Die gesellschaftliche Linke und das Eigentum

Alexander Recht, SoFoR, schaut zurück und nach vorn

Im 21. Jahrhundert dominiert zwar nach wie vor das bürgerliche Eigentum, doch es gibt etliche Veränderungen im Vergleich zum Beginn des Kapitalismus.

Die Ausgangslage im 21. Jhd.

Die Produktivität ist bei verbesserten technologischen Bedingungen deutlich höher als früher. Wir begegnen einem Wachstum von Produktionsmitteln und Waren, bei dem der Stoffdurchsatz stärker steigt als deren Werte. Dadurch ist zwar das Problem des absoluten Mangels vielerorts gelöst, aber neue Probleme sind hinzugekommen: ökologische Gefährdungen durch Stoffverbrauch, ökonomische Probleme durch Überakkumulation und Unterkonsumtion sowie zunehmende relative Armut und soziale Spaltung. Zudem hat sich das Verhältnis zwischen Privatem und Öffentlichem auf kapitalistischer Grundlage demokratisiert und ausdifferenziert.

All diese Aspekte sind bei der Eigentumsfrage zu beachten und stellen der Linken keineswegs leicht zu lösende Augaben.

Nicht triviale Aufgaben

In der kapitalistischen Gegenwart geht es für Linke nicht simpel um mehr Staatseigentum, sondern um mehr Gemeinbesitz und eine kooperative und demokratische Regulation, die die Profitlogik und die Konkurrenz einschränkt. Dies ist nicht trivial.

Erstens ist der bürgerlichen Gesellschaft die Besonderung des Staates zu eigen. Der Staat ist weder das bewusst geschaffene Instrument einer herrschenden Klasse, noch die Verkörperung eines demokratischen Volkswillens, noch ein selbstständig handelndes Subjekt, sondern ein umkämpftes soziales Verhältnis zwischen Individuen, Gruppen und Klassen. Zweitens müssen in staatlichen Unternehmen alle Stakeholderbeziehungen ins Visier genommen sowie ökonomische Effizienz, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und demokratische Partizipation austariert werden. Drittens ist der Staat zwar eine Form der Öffentlichkeit, aber nicht die einzige: Es gibt auch andere gemeinnützige Eigentumsformen.

Auf dem SoFoR-Seminar 2023 ging es daher um eine sorgfältige Befassung mit dem bürgerlichen Eigentum im 21. Jahrhundert und möglichen Alternativen zu ihm.

Gemeinnutz neben dem Staat

Uwe Hass referierte als erster zu den Stromrebellen in Schönau. Zu lange hatte der Staat als materielle Verdichtung eines sozialen Kräfteverhältnisses zu wenig von sich aus erneuerbare Energien gefördert. Folglich nahmen Bürger dort die Dinge selbst in die Hand und gründeten eine Energiegenossenschaft. Demokratisches Engagement für Daseinsvorsorge findet also auch neben dem Staat statt und kann neue Wege ebnen, die der Staat erst später selbst beschreitet.

In ähnlicher Richtung referierte Hans Günter Bell. Als Anfang der 90er nicht nur die private, sondern auch die staatliche Wohnversorgung zu wenig bezahlbaren Wohnraum schuf, gründete sich das Mietshäuser-Syndikat als Verbund gemeinwohlorientierter Projekte, die bezahlbare Räume schaffen, die nicht von Verkauf bedroht und bezahlbar sind. Ökonomischer Effizienz wird Genüge getan, indem Kostenmieten verlangt werden, die nach Abtragung von Zins und Tilgung Überschüsse generieren, die für weitere Projekte bereitgestellt werden. Diese beiden Beispiele zeigen die Bedeutung einer nicht gewinnmaximierenden Regulation neben dem Staat.

Gemeinnutz durch den Staat

Doch auch Staatseigentum bleibt wichtig. Ulf-Birger Franz zeigte, dass schon die 53 Thesen des PMS von 1989 einen Sozial- und Infrastrukturstaat als Pionier bei Investitions- und Innovationsaufgaben und der Bündelung finanzieller und administrativer Mittel forderten.

Alban Werner referierte, wie der Hang zur Privatisierung gestoppt und Rekommunalisierung über das linke Spektrum hinaus zum Trend wurde: wegen besserer demokratischer Kontrolle und Einfluss bei öffentlichem Eigentum sowie schlechter Leistungserbringung und sozialen und ökologischen Mängeln bei Privatisierung. Der Umschwung zur Rekommunalisierung beruht also auf der Option für problemorientiertes Handeln, führt aber noch nicht automatisch zu emanzipatorisch-transformatorischem Handeln.

Denn in öffentlichen Unternehmen ist, wie ich referierte, demokratisch zwischen uneinheitlichen Ansprüchen verschiedener Stakeholder zu vermitteln. Es entstehen Konflikte zwischen öffentlichen Unternehmen und Parlamenten, zwischen Managern und Mitarbeitern in öffentlichen Unternehmen sowie zwischen öffentlichen Unternehmen und Bürgern, sei es in deren Rolle als Souverän, als Kunden oder als Aktivisten in sozialen Bewegungen. Hinzu kommen Konflikte öffentlicher Unternehmen mit Lieferanten und Mitbewerbern sowie regulatorische Probleme der Gesamtökonomie.

Neue Wege suchen

Die Forderung nach Komplettverstaatlichung ist falsch. Die DDR mit wenig Demokratie, viel Plan und wenig Markt, kaum produktivem Privateigentum sowie übergriffigem Staat war keine taugliche Alternative, wie ich referierte.

Es müssen neue Wege demokratischen Eigentums gefunden werden, wie Hans Günter Bell referierte. In der Wohnungswirtschaft kann z. B. von der grundgesetzlich erlaubten Vergesellschaftung Gebrauch gemacht werden, falls der Wohnraum von einer öffentlich-demokratisch kontrollierten Institution verwaltet wird. So möchte die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ privaten in gesellschaftlichen Wohnraum überführen, zur Ermittlung der Entschädigungshöhe faire Mieten heranziehen und erwirken, dass Mieten bestehender Wohnungen nur mäßig steigen, Wohnraum der Profitorientierung entzogen und der gemeinwohlorientierte Wohnungssektor gestärkt wird, der durch seine Bautätigkeit für günstigen neuen Wohnraum sorgt.

Die Diskussion zum Thema ist noch nicht vorbei. Geplant sind zwei weitere Veranstaltungen:

  • Eine Onlineveranstaltung im Juni mit Jürgen Leibiger zum Eigentum im 21. Jahrhundert sowie
  • ein Theoriekreis im vierten Quartal zur Vergesellschaftungsforderung der IG Metall in den 80er Jahren.

Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 72 / 2024.

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