SoFoR-Info Nr. 71: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen.“

Eine Rezension des Buchs von Andreas Malm durch Uwe Hass, SoFoR.

Der Titel mag etwas reißerisch klingen, aber wer eine Anleitung für Bombenbau oder Terrorakte erwartet, wird ziemlich enttäuscht sein.

Der Autor sitzt nicht im Hochsicherheitstrakt einer Strafanstalt, sondern lehrt Humanökologie an der Universität Lund (Schweden) und ist seit über 20 Jahren Klimaaktivist.

Was die politische Ausrichtung betrifft, kommt er ursprünglich vom Anarchosyndikalismus, war oder ist Mitglied der trotzkistischen Socialistiska Partiet und gilt als Vertreter eines erneuerten ökologischen Marxismus.

Malm hat in den letzten Jahren ein umfangreiches Werk über die Entstehung des fossilen Kapitals in England und die damit verbundenen Klassenkämpfe sowie mehrere Bücher über Klima und Klimaaktivismus geschrieben, von denen das vorliegende, das Anfang 2019 geschrieben wurde (die deutsche Ausgabe bei Matthes & Seitz kam 2020 raus), wohl das bekannteste ist.

Es ist kein dicker Wälzer, sondern ein lesenswertes Buch von gerade mal 211 Seiten, gegliedert in drei Kapitel samt Einleitung mit den Überschriften „Keine Entschuldigung mehr für Passivität“, „Aus vergangenen Kämpfen lernen“, „Den Bann brechen“ und „Der Verzweiflung einheizen“.

Einleitung: „Keine Entschuldigung mehr für Passivität“

Das Manuskript zu „How to blow up a pipeline“ entstand kurz vor Ausbruch der Coronapandemie. Malm zählt die Klimabewegung zu den ersten politischen Opfern von COVID, weil das Virus deren höchst erfolgreiche Mobilisierung unmittelbar zum Erliegen gebracht habe.

Er geht davon aus, dass die Klimabewegung künftig von noch größerer historischer Notwendigkeit sein werde und die taktischen Überlegungen, denen er in seinem Buch nachgeht, erst in den kommenden Kämpfen vollends ihre Berechtigung erlangen würden.

Kapitel 1: „Aus vergangenen Kämpfen lernen“

Malm beginnt seine Ausführungen mit einer Bilanz darüber, was die bisherigen, durchgehend friedlichen Aktionen der Klimabewegung bewirkt hätten und wie herzlich wenig von dem geschehen sei, was eigentlich hätte geschehen müssen.

Er kritisiert keineswegs, dass die Klimabewegung bisher alles, was als Gewalt eingestuft werden könnte, sorgsam und peinlichst genau vermieden habe, stellt aber auch die Frage:

„Wird absolute Gewaltlosigkeit den einzigen Weg darstellen, die für immer allein gangbare Taktik im Kampf um die Außerkraftsetzung fossiler Brennstoffe? Können wir sicher sein, dass sie angesichts dieses Feindes ausreichen wird? […] Oder gibt es noch ein anderes Stadium jenseits des friedlichen Protests?“

Malm hält die Position des „strategischen Pazifismus“, nach der nur strikte Gewaltfreiheit eine soziale Bewegung zum Erfolg führen könne, für empirisch falsch. Für instruktiv hält er z. B. die Kämpfe um das Frauenwahlrecht in England zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Suffragetten hätten zwar den Premierminister mit Pfeffer überschüttet, mit Stöcken gegen Polizisten gekämpft und Brände gelegt.

Dabei seien sie aber stets darauf bedacht gewesen, Menschenleben nicht zu gefährden. Sie hätten auch Mammutkundgebungen veranstaltet, ihre eigenen Druckerzeugnisse verlegt und seien in Hungerstreiks getreten.

Malm ist an diesem historischen Beispiel besonders wichtig, dass die Suffragetten von einer Massenbewegung getragen worden seien, zudem die ganze Bandbreite gewaltfreier und militanter Aktionen angewandt hätten und erst so maximalen Druck hätten entfalten können.

