Zur schwarz-roten Freundschaft in Köln

von ALEXANDER RECHT

Die bittere Speise von CDU und SPD in Köln

Vor kurzem traten die Spitzen von KölnCDU und KölnSPD gemeinsam vor die Presse, um die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags zwischen CDU und SPD auf kommunaler Ebene bekannt zu geben. Walter Reinarz, Chef der Kölner CDU, ließ dabei über den Schwerpunkt des Vertrages keinen Zweifel: „Die Finanzen waren der wichtigste Punkt und stehen am Anfang des Koalitionsvertrags.“ Jochen Ott, Reinarz‘ Pendant in der Kölner SPD, ergänzte: „Uns ging es darum, eine verlässliche Perspektive für Köln für die nächsten fünf Jahre zu entwickeln.“

Im Koalitionsvertrag wird ziemlich unverblümt und offen erklärt, was sich die beiden Parteien unter einer verlässlichen Perspektive für die Kölner Finanzen vorstellen: Die Kölner Bürger sollen mit angeblich „unvermeidlichen finanziellen Einschnitten in fast allen Lebensbereichen“ konfrontiert werden. Das Hauptgericht Kölner Kommunalpolitik soll aus „drastische(n) Ausgaben- und damit Aufgabenkürzungen“ bestehen.

Im zweiten Gang wird „Eigenverantwortung im Sinne kommunaler Selbstverwaltung und unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“ sowie die Wahrnehmung von Aufgaben „im Auftrage der Stadt durch (…) private Unternehmen“ gereicht. Entgegen sozialdemokratischen Prinzipien wird avisiert, städtische Anteile an der GEW zu veräußern, die kommunale Abfallwirtschaft stärker für privaten Einfluss zu öffnen und den kommunalen Wohnungsbestand bei GAG und Grubo zu reduzieren. Das heißt: Die demokratische Mitbestimmung über Qualität, Umfang und Darreichungsweise öffentlicher Leistungen wird ausgehöhlt – an ihre Stelle tritt das Direktionsrecht privater Unternehmen, deren Aufgabenerfüllung qua Status gar nicht demokratisch sein kann, sondern gewinnorientiert sein muss.

Als Dessert wird der Bevölkerung schließlich das „Leitbild Köln 2020“ präsentiert: „Der Wettbewerb unter den Städten und Regionen“, so CDU und SPD, werde „härter – auch für Köln. Dieser Herausforderung“ möchten sich beide Parteien „gemeinsam und mit aller Kraft stellen“ – angeblich „im Interesse der Menschen in unserer Stadt“.

Wir fassen zusammen: Gemeinsam mit der CDU legt sich die SPD auf einen Koalitionsvertrag fest, dessen drei Essentials lauten: Kürzung, Entdemokratisierung, Steigerung von Konkurrenz. Angesichts dessen schlussfolgert SPD-Chef Jochen Ott bei der oben genannten Pressekonferenz, „dass die Lasten der Zukunft gerecht verteilt werden und Köln eine soziale Stadt bleibt“. Traurig, welchen Bedeutungswandel Begriffe wie „gerecht“ und „sozial“ erfahren!

Unvermeidlichkeit?

Die Frage lautet: Warum lassen sich Sozialdemokraten auf ein solches Abräumprogramm ein? Glaubt man dem Koalitionsvertrag, ist die Antwort einfach: Wir hätten es mit angeblich „unvermeidlichen finanziellen Einschnitten“ zu tun. Dies ist offenbar die Kölsche Version des internationalen Klassikers „There Is No Alternative“, der der neoliberalen Offensive seit vielen Jahren den Grundton verleiht. Unvermeidlichkeit, Alternativlosigkeit – nicht immer schön, aber es gebe eben keine Chance für eine andere Politik. Zack – bum – aus – basta!

Die Fairness gebietet es jedoch, sich die Frage zu stellen, ob alternative Politiken wirklich so einfach zu verwirklichen wären. Wir müssen leider feststellen, dass es sich, sofern die Rahmenbedingungen der Kommunen gleich bleiben, keineswegs um ein einfaches Unterfangen handelt. Denn in ihrer Beschreibung, dass die finanzielle Situation der Stadt Köln vor großen Problemen steht, liegen die Spitzen der Kölner CDU und SPD durchaus richtig. Doch diese Misere fiel nicht plötzlich wie Manna vom Himmel, sondern hat ihre konkreten Ursachen.

Die Kommunen finanzieren ihre Ausgaben in hohem Maße aus Anteilen an Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer. Art. 106 (5) GG besagt: „Die Gemeinden erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist. (…)“ Und Art. 106 (5a) GG schreibt vor: Die Gemeinden erhalten (…) einen Anteil an dem Aufkommen der Umsatzsteuer. Er wird von den Ländern auf der Grundlage eines orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssels an ihre Gemeinden weitergeleitet. (…)“ Damit das Ganze ein wenig plastischer wird: Die Kommunen erhalten momentan 15% des gesamten Aufkommens der Einkommensteuer und 2,2% des Aufkommens der Umsatzsteuer. Vergessen werden darf auch nicht, dass die Kommunen indirekt an der Körperschaftsteuer partizipieren, da diese die Verteilungsmasse der Länder für den kommunalen Finanzausgleich erhöht.

