Für gebührenfreie Bildung und eine Schule für Alle!

Die soziale Auslese beenden! – Eine Unterschriftenkampagne zur NRW-Wahl

von PETER FÖRSTER und SENTA PINEAU

Wir brauchen leistungsfähige Schulen – Gymnasien, Realschulen und andere Schulformen“, sagte Pinkwart bei der Plakatenthüllung. „Die Schulvielfalt sorgt nicht nur dafür, dass unsere Kinder ihre Begabungspotentiale – die unterschiedlich sind – vernünftig entfalten können, sondern auch dafür, das wir ein Innovations- und Wissenschaftsland sein können“, betonte der Innovationsminister
(FDP-Pressemitteilung zur Wahlkampfaktion gegen die Gemeinschaftsschule)

Doof gebor´n ist keiner. Doof wird man gemacht.
(Lied vom „GRIPS Kindertheater“ aus den 70er Jahren)

Mit der beiliegenden Unterschriftenkampagne wollen wir dazu beitragen, der antisozialen Ausrichtung des Bildungssystems ein Ende zu bereiten und einen politischen Richtungswechsel voranzubringen. Dafür müssen Bildungsgebühren, insbesondere jede Form von Studiengebühren, abgeschafft und das mehrgliedrige Schulsystem in eine inklusive Schule überführt werden. Die gesellschaftliche Entwicklungskontroverse, die sich an diesen zwei politischen Schlüsselauseinandersetzungen zuspitzt, lautet: Sollen Bildung und Wissenschaft individuell und in Konkurrenz angeeignet werden und die Lernenden sich dafür den standortpolitischen Verwertungsanforderungen unternehmerischer Interessen unterordnen? Oder sollen Menschen durch kooperatives und solidarisches Lernen dazu befähigt werden, gemeinsam ihre Geschichte in die Hand zu nehmen und die drängenden gesellschaftlichen Entwicklungsfragen kritisch anzugehen, um sie im Sinne des Allgemeinwohls zu bewältigen?

FDP und CDU haben in NordrheinWestfalen in den letzten 5 Jahren eine systematische Politik der sozialen Zerstörung betrieben, die den Menschen und seine Arbeit in allen Lebensbereichen auf Standortdienlichkeit zu trimmen bemüht war. Diese Verwertungsorientierung wurde unter maßgeblicher politischer und ideologischer Einflussnahme der  Unternehmensverbände (BDI, BDA, Handelskammer) und angegliederter Think-Tanks (z.B. CHE der Bertelsmannstiftung, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft der Metallarbeitgeber) in der Bildungspolitik besonders systematisch vorangetrieben. So wurde die Schulzeit bis zum Abitur um ein Jahr zusammengestrichen (G8), um die mit Kopfnoten gemaßregelten SchulabsolventInnen möglichst effizient und kostengünstig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. An den Hochschulen konnten die Interessen der privaten Wirtschaft direkt in die dafür neu geschaffenen universitären Leitungsgremien einziehen, während der „Bummelstudent“ mit 500 Euro Studiengebühren pro Semester unter Verschuldungsdruck zum schnellen und arbeitsmarktgerechten Studium getrieben werden sollte. In Zeiten sozialer Polarisierung, die gerade in NRW durch eine Rekordzahl von Einkommensmillionären und wachsende Armut –  insbesondere bei Kindern -, von Massenarbeitslosigkeit und Kriegsproduktion gekennzeichnet ist, sollen so verstärkt alle gedrillt werden für die Gewinnanforderungen derjenigen, die auf Kosten der Mehrheit Geschäfte machen.

„Schulvielfalt“: So nennt der „Innovationsminister“ Andreas Pinkwart die unterschiedliche Wertung von Menschen und ihre dementsprechende Einsortierung in das mehrgliedrige Schulsystem. Hier werden Ursache und Wirkung auf den Kopf gestellt: Die sozialen Ursachen unterschiedlicher Lernmotivation und Entwicklungsvoraussetzungen werden durch ihre Biologisierung verschleiert („Begabung“), unterschiedliche Bildungsmöglichkeiten  wiederum durch das sozial ausgrenzende Bildungssystem reproduziert und verfestigt. Gegen eine solche elitäre Bildungspolitik richtet sich das Anliegen einer Schule für alle, in der die bestmögliche Entwicklung aller, kritisches Hinterfragen und solidarisches Lernen gefördert werden, statt Konkurrenz und Leistungsdruck. Denn das bestehende Bildungssystem ist nicht nur unsozial, sondern zutiefst antisozial: Durch die ständig drohende soziale Auslese wird die Möglichkeit, die Welt als sozial konstituierte zu begreifen, um sie im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung solidarisch zu verändern, in die Erfüllung fremd gesetzter Leistungsanforderungen und in Einzelkämpfertum verkehrt. Alle sollen lernen zu spuren, damit „wir in NRW“ Innovationsland sein können – also „sie“- sprich die hier ansässigen Großunternehmen, die in der globalen Konkurrenz um größeren Gewinnanteile kämpfen und dafür Löhne drücken, Arbeitsplätze rationalisieren usw. Mit der Verheißung eines gehobenen Platzes im Hauen und Stechen um knapper werdende Jobs, sollen alle dazu gebracht werden, die Ansprüche an erfreuliches Lernen, sinnvolle Bildungsinhalte und das Wirken für eine soziale Entwicklung aufzugeben und zudem Konkurrenz und soziale Unsicherheit in Kauf zu nehmen. So werden schon 10-jährige SchülerInnen (samt Eltern) damit verrückt gemacht, sich unter der ständigen Drohung „zurückzubleiben“ gegen ihre MitschülerInnen zu profilieren. Studiengebühren sind die konsequente Fortführung der von Bildungsinhalten und Mitmenschen entfremden Leistungsorientierung: Sie degradieren Bildung zur Investition, zum erkauften Konkurrenzvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Die während des Studiums drohende Verschuldung legt nahe, Leben(-slauf) und Studium stromlinienförmig an den Anforderungen potentieller Arbeitgeber auszurichten.

Doch die Prinzipien des Marktes und die Standortideologie der grenzenlosen internationalen Geschäftemacherei haben die Welt in eine tiefe Krise geführt. Es bedarf daher auch in Bildung, Lehre, Forschung und Studium einer Neuorientierung an den sozialen und kulturellen Interessen der großen Mehrheit der Menschen und damit eines Kurswechsels in Richtung vernünftiger Entwicklungsmöglichkeiten für alle. Nachdem jahrzehntelang die Ökonomisierung und elitäre Ausrichtung von Bildung als unvermeidbar dargestellt und vorangetrieben, kritische Wissenschaft zerstört und erheblicher Aufwand zur gesellschaftlichen Delegitimierung der Gesamtschulen betrieben wurde, sollte der kriselnden Markt- und Eliteorientierung möglichst bald ein Ende bereitet werden. Mit der Unterschriftenkampagne wollen wir im Kampf für gebührenfreie Bildung und eine Schule für alle dazu ermutigen, die gemeinsamen Angelegenheiten in die Hände zu nehmen und den Anspruch kritischen, an der Verbesserung der Lebensbedingungen orientierten Lernens, Forschens und Arbeitens zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zu machen. Im Hinblick auf einen politischen Richtungswechsel auch nach der Landtagswahl am 9. Mai sollten sich daher alle daran beteiligen mit dieser linken Programmatik Kreise zu ziehen.