25. Januar 2003
Starke Jusos aus harten Zeiten kamen in Köln-Auweiler zu einem Revival-Treffen zusammen.
Das „Hauptreferat“ hielt der ehem. Vorsitzende der Kölner Jusos, Michael Grunwald:
(Die fettgedruckten Stichworte waren ihm vom Organisationskomitee vorgegeben worden.)
„Genossinnen und Genossen!
Vor gut zwanzig Jahren etablierte sich ein lockerer Zusammenschluß aktionsorientierter, der Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus zugewandter, hoffnungsvoller – auch zu diesem Zeitpunkt schon mehr oder weniger jugendlicher – JUSOS beiderlei Geschlechts im Bezirk Mittelrhein.
Ihr Ziel war zunächst, Stagnationen inhaltlicher wie organisatorischer Art im Bezirk Mittelrhein nachhaltig zu überwinden, um die Voraussetzungen des revolutionären Kampfes zur Überwindung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu schaffen und verändernde Impulse weit in die Sozialdemokratie hinein zu tragen.
Nachdem dieses erste Etappenziel unerwartet schnell erreicht wurde, kannten sich etliche von uns viel besser als zuvor in den Wirrungen, Gräben und Fußangeln des innerverbandlichen und innerparteilichen Klassenkampfes aus.
Schule des Lebens: Nicht auszuschließen, dass hier auch einige Kerntugenden für den Überlebenskampf im späteren Beruf erlernt wurden.
Das Ziel hieß „Sozialismus“. Aber welcher, war die zentrale Frage?
Es lag nahe, dass zunächst etwaige Haupt-, Neben-, möglicherweise-gar-nicht-Widersprüche ermittelt, definiert, abgegrenzt und in eine ordentliche, klare, prioritär geordnete Rangfolge zu bringen waren.
Sodann waren besondere, zielgruppenorientierte Zugangsstrategien für den zunächst auf demokratische Rechte, Partizipation – am Ende Emanzipation gar – ausgerichteten Kampf in der rauhen, staatsmonopolistisch geprägten Wirklichkeit der BRD der 80er zu entwickeln.
Diese überaus gewitzte Strategie berücksichtigte sowohl bewußtseinmäßige Verwerfungen der Postmoderne beim historischen Subjekt des revolutionären Kampfes – dem Proletariat – und knüpfte außerdem an den sich verschärfenden Widersprüchen, des kapitalistischen Systems, die sich aus der Herausbildung und Entwicklung postfordistischer Produktionsprozesse ergaben, genial an.
Die Arbeit der Zuspitzung konnte beginnen – und fand oft in einem Kellerraum, hier in Auweiler, nur wenige hundert Meter entfernt, statt.
Das Schmieden breitester Bündnisse, die objektiv antimonopolistisch wirkten, auch wenn man’s ihnen subjektiv aus strategischen Erwägungen nicht sagen durfte, wurde emsig in Angriff genommen:
– im Jugendbereich
– in breiten Frauenbündnissen
– in lokalen Komitees gegen Schließung ihrer Betriebe kämpfender Gewerkschafter und –innen
– in der Friedensbewegung
– in Migrationszusammenhängen
– überhaupt in lokalen, nach Selbstorganisation gierenden Initiativen handlungsbereiter Bürgerinnen und Bürger, die das Los kapitalistischer Knechtschaft nicht länger zu tragen bereit waren (auch, wenn sie das eigentlich noch gar nicht wußten…).
Erfolge im Bemühen die Solidarität zum gesellschaftlichen Eckwert zu machen stellen sich erst heute ein: Arbeitgeber und Beschäftigte des Handwerks demonstrieren in der Landeshauptstadt für Steuersenkung und Deregulierung, auch des Arbeitsrechts, na, wenn das nix ist!
Da bestimmt das Sein offenbar auf recht verschlungenen Pfaden das Bewußtsein. Man sollte vielleicht noch mal der Frage genauer nachgehen, ob’s da vielleicht ähnlich ist, wie bei der gefühlten Euro-Teuerung oder den gefühlten Temperaturen. Gibt es ein gefühltes Sein – aber das hatten wir eigentlich auch schon mal bei den Bordieu’schen Distinktionsmodellen, ohne dass es mehr an Klarheit in einigen Köpfen gezeitigt hätte.
Prägen nicht auch unseren Alltag mittlerweile ganz andere substantielle, wirklich, wichtige Fragen, wie Erwerb, völlige Umgestaltung, beständige Verschönerung des möglicherweise schon erworbenen Eigenheims? „Wir“ müssten dringend mal wieder das Wohnzimmer tapezieren? Balkon oder Veranda bepflanzen? Die Gartenmöbel gründlich aufarbeiten? Wir müssten… und Mann macht?
War früher überhaupt mal von Faltenwurf die Rede, ging es darum, den Wandschmuck bei Veranstaltungen kunst- und eindrucksvoll in revolutionärem Geiste zu drapieren.
Das sieht heute teilweise dann schon anders aus. Entweder arrangiert man sich nüchtern mit geriatrischen Erscheinungen oder deren phantasievolle Aus-„merz“-ung bindet in erheblichem Maße revolutionäre Energien, wobei – allen emanzipatorischen Anstrengungen zum Trotz – die attraktivere Hälfte der ehemaligen Verbandsmitglieder meilenweit bevorteilt bleibt: Noch das knittrigste Dekolleté läßt sich unter Zuhilfenahme bewährter Potemkinscher Hilfsmittel wie beispielsweise Einschnürung des restlichen Körpervolumens im Hüfthalter zu prächtiger Mit-Zwanziger-Optik aufprallen.
Im Bereich der Frauenbewegung verändert sich die Tendenz. Die Massenbasis wird erheblich verbreitert. Weg vom Internationalen Frauentag, egal ob latzbehost oder revolutionär oder nur weibliche Karriereseilschaften gebärend, die männliche Muster zuweilen perfekt mimikrieren. (Da hatte eh‘ immer jeder zweite das Datum vergessen.) Hin zur globalen, dezentralen, zeitgleichen Aktion am Muttertag. Obwohl die Teilnahme sich beim ein oder anderen Emanzipationspartner möglicherweise durch Zeit- und Beziehungsablauf schon wieder auf eine reine Sondergratifikation für den die Reproduktionsarbeit an den gemeinsamen Blagen verrichtenden Teil der Ex-Beziehung -im Rahmen des lästigerweise zu zahlenden- Unterhalts beschränkt.
Zum Stichwort Rente fällt mir nun wirklich nichts mehr ein; aber da bin ich ja ganz augenscheinlich nicht der einzige. Ich persönlich werde mich für ein Kombi-Modell entscheiden: BfA-Rente, Versorgungstarifvertrag, freiwillige Höherversorgung durch Brutto-Gehaltsverzicht und ab dem Renteneintrittsdatum schlecht gesicherte Postfilialen im ländlichen Raum. Womit sich die letzte Stichwortvorgabe auch erledigt haben dürfte: Anstand. Denn gegebenenfalls sollte man die letzte Kombi-Komponente kollektiv, organisiert im Brigademodell angehen, um sie anständig zu erledigen.
In diesem Sinne, lernen wir im Vorwärtsgehen und hoch zum vorwärts nieder mit!