SoFoR-Info Nr. 70: Seminar „Sozialökologische Transformation“. Konflikte, Subjekte der Veränderung und politische Strategien der Linken

Grundlage der gegenwärtigen Arbeit des Sozialistischen Forums Rheinland (SoFoR) bilden die „Thesen zur sozialökologischen Transformation“, die im Supplement zum Heft 6/20 der Zeitschrift Sozialismus publiziert wurden.

Auf unserem Seminar im Herbst 2022 in Volterra haben wir den roten Faden aufgenommen und uns befasst mit Erfordernissen des sozialökologischen Umbaus der Gesellschaft und Konflikten, die hierbei zu überwinden sind.

Zeitverlust durch Krieg

Der von Russland am 23. Februar 2022 begonnene Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine Zäsur und hat die multiplen Krisen bei Nord/Süd, Ernährung, Klimawandel etc. verschärft. Statt der gebotenen globalen Kooperation treibt er die Polarisierung der Welt voran und verschlingt Ressourcen, die an anderer Stelle dringend benötigt würden, z. B. zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, zur Entwicklung einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der Länder des globalen Südens.

Durch den krisenbedingten Rückgriff auf fossile Energiequellen werden Nachhaltigkeitsziele konterkariert, und durch die Fokussierung auf den Krieg wird Zeit verloren – die wir gar nicht haben. Der Krieg hat somit ein Problem verschärft, das durch die Blockaden von FDP und rückwärtsgewandten Lobbys ohnehin besteht: Wird die ökologische Wende, insbesondere in den ökologisch defizitären Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Bauen, in ausreichendem Umfang und mit gebotenem Tempo vorangebracht oder nicht?

Immerhin bieten die aktuellen Entwicklungen auch Ansatzpunkte für linke Politik. Dass die Schwarze Null passé ist, liegt auf der Hand; dass umfangreiche staatliche Investitionsprogramme, die auch kreditfinanziert sind, aufgelegt werden müssen, versteht sich; der Bedarf nach einer neuen, staatlich voran getriebenen gesamtgesellschaftlichen Regulationsweise ist sichtbar geworden.

Linke Alternativen

Welche Alternativen können in dieser Situation von links formuliert werden? Welche Bedeutung haben in einem linken Krisenbewältigungskonzept Überlegungen zu einer Politischen Ökonomie der Zukunftsgesellschaft? Welche Rolle spielen in dieser ganzen Auseinandersetzung Macht- und Eigentumsfragen, und wie sind diese in die aktuellen politischen Debatten einzubringen? Ist es nicht unabweisbar, den Protesten, dem Unbehagen, den Hoffnungen auf Besserung eine eindeutige Richtung zu geben, etwa Sozialismus als konkrete Utopie?

Dietmar Aigner (SoFoR) eröffnete das Seminar mit Thesen zur hier angerissenen aktuellen Lage sowie zu den widersprüchlichen Tendenzen und Fragestellungen, die uns künftig beschäftigen werden. Damit waren die Problemfelder abgesteckt, die wir ausgiebig zu diskutieren hatten.

Stand der sozialökologischen Transformation

Uwe Witt (Rosa Luxemburg-Stiftung, Berlin) widmete sich eingehend den Plänen und Beschlüssen der EU mit dem Green Deal und der Bundesregierung mit dem Klimaschutzplan 2050 zur ökologischen Wende. In beiden Fällen werden inzwischen sehr ambitionierte Zielsetzungen formuliert. Zusätzliche Finanzmittel werden mobilisiert und neue Instrumente zur Kontrolle des Prozesses festgelegt, aber trotzdem bleibt ein großer Raum für kritische Nachfragen und Alternativforderungen.

Wie soll die Realisierung der Pläne durch die EU-Kommission gewährleistet, wie die Zielvorgabe in den einzelstaatlichen Aktionsplänen umgesetzt werden? Reichen die Ressourcen aus, um aus Plänen Tatsachen zu machen? Wie soll konservativen mächtigen Interessengruppen entgegengetreten werden? Grundlegender stellt sich die Frage, inwieweit die bisherigen Pläne sich zu stark auf den bisherigen Wachstumspfaden bewegen, zu sehr auf technische Lösungen fixiert sind und ob gesellschaftliche Mobilisierungen unterbewertet werden.

