Die SMK-Theorie wieder aufgreifen …

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Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems und dem Niedergang der kommunistischen Parteien und marxistischen Strömungen in der Sozialdemokratie ist es still um den „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ geworden. Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 taucht er zur Charakterisierung des gegenwärtigen Gesellschaftssystems mitunter zwar wieder auf, von einer Renaissance der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (im Folgenden kurz SMK-Theorie) kann aber keine Rede sein. Da fällt es auf, dass in relativ kurzen Abständen zwei Bücher erschienen sind, die sich explizit der SMK-Theorie widmen: 2015 erschien im PapyRossa Verlag der von Gretchen Binus, Beate Landefeld und Andreas Wehr verfasste Band „Staatsmonopolitischer Kapitalismus“.[1] 2016 erschien der hier zu besprechende Sammelband „Staatsmonopolistischer Kapitalismus. Ideologischer Kampfbegriff oder Ansatz zur Analyse des modernen Kapitalismus?“.[2]

Trauriger Anlass für die Herausgabe des Bandes war das Ableben von Heinz Petrak. Der marxistische Gesellschaftswissenschaftler ist im September 2014 im Alter von 85 Jahren in Berlin verstorben. Seine wissenschaftliche Laufbahn vollzog sich über 30 Jahre am Institut bzw. der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Berlin, wo er sich vor allem mit der Analyse des realen Kapitalismus befasste, u.a. als Mitautor der umfangreichen Studie „Imperialismus heute. Der staatsmonopolistische Kapitalismus in Westdeutschland“[3].

Seine wissenschaftliche Arbeit steht im Mittelpunkt gleich mehrerer Beiträge des Bandes: Erhard Crome fasst einen Beitrag von Heinz Petrak zusammen, den dieser 2012 auf einer Tagung des Gesprächskreises „Frieden und Sicherheitspolitik“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung gehalten hat[4]; Joachim Poweleit hat Extrakte aus Heinz Petraks Arbeit „Staatsmonopolistischer Kapitalismus und Kampfkonzeption der Arbeiterklasse“[5] zusammengestellt; Herbert Schwenk würdigt den Beitrag von Heinz Petrak zur SMK-Theorie („Totschweigen ist keine Argument“).

Ergänzt werden diese Beiträge durch einen von Jörg Goldberg und André Leisewitz verfassten Rückblick auf die Studien zum Staatsmonopolistischen Kapitalismus am Institut für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) in Frankfurt a. M. Kurt Neumann ruft die Strategiediskussion in der deutschen Sozialdemokratie der 1970er und 80er Jahre in Erinnerung, und Gretchen Binus untersucht den staatsmonopolitischen Funktionsmechanismus unter dem Zwang internationaler Kräfteverschiebungen. Zentrale Aspekte der SMK-Theorie werden von Ulla Plener (Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft), Wilfried Schreiber (Friedensfähigkeit des Kapitalismus) und Jochen Weichold (Ende des Kapitalismus) vorgestellt. Abgerundet wird der informative Sammelband durch eine von Joachim Poweleit zusammengestellte Auswahlbiografie.

Die Autoren und die beiden Autorinnen verfolgen mit der Herausgabe des Bandes die Absicht, „die ‚verschüttete’ Stamokap-Theorie dem Vergessen [zu] entreißen“ (Lothar Winter im Vorwort, 9). Die Lektüre des Bandes macht klar – so jedenfalls meine Einschätzung –, dass dies ein lohnendes Unterfangen ist. Denn Analysen des heutigen Kapitalismus werden nicht – so Winter zutreffend – „ohne das Aufdecken der Wechselwirkungen zwischen der weiteren Entfaltung der monopolkapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse im globalen Maßstab, deren Verflechtung und Wechselwirkung mit der Macht der entsprechenden Nationalstaaten sowie der internationalen staatsmonopolistischen Organe und Vereinigungen auskommen.“ (7)

Auf die Frage, warum die SMK-Theorie heute totgeschwiegen wird, gibt Winter eine durch und durch selbstkritische Antwort: Ursächlich seien eben auch „Fehleinschätzungen, Vereinfachungen und Einseitigkeiten in den Arbeitsergebnissen der SKM-Forschung“ (13). Er nennt das Festhalten am Geschichtsdeterminismus, die fehlende Betrachtung des eigenen Lebensumfeldes in der DDR und das Festhalten an der Arbeiterklasse als entscheidendes und „revolutionäres“ Subjekt.[6]

