis teile ich voll und ganz.

Zwar könnten SPD, Links-partei.PDS und Grüne rechnerisch eine Regierung bilden, da jedoch weder SPD noch Grüne vom Kern ihrer Politik abgerückt sind, sondern ankündigten, sie – allenfalls mit leichten Korrekturen – fortsetzen zu wollen, verbietet sich für die Links-partei.PDS derzeit jede Zusammenarbeit mit diesen. Die potenziell vorhandene Mehrheit links der CDU/CSU kann also nicht zum Tragen kommen.

Sich in dieser Lage an Spekulationen über Ampel, Jamaika-Bündniss, große Koalition und andere Regierungskonstellationen zu beteiligen, macht offensichtlich keinen Sinn. Peter Wahl, Mitglied im Attac-Bundeskoordinierungkreis, stellte hierzu in einer ersten Wahleinschätzung zutreffen fest:

Die Koalitionsfrage wird zwar jetzt als Krimi inszeniert, tatsächlich ist ziemlich sicher, dass die bisher informelle Große Koalition in einer auch offiziellen Großen Koalition enden wird. Ob dabei der Kanzlerposten von der SPD oder der CDU besetzt wird, ändert an der Substanz der Politik kaum etwas.

Perspektiven der Linkspartei.PDS

Die WASG ist in besonderem Maße durch Gewerkschaftsfunktionäre geprägt. Erwartungsgemäß liegen die Gewinne der Linkspartei.PDS bei Gewerkschaftsmitgliedern mit + 6,9 Prozentpunkten über ihrem Durchschnitt (+ 4,7 Prozentpunkte). Trotzdem blieben die Verluste der SPD unter den Gewerkschaftsmitgliedern mit 3,8 Prozentpunkten geringer sind als im Durchschnitt (- 4,2 Prozentpunkte); CDU/CSU hingegen verloren mit 4,6 Prozentpunkten überdurchschnittlich (alle WählerInnen: – 3,3 Prozentpunkte).

Insgesamt liegt bei ArbeiterInnen und Angestellten trotz Verlusten nach wie vor die SPD vorn. Die größten Veränderungen gibt es bei den Arbeitslosen: gegenüber 2002 verlor die SPD 7,3, die CDU/CSU 6,9 Prozentpunkte. Dagegen hat die Linkspartei.PDS mit 24,8% ihren Stimmenanteil unter den Arbeitslosen gegenüber 2002 mehr als verdoppelt. Überdurchschnittlich legte sie mit einem Plus von 8,4 Prozentpunkten gegenüber 2002 auch bei den FacharbeiterInnen zu.

In nur vier Bundesländern kam die Linkspartei.PDS nicht über fünf Prozent; in NRW erreichte sie 5,2%. Gegenüber der Landtagswahl vom Mai, als WASG und PDS noch getrennt angetreten sind, legte sie 2,1 Prozentpunkte zu. Wahlbeobachter sehen darin ein Zeichen dafür, „dass [die Linkspartei.PDS] dauerhaft zur Konkurrenz für die etablierten Parteien werden könnte und nicht länger als ostdeutsche Regionalpartei angesehen werden sollte“.

Wahlergebnisse Köln

Alle vier Kölner Wahlkreise gingen an die SPD. Sie konnte sich gegenüber der Landtagswahl leicht verbessern und profitierte von den starken Verlusten der CDU. (s. Tabelle)

Gegenüber der Landtagswahl vor vier Monaten konnte die Linkspartei in Köln 22.011 Stimmen hinzugewinnen (auf jetzt 34.342 Stimmen).

In den Wahlbezirken überlagern sich die Hochburgen der SPD und der Linkspartei: Für die SPD sind dies: Gremberghoven (53,3%), Höhenberg und Vingst – also klassische Arbeiterstadtteile im rechtsrheinischen Köln. Die Linkspartei erzielte ihren besten Ergebnisse in Kalk und Höhenberg, mit Wahlergebnissen von 9,6 bzw. 9,0 %; ihr bestes Ergebnis allerdings in Köln-Buchforst: 9,8 %. Dies ist offensichtlich auf die gute Verankerung des alten SPD-Ortsvereins im Stadtteil zurückzuführen, dessen Vorstand vor der Wahl zur WASG wechselte und sogleich einen engagierten Wahlkampf für die Linkspartei führte.

