Einführende Worte zur WSI-Studie „Das Umfragehoch der AfD“ von Andreas Hövermann durch Alban Werner, SoFoR
Spätestens seit dem Bericht von Correctiv über ein Geheimtreffen von Funktionären der AfD mit Identitären und Sympathisanten ist die radikal rechte Partei wieder in aller Munde. Doch schon vor dem Skandal blickte man mit einer Mischung aus Sorge, Wut und Resignation auf den Aufstieg der AfD in den Wahlumfragen.
Bundesweit war es der AfD gelungen, sich zwei Jahre nach ihrem damaligen Bundestagswahlergebnis von 10,3 Prozent zu verdoppeln. In den neuen Bundesländern, von denen im Jahr 2024 Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst ihren Landtag neu wählen, war die AfD laut Umfrage mit um die oder gar über 30 Prozent stärkste Partei.
Für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (WSI) ist Andreas Hövermann einer Frage nachgegangen, die gewiss viele Menschen umtreibt: Wie konnte es geschehen, dass die Wahlbereitschaft zugunsten der AfD in den vergangenen Jahren so erschreckend stark gestiegen ist?
Das WSI-Erwerbspersonenpanel eignet sich hierzu als Datengrundlage sehr gut, da ihm zehn Erhebungswellen seit April 2020 bis zum Erscheinungszeitpunkt zugrunde liegen, bei denen weitgehend dieselben Menschen wiederholt befragt wurden. Hierurch konnte die Entwicklung der Einstellungen derzeitiger AfD-Wählender im Zeitverlauf nachvollzogen und zwischen AfD-Stammwählerschaft und AfD-Neuwählenden differenziert werden.
Wanderungen zur AfD
Die Studie unterscheidet zwischen AfD-Neuwählenden (die in keiner der vier vorherigen Erhebungswellen, dann aber Mitte des letzten Jahres 2023 angaben, die AfD wählen zu wollen), AfD-Wiederholungswählenden (die in der jüngsten und einer der vorherigen Erhebungswellen eine AfD-Wahlabsicht angaben, dazwischen aber andere Parteien wählen wollten) sowie AfD-Stammwählenden, die in allen fünf letzten Erhebungswellen die AfD als Partei ihrer Wahl angaben.
Von denjenigen, die heute der AfD ihre Stimme gäben, waren laut Studie weniger als die Hälfte bereits bei der jüngsten Bundestagswahl in 2021 Wählende dieser Partei. „Die jetzigen AfD-Wählenden kommen v. a. von der FDP (zwölf Prozent), der Union (zehn Prozent) und der SPD (neun Prozent), seltener von der Linken oder den Grünen (drei bzw. zwei Prozent).“ (S. 8 der WSI-Studie)
Im November 2022 hatte die AfD immerhin schon 61 Prozent ihrer heutigen Wählenden in Umfragen für sich gewonnen. Zuletzt hatte die AfD vor allem von Union und FDP Wählende gewonnen. Insgesamt hatten laut WSI-Studie vier von fünf der zuletzt zur AfD gewechselten Befragten zur Bundestagswahl 2021 noch eine der fünf etablierten demokratischen Parteien gewählt.
Soziodemografische Zusammensetzung
Die soziodemografische Zusammensetzung der AfD-Wählenden folgt inzwischen bekannten Merkmalsbündeln. „Soziodemografisch sind häufiger Männer als Frauen, häufiger Ost- als Westdeutsche, häufiger Menschen ohne Abitur und mit geringen bis mittleren Haushaltseinkommen unter den AfD-Wählenden zu finden. Zudem geben überdurchschnittlich häufig Personen zwischen 30 und 49 Jahren an, AfD zu wählen“. (S. 39)
Nicht nur für das WSI von Interesse sind der auffällig hohe Anteil an Arbeitern und Arbeiterinnen sowie die häufigere Zustimmung zu Aussagen, wonach man schlechtere Arbeitsbedingungen erlebe, der Lohn als nicht angemessen und die Wertschätzung durch Arbeitgeber und Vorgesetzte als zu gering empfunden werden.
Bei den Neuwählenden der AfD hingegen ist der WSI-Studie zufolge eine Normalisierung verzeichnen. Nicht nur gleicht die Alterszusammensetzung der AfD-Neuwählenden stärker derjenigen Alterszusammensetzung aller Erwerbspersonen, sondern ihr finanzielles Polster ist auch zumindest stärker als das der AfD-Stammwähler.
Misstrauen, Sorgen und Belastungen
Unübersehbar am stärksten unterscheiden sich die Wählenden der AfD im Hinblick auf ihr Institutionenvertrauen. Während unter den Wählenden anderer Parteien 23 Prozent der Bundesregierung nach der Bundestagswahl wenig bis gar nicht vertrauten, waren es bei den AfD-Stammwählenden 88 Prozent; im Juli 2023 lagen die Werte dieser beiden Gruppen dann bei 40 und 96 Prozent.