Breiten Raum nahm bei Uwe Witt die Auseinandersetzung mit den Plänen der Bundesregierung zur Abwendung der Kriegs- und Krisenfolgen ein. Mit dem Gas- und Strompreisdeckel und der Notwendigkeit sozialer Abfederung haben wir uns ebenso befasst wie mit neuen Entwicklungspfaden, die eingeschlagen werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Das Stichwort „grüner Wasserstoff“ mag genügen, um anzudeuten, dass dies ebenso Fragen der stofflichen Seite der Produktion umfasst wie solche nach den internationalen Produktionsverhältnissen. Unter dem Strich bleibt die sozialökologische Transformation ein zentrales Kampffeld mit ungewissem Ausgang.

Steffen Lehndorff (SoFoR) knüpfte an Uwe Witts Thesen an. Stefan hatte als Projektkoordinator im Rahmen der RLS an einer Studie mitgearbeitet, die die Bereiche Chemie, Energiesektor und Verkehr untersuchte und zum Ergebnis kam, dass die Transformation in vollem Gange ist: Sie ist bei Unternehmen, Gewerkschaften und Gemeinden angekommen. Dies hat viel mit öffentlichem Druck, etwa durch Fridays for Future, zu tun, der die Unabweisbarkeit dieser Veränderung vermittelt hat. Entscheidend aber sind die Orientierungsmarken, die von der Politik gesetzt wurden.

Fragen über Fragen

Etliche Fragen bleiben:

  • In welchem Tempo vollziehen sich Transformationsprozesse?
  • Wird die Transformation durch Versuche konterkariert, an alten Geschäftsmodellen zu verdienen, „solange es geht“?
  • Werden die sozialen Folgen dieses Prozesses hinreichend abgefedert bzw. kompensiert?
  • Welche Widersprüche gibt es bei den Auswirkungen der Transformation auf Arbeitsplätze, Beschäftigungsvolumen und Qualifikationsstrukturen?
  • Wie kann durch intensive Weiterbildungsprogramme den negativen Folgen entgegengewirkt werden?
  • Wie kann ein Rebound-Effekte verhindert werden, wenn etwa günstigerer Ökostrom zu mehr Verbrauch führt?

Steffens Merksatz lautete: „Der Ausbau der Infrastruktur muss der Nachfrage vorausgehen.“ Und genau daran hapert es. Das nötige Tempo beim Ausbau des Ökostroms und der hierfür benötigten Infrastruktur bleibt weit hinter den Notwendigkeiten zurück.

Steffen lenkte den Blick auf praktische Vorschläge, um den Umstellungsprozess besser und wirkungsvoller gestalten und organisieren zu können. Wahrscheinlich am wichtigsten: die Einrichtung von Transformationsfonds auf regionaler Ebene, deren Umsetzung von Transformationsräten begleitet werden sollten, die u. a. umweltpolitische Initiativen und zivilgesellschaftliche Gruppen repräsentieren. Hier besteht allerdings noch erheblicher Präzisierungsbedarf.

Im zweiten Abschnitt des Seminars haben wir Bereiche, die in den SoFoR-Thesen noch unterbelichtet waren, ausgeleuchtet.

Big Data

Markus Lauber (SoFoR) gab uns eine kompetente Einführung zu Big Data, künstlicher Intelligenz, Problemen der Regulierung des digitalen Fortschritts sowie zur Konkurrenz zwischen USA, China und EU. Angesprochen wurden:

  • Fragen der Datensicherheit und des Persönlichkeitsschutzes, die auch mit jeweiligen Menschen- und Gesellschaftsbildern (wie wollen wir leben?) verknüpft sind;
  • Gefahren und Chancen der Digitalisierung;
  • Folgen für die Arbeitsplätze und die Qualifikationsstrukturen im Arbeitsprozess;
  • Fragen nach dem Ressourcenverbrauch;
  • last but not least Machtfragen.

Bauwende

Hans Günter Bell (SoFoR) nahm sich des Themas Bauwende an, das er unter Einbeziehung der aktuellen Planungen des Deutzer Hafens illustrierte. Über die Bedeutung dieses Themas im Rahmen der Transformation herrscht in der Fachwelt von Architektur und Planung recht große Übereinstimmung. Auch in den aktuellen Debatten um den Wohnungsnotstand wird in Verbindung mit den explodierenden Boden- und Mietpreisen immer deutlicher, dass es nicht nur um „Bauen, Bauen, Bauen!“ geht, sondern auch darum, was, wie und wo gebaut wird.

Hans Günter Vortrag lieferte vor allem neue Erkenntnisse zum ökologischen Fußabdruck in der Bauwirtschaft. Der Gebäudebereich ist für ca. 40% der Treibhausgasemissionen und 50% des Abfallvolumens verantwortlich. Die bisher zu geringe Wahrnehmung dieses Problems in der Öffentlichkeit hat auch damit zu tun, dass es nicht einfach ist, den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden von Herstellung, Errichtung, Nutzung und Entsorgung zu erfassen und abzuschätzen.