Eine Konsequenz des gemeinsamen Antretens von Linkspartei und WASG dürfte das Zusammengehen der drei Ratsmitglieder der Linkspartei und dem einen Ratsmitglied des Bündnisses „Gemeinsam gegen Sozialraub“ (GgS) sein. Dies liegt auf der Hand, denn schließlich war der Ratsvertreter von GgS einer der Direktkandidaten der Linkspartei. Damit würden sie Fraktionsstärke erreichen und hätten u.a. endlich die Möglichkeit in allen Ratsausschüssen mitzuarbeiten.

Wie weiter mit dem Sozialistischen Forum Rheinland?

Diese Entwicklungen haben natürlich auch Konsequenzen für das Sozialistische Forum Rheinland (SoFoR). Historisch ist das SoFoR eine sozialistische Strömung innerhalb der SPD. Nachdem sich dieser Bezug in Folge der „Entsozialdemokratisierung“ der SPD bereits in den letzten Jahren gelockert hatte, steht das SoFoR nun vor einer neuen Weichenstellung: Eine Pluralisierung der parteipolitischen Orientierung ist nach der Etablierung einer weiteren sozialdemokratischen Partei – denn um eine solche handelt es sich bei der Linkspartei.PDS ja erkennbar – sinnvoll und notwendig.

„Pluralisierung“ heißt ausdrücklich nicht vollständiger Bruch mit der SPD. Denn auch in Zukunft werden Mitglieder des SoFoR in der SPD mitarbeiten und dort Verantwortung übernehmen. Es ist allerdings auch absehbar, dass eine größere Gruppe sich der WASG bzw. der Linkspartei anschließen wird.

Die besondere Aufgabe des SoFoR kann in Zukunft darin bestehen, den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den nunmehr auf verschiedene Parteien verteilten SozialistInnen zu organisieren.

Die Sichtweise von Benedikt Dettling, Mitglied des Kölner Juso-Vorstandes, ist beispielhaft für derjenigen Mitglieder des SoFoR, die in der SPD bleiben werden. Er weist in einem Positionspapier auf das nach wie vor bestehende linke Potential innerhalb der SPD hin und schlussfolgert, dass es weiterhin wichtig sei, „in der SPD zu bleiben, um ihr wieder ein linkes Profil zu geben“. Zugleich erkennt er jedoch an, dass es für die SPD-Linke von Nutzen sei, wenn auch in der Linkspartei Mitglieder gebe, die die Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg suchten. „Wir brauchen diese Linke in Form der entstehenden Linkspartei um Gysi und Lafontaine ebenso wie die Linkspartei uns linke Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten braucht.

Es ist kennzeichnend für den Umgang der SoFoR-Mitglieder miteinander, dass es keine wechselseitigen Anfeindungen gibt, sondern die strategische Einschätzung Dettlings im Kern auch von denjenigen geteilt wird, die zur WASG bzw. zur Linkspartei wechseln wollen. Auch ihnen ist klar, dass es ohne die SPD in Deutschland keine Mehrheiten für Reformen geben wird. Unterschiedlich wird allerdings eingeschätzt, wie man diesen Positionswechsel der SPD erreichen kann. Die „Wechsler“ setzen darauf, dass (parteipolitische) Konkurrenz das Geschäft belebt, linke Reformpolitik also eine starke Linkspartei braucht.

Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die Linkspartei zwar den Anspruch hat, parlamentarischer Arm sozialer Bewegungen zu sein, diese jedoch so schwachbrüstig sind, dass für die Linkspartei die große Gefahr besteht, sich im parlamentarischen Alltag schnell abzunutzen und anzupassen. Für die Mitglieder des Sozialistischen Forums Rheinland verbietet sich daher die alleinige Konzentration auf das parteipolitische Engagement, egal ob in SPD oder in WASG / Linkspartei. Die Mitarbeit z.B. in den Gewerkschaften oder bei Attac bleibt auch in Zukunft wichtiger Bestandteil unserer gemeinsamen Arbeit.