Kurt Neumann ruft die Strategiediskussion in der deutschen Sozialdemokratie in Erinnerung. Es ist heute schwer vorstellbar, welche Beachtung diese Strategiediskussionen in den 1970er Jahre gefunden hat. Der Rowohlt Verlag brachte verschiedene Taschenbücher heraus, in der die Beschlüsse der JungsozialistInnen dokumentiert sind; so der von Freimut Duve herausgegebene Sammelbande „Der Thesenstreit um ‚Stamokap’“[7], in dem unter anderem das Hamburger Strategiepapier (beschlossen von der Landeskonferenz der Jungsozialisten in der SPD, Landesverband Hamburg, am 27.11.1971)[8] dokumentiert ist. Dieses Strategiepapier führte die SMK-Theorie in die Diskussion der JungsozialistInnen ein.[9]

Auch in den 1978/1980 veröffentlichten „Herforder Thesen. Zur Arbeit von Marxisten in der SPD“[10] nahm die SMK-Theorie eine zentrale Stelle ein. So wird in der 7. These festgestellt, es erscheine „durchaus zutreffend, den heutigen Kapitalismus als ‚staatsmonopolitischen Kapitalismus’ zu bezeichnen, bringt dieser Ausdruck doch die entscheidenden ökonomischen Entwicklungstendenzen des Wirtschaftssystems ins Bewußtsein: die dominierende Rolle der nationalen und multinationalen Monopolunternehmen und die enorm angestiegene ökonomische Bedeutung des Staates für die Aufrechterhaltung der Produktion.“[11]

In den 1989 veröffentlichten „53 Thesen des Projekt Moderner Sozialismus“[12]– die Kurt Neumann nicht mehr erwähnt – wurde der SMK-Ansatz dann nur noch als einer unter mehreren theoretischen Ansätzen zum Verstehen des modernen Kapitalismus geführt.[13]

Im Oktober 1978 – also wenige Monate nach der Veröffentlichung der ersten Version der Herforder Thesen – erschien erstmals die linkssozialdemokratische „Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw“. Personell gab es eine weitgehende Identität der an beiden Projekten Beteiligten. In welchem Umfang findet bei dieser für die Reste einer marxistisch orientierten Sozialdemokratie letzten verbliebenen „Adresse“ mit einer gewissen Relevanz die SMK-Theorie heute noch Beachtung?

Der letzte in der spw veröffentlichte Beitrag, der sich explizit und ausführlich mit der SMK-Theorie befasst, erschien 1995 – also vor 19 Jahren: Jörg Huffschmid erläutert in einem brillanten Überblicksartikel, warum die SMK-Theorie „kein toter Hund der Kapitalismusanalyse, aber auch kein schlafender Löwe [ist], dessen neuerliches Erwachen alle wesentlichen Dinge klarstellen könnte“[14]. In einer „abgespeckten“ und auf seine Hauptaussagen reduzierten Form dürfte sie aber noch einen fruchtbaren, ja „sogar unverzichtbaren Ansatz der Analyse ökonomischer Kernprozesse und ihrer Regulierung darstellen.“[15] Der spezifische Beitrag, den die SMK-Theorie zur Diskussion unter Linken beitragen könne, sei das Insistieren auf ökonomische Interessen und politische Durchsetzungsmacht, die nicht verkannt oder unterschätzt werden dürften.

Später (2011) erinnerte die spw-Redaktion beispielsweise an das Hamburger Strategiepapier. Der Beitrag von Thilo Scholle und Jan Schwarz über den „Ausgangspunkt von Stamokap“[16] liest sich aber eher wie eine Distanzierung von der SMK-Theorie (sie könne heute „nicht mehr so vertreten werden … wie noch in den 1970er Jahren“); als „inhaltliche Anknüpfungspunkte“ wird wenig aufgezählt, was für die SMK-Theorie spezifisch ist.

Auf den 30. Jahrestag des Erscheinens der Herforder Thesen wurde in der spw erst ein Jahr verspätet eingegangen – aber immerhin wünschten Kai Burmeister und Stefan Stache den Herforder Thesen dann 2011 doch „Happy Birthday!“ und freuten sich darüber, „dass dieses Dokument aus der Anfangszeit der spw immer noch aktuell scheint und Diskussionen in der bundesdeutschen Linken hervorruft“[17] – Diskussionen, zu denen die spw selbst in den letzten Jahren allerdings wenig beigetragen hat.