Kapitel 2: „Den Bann brechen“

Welcher Bann soll gebrochen werden? Malm geht davon aus, dass sich selbst unter optimistischen Annahmen die Bahnen hin zu einer erträglichen Zukunft rapide verengen würden. Er zitiert Studien, nach denen es aber immer noch möglich sei, das 1,5-Grad- oder zumindest das 2,0-Grad-Ziel zu erreichen.

Er geht jedoch davon aus, dass keine Regierung so viel kapitalistisches Eigentum freiwillig vernichten werde. Es müsse also Menschen geben, die den Bann brächen, damit das Notwendige getan werde – also Akteur*innen, die vom Protest zum Widerstand übergehen und nicht nur demonstrieren, sondern auch sabotieren würden.

Ich verstehe Malm so, dass er die Staaten nach wie vor für die entscheidenden Akteure hält, die jedoch nicht gegen Kapitalinteressen handeln würden, sofern sie nicht extrem unter Druck gesetzt würden.

Er empfiehlt aber keineswegs, jetzt loszuziehen und z. B. Pipelines zu sprengen, sondern gibt ein Beispiel, was alles auch ein paar Nummern kleiner und ganz ohne Rauchsäulen als kreative Aktionsform möglich sei – vielleicht ein erster Schritt, den Spaß an besonders klimaschädlichen Produkten ein wenig zu trüben:

„Stundenlang erklang entlang der Bürgersteige Östermalms der Hauch eines zischenden, summenden Geräuschs. Am nächsten Morgen fanden 60 SUV-Eigentümer*innen ihre Autos mit platten Reifen vor. Auf einem Flugblatt auf der Windschutzscheibe stand geschrieben: Wir haben die Luft aus einem oder mehreren Reifen Ihres SUVs gelassen. Nehmen Sie es nicht persönlich. Es ist allein Ihr SUV, gegen den wir etwas haben.“

Malm stellt aber durchaus die Frage, ob es überhaupt richtig sei, den privaten Konsum anzugreifen:

„Selbstverständlich könnte man Folgendes einwenden. Warum habt ihr es auf den privaten Konsum abgesehen? Hat die Bewegung nicht hart darum gekämpft, die Aufmerksamkeit weg von den Verbraucher*innen – den bevorzugten Subjekten des liberalen Diskurses – hin zur Produktion der fossilen Brennstoffe zu verlagern? Käme es nicht einem Rückschritt gleich, mit dem Finger nun wieder auf Erstere zu zeigen? […] Doch Konsum ist Teil des Problems, und zwar insbesondere der Konsum reicher Menschen.“

Und das nicht zu knapp. Malm zitiert eine Studie, nach der die reichsten 0,54% ein Drittel mehr emittieren als die ärmste Hälfte der Menschheit. Er hält aber Luxuskonsum auch darüber hinaus für besonders schädlich, weil er beispielgebend wirke und zur Nachahmung anrege. SUVs waren z. B. zuerst ein Spielzeug der Reichen und sind dann zu Massenkonsumgütern geworden. Gleiches gilt für das Streben nach Hypermobilität.

Will man so viel CO2 wie möglich ausstoßen, gibt es laut Malm keine bessere Möglichkeit, als eine ausgedehnte Flugzeugtour zu unternehmen. Selbst ein einziger Kurzstreckenflug von London nach Edinburgh stoße mehr CO2 aus, als die durchschnittliche Somalierin in einem Jahr verursache. Dieser Umstand kommt sogleich seiner Definition nahe, was es heute bedeutet, reich zu sein.

Im Hinblick auf den Treib­hausgase verursachenden Konsum empfiehlt Malm grundsätzlich, zwischen Luxus- und Subsistenz-Emissionen zu unterscheiden. Erstere entstehen, weil sich reiche Menschen gerne in den Wonnen ihres Status suhlen, letztere, weil Menschen zu überleben versuchen.

