Last und Lust von Programmdebatten

von ALEXANDER RECHT

Wo Linke sind, gibt es programmatische Debatten. So ist es auch bei Linkspartei.PDS und WASG. Der linken Parteineubildung ins Auge sehend, hatten beide Parteien VertreterInnen in eine Kommission entsandt, die „Programmatische Eckpunkte“ für die neue Partei ausformulieren sollte. Gesagt – getan: Am 22.10.2006 wurde in Erfurt das programmatische Ergebnis auf einer gemeinsamen Bundesvorstandssitzung beider Parteien beschlossen. Die Kölner WASG und Linkspartei.PDS wollten es sich nicht nehmen lassen, über die „Programmtischen Eckpunkte“ zu diskutieren, und luden dafür schön paritätisch, wie es sich gehört, für eine Versammlung am 30. Oktober zwei ReferentInnen nach Köln ein: einerseits Bodo Ramelow, Mitglied des Bundesvorstands der Linkspartei.PDS, andererseits Ulrike Zerhau, Mitglied des Bundesvorstands der WASG.

In beiden Referaten wie auch in der folgenden Debatte wurde deutlich, dass es sich bei den „Programmatischen Eckpunkten“ um „das Maß an Gemeinsamkeit“ handelt, „das sich WASG und Linkspartei.PDS auf dem Wege zu einer neuen Partei erarbeitet haben“, „um darauf eine neue Partei der Linken zu begründen“. Dies ist nicht gering zu schätzen, denn eine vereinte linke Partei ist unerlässlich und ein historischer Fortschritt für die bundesdeutsche Linke. Diese Einschätzung darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass das Kompromissdokument die Unterschiede in den Positionen der Mitglieder beider Parteien teils auf Kosten von Qualität zu überdecken sucht.

Dies fängt an mit dem Aufbau des Papiers. Es kann Sinn machen – zumal zu Beginn eines Programmprozesses –, ein Programm so zu formulieren, dass der Schwerpunkt auf der Präsentation von Forderungen liegt. Begründungen sind dann weitgehend verzichtbar. Sinnvoll kann es auch sein, programmatische Forderungen mit Bezug auf analytisch dargestellte Zusammenhänge kausal herzuleiten. Leider gehen die Eckpunkte weder den einen noch den anderen Weg. Sie beschränken sich zwar nicht auf die Präsentation von Forderungen, begründen sie aber auch nicht. Stattdessen werden zu oft mögliche Ursachen für gesellschaftliche Verhältnisse aneinander gereiht, ohne zu erläutern, ob und inwiefern es sich um kausale Beziehungen zwischen unterstellter Ursache und gesellschaftlichen Verhältnissen handelt, und ohne sich zu vergewissern, ob die genannten Ursachen überhaupt miteinander vereinbar sind.

Dies sei am Beispiel dargestellt. In der Linken ist die Frage, wodurch sich der moderne Kapitalismus auszeichnet, umstritten. Manche Linke behaupten die Macht der Konzerne, andere unterstellen dem Finanzmarkt selbst, Macht auszuüben, und wiederum andere Linke verorten das Problem in einer Kapitallogik, die von den Menschen nur unbewusst gemacht sei und diesen als ungesteuerter, stummer Zwang der Verhältnisse entgegentrete. Die Erörterung, wo sich diese Argumentationslinien widersprechen und wo ergänzen, wäre genauso lohnend wie der Versuch, eine konsistente linke Antwort zu erarbeiten. Stattdessen summieren die „Programmatischen Eckpunkte“ eine mögliche Ursache nach der anderen einordnungslos auf: „Die herrschende Politik hat die Macht der Finanzmärkte, der transnationalen Kapitalgesellschaften, der Marktsteuerung und der Großkonzerne gestärkt.“ Das ist unbefriedigend.

Unbefriedigend ist aber nicht nur das Dokument, sondern auch die Diskussion in den Parteien. Allzu oft paart sich die ohnehin schwer handhabbare Kluft zwischen den verschiedenen Weltanschauungen der GenossInnen mit einer Starrheit, die den für fruchtbare programmatische Diskussionen unerlässlichen Dialog erschwert. Viel wäre gewonnen, wenn die GenossInnen sich auf die genannten Argumente der anderen bezögen, erklärten, warum sie diese mal teilen, mal ablehnen, und erläuterten, warum sie zu ihrer eigenen Auffassung kommen. Leider ist dem nicht immer so. Zu oft werden die Positionen der anderen entweder überhaupt nicht aufgegriffen oder aber ohne Begründung wahlweise als „unmodern“, „rechts abweichend“ oder „mut- und phantasielos“ abgekanzelt. Die eigenen Auffassungen hingegen werden als „modern“, „wirklich links“ oder „kreativ“ heruntergespult. Um Missverständnisse zu vermeiden: Politik lebt nachgerade von zuspitzender Kritik. Aber das langweilige Abfeiern eigener Selbstgewissheiten ist keine fruchtbare Kritik.

Schließlich wirken manche Argumente windschief. Niemand widerspricht Ramelow, wenn er die CDU-geprägte Ministerialbürokratie Thüringens kritisiert. Doch ist dies eben kein überzeugendes Argument dafür, den Sinn einer Ausdehnung des öffentlichen Dienstes grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn weder handeln Verwaltungsspitzen per se gleich, noch besteht der Beschäftigtenkorpus im öffentlichen Dienst nur aus Spitzenbeamten, noch darf ignoriert werden, dass bei aller Zwiespältigkeit des öffentlichen Dienstes hier wenigstens die Möglichkeit demokratischer Steuerung besteht, um deren richtige Richtung Linke in der Tat gegen den Einfluss von Kapitalfraktionen kämpfen müssen.

Dass es eine vereinte linke Partei geben wird, ist gut. Klar ist jedoch auch, dass die „Programmatischen Eckpunkte“ die Parteineubildung nur einleiten, nicht aber abschließen dürfen. Erforderlich ist es, nach der formalen Vereinigung mit der Erstellung eines echten Grundsatzprogramms zu beginnen – eines Programms, an dessen Erstellung sich die Parteibasis in ausreichender Zeit, zahlreich und im besten Sinne kontrovers beteiligt und dessen analytische Qualität und programmatische Klarheit überzeugen.