Für den Jubiläumsartikel hatte man Christina Ujma[18] gewonnen, die zunächst völlig richtig feststellte, dass „das bedeutendste Programmdokument von marxistischen Sozialdemokraten der Nachkriegszeit … gerade 30. Geburtstag gehabt [hat], und keiner hat es gemerkt, jedenfalls keiner in der SPD“[19], dann aber ärgerlicherweise mit einer völlig unnötigen und zudem sachlich falschen Attacke gegen „ein paar übergetretene Herforder in der Linkspartei“[20] fortfuhr, die zu heftigen Erwiderungen der so Angesprochenen führte.[21]

In dem aus Anlass des 40. Jahrestags der Gründung des Hannoveraner Kreises erschienen Sammelband „JusoLinke. 40 Jahre theoretische Orientierung der Jusos – Vom Hannoveraner Kreis zum Netzwerk linkes Zentrum“[22] veröffentlichte Uwe Kremer 2011 einen Artikel über „Die ersten 20 Jahre der Strömung“[23]. In ihm resümiert er, was an der SMK-Theorie tatsächlich umstritten war: nämlich „inwieweit es sich bei der Verflechtung von Staat und Monopolkapital und den daraus abgeleiteten Antagonismen tatsächlich um den heute bestimmenden Mechanismus des Kapitalismus handelt.“[24]

Zu erwähnen ist noch, dass eine Gruppe ehemaliger Mitglieder des Hannoveraner Kreises, darunter auch Mit-Autoren der Herforder Thesen, mittlerweile in der LINKEN eine neue parteipolitische Heimat gefunden hat.[25] Unter dem zeitweise verwendeten Etikett „die Herforder“ bilden sie einen lockeren Gesprächszusammenhang und haben auf mittlerweile drei Tagungen an die Impulse erinnert, die von den MarxistInnen in der SPD einmal ausgegangen sind, und versucht, sie für aktuelle Diskussionen nutzbar zu machen: in Berlin (2000)[26], in Braunschweig (2010)[27] und in Köln (2011)[28].

Dieser kurze Überblick über die (Nicht-)Befassung mit der SMK-Theorie auf dem linken Flügel der Sozialdemokratie sollte aber nicht entmutigen, das Angebot von Wilfried Schreiber und den anderen AutorInnen des besprochenen Sammelbandes aufzugreifen und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Jörg Huffschmid stellt in seinem Artikel in der spw fest, „daß die Diskussion um die Theorie des SMK regelmäßig … mit klaren politischen Zuordnungen verbunden wurde“ und dies „die Rationalität der Analyse und Kritik … zuweilen schwer beeinträchtigt [hat].“[29] Vielleicht liegt in dem zeitweiligen „Vergessen“ der SMK-Theorie ja auch eine Chance, diese Irrationalitäten hinter sich zu lassen. Ich meine, es lohnt, die SMK-Theorie heute wieder aufzugreifen, die anerkannten Schwächen dieser Theorie zu beachten und etwa über die Friedensfähigkeit des Kapitalismus, Varianten staatsmonopolistischer Entwicklung, die Entwicklung des Kapitalismus „in die Tiefe“ und die Globalisierung des (staatsmonopolistischen) Kapitalismus (L. Winter, 14ff) „mit alten und hoffentlich vielen neuen Kapitalismuskritikern in die wissenschaftliche Diskussion zu kommen.“ (9)

Dr. Günter Bell, Stadtplaner und Sozialwissenschaftler, Köln

erschienen in: Zeitschrift marxistische Erneuerung, Heft 109 (2017), S. 137-141

 


[1]   Gretchen Binus/Beate Landefeld/Andreas Wehr, Staatsmonopolitischer Kapitalismus, Köln 2015 (2. Auflage). Vgl. die Besprechung von J. Goldberg in Z 101, März 2015, S. 210ff.

[2]   Wilfried Schreiber (Hrsg.), Staatsmonopolistischer Kapitalismus. Ideologischer Kampfbegriff oder Ansatz zur Analyse des modernen Kapitalismus? WeltTrends, Potsdam 2016, 308 S., 24,90 Euro

[3]   Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (Hg.), Horst Hemberger/Lutz Maier/Heinz Petrak/Otto Reinhold/Karl-Heinz Schwank (Autoren), Imperialismus heute. Der staatsmonopolistische Kapitalismus in Westdeutschland, Berlin 1965.

