ein materialistischer Blick auf 11 Jahre Regierungsbeteiligung der SPD
von HANS LAWITZKE, Vorsitzender des SoFoR und SPD-Mitglied
Die wirtschafts- und sozialpolitische Linie der SPD und der rot-grünen Bundesregierung wurde nach Oskar Lafontaines Abgang deutlich von den Konzepten der „Neuen Mitte“, wie sie zuerst im Blair-Schröder-Papier vom Juni 1999 formuliert wurden, bestimmt.
Unter dem Anspruch „Fairneß, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit, Solidarität und Verantwortung für andere: diese Werte sind zeitlos. Die Sozialdemokratie wird sie nie preisgeben.“ (Blair-Schröder Papier) sollte die Soziale Marktwirtschaft modernisiert werden.
Was wurde getan?
Die beiden wesentlichen Bausteine waren die große Steuerreform von 2000 und die sogenannten „Hartz Gesetze“.
Die Steuerreform umfasste eine signifikante Absenkung der Einkommenssteuer Gleichzeitig wurde die Körperschaftssteuer auf das sogenannte Halb-Einkünfte-Verfahren umgestellt, was zu einer deutlichen Entlastung der Unternehmen führte. Außerdem wurden Gewinne aus dem Verkauf von Unternehmensbesitz ganz von der Steuer frei gestellt. Insgesamt gingen so dem Staat etwa 50 Mrd. DM jährliche Steuereinnahmen verloren: Vor allem die Kommunen litten stark unter der Reform.
„Hartz I „ trat am 1.1.2003 in Kraft und enthielt die ersten Reformen der Arbeitsmarktstruktur. Sie erleichterte „neue Formen der Arbeit“. Leiharbeit, Zeitarbeit, Befristungen sowie Arbeitnehmerüberlassungen wurden erleichtert. Das zeitgleich in Kraft gesetzte „Hartz II“-Gesetz schuf sogenannte Mini- und Midi-Jobs. Es erhöhte die Einkommensgrenze für „geringfügige Beschäftigung“ von 325 auf 400 € und beseitigte die Begrenzung dieser Arbeitsverhältnisse auf 15 Stunden pro Woche. Außerdem wurden die Ich-AG sowie die Job-Center eingeführt. Das zum 1. Januar 2004 in Kraft gesetzte „Hartz III“ regelte die Umstrukturierung des Bundesamtes für Arbeit in die Bundesagentur für Arbeit. Den krönende Abschluss bildete das am 1. Januar 2005 wirksam werdende „Hartz IV“-Gesetz. Im Wesentlichen wurde das Arbeitslosengeld 2 mit der Sozialhilfe zusammen gelegt und dabei pauschalisiert und im Niveau abgesenkt. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes 1 wurde verkürzt und die Zumutbarkeit für vermittelte Arbeitsplätze massiv verschärft. Das im Konzept der „Hartz-Kommission“ noch vorhandene „Fordern & Förden“ war mangels Geldes und Personals entfallen, so dass die Arbeitsvermittlung zu reiner Drangsalierung verkam.
Flankiert wurden diese „Um-baumaßnahmen“ durch eine Welle von Privatisierungen staatlicher Unternehmen.
Das Resultat?
Im Zeitraum 2003 bis 2008 wurden netto 1,6 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen – aber welche!:
- 400.000 neue Selbstständige
- 300.000 1-Euro Jobs
- 500.000 geringfügig Beschäftigte
- 900.000 normale Teilzeit
- 400.000 Leiharbeit
Bei gleichzeitigem Verlust von 900.000 normalen Vollzeit-Jobs. Deutschland ist inzwischen führend in der EU bei den Niedriglohnjobs. Deren Zahl wuchs von 1995 bis 2007 von 4,37 Mio. auf 6,5 Mio.
Zunehmend flüchten Unternehmen sowie ganze Verbände (wie zum Beispiel das gesamte Kfz-Handwerk in NRW) aus den Tarifen.
Das Bruttoinlandsprodukt ist in der Zeit der SPD-Regierungs-beteiligung von 1965 Mrd. € (1998) auf 2495 Mrd. € (2008) gewachsen. Es gibt also deutlich mehr zu verteilen.
In der Summe hat sich als Folge des Strukturwandels der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen von 71% (1996) auf 64% (2007) reduziert. Die Politik hat also etwa 175 Mrd. € Jahreseinkommen umverteilt. Die Staatsquote bleibt trotz der steigenden Sozialkosten „dank“ zunehmender Entstaatlichung etwa konstant. Damit stehen die Gewinner fest: Die Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Vermögen explodieren. Die Bruttoarbeitseinkommen sind (in Preisen von 1995) in der Zeit von 1996 bis 2007 von 802 auf 801 Mrd. € gefallen, während die Einkommen aus Vermögen und Gewinnen von 460 auf 584 Mrd. € gewachsen sind. Auch unter Berücksichtigung der Senkung der Lohnnebenkosten wird das Bild nicht viel besser: Die Netto-Arbeitseinkommen sind in der gleichen Zeit leicht von 519 auf 521 Mrd. € angestiegen. Ein Effekt, der vermutlich bereits von den in der Gesundheitsreform den gesetzlich Versicherten zusätzlich übertragenen Lasten aufgefressen wird, von der um 3%-Punkte erhöhten Mehrwertsteuer ganz zu schweigen.
Aber auch innerhalb der abhängig Beschäftigten verschiebt sich die Einkommensstruktur zunehmend. Nur die oberen 10% der Arbeitseinkommensbezieher (Jahres.bruttoeinkommen über etwa 83.000 Euro) können Einkommenszuwächse verzeichnen. Die zweiten 10% (über etwa 65.000 Euro Jahreseinkommen) legen zwar absolut zu, preisbereinigt aber nur noch minimal. Der Rest verliert auch absolut!
Fazit
Die Arbeitsmarktstrukturreformen und die Entstaatlichung entziehen dem Arbeitsmarkt den Boden. Das System ist noch unten offen und die Unternehmen machen massiv Gebrauch davon. Wir sind – außerhalb von Kriegen – das erste mal in der Situation, dass die Kinder von abhängig Beschäftigten es überwiegend nicht schaffen, den Lebensstandard der Eltern zu erreichen. „Generation Praktikum“, fortlaufend befristete Beschäftigung, zunehmende Unsicherheit auch der fest Angestellten prägen die Arbeitsrealität. Und die „Glücklichen“ in fester Beschäftigung partizipieren nicht am wachsenden Wohlstand oder steigen real ab.
Die staatliche Umverteilung durch Steuern- und Abgabenpolitik in „die Mitte“ kann den Absturz der gesamten Einkommensstruktur, der genau dadurch hervorgerufen wird, nicht kompensieren.
SPD-Regierungspolitik hat also trotz wachsenden gesellschaftlichen Reichtums für sozialen Abstieg, Verunsicherung und Entsolidarisierung von Großteilen der Werktätigen und der Arbeitslosen gesorgt. Gemessen an der geschichtlichen Rolle der SPD und am eigenen Anspruch ist die Konzeption der 11 Jahre SPD-Regierungspolitik historisch überflüssig.