Kurzum: Sehr groß ist die kommunale Selbstverwaltung nicht, denn die Kommunen sind in hohem Maße von Steuern abhängig, die nicht auf kommunalem Terrain bestimmt werden. Und hier ist auch eine der Hauptursachen für die kommunale Finanznot angesiedelt: Die rot-grüne Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Einkommensteuerreform den Spitzensteuersatz auf den niedrigsten Satz der bundesdeutschen Geschichte abgesenkt: 42%! Bei der Körperschaftsteuer hat sie die Besteuerung einbehaltener Gewinne von 40% auf 25% reduziert. Kapitalveräußerungsgewinne werden Unternehmen komplett steuerfrei gestellt! Diese Politik, die ökonomisch schädlich war, hat über die so verursachten Einnahmenausfälle nicht nur die Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern, sondern eben auch jene der Kommunen massiv eingeschränkt.

Dies hielt die SPD nicht davon ab, sich selber im Wahlprogramm 2002 zu loben: „Mit der Steuerreform haben wir die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. (…) Die Kapitalgesellschaften in Deutschland haben endlich ein auch international konkurrenzfähiges Steuersystem erhalten (…) Alle anderen Einkommensstufen werden in gleicher Weise entlastet. Bis hin zum Spitzensteuersatz (von 53% auf 42%).“ Die Grünen mochten nicht nachstehen und verkündeten: „Gerechtigkeit und Transparenz stehen für uns im Mittelpunkt der Steuerpolitik.“ Es spottet jeder Beschreibung, wie es Rot-Grün vermag, die Selbstenthauptung politischer Handlungsfähigkeit in allen Gebietskörperschaften auch noch euphorisch zu feiern.

Noch schlimmer steht es um CDU und FDP, die SPD und Grüne noch übertrumpfen wollten. Wäre es nach dem Wahlprogramm der CDU gegangen, so hätte Deutschland eine Steuerpolitik bekommen, „die Anreize für Leistung setzt. (…)Wir werden mittelfristig und schrittweise den Einkommensteuerspitzensatz auf unter 40% (…) senken.“ Den Vogel schoss die FDP ab: „Niedrige Steuersätze, einfache und verständliche Regeln, eine gerechte Belastung aller, das sind die Kennzeichen. (…) Einkommensteile ab 40.001: 35% Steuern.“

Doch es geht auch um die verschärfte Konkurrenz, denen sich Städte und Kommunen ausgesetzt sehen. Diese Konkurrenz ist sicherlich auch Ausdruck der grundsätzlichen kapitalistischen Logik von Kapital, Profit und Konkurrenz. Sie ist aber auch politisch begründet: Der politische Verzicht der meisten EU-Länder auf binnenwirtschaftliche politische Stärkung hat die außenwirtschaftliche Wettbewerbsorientierung der nationalen Volkswirtschaften angeheizt. Liberalisierende und deregulierende EU-Richtlinien sowie Bestimmungen auf der Ebene der WTO (Stichwort: GATS) haben die Möglichkeiten der Kommunen weiter eingeschränkt. CDU und FDP haben bis 1998, SPD und Grüne ab diesem Zeitpunkt diese Politik auf internationaler Ebene mitgetragen und eben keine Politik der europaweiten Harmonisierung, relativen Vereinheitlichung und Sicherung dezentraler Spielräume befördert.

Es lässt sich also zusammenfassen: Die Kommunen stehen in der Tat vor großen Problemen, da ihre Finanzpolster abgeschmolzen, ihr Wettbewerbsdruck erhöht und ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt wurden. Dies war jedoch keineswegs unvermeidlich. Vielmehr ist dieser veränderte Rahmen, denen sich Kommunen ausgesetzt sehen, auch die politische Folge des Agierens der etablierten Parteien in Deutschland (und woanders in der EU). Anders formuliert: Eine andere Steuerpolitik auf nationaler Ebene und eine andere Wettbewerbspolitik auf den Ebenen von EU und weltweiten Institutionen wäre durchaus möglich gewesen: There Is An Alternative!

Und die Kommunalpolitiker?

Damit keine Zweifel aufkommen: Auch innerhalb dieses Rahmens eingeschränkter Handlungsspielräume der Kommunen wäre eine andere Politik mit mehr sozialen Komponenten möglich. Die einseitige Orientierung im Koalitionsvertrag auf Wirtschaftsförderung ist übertrieben, die Verteilung der Einnahmen auf Ausgabenposten hätte gerechter ausfallen können – etwa in Bezug auf Sportvereine. Auch ist zu bezweifeln, ob Projekte wie die Tieferlegung der Nord-Süd-Fahrt der Weisheit letzter Schluss darstellen.

Und doch soll neben der Kritik an der konkreten Politik im Koalitionsvertrag zugestanden werden, dass die Bedingungen für Kommunalpolitik keineswegs einfach sind. Aber genau diese schweren Bedingungen sollten Anlass sein, die Kommunalpolitiker wie Walter Reinarz und Herbert Gey von der Kölner CDU oder Jochen Ott und Martin Börschel von der Kölner SPD deutlich zu kritisieren. Denn wie so viele anderen Kommunalpolitiker haben sie eben die Steuerpolitik ihrer Parteien auf Bundesebene mitgetragen, protegiert und befördert und Wahlkampf unter dem fatalen Motto „Steuern runter macht munter“ geführt. Wenn dieselben Politiker heute von der Unvermeidlichkeit von Einschnitten reden, so zielen sie an der Wahrheit vorbei. Die Kölner Linke sollten es wie Brecht sehen: „Es muss ein guter Schluss da sein, muss, muss, muss!“ Also: Es gilt, für eine alternative Politik zu kämpfen!