Als Beispiele nennt er die Reisbäuerin in Indien, deren Reisfeld Methan und deren Ofen CO2 emittiert, aber auch französische Arbeiter*innen, die man aus den Städten ins Hinterland verdrängt hat, denen man dort aber keine Möglichkeit gegeben hat, mit dem ÖPNV statt mit dem Auto zur Arbeit zu gelangen.

An mehreren Stellen des Buchs betont er, dass gesellschaftliche Akzeptanz nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden dürften und mögliche Repressionsmaßnahmen, die Aktionen folgen können, immer bedacht werden müssten.

Malm ist kein Extremist. Er hält es für schwachsinnig, eine Art militärische Auseinandersetzung mit dem Staat suchen zu wollen, die Aktivist*innen seiner Ansicht nach sowieso nur verlieren könnten. Es geht ihm vielmehr darum, Aktionsformen aufzudehnen und dabei die Anwendung unbewaffneter kollektiver Gewalt im Sinne positiver Flankeneffekte einzusetzen.

Er geht davon aus, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für radikalere Aktionsformen in dem Maße steigen wird, in dem die Auswirkungen der Klimaerwärmung immer spürbarer werden:

„Bei 6 Grad plus wäre es wahrscheinlich schon dem ganzen verbliebenen Rest der Menschheit ein Bedürfnis, Pipelines in die Luft zu jagen.“

Kapitel 3: „Der Verzweiflung einheizen“

Im dritten und kürzesten Kapitel schreibt Malm gegen den Klima-Fatalismus an. Dessen neuere Variante lautet etwa so: Wenn sich die Menschheit so was selbst antut, hat sie es auch verdient unterzugehen.

Allen Varianten des Klimafatalismus ist gemein, dass jene, die ihn vertreten, alle Maßnahmen, die den eigenen privilegierten Lebensstil auch nur im mindesten ankratzen, strikt ablehnen und als sinnlos darstellen. Selbst der zögerlichste, halbherzigste oder kurioseste Versuch, etwas zum Positiven ändern zu wollen, ist Malm lieber als solcher Fatalismus.

Malm sagt, zu keinem Zeitpunkt sei die Bewegung so naiv gewesen, zu glauben, dass die globale Erderwärmung noch abzuwenden wäre. Sie beziehe ihre Dringlichkeit und ihren Zorn gerade aus dem Wissen, dass bereits viel Schaden angerichtet wurde. Aber:

„Niemand weiß mit Sicherheit, wie diese Krise enden wird. Keine Wissenschaftlerin, keine Aktivistin, keine Schriftstellerin, niemand, der Modelle erstellt oder hellsieht, weiß es, geradezu weil Variablen des menschlichen Handelns das Ergebnis bestimmen. Aber wenn sich all die Kollektive mit hinreichender Kraft gegen die Schalter stemmen, verringert sich zumindest die Gefahr des Kippens hin zur maximalen Folter; womöglich wird der Schmerz erträglicher. Innerhalb dieser Parameter handelt man oder eben nicht. Gleich jedem Sandkorn auf einem Haufen könnte ein jedes Individuum, das sich dem Konterkollektiv anschließt, dessen Leistungsfähigkeit vom Rand her ankurbeln, so dass es den Feind dann auch besiegen kann. Mehr ist nicht nötig, um ein Minimum an Hoffnung zu bewahren. Erfolg ist weder gewiss noch wahrscheinlich, aber immerhin möglich.“

Wer doch noch wissen will, wie man erfolgreich eine Pipeline in die Luft jagt, dem sei der von Malms Buch inspirierte US-Film „How to Blow Up a Pipeline“ von 2022 empfohlen, in dem die Geschichte einer Gruppe von Klimaaktivist*innen erzählt wird, die angesichts übermächtiger Gegner zu Mitteln greifen, die über bisherige Aktionsformen hinausgehen.


Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 71 / 2023.

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