Schwerpunktmäßig beleuchtete Hans Günter die enormen Reduktionspotenziale im Bereich Bauen, die für die Gesamtbilanz der Transformation von großer Tragweite sind. Stichworte sind:

  • Verbesserte Energieeffizienz;
  • Auswahl von Energieträgern;
  • Potenziale der Kreislaufwirtschaft durch lange Nutzung von Rohstoffen und Produkten;
  • besseres Abfallmanagement.

Dabei spielen Fragen der Trennbarkeit der eingesetzten Materialien bei der Demontage und beim Recycling eine große Rolle. Betont wurde die Notwendigkeit des Bestandschutzes und der Bestandssanierung, die Vorrang vor dem Neubau genießen sollten: „Jedes Gebäude, das nicht abgerissen werden muss, dient dem Umweltschutz!“ Auch beim Thema Bauwende gibt es Zielkonflikte:

  • Wie können die Kosten des ökologischen Bauens in Grenzen gehalten werden, die ja das Wohnen immens verteuern und damit zu weiterer sozialer Benachteiligung führen?
  • Wie kann eine gute Mischung aus hochpreisigen Wohnungen, um den nötigen Return on Investment zu erreichen, und Sozialwohnungen aussehen?
  • Welche Möglichkeiten des standardisierten Bauens zur Kosteneinsparung gibt es, die durch Kombination seriellen Bauens und spezieller Module zugleich die Vielfalt des Stadtbildes sichern?

Gesellschaftliche Konflikte

Im dritten Teil widmeten wir uns gesellschaftlichen Konflikten, die mit dem Prozess der Transformation verbunden sind. Anhand soziologischer Texte wurde erörtert, mit welchen Milieus, Werthaltungen und Bewusstseinslagen wir es zu tun haben und wie für ökologische Politik unterschiedliche Gruppen anzusprechen und neue Allianzen zu bilden sind.

Dies wurde durch Erfahrungen und Erkenntnissen aus der gesellschaftlichen Praxis ergänzt. Dabei konnten wir auf Ausführungen von Julia Kaiser, Aktivistin bei Fridays for Future und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Klaus Dörre an der Uni Jena, zurückgreifen, die zu ihren Erfahrungen eines Brückenschlags zwischen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes (ver.di) und Aktiven bei Fridays for Future vortrug.

Julia berichtete zudem über den Besuch der Jenaer Gruppe in einem von der Belegschaft besetzten Betrieb in der Nähe von Florenz, der als Zulieferer in der Automobilbranche tätig war, bevor er verkauft und dicht gemacht werden sollte. Interessant waren Konversionsüberlegungen, die zusammen mit Wissenschaftler*innen der Universität in Genua entwickelt werden sollten.

Zum Schluss haben wir über linke Strategiebildung gesprochen: Wie soll sich eine zukunftsfähige Linke aufstellen? Hierzu referierte Bernhard Sander über die Linke (Nupes) in Frankreich.

Mögliche SoFoR-Themen in der Zukunft

  • Die Staatsfrage: Über welche Instrumente der Planung und Leitung verfügt der Staat? Wie können Übergänge zu neuen gesellschaftliche Regulations- und Gestaltungsmechanismen aussehen? Welche Rolle sollen Transformationsfonds und Nachhaltigkeitsbeiräte einnehmen? Wieviel Zentralisierung wird gebraucht, wie viel Dezentralisierung?
  • Die Eigentumsfrage: Die Debatte darüber, was unter Vergesellschaftung, Vergemeinschaftung und Verstaatlichung zu verstehen ist, hat erst begonnen. Dabei geht es um unterschiedliche Eigentumsformen, Mischformen, Genossenschaften und einiges mehr. Dies führt zur Grundfrage: In welchem Verhältnis sehen wir zukünftig Staat, Marktwirtschaft und Zivilgesellschaft?
  • Die Wachstumsfrage: Neuere Publikationen von Ulrike Hermann, Andreas Malm usw. haben die Debatte über Wachstum, Postwachstum, Degrowth und Ressourceneffizienz befeuert. Dies wollen wir als SoFoR aufgreifen.

Der Seminarbericht von Paul Schäfer (SoFoR) steht als Volltext auf der SoFoR-Homepage.


Hier befindet sich die pdf-Datei des SoFoR-Infos 70 / 2023.