Im selben Zeitraum stieg bei den AfD-Neuwählenden der Anteil von 48 auf 89 Prozent, sie hatten also fast mit der Stammwählerschaft gleichgezogen. Auch das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien sank von einem mehrheitlichen Vertrauen bis unter ein Drittel. Zugleich wird keiner Partei von Teilen ihrer Wählerschaft so großes Vertrauen entgegengebracht wie der AfD: „Knapp 18 Prozent ihrer Wählenden geben ein ’sehr großes Vertrauen‘ an (Grüne zum Vergleich: acht Prozent).“ (S. 22) Die These, die AfD sei eine Protestpartei Missverstandener, ist also weniger denn je haltbar.
Im Vergleich zu den Wählenden anderer Parteien ist das Elektorat der AfD deutlich stärker besorgt um steigende Preise (71 gegenüber 42 Prozent), um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung (65 gegenüber 35 Prozent), um ihre Altersabsicherung (55 gegenüber 33 Prozent), um das Halten ihres Lebensstandards (47 gegenüber 23 Prozent) sowie um die eigene wirtschaftliche Situation (38 gegen 19 Prozent). Auch empfinden sie im Vergleich zu Wählenden anderer Parteien stärkere finanzielle Belastungen.
Nach den aus ihrer Sicht wichtigsten Themen beim Start der Ampelregierung im Herbst 2021 gefragt, nannten AfD-Wählende mit 95 Prozent die Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland (gegenüber 55 Prozent bei den Wählenden anderer Parteien) sowie eine möglichst schnelle Aufhebung der Corona-Beschränkungen (88 gegenüber 65 Prozent), während für sie die möglichst konsequente Bekämpfung der Corona-Pandemie (62 gegenüber 89 Prozent), die Beschleunigung der Corona-Impfkampagne (51 gegenüber 83 Prozent), die Bekämpfung des Klimawandels (49 gegenüber 85 Prozent) oder die Stärkung der EU (44 gegenüber 82 Prozent) auffällig geringere Priorität hatten.
Wählende der AfD neigten nicht nur während der Pandemie zu größerem Misstrauen und mehr verschwörungsideologischen Erklärungen zu den Corona-Schutzmaßnahmen. Nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine sprachen sie sich überdeutlich häufiger für eine restriktive und unempathische Linie gegenüber Geflüchteten aus dem angegriffenen Land aus. Auch hier zeigte sich eine erhebliche Nähe zu verschwörungsideologischen Deutungen: Der Aussage, der Krieg werde genauso dramatisiert wie die Pandemie, stimmten im November 2022 nur 19 Prozent der Wählenden anderer Parteien zu, aber 54 Prozent der AfD-Wählenden. Der Aussage, die NATO habe Russland zum Krieg provoziert, wollten nur 14 Prozent der Wählenden anderer Parteien, aber 49 Prozent des AfD-Elektorats zustimmen.
Schlussfolgerungen
Für das Handeln linker, gewerkschaftlicher und sozialistischer Politik enthält die Studie wichtige Hinweise. Sie bringt unmissverständlich zum Ausdruck: „Wer AfD wählt, macht dies nicht trotz, sondern wegen ihrer migrationsfeindlichen Positionen. AfD-Wählende, die sich enttäuscht von etablierteren demokratischen Parteien abwenden und gleichzeitig nicht die rechten Positionen der AfD in Migrationsfragen teilen, finden sich kaum in den Daten.“ (S. 41)
Zugleich enthält sie aber Spuren von Hoffnungsschimmer, insofern die Neuwählenden der AfD wahrscheinlich zu dieser stießen, weil sich das Niveau ihrer Sorgen und empfundenen Belastungen nach oben hin dem der AfD-Stammwählerschaft anpasste. Die Neuwählenden bringen der AfD weniger Vertrauen entgegen als die angestammte Anhängerschaft.
Diese Neuwählenden „gilt es mit anderen als mit migrationsfeindlichen Positionen anzusprechen – mit Positionen, die im Stande sind, ihre sozialen und finanziellen Sorgen abzumildern. Gute Politik, die Probleme und empfundene Ungerechtigkeiten angeht und löst, kann dafür sorgen, dass Menschen wieder Vertrauen in die Politik fassen.“ (S. 42) Für diese gute Politik sollten Linke, Sozialistinnen und Sozialisten streiten, solange noch Zeit ist.
Hövermann, Andreas: Das Umfragehoch der AfD. Aktuelle Erkenntnisse über die AfD-Wahlbereitschaft aus dem WSI-Erwerbspersonenpanel, in: WSI-Report Nr. 92, Nov. 2023, Düsseldorf, https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-008748.
Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 72 / 2024.