[4]   Siehe Heinz Petrak, SMK-Theorie und gegenwärtige Weltwirtschaftskrise, in: Z 100, Dezember 2014, S. 56-60.

[5]   Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED(Hg.), Heinz Petrak (Autor), Staatsmonopolistischer Kapitalismus und Kampfkonzeption der Arbeiterklasse, Berlin 1989.

[6]   Vgl. auch: Jörg Huffschmid, Weder toter Hund noch schlafender Löwe. Die Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw, Heft 82 (1995), S. 34-37, hier: 35 f.; Binus/Landefeld/Wehr, a.a.O., 50 f.

[7]   Freimut Duve (Hg.), Der Thesenstreit um „Stamokap“. Die Dokumente zur Grundsatzdiskussion der Jungsozialisten, Reinbek, 1973.

[8]   In: Duve, a.a.O., S. 48-78.

[9]   Aus Opportunitätsgründen wurde allerdings der Begriff „staatsinterventionistischer Monopolkapitalismus“ (Hamburger Strategiepapier, 1973, 52) verwendet.

[10] Bezirksvorstand der Jungsozialisten in der SPD Ostwestfalen-Lippe (Hg.), Herforder Thesen. Zur Arbeit von Marxisten in der SPD (2. Auflage), spw-Verlag, Berlin 1981.

[11] Ebd., S. 23.

[12] Susi Möbbeck/Fiete Saß/Birgit Zörner (Hg.), Projekt Moderner Sozialismus. 53 Thesen, spw-Verlag, Dortmund 1989.

[13] Vgl. Uwe Kremer, Der Hannoveraner Kreis – Die ersten 20 Jahre der Strömung; in: Sascha Vogt (Hg.), JusoLinke. 40 Jahre theoretische Orientierung der Jusos – Vom Hannoveraner Kreis zum Netzwerk linkes Zentrum, spw-Verlag, Dortmund 2011, S. 17.

[14] Jörg Huffschmid, a.a.O., S. 36.

[15] Ebd.

[16] Thilo Scholle/Jan Schwarz, Am Ausgangspunkt von Stamokap – 40 Jahre Hamburger Strategiepapier; in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw, Heft 1/2011, S. 57-60.

[17] Kai Burmeister/Stefan Stache, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw, Heft 6/2010, S. 58.

[18] Christina Ujma, Internationalistischer, pluralistischer und sozialdemokratischer Marxismus – 30 Jahre Herforder Thesen; in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw, Heft 6/2010, S. 58-62.

[19] Ebd., S. 58.

[20] Ebd.

[21] Vgl. Diether Dehm, Re: Birthday, Herforder Thesen! (2011), www.diether-dehm.de/index. php/positionen/539-re-birthday-herforder-thesen; Kurt Neumann/Andreas Wehr: 30 Jahre HERFRODER THESEN – Wie weiter? Notwendige Anmerkungen zu einem Artikel von Christina Ujma; in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw, Heft 2/2011, S. 63-68.

[22] Sascha Vogt (Hg.), JusoLinke. 40 Jahre theoretische Orientierung der Jusos – Vom Hannoveraner Kreis zum Netzwerk linkes Zentrum, spw-Verlag, Dortmund 2011.

[23] Uwe Kremer: Der Hannoveraner Kreis – Die ersten 20 Jahre der Strömung; in: Sascha Vogt (Hg.): a.a.O., S. 14-25.

[24] Ebd., S. 16 f.

[25] Eben die von Christina Ujma (siehe Fußnote 16) so unfreundlich Angesprochenen.

[26] Dokumentiert in: „Helle Panke“ zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur e.V. (Hg.), Staatsmonopolistischer Kapitalismus und sozialistische Perspektive. Zur Aktualität der Herforder Thesen von 1980, Berlin, 2000 (2. Auflage).

[27] Vgl. Hans Günter Bell, Sozialistisch-demokratische Programmatik heute. 30 Jahre Herforder Thesen, in: Z 84 (Dezember 2010), S. 167-169.

[28] Dokumentiert in: Verein zur Förderung der politischen Kultur e.V. (Hg.): Das Programm der LINKEN. in der Diskussion. Beiträge aus Sicht der „Herforder Thesen“ zur Programmdiskussion der LINKEN., Köln, 2011.

[29] Jörg Huffschmid, a.a.